OLG Köln, Urteil vom 01.02.2019 – 20 U 57/18

Oktober 10, 2021

OLG Köln, Urteil vom 01.02.2019 – 20 U 57/18

Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 12. März 2018 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 26 O 163/16 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag von 513,30 € nebst Zinsen hinaus an den Kläger weitere 3.186,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. August 2015 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag von 147,56 € hinaus von weiteren außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 266,08 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger zu 47 % und die Beklagte zu 53 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger zu 49 % und der Beklagten zu 51 % auferlegt.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können eine gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Gegenseite vor einer Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zur Vollstreckung anstehenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe
I.

Der Kläger nimmt die beklagte Versicherungsgesellschaft auf Zahlung von Krankenhaustagegeld und Genesungsgeld aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag über eine private Unfallversicherung in Anspruch.

In den dem Vertrag zu Grunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten, den „A Allgemeine Unfall-Versicherungsbedingungen (AUB 2011) U 4000:01“ (im Folgenden: AUB) (Anl. BLD 1, GA 57 ff.), heißt es u.a.:

1.3 Ein Unfall liegt vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.

2.4 Krankenhaustagegeld

2.4.1 Voraussetzungen für die Leistung

Die versicherte Person befindet sich wegen des Unfalls in medizinisch notwendiger vollstationärer Heilbehandlung.

2.4.2 Höhe und Dauer der Leistung

Das Krankenhaustagegeld wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme für jeden Kalendertag der vollstationären Behandlung gezahlt, längstens jedoch für 2 Jahre …

2.5 Genesungsgeld

2.5.1 Voraussetzungen für die Leistung

Die versicherte Person ist aus der vollstationären Behandlung entlassen worden und hatte Anspruch auf Krankenhaustagegeld …

2.5.2 Höhe und Dauer der Leistung

Das Genesungsgeld wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme für die gleiche Anzahl von Kalendertagen gezahlt, für die wir Krankenhaustagegeld leisten, längstens für ein Jahr.

3 Welche Auswirkungen haben Krankheiten oder Gebrechen?

… Haben Krankheiten oder Gebrechen bei der durch das Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt, mindert sich

• im Falle der Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades,

• im Todesfall und, soweit nichts anderes bestimmt ist, in allen anderen Fällen die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens.

Beträgt der Mitwirkungsanteil weniger als 25 %, unterbleibt jedoch eine Minderung.

Die Höhe des vereinbarten Krankenhaustagegeldes und des Genesungsgeldes belief sich in der von der Klage umfassten Zeit auf jeweils 177,00 € pro Tag.

Am 22. Mai 2015 stürzte der Kläger, der seit dem Jahr 2000 wegen Vorhofflimmerns mit dem Blut verdünnenden Medikament Marcumar behandelt wird, zu Hause beim Treppensteigen auf das Gesäß. Dadurch bildete sich ein starkes Hämatom, weswegen der Kläger sich im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts vom 23. Mai bis zum 1. Juni am 27. Mai 2015 einer Operation unterziehen musste.

Ein weiterer Klinikaufenthalt folgte vom 14. bis zum 22. Juni 2015, nachdem der Kläger, dem im Zuge der vorangegangenen Operation ärztlicherseits eine Marcumar-Pause auferlegt worden war, am 14. Juni 2015 einen Schlaganfall erlitten hatte. Ursache war ein Blutgerinnsel, das – wiederum operativ – entfernt werden musste.

Mit Schreiben vom 29. Juni 2015 (Anl. K5, GA 20) verweigerte die Beklagte nach Einholung einer fachärztlichen Stellungnahme des Krankenhauses, in dem der Kläger behandelt worden war, Leistungen auf Krankenhaustage- und Genesungsgeld mit der Begründung, ohne den Blutverdünner (Marcumar) wäre eine stationäre Behandlung nicht erforderlich gewesen.

Daraufhin beauftragte der Kläger seine späteren Prozessbevollmächtigten, die sich mit Schreiben vom 20. Juli 2015 (Anl. K6, GA 22) an die Beklagte wandten und sie unter Fristsetzung zum 4. August 2015 und Klageandrohung aufforderten, „das versicherungsvertraglich vereinbarte Tagegeld sowie das Genesungsgeld anzuweisen“; die Einnahme von Marcumar einer Krankheit oder einem Gebrechen gleichzusetzen, entbehre jeglicher Grundlage.

