Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 18.11.2016 – 20 U 48/16

November 2, 2021

Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 18.11.2016 – 20 U 48/16

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. Januar 2016 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Gründe

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A.

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Die klagende Stadt hat bei dem Beklagten eine Haftpflichtversicherung genommen und begehrt Deckungsschutz.

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Sie wird von den Eigentümern eines Hausgrundstücks in Anspruch genommen auf Ersatz von Reparaturkosten, die entstanden seien durch Wurzeleinwuchs in eine Abwasserleitung. Der betreffende Baum steht auf städtischem Grund. Dort liegt auch jener Teil der Abwasserleitung, in welchen die Wurzeln eingewachsen sein sollen.

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Im Einzelnen liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

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Die Abwässer des im Eigentum der Eheleute Z (im Folgenden: Anlieger) stehenden Hausgrundstücks Y-Straße ## in A werden entsprechend der Abwasserbeseitigungssatzung der Klägerin vom 04.02.2010 in die öffentliche Abwasseranlage geführt.

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Die vom Haus der Anlieger zur im öffentlichen Straßengrund verlaufenden Kanalisation führenden Leitungen stellen gemäß § 2 Nr. 7 der Abwasserbeseitigungssatzung der Klägerin die sog. Anschlussleitungen dar, welche gemäß § 2 Nr. 6 lit. b der Satzung nicht zur öffentlichen Abwasseranlage gehören.

9

Gemäß § 2 Nr. 7 lit. b der Satzung werden dabei die Leitungen, die vom Gebäude bis zur privaten Grundstücksgrenze verlaufen, als Hausanschlussleitungen bezeichnet. Grundstücksanschlussleitungen sind demgegenüber gemäß § 2 Nr. 7 lit. a der Satzung die Leitungen, die von der privaten Grundstücksgrenze bis zur öffentlichen Abwasseranlage führen.

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Die Herstellung, Erneuerung und Veränderung sowie der laufende Unterhalt der haustechnischen Abwasseranlagen sowie der Anschlussleitung auf dem anzuschließenden Grundstück hat gemäß § 13 Abs. 6 der Satzung der Grundstückseigentümer auf seine Kosten durchzuführen.

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Auf die zur Akte gereichte Abwasserbeseitigungssatzung wird im Übrigen Bezug genommen (Bl. 34 ff. der Akten).

12

Unstreitig meldeten die Anlieger der Klägerin im September 2013 einen Schaden durch Wurzeleinwuchs in das Stück der Abwasserleitung, das im städtischen Grundstück die Abwässer des Hauses der Anlieger zur öffentlichen Kanalisation führte (Grundstücksanschlussleitung). Die Anlieger beauftragten mehrere Fachfirmen mit der Durchführung von Fräsarbeiten und schließlich mit dem Austausch des betroffenen Rohrstücks und nehmen die Klägerin auf Erstattung ihrer Aufwendungen i. H. v. 5.524,62 Euro in Anspruch.

13

Die Klägerin hat diese Forderung bislang nicht beglichen, sondern auf den Beklagten verwiesen.

14

Gemäß Nr. 1.1 der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden AHB 1.14 GVV-Kommunal (im Folgenden: AHB) besteht Versicherungsschutz

15

„im Rahmen des versicherten Risikos für den Fall, dass Sie wegen eines während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenen Schadenereignisses, das einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden oder das Abhandenkommen von Sachen oder eine Vermögenseinbuße, die weder durch eine Personen- oder Sachbeschädigung herbeigeführt ist, zur Folge hatte, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einem Dritten auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden.“

16

Gemäß Nr. 4.1 AHB umfasst der Versicherungsschutz

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„die Prüfung der Haftpflichtfrage, die Abwehr unberechtigter Schadenersatzansprüche und Ihre Freistellung von berechtigten Schadenersatzverpflichtungen.“

18

Wegen der weiteren vertraglichen Regelungen wird auf die zur Akte gereichten AHB (Bl. 27 ff.) sowie auf die Kopie des Versicherungsscheins vom 03.12.2012 (Bl. 265 ff.) Bezug genommen.

