OLG Köln, Urteil vom 26.07.2017 – 5 U 9/17

Oktober 27, 2021

OLG Köln, Urteil vom 26.07.2017 – 5 U 9/17

Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das am 23.12.2016 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Aachen – 8 O 295/16 – unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1) 4.288,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 26.2.2016 zu zahlen. Er wird weiter verurteilt, die Klägerin zu 1) von der Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ihrer Prozessbevollmächtigten in Höhe von 492,54 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Gerichtskosten tragen der Kläger zu 2) zu 30%, der Beklagte zu 70%. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) trägt der Beklagte. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2) trägt dieser selbst. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten trägt zu 30% der Kläger zu 2) und im Übrigen der Beklagte selbst.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet, nämlich im Hinblick auf die der Klägerin zu 1) entstandenen Aufwendungen, im Übrigen ist sie unbegründet. Der Klägerin zu 1) steht ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus anwaltlicher Pflichtverletzung (§§ 280, 611 BGB) zu.

1.

Ein Schuldverhältnis zwischen der Klägerin zu 1) und dem Beklagten ist anzunehmen. Unabhängig von dem jedenfalls ab Anfang 2014 bestehenden unmittelbaren Mandatsverhältnis zwischen den Parteien, das die Durchsetzung vermeintlicher eigener Ansprüche der Kläger gegen den Träger des Malteser Krankenhauses zum Gegenstand hatte, bestand schon zuvor eine anwaltliche Pflicht zur sachgerechten Beratung der Kläger selbst, sei es auf der Grundlage eines eigenständigen Mandates, sei es auf der Grundlage des Vertrages zwischen dem Sohn der Kläger und dem Beklagten mit Schutzwirkung zugunsten der Kläger, sei es als vorvertragliche Pflicht (§ 311 Abs.1 BGB). Die Kläger hatten den Praxisvorgänger des Beklagten, Herrn Rechtsanwalt B, mit der Wahrnehmung der Interessen ihres seinerzeit bereits erwachsenen Sohnes gegen den Krankenhausträger beauftragt und insoweit im Zweifel in Vertretung ihres Sohnes gehandelt. Sie hatten, was der Beklagte nicht bestreitet, schon zu diesem Zeitpunkt die vermeintlich ihnen zustehenden Ansprüche im Hinblick auf die von ihnen getätigten Aufwendungen zur Sprache gebracht und ihren Willen bekundet, diese ebenfalls geltend zu machen. Diesem Vortrag ist der Beklagte ebenso wenig konkret entgegen getreten wie der Behauptung, dass im Rahmen der Vergleichsverhandlungen mit dem Krankenhausträger, die maßgeblich vom Beklagten selbst geführt wurden, die Kläger noch einmal diese Kosten zur Sprache brachten und man sich einig wurde, dass diese Kosten zu einem späteren Zeitpunkt geltend gemacht werden sollten, wie es dann auch geschah. Ob spätestens hierin eine eigene Mandatierung des Beklagten zu sehen war, oder erst das Vorfeld künftiger Mandatierung, oder ob es hier eher um eine gegenüber den Mandanten bestehende eigene Schutzpflicht im Rahmen des Vertrages mit dem Sohn ging, bedarf aus Sicht des Senates keiner Entscheidung.

2.

Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten ist gegeben. Ein Rechtsanwalt hat die Rechtslage zu kennen und rechtlichen Rat zu erteilen, der in Einklang mit der Rechtslage steht. Kennt er die Rechtslage nicht, hat er sich kundig zu machen. Jedenfalls ist es ihm verwehrt, ins Blaue hinein falsche Rechtsauskünfte zu erteilen. Hinsichtlich der hier in Rede stehenden Aufwendungen der Kläger als Eltern des geschädigten Sohnes ist die Rechtslage klar und eindeutig: Fahrtkosten und Unterbringungskosten, die die Eltern eines Kindes leisten, um ihrem Kind beizustehen, sind – wenn sie denn überhaupt erstattungsfähig sind – als vermehrte Bedürfnisse des Geschädigten nach § 843 BGB ausschließlich Ansprüche des Kindes selbst, nicht aber der Eltern. Diese haben vielmehr gegen den Schädiger als mittelbar Geschädigte keine eigenen Ansprüche. Ein pflichtgemäßes Handeln des Beklagten hätte darin bestanden, diese klare Rechtslage den Klägern (und im übrigen auch dem Sohn) zu verdeutlichen und abzuklären, ob diese Schadenspositionen zunächst im Rahmen des Prozesses und dann jedenfalls im Rahmen der Vergleichsverhandlungen eingebracht werden sollten oder nicht. Dieser Rat ist unterblieben, die Positionen sind nicht Gegenstand der Vergleichsverhandlungen geworden.

3.