Mit der Klage erstrebt der Kläger in der Hauptsache die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Krankenhaustage- und Genesungsgeld für beide Klinikaufenthalte. Er hat die Auffassung vertreten, die geforderten Leistungen stünden ihm zu, weil die Marcumar-Therapie nicht leistungsmindernd zu berücksichtigen sei.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

an ihn 6.726,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.08.2015 zu zahlen und

ihn von den durch die außergerichtliche Vertretung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten in Höhe von 650,34 € freizustellen.

Die Beklagte hat den Antrag gestellt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, das Unfallereignis sei nicht kausal für die Krankenhausaufenthalte des Klägers gewesen. Ohne die durch die Marcumar-Therapie hervorgerufene Blutverdünnung wäre es infolge des Unfalls nicht zu einem so großen Hämatom gekommen, das eine Operation und einen stationären Aufenthalt erforderlich gemacht hätte. Die Marcumar-Therapie sei dem Kläger wegen eines vorhandenen Grundleidens verordnet worden. Deswegen sei die Klage im Hinblick auf vorhandene Krankheiten bzw. Gebrechen unbegründet.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat nach Beweiserhebung zu den Fragen der medizinischen Notwendigkeit der vollstationären Krankenhausaufenthalte und gegebenenfalls der Rolle der Marcumar-Behandlung des Klägers hierfür durch Einholung eines schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachtens und eines Ergänzungsgutachtens die Beklagte zur Zahlung von Krankenhaustage- und Genesungsgeld in Höhe von 530,13 € nebst Zinsen und zur Freistellung des Klägers von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € verurteilt. Überwiegend hat es die Klage jedoch abgewiesen. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen wie folgt begründet:

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung der Kammer zwar fest, dass der Unfall mitkausal für beide stationäre Krankenhausaufenthalte sei und diese medizinisch notwendig gewesen seien. Gleichwohl unterliege die Klage überwiegend der Abweisung, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Marcumar-Therapie weit überwiegend für die Krankenhausaufenthalte verantwortlich gewesen sei. Der Sachverständige Prof. Dr. B habe überzeugend die Mitwirkung der Marcumar-Therapie bezogen auf den ersten Krankenhausaufenthalt mit über 90 % und bezogen auf den zweiten Krankenhausaufenthalt mit mindestens 95 % bemessen. Entscheidend für die enorme Größe des Hämatoms sei die Herabsetzung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes aufgrund der regelmäßigen Einnahme von Marcumar gewesen, ohne die aufgrund der geringen Sturzenergie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit allenfalls ein sehr viel kleineres Hämatom entstanden wäre, das mit sehr großer Wahrscheinlichkeit keine operative Entlastung und damit auch keine stationäre Behandlung erfordert hätte. Zum zweiten Krankenhausaufenthalt habe der Sachverständige nachvollziehbar und schlüssig ausgeführt, dass zur operativen Durchführung der Entfernung des Hämatoms Marcumar habe abgesetzt werden müssen, um schwere Blutungen zu vermeiden. Dadurch sei das Schlaganfallrisiko deutlich gestiegen. Der nachoperative Schlaganfall, der zur erneuten stationären Aufnahme geführt habe, sei mit mindestens 95 % Wahrscheinlichkeit auf die Absetzung des Marcumars zurückzuführen. Insofern beruhe dieser Krankenhausaufenthalt ebenfalls auf der Marcumar-Therapie in Verbindung mit dem ihr zu Grunde liegenden Leiden des Klägers.

Die durch die Einnahme von Marcumar bedingte Blutverdünnung sei als Krankheit / Gebrechen im Sinne von Nr. 3 AUB zu berücksichtigen, auch wenn es sich dabei um eine therapeutische Maßnahme gehandelt habe, die der Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit des Klägers gedient habe. In der privaten Unfallversicherung wolle der Versicherer nur leisten, wenn überwiegende Ursache der Schädigung das plötzlich von außen auf den Körper des Versicherungsnehmers wirkende Ereignis gewesen ist und die Schädigung nicht etwa durch im Körper wirkende Umstände herbeigeführt wurde. Dabei sei es gleichgültig, ob es sich hierbei um eine durch Medikamente beeinflusste und geänderte Beschaffenheit des Körpers gehandelt habe (unter Hinweis auf OLG Koblenz, Urt. v. 16. März 2007 – 10 U 1238/05).