19

Die Klägerin hat sich auf den Standpunkt gestellt, der Beklagte habe sie von der berechtigten Forderung der Anlieger gemäß Nr. 1.1, 4.1 AHB freizustellen.

20

Der Wurzeleinwuchs in die auf städtischem Grund verlaufende Anschlussleitung stelle für die Anlieger eine Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB dar, für welche die Klägerin als Störerin hafte, weil sie den Baum auf ihrem Grundstück gesetzt und unterhalten habe. Nach Durchführung der Reparaturmaßnahmen stehe den Anliegern aus Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683 BGB ein Anspruch auf Erstattung ihrer Kosten zu. Dieser Anspruch sei vom Versicherungsschutz umfasst, weil es um die Beseitigung einer Substanzverletzung am Eigentum der Anlieger gehe.

21

Die Abwasserleitung (auch) in dem durch Wurzeleinwuchs geschädigten Bereich (auf dem Grundstück der Klägerin) stehe nämlich im alleinigen Eigentum der Anlieger. Im Hinblick auf das Grundstück der Klägerin stelle die Leitung nur einen Scheinbestandteil dar. Dies ergebe sich auch aus der Abwasserbeseitigungssatzung, wonach die Anschlussleitungen nicht zur öffentlichen Abwasseranlage gehörten. Zudem seien die Anlieger gemäß § 13 Abs. 6 der Satzung zur Herstellung, Erneuerung, Veränderung und Unterhaltung der Anschlussleitungen verpflichtet.

22

Die Klägerin hat behauptet, der Wurzeleinwuchs des auf städtischem Grund stehenden Baumes habe zur Verstopfung der Leitung geführt, so dass die Abwässer aus dem Haus Y-Straße ## nicht hätten mehr abgeführt werden können.

23

Die Klägerin hat beantragt,

24

die Beklagte zu verurteilen, sie von sämtlichen Ansprüchen der Eheleute Z, Y-Straße ##, A, in Höhe eines Betrages von 5.524,62 Euro freizustellen, soweit diese daraus resultieren, dass Wurzeln einer vormals auf dem Grundstück der Klägerin stehenden Kastanie in die im Eigentum der Eheleute Z stehende und auch auf dem Grundstück der Klägerin verlaufende Abwasserleitung (Grundstücksanschlussleitung) eingewachsen waren und so zu Abflussstörungen und (Reparatur-)Schäden geführt haben.

25

Der Beklagte hat beantragt,

26

die Klage abzuweisen.

27

Er hat die geltend gemachten Schäden sowie deren Verursachung durch einen auf städtischem Grund stehenden Baum bestritten. Ein Beseitigungsanspruch der Anlieger sei nicht dargelegt.

28

Ohnehin aber scheitere ein Anspruch der Klägerin daran, dass der geltend gemachte Aufwendungsersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag (oder ein entsprechender Bereicherungsanspruch) vom Versicherungsschutz nicht umfasst sei. Nach Nr. 1.1 AHB bestehe eine Regulierungspflicht nur für Schadenersatzansprüche wegen Sachschadens eines Dritten.

29

Mit dem behaupteten Wurzeleinwuchs in die vom Grundstück der Anlieger zur öffentlichen Abwasseranlage führende (Grundstücks-) Anschlussleitung sei nicht das Eigentum der Anlieger beeinträchtigt, sondern allenfalls das Eigentum der Klägerin, weil die Leitung im beschädigten Bereich in deren Grundstück verlaufe. Es handele sich damit um einen Eigenschaden, der nicht vom Versicherungsschutz umfasst, sondern von der Klägerin auf eigene Kosten zu beseitigen sei.