Durch diese Pflichtverletzung ist der Klägerin zu 1) auch ein Schaden entstanden. Es ist davon auszugehen, dass eine Berücksichtigung der Aufwendungen der Klägerin zu 1) im Rahmen der Vergleichsverhandlungen dazu geführt hätte, dass jedenfalls die Aufwendungen der Klägerin zu 1) von dem Krankenhausträger erstattet worden wären und die Klägerin zu 1) den Betrag auch erhalten hätte.

a)

Für den haftungsausfüllenden Ursachenzusammenhang zwischen anwaltlicher Pflichtverletzung und geltend gemachtem Schaden hat der Tatrichter festzustellen, was geschehen wäre, wenn der Rechtsanwalt sich vertragsgemäß verhalten hätte, und wie sich die Vermögenslage des Mandanten auf Grundlage der Differenzhypothese nach § 249 S.1 BGB entwickelt hätte (BGH NJW 2000, 1572 f.). Die Beweislast obliegt insofern dem Geschädigten, allerdings nach dem geringeren Beweismaß des § 287 ZPO. Zu fragen ist danach, wie ein hypothetischer Prozess unter Zugrundelegung der objektiven Rechtslage wahrscheinlich ausgegangen wäre. Wer vertragliche Beratungspflichten verletzt, ist beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten entstanden wäre. Es besteht eine Vermutung, dass der Geschädigte sich „beratungsrichtig“ verhalten hätte (BGH NJW 2012, 2427 ff.; NJW 1992, 240 f.). Im vorliegenden Fall ist danach zu fragen, wie ein Vergleich mit dem Krankenhausträger mutmaßlich, das heißt mit einer nach § 287 ZPO ausreichenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit, ausgesehen hätte, wenn die hier streitigen Positionen von vornherein mit berücksichtigt worden wären.

b)

Diese Wahrscheinlichkeitsbetrachtung führt zu der Annahme, dass die Kosten entweder direkt oder indirekt der Klägerin zu 1) erstattet worden wären:

Bei den der Klägerin zu 1) entstandenen Aufwendungen handelte es sich um ganz konkrete, auf den Cent genau feststehende Kosten, die von ihr zu tragen waren, nämlich um die Rechnungen des Reha-Zentrums H für die Unterbringung der Klägerin zu 1). Die Kosten waren mit einer Größenordnung von über 4000.- € beträchtlich. Sie „unter den Tisch fallen zu lassen“, bestand keinerlei Anlass. Dass deren Geltendmachung den Klägern wichtig war, ist unstreitig. Sie sind denn auch unmittelbar nach Abschluss des Vergleichs durch den Beklagten zunächst außergerichtlich und sodann gerichtlich geltend gemacht worden. Sie standen offensichtlich auch während der Vergleichsverhandlungen sowohl dem damaligen Kläger als auch seinen Eltern als offene Position stets vor Augen. Der Vergleich vom 4.12.2013 sieht unter Ziffer 4. ausdrücklich vor, dass der Vergleich nach Grund und Höhe keinerlei präjudizielle Wirkung gegenüber Dritten enthält. Die Vermutung, dass hiermit (zumindest auch) die (vermeintlichen) Ansprüche der Eltern des damaligen Klägers gemeint waren, drängt sich förmlich auf. Schließlich hatten die Kläger sich auch direkt, nämlich schon unter dem 2.2.2011, die medizinische Notwendigkeit der Anwesenheit der Mutter durch das Reha-Zentrum schriftlich attestieren lassen. Das alles spricht deutlich dafür, dass der Sohn im Rahmen der Vergleichsverhandlungen, wo es um jedwede materiellen Ansprüche für Vergangenheit und Zukunft ging, diese Kosten geltend gemacht hätte.

Es spricht auch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass er dies mit Erfolg getan hätte. Richtig ist allerdings, dass die Kosten, die für die Betreuung und insbesondere für Besuche naher Angehöriger entstehen, keineswegs automatisch dem Schädiger angelastet werden können. Nach der eher restriktiven Rechtsprechung des BGH (grundlegend BGH, Urteil vom 19.2.1991, VersR 1991, 559 ff.) setzt die Erstattungsfähigkeit solcher Aufwendungen voraus, dass es sich um Aufwendungen nächster Angehöriger handelt, die durch eine medizinisch notwendige Betreuung entstanden sind und die nicht vermeidbar gewesen sind, insbesondere sich im Rahmen der wirtschaftlich günstigsten Möglichkeit halten. Auch unter Zugrundelegung dieser strengen Maßstäbe hat sich indes in der Instanz-Rechtsprechung (auch der Rechtsprechung des erkennenden Senates) die Auffassung durchgesetzt, dass im Hinblick auf die medizinische Notwendigkeit keine übertrieben strengen Anforderungen zu stellen sind (Nachweise insoweit bei Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 10. Aufl., Rn. 236 ff.). Auf den vorliegenden Fall bezogen erscheint die Notwendigkeit als gegeben, denn es handelt sich um die Betreuung eines neurologisch stark betroffenen Patienten, bei dessen Rehabilitation die permanente Anwesenheit einer vertrauten Person mit der Möglichkeit dauerhafter psychischer Stabilisierung und dauerhafter Beübung überaus nahe liegt. Hier kommt hinzu, dass die Klägerin zu 1) als gelernte Krankenschwester besonders gute Voraussetzungen für eine medizinisch sinnvolle Betreuung mitbrachte, und dass die Einrichtung ihr ausdrücklich die medizinische Notwendigkeit bestätigt hat. Bei dieser Sachlage hätte der Senat diese Aufwendungen im Rahmen einer prozessualen Geltendmachung im Zweifel zuerkannt. Es handelt sich zudem um die nächste Angehörige des Patienten und die Kosten beschränken sich auf das absolut Notwendigste (eine Möglichkeit, sie geringer zu halten, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht behauptet).