Danach ergebe sich ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung von Krankenhaustage- und Genesungsgeld nebst Verzugszinsen für den ersten Krankenhausaufenthalt in Höhe von 354 € (= 10 x 177 € x 2; davon 10 %) und für den zweiten Krankenhausaufenthalt in Höhe von 159,30 € (= 9 x 177 € x 2; davon 5%). Ein verzugsbedingter Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bestehe nur bezogen auf einen Gegenstandswert bis 1.000,00 €.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Berufung des Klägers, der seine erstinstanzlichen Klageanträge, soweit das Landgericht ihnen nicht entsprochen hat, in vollem Umfang weiterverfolgt.

Der Kläger meint, das Landgericht habe zu Unrecht die Marcumar-Behandlung als „mitwirkende Krankheit“ bzw. „Gebrechen“ im Sinne der Versicherungsbedingungen gewertet.

Die Beklagte, die die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet. Wegen des Krankenhausaufenthaltes vom 23. Mai bis zum 1. Juni 2015 steht dem Kläger Krankenhaustage- und Genesungsgeld in voller Höhe zu. Dagegen kann der Kläger – über den ihm erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus – für den Klinikaufenthalt vom 14. bis zum 22. Juni 2015 Versicherungsleistungen von der Beklagten nicht verlangen.

1. Dem Krankenhausaufenthalt des Klägers vom 23. Mai bis zum 1. Juni 2015 lag mit dem Treppensturz vom 22. Mai 2015 unstreitig ein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen zu Grunde. Es ist nach der erstinstanzlichen Beweisaufnahme zwischen den Parteien auch nicht mehr im Streit, dass der Krankenhausaufenthalt als „vollstationäre Heilbehandlung“ im Sinne von Nr. 2.4.1 AUB bzw. 2.5.1 AUB medizinisch notwendig war. Die in diesem Zusammenhang allein streitige Frage, ob die Behandlung des Klägers mit dem Blutverdünnungsmittel Marcumar, die nach Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. B mit hoher Wahrscheinlichkeit (über 90 %) für die Größe des sturzbedingten Hämatoms und die dadurch bedingte Notwendigkeit seiner operativen Entfernung im Rahmen eines deswegen erforderlichen Krankenhausaufenthaltes ursächlich war, zu Gunsten der Beklagten leistungsmindernd zu berücksichtigen ist, ist nach Auffassung des Senats entgegen der Auffassung des Landgerichts zu verneinen.

Bei der Marcumar-Therapie bzw. ihren körperlichen Auswirkungen, der Verdünnung des Blutes, handelt es sich nicht um eine „Krankheit“ oder ein „Gebrechen“. Sie rechtfertigen daher keine Leistungsminderung gemäß Nr. 3 AUB.

Es kommt deswegen nicht darauf an, ob der für das Eingreifen der leistungsbegrenzenden Klausel beweisbelasteten Beklagten mit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B, der eine Mitwirkungswahrscheinlichkeit der Marcumar-Therapie für die Notwendigkeit der vollstationären Behandlung des Klägers von (nur) „über 90 %“ angenommen hat – ohne dass allerdings geklärt wurde, ob eine weitere Präzisierung des Wahrscheinlichkeitsgrades möglich ist -, die Beweisführung nach Maßgabe des § 286 ZPO bereits gelungen wäre. Es ist auch nicht entscheidend, dass das angefochtene Urteil nicht hinreichend zwischen der Feststellung der Mitwirkung einerseits und der Feststellung des Grades der Mitwirkung andererseits unterscheidet.

Eine Krankheit im Sinne von Nr. 3 AUB liegt dann vor, wenn ein regelwidriger Körperzustand besteht, der ärztlicher Behandlung bedarf, während unter einem Gebrechen ein dauernder abnormer Gesundheitszustand zu verstehen ist, der eine einwandfreie Ausübung normaler Körperfunktionen (teilweise) nicht mehr zulässt. Demgegenüber sind Zustände, die noch im Rahmen der medizinischen Norm liegen, selbst dann keine Gebrechen, wenn sie eine gewisse Disposition für Gesundheitsstörungen bedeuten (vgl. BGH, Urt. v. 19.10.2016 – IV ZR 521/14, NJW 2017, 263 = VersR 2016, 1492 [zu Nr. 3 AUB 2000]).

Als „Krankheit“ kann die Marcumar-Behandlung bzw. die durch sie bewirkte Blutverdünnung nicht angesehen werden, weil dadurch kein regelwidriger Körperzustand herbeigeführt wird, der seinerseits einer ärztlichen Behandlung bedarf, sondern die Therapie ist im Gegenteil selbst Teil der ärztlichen Behandlung eines regelwidrigen Körperzustands, der durch die Grunderkrankung (Herzrhythmusstörungen in Form von Vorhofflimmern) hervorgerufen worden ist.