30

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

31

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Es fehle an einem Drittschaden im Sinne des Nr. 1.1 AHB. Die nach dem Vortrag der Klägerin beschädigte Grundstücksanschlussleitung stehe gemäß §§ 946, 94 BGB im Eigentum der Klägerin, weil sie wegen der festen Verbindung mit Grund und Boden einen wesentlichen Bestandteil des städtischen Grundstücks darstelle. Die Annahme eines Scheinbestandteils im Sinne des § 95 Abs. 1 Satz 1 BGB sei verfehlt, weil die Abwasserleitung nicht nur zu einem vorübergehenden Zweck, sondern auf unbestimmte Zeit im Boden verlegt worden sei. Auch sei die Leitung nicht in Ausübung eines Rechts an dem Grundstück verbaut worden, weil die Klägerin nicht vortrage, welches dingliche Recht am Grundstück die Anlieger oder deren Rechtsvorgänger ausgeübt haben sollten. Ebenso wenig ergebe sich aus der Abwasserbeseitigungssatzung eine Berechtigung der Anlieger oder deren Rechtsvorgänger zur Verlegung der Leitung. Vielmehr obliege gemäß § 13 Abs. 6 der Satzung die Herstellung, Erneuerung, Veränderung und Unterhaltung der Anschlussleitungen den Grundstückseigentümern nur auf dem anzuschließenden Grundstück und gerade nicht auf städtischem Grund.

32

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin.

33

Die Klägerin hält daran fest, dass die auf ihrem Grundstück beschädigte Anschlussleitung im Eigentum der Anlieger stehe, und trägt vor, sie habe das Eigentum an der Straße Y-Straße (Fahrbahn und Gehwege) mit Vertrag vom 22.12.1976 von der K erworben.

34

Die Klägerin legt dazu auszugsweise Kopien dieses Vertrages vor (Anlage K 9). In der Präambel heißt es:

35

„Die K ist Eigentümerin von Straßen und Straßenabschnitten in der Stadt A, die nachfolgend in § 1 genauer bezeichnet sind. An diesen Straßen und Straßenabschnitten befinden sich Gebäude, die ebenfalls zum größten Teil im Eigentum der K stehen. Die Straßen der K sollen einschließlich der Fahrbahnen und Bürgersteige in das Eigentum der Stadt A übergeführt und förmlich dem öffentlichen Verkehr gewidmet werden. (…) Weiterhin ist vorgesehen, dass die in den in § 1 genannten Planbereichen liegenden Entwässerungskanäle der K von der Stadt A zu Eigentum erworben werden.“

36

Nach § 1 des Vertrages gehörte die Y-Straße zu den übertragenen Straßen.

37

In § 8 heißt es:

38

„(1) Mit dem Besitzübergang der in § 1 genannten Straßen übernimmt die Stadt neben den vorhandenen Fahrbahnen und Bürgersteigen auch die darin liegenden oder dazugehörenden Entwässerungskanäle einschließlich ihrer Vorfluter, (…).

39

(2) Die Stadt wird die in den Straßen liegenden Entwässerungskanäle entsprechend den neuesten Regeln der Abwassertechnik erneuern. Die Stadt wird die vorhandenen Hausanschlusskanäle an die neuen Kanäle anschließen und gewährleistet das Anschluss- und Benutzungsrecht nach Maßgabe der Satzung der Stadt über die Entwässerung der Grundstücke und den Anschluss an die gemeindliche Abwasseranlage. (…)“

40

Die Klägerin meint, sie habe mit diesem Vertrag das Eigentum der unter der Straße verlegten Entwässerungskanäle, nicht aber das Eigentum an den (ebenfalls von der K im städtischen Grundstück verlegten) Anschlussleitungen erworben. Insoweit habe sich die Klägerin lediglich dazu verpflichtet, diese an die – zu erneuernden – Entwässerungskanäle anzuschließen. Dies ergebe sich auch aus § 2 Nr. 6 lit. b und § 13 Abs. 6 der Abwasserbeseitigungssatzung der Klägerin.