Es ist daher davon auszugehen, dass sich der Sohn der Kläger mit dem Geltendmachen dieser Ansprüche auch im Rahmen von Vergleichsverhandlungen durchgesetzt hätte. Dies hätte in der Weise geschehen können, dass die Vergleichssumme sich um den hier streitigen Betrag erhöht hätte. Es hätte aber ebenso in der Weise geschehen können, dass diese Aufwendungen Gegenstand einer gesonderten Regelung im Vergleich geworden wären, was dann auch im Zweifel zu einer „Centgenauen“ Berücksichtigung geführt hätte. Die letztgenannte Variante hält der Senat für die lebensnähere und damit für die wahrscheinlichere.

Schließlich ist davon auszugehen, dass der Sohn der Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den insoweit im Vergleich berücksichtigten Betrag an seine Mutter weitergeleitet hätte. Das Geld war schließlich „aus dem Portemonnaie der Eltern geflossen“, es stellte nach Laiensicht sich als Geld der Eltern dar. Einen Grund, das Geld zu behalten, gab es nicht, weder in menschlicher noch in rechtlicher Hinsicht. Die Klägerin zu 1) hätte auf die Weiterleitung einen rechtlichen Anspruch gehabt, sei es aus § 670 BGB unmittelbar, sei es aus §§ 683, 670 BGB. Anhaltspunkte, dass sie beschlossen hätte, dieses Geld dem Sohn nachträglich zu schenken, sind nicht zu erkennen.

c)

Hiergegen kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, der Klägerin zu 1) sei kein Schaden entstanden, da sie den dargestellten Anspruch gegen den Sohn noch immer habe und geltend machen könne. Alle Beteiligten gingen davon aus, dass die hier streitigen Ansprüche nicht Gegenstand des Vergleichs zwischen Sohn und Krankenhausträger geworden sind, dass diese vielmehr „darüber hinaus“ geltend gemacht werden sollten. Sie im Nachhinein aus der Vergleichssumme zu regulieren, war niemals Gegenstand der Überlegungen der Beteiligten. All dies ist maßgeblich dem Beklagten anzulasten. Im Verhältnis zum Sohn liegen damit die Voraussetzungen für eine Verwirkung (Zeit- wie Umstandsmoment) vor, denn der Sohn durfte aufgrund aller Umstände darauf vertrauen, dass die Vergleichssumme nicht mit Forderungen seiner Eltern belastet sei, so dass der Anspruch der Klägerin zu 1) in jedem Fall nach § 242 BGB erloschen ist. Auf die Frage, ob der Anspruch mittlerweile außerdem verjährt ist, kommt es nicht an.

4.

Die Aufwendungen, die der Kläger zu 2) im Hinblick auf seine Fahrkosten geltend macht, sind hingegen nicht erstattungsfähig, so dass auch keine überwiegende Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass sie mit Erfolg im Rahmen der Vergleichsgespräche hätten geltend gemacht werden können. Insoweit greift die oben skizzierte restriktive Rechtsprechung des BGH unter dem Gesichtspunkt der mangelnden medizinischen Notwendigkeit. Wenn schon die Klägerin zu 1) als Mutter und gelernte Krankenschwester rund um die Uhr zur Betreuung ihres Sohnes zur Verfügung stand, war für den Patienten aus Sicht des Senates alles getan, was medizinisch sinnvoll und geboten war. Einen medizinischen „Mehrwert“ durch die häufige Anwesenheit auch des Vaters vermag der Senat nicht zu erkennen. Immerhin befand sich der Sohn in einer hoch qualifizierten Rehabilitationseinrichtung mit ärztlichem und pflegerischem Personal, das etwaige Ruhe- oder sonstigen Abwesenheitszeiten der Mutter abfangen konnte. Dass es dem Kläger zu 2) als Vater aus elterlicher Zuneigung und Sorge ein Bedürfnis gewesen sein wird, seinem Sohn (und seiner Ehefrau) nach besten Kräften beizustehen, erscheint dem Senat nicht als zweifelhaft. Allerdings hat dies nichts mit der von der Rechtsprechung geforderten medizinischen Notwendigkeit zu tun. Auch die schriftliche Bestätigung durch das Reha-Zentrum H überzeugt den Senat aus den genannten Gründen insoweit nicht. Eine gesonderte Sachaufklärung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu dieser Frage erscheint dem Senat – auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – angesichts eines Volumens von unter 2000.- € nicht als erforderlich. Der Senat sieht sich selbst in der Lage, die Frage der medizinischen Notwendigkeit zu entscheiden.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs.1, 97 Abs. 1, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserheblichen Fragen sind solche des Einzelfalls.

Berufungsstreitwert: 6. 136.- €

Haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.
© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.