Die Marcumar-Therapie bzw. die mit ihr erreichte Blutverdünnung lassen sich als ärztliche Heilmaßname bzw. als durch eine Heilmaßnahme zielgerichtet erreichter Zustand aber auch nicht zwanglos als „Gebrechen“, d.h. als dauernder außerhalb der medizinischen Norm liegender Körperzustand verstehen (vgl. Schwintowski/ Brömmelmeyer, Praxiskommentar Versicherungsrecht, 3. Aufl., § 182 Rn. 7; MüKoVVG/ Dörner, 2. Aufl., § 178 Rn. 286; Looschelder/Pohlmann/Götz, VVG, 3. Aufl., § 182 Rn. 4; Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl., AUB 2010 Ziffer 3 Rn. 2; Prölss/Martin/ Knappmann, VVG 30. Aufl., AUB 10 Ziff. 3 Rn. 5; Bruck/Möller/Leverenz, VVG 9. Aufl., § 182 Rn. 10; Schubach/Jansen, Private Unfallversicherung, IV Rn. 4; Schwintowski/Lang, VUR 2013, 415, 417). Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits eine bloße Verstärkung der gesundheitlichen Folgen eines Unfalls durch eine frühere Verletzung als Mitwirkung eines „Gebrechens“ zu werten (BGH, Beschl. v. 8.7.2009 – IV ZR 216/07, VersR 2009, 1525 Rz. 15); und der Gebrechensbegriff ist auch erfüllt, wenn die Vorschädigung bislang klinisch stumm verlaufen ist, also keine Beschwerden verursacht hat, vorausgesetzt sie hat zur Verstärkung der Folgen des späteren Unfalls beigetragen (BGH, Urt. v. 19.10.2016 – IV ZR 521/14, VersR 2016, 1492 Rz. 23). Bei diesen Vorgaben könnte man hier annehmen, dass allein der Gesundheitszustand (Blutverdünnung) – auch wenn er sich grundsätzlich nicht nachteilig bemerkbar macht – ausreicht, sofern er tatsächlich die Unfallfolgen verstärkt hat. Allerdings – und das ist aus Sicht des Senats letztlich maßgebend – muss es sich um einen abnormen Gesundheitszustand handeln. Eine lediglich erhöhte Empfänglichkeit für Krankheiten infolge individueller Körperdisposition kann demnach solange nicht als Gebrechen bewertet werden, wie sie noch als innerhalb der medizinischen Norm liegend angesehen werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 23.10.2013 – IV ZR 98/12, VersR 2013, 1570). Von einem Zustand außerhalb der medizinischen Norm aufgrund der Marcumarisierung kann hier aber nicht ausgegangen werden, weil es sich um einen medizinisch gewollten Zustand handelt. Dieser mag zwar vom natürlichen Zustand (= unverdünntes Blut) abweichen, war aber bezogen auf die körperliche Verfassung des Klägers zur Zeit des Unfallgeschehens medizinisch angestrebt und sollte gerade dazu dienen, dass sein Körper (im Rahmen des Gesundheitszustands des Klägers) einwandfrei funktionierte. Ein damit verbundenes Risiko, wie es sich im Fall des Klägers durch die Verstärkung seiner individuellen Disposition für Verletzungsfolgen der eingetretenen Art verwirklicht haben mag, liegt damit noch im medizinischen Normbereich.

Ein solches Verständnis legt auch die Mitwirkungsklausel nahe. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht (BGH, Urt. v. 20.7.2016 – IV ZR 245/15, NJW-RR 2016, 1505 = VersR 2016, 1184 Rn. 24 m.w.N.). Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Klauselwortlaut (BGH, Urt. v. 23.6.1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83 = NJW 1993, 2369). Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urt. v. 9.5.2018 – IV ZR 23/17, NJW-RR 2018, 929 = VersR 2018, 818 m.w.N.). Dabei sind Risikoausschlussklauseln oder risikobegrenzende Klauseln wie hier die Mitwirkungsklausel eng auszulegen. Bei ihnen geht das Interesse des Versicherungsnehmers regelmäßig dahin, dass der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel dies gebietet. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen, ohne dass eine Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht (BGH, Beschl. v. 22.02.2018 – IV ZR 318/16, BeckRS 2018, 3931; BGH, Urt. v. 20.7.2016 – IV ZR 245/15, VersR 2016, 1184 Rn. 24 m.w.N.).

Ein Versicherungsnehmer wird aber zwischen Krankheit und Gebrechen einerseits und (auch vorbeugender) medizinischer Behandlung unterscheiden (Looschelder/Pohlmann/Götz, VVG, 3. Aufl., § 182 Rn. 4; Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl., AUB 2010 Ziffer 3 Rn. 2; Prölss/Martin/Knappmann, VVG 30. Aufl., AUB 10 Ziff. 3 Rn. 5; Bruck/Möller/Leverenz, VVG 9. Aufl., § 182 Rn. 10). Der Wortlaut der Klausel mit den Begriffen „Krankheit“ und „Gebrechen“ legt ein anderes Verständnis zumindest nicht nahe, selbst wenn er es nicht ausschließen sollte (so MüKoVVG/Dörner, 2. Aufl., § 178 Rn. 286). Demgegenüber auf den vom Versicherer mit der Klausel verfolgten Zweck abzustellen, in der Unfallversicherung nur leisten zu wollen, soweit Ursache der durch einen Unfall unmittelbar ausgelösten Gesundheitsbeeinträchtigung und der in ihrem Gefolge entstandenen bleibenden Gesundheitsschäden das plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkende Ereignis ist und nicht im Körper wirkende Umstände, gleichgültig ob es sich um gefahrenträchtige „natürliche“ Gegebenheiten oder um eine durch Medikamente beeinflusste und geänderte Beschaffenheit des Körpers handele (so OLG Koblenz, Urt. v. 16.3.2007 – 10 U 1238/05, r+s 2008, 303; zust. Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl., K Rn. 153), stellt einseitig auf das Interesse des Versicherers ab und berücksichtigt nicht den Grundsatz der engen Auslegung von risikobegrenzenden Klauseln. Das wird auch daran deutlich, dass das OLG Koblenz und Kloth die Berücksichtigung der Blutverdünnung durch eine Medikamenteneinnahme nicht auf den Wortlaut der Klausel stützen. Auch sie gehen offenbar nicht davon aus, dass die durch ärztlich verordnete Medikamente bewirkte Blutverdünnung eine „Krankheit“ oder ein „Gebrechen“ ist. Denn sie formulieren übereinstimmend, dass die Blutverdünnung mit Marcumar, weil sie zur Behandlung oder Vorbeugung schwerwiegender Erkrankungen die Beschaffenheit des Blutes in einer Weise verändert, die zu Risiken für die Gesundheit führt und geeignet ist, eventuelle Unfallfolgen erheblich zu verschlimmern, einer Krankheit oder einem Gebrechen gleichzusetzen sei. Damit greifen sie letztlich auf eine Analogie zurück, die mit dem Grundsatz der restriktiven Auslegung von risikobegrenzenden Klauseln nicht zu vereinbaren ist.

Die Regeln für die Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen sprechen nach Ansicht des Senats auch gegen den Ansatz von Hugemann (in Staudinger/Halm/Wendt, Fachanwaltskommentar Versicherungsrecht, 2. Aufl., 3 AUB 2010 Rn. 7), als „mitwirkend“ den der Einnahme Blut verdünnender Medikamente zu Grunde liegenden körperlichen Defekt anzusehen. Eine solche Auslegung von Nr. 3 AUB hätte zur Folge, dass sämtliche Therapiemaßnahmen, die zur Behandlung oder Prophylaxe in Bezug auf vorbestehende gesundheitliche Beeinträchtigungen oder zur Vermeidung von Gesundheitsschäden erfolgen, im Falle einer unfallbedingen Schädigung unter dem Gesichtspunkt der Leistungseinschränkung in den Blick genommen werden müssten. Jede Veränderung körperlicher und seelischer Zustände durch Heil- und Vorbeugemaßnahmen gegen die Auswirkungen vorbestehender Gesundheitsbeeinträchtigungen als „Mitwirkung“ dieser Krankheiten oder Gebrechen in Betracht zu ziehen, würde den Risikoausschluss unüberschaubar machen. Er könnte dann grundsätzlich bei keiner therapeutischen Maßnahme mehr verneint werden, weil solche Maßnahmen bestimmungsgemäß den Zustand der behandelten Person verändern. Eine solche Auslegung böte daher vielfach Anlass zu Streit und es drohten Lücken im Versicherungsschutz, ohne dass die Klausel dies dem Versicherungsnehmer hinreichend verdeutlichen würde. Selbst wenn man auch eine mittelbare Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen für ausreichend hielte (so Schubach/ Jansen, Private Unfallversicherung, IV Rn. 4), müsste es sich daher, um die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne besondere Vorkenntnisse nicht zu überfordern, um eine Mitwirkung gerade als „Krankheit“ oder „Gebrechen“ handeln, eine Mitwirkung lediglich vermittelt über veranlasste Therapiemaßnahmen könnte nicht genügen.

Der Kläger kann mithin Leistungen auf Krankenhaustagegeld und Genesungsgeld für den ersten Krankenhausaufenthalt in Höhe von 3.540,- € (10 x 177 € x 2) beanspruchen, so dass ihm über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag von 354,- € weitere 3.186,- € zuzuerkennen sind.

2. Hingegen begründet der Klinikaufenthalt in der Zeit vom 14. bis zum 22. Juni 2015 Leistungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte über den ihm erstinstanzlich zugesprochenen Betrag hinaus nicht.

Bei dem Schlaganfall, der diesen Klinikaufenthalt notwendig gemacht hat, handelt es sich nicht um eine unmittelbare Folge des streitgegenständlichen Unfallgeschehens, nämlich des Treppensturzes des Klägers. Wenn es sich überhaupt um eine Unfallfolge handelt, so weil wegen der durch den Unfall erforderlich gewordenen operativen Entfernung des Hämatoms die Marcumar-Therapie unterbrochen wurde mit der Folge, dass der mit dieser Therapie verfolgte Schutz zeitweilig entfiel und es deswegen zum Schlaganfall kommen konnte. Es haben sich nach der Darstellung des Sachverständigen Prof. Dr. B als Folge des Absetzens von Marcumar bei fortbestehenden Herzrhythmusstörungen Koagel im Vorhof des Herzens entwickelt, die ausgeschleudert wurden und den Schlaganfall verursacht haben. Die Zeitachse von 10 Tagen spricht dabei – so der Sachverständige – eindeutig für einen Kausalzusammenhang, so dass zur Überzeugung des Senats feststeht, dass die Grunderkrankung des Klägers beim Entstehen des Schlaganfalls mitgewirkt hat, und zwar unmittelbar. Die Mitwirkungsklausel greift insoweit ein. Gegen den Ansatz eines Mitwirkungsgrades von 95 % wendet sich der Kläger mit der Berufung nicht.

3. Soweit der Kläger mit der Berufung in der Hauptsache erfolgreich ist, stehen ihm aus § 288 Abs. 1 BGB auch die geforderten Verzugszinsen ab dem 4. August 2015 zu. Das Schreiben der Beklagten vom 29. Juni 2015 stellt in Bezug auf den Krankenhausaufenthalt vom 23. Mai bis zum 1. Juni 2015 eine endgültige Erfüllungsverweigerung dar, so dass es zur Verzugsbegründung keiner weiteren Zahlungsaufforderung unter Fristsetzung bedurfte (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB).

4. Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann der Kläger über den erstinstanzlich titulierten Betrag von 147,56 € hinaus in weiterer Höhe von 266,08 € aus § 286 Abs. 1 BGB verlangen. Der Anspruch ist nach einem Gegenstandswert bis 4.000 € zu errechnen. Das führt über eine 1,30 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV, § 13 RVG, von 327,60 €, die Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, Nr. 7002 VV, von 20,00 € und 19,00 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV, von 66,04 € zu einem Gesamtbetrag von 413,64 €, von dem der bereits titulierte Teilbetrag in Abzug zu bringen ist.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

6. Ob der Revisionszulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO) zur Anwendung kommt, erscheint zweifelhaft. Die Ausführungen des OLG Koblenz im Urteil vom 16. März 2007 – 10 U 1238/05 – zur rechtlichen Bewertung der Mitwirkung einer Blutverdünnung durch Marcumar waren nicht entscheidungserheblich; Leistungen waren im dortigen Fallschon deshalb ausgeschlossen, weil eine nicht überwiegend durch den Unfall verursachte Gehirnblutung vorlag. Die Revision ist aber wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, 1. Alt. ZPO) geboten. Die Bedeutung therapeutischer Maßnahmen, namentlich der Verordnung Blut verdünnender Medikamente, für die Anwendung der Mitwirkungsklausel, die bundesweit im Rahmen von Verträgen über private Unfallversicherungen weit verbreitet sind, wird lebhaft diskutiert und kann nicht als geklärt angesehen werden. Das gilt auch, soweit es die Folgen des Absetzens von Marcumar betrifft.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 6.212,70 €

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