41

Die Anschlussleitung bis zur Anschlussstelle an die öffentliche Abwasseranlage sei eine zur Herstellung des angeschlossenen Gebäudes eingefügte Sache im Sinne des § 94 Abs. 2 BGB und damit wesentlicher Bestandteil des angeschlossenen Grundstücks, unabhängig davon, wer die Leitung im Grundstück verlegt habe. § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB werde durch § 94 Abs. 2 BGB verdrängt. Zugleich stelle die Leitung Zubehör des jeweiligen Anliegergrundstücks gemäß § 97 BGB dar, denn sie diene dessen wirtschaftlichen Zwecken. Es handele sich – auch angesichts der Anliegerregie des kommunalen Entwässerungsrechts – lediglich um Scheinbestandteile des öffentlichen Straßengrunds im Sinne des § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dazu beruft sich die Klägerin auch auf zwei Rechtsgutachten zu einem vor dem Landgericht Saarlouis geführten Rechtsstreit (Anlagen K 10 und K 12).

42

Vor diesem Hintergrund stelle der Wurzeleinwuchs eine Substanzverletzung sowie eine Funktionsbeeinträchtigung am Eigentum der Anlieger dar im Sinne des § 1004 BGB. Es handele sich um einen Drittschaden.

43

Die Klägerin beantragt – nach Hinweis des Senats auf die Unzulässigkeit des Freistellungsantrags -,

44

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin Versicherungsschutz zu gewähren, soweit es Ansprüche der Eheleute Z, Y-Straße ##, A, betrifft, die daraus resultieren, dass Wurzeln einer vormals auf dem Grundstück der Klägerin stehenden Kastanie in die auch auf dem Grundstück der Klägerin verlaufenden Abwasserleitung (Grundstücksanschlussleitung) eingewachsen waren und so zu Abflussstörungen und (Reparatur-) Schäden geführt haben.

45

Der Beklagte beantragt,

46

die Berufung zurückzuweisen.

47

Er verteidigt das angefochtene Urteil mit näheren Ausführungen.

48

Insbesondere stehe die auf städtischem Grund verlaufende (Grundstücks-) Anschlussleitung nicht im Eigentum der Anlieger, sondern im Eigentum der Klägerin.

49

Mit dem Erwerbsvertrag von 1976 habe die Klägerin das Eigentum an sämtlichen im öffentlichen Straßenraum verlegten Entwässerungsleitungen erworben. Dies ergebe sich ausdrücklich aus dem vorgelegten Vertrag, in dem die Anschlussleitungen vom Eigentumserwerb nicht ausgenommen worden seien und mit dem die Klägerin die Verpflichtung übernommen habe, die Anschlussleitungen an den zu erneuernden Kanal anzuschließen. Die Regelungen in der Abwasserbeseitigungssatzung seien für die eigentumsrechtliche Zuordnung belanglos. Zudem begründe § 13 Abs. 6 der Satzung nur für den Bereich des anzuschließenden Grundstücks Herstellungs-, Erneuerungs-, Veränderungs- und Unterhaltungsverpflichtungen der Anschlussnehmer.

50

Die Abwasserbeseitigungssatzung der Klägerin folge – anders als in dem vom LG Saarlouis entschiedenen Fall – nicht dem Modell der Anliegerregie, sondern der sog. Kommunalregie.

51

Gegen die Einordnung der Anschlussleitungen als Scheinbestandteile des städtischen Grundstücks spreche, dass sie nicht vom Berechtigten eingebracht worden seien. Der Beklagte bestreitet in diesem Zusammenhang, dass die Anlieger oder deren Rechtsvorgänger die Anschlussleitung im städtischen Grund verlegt hätten.

52

Richtigerweise hätten die Anlieger den Wurzeleinwuchs zu dulden.

53

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Berufungsbegründung vom 09.05.2016, den ergänzenden Schriftsatz der Klägerin vom 01.08.2016 und die Berufungserwiderung vom 17.10.2016, jeweils mit Anlagen, Bezug genommen.

54

B.

55

Die Berufung ist unbegründet.

56

Allerdings ist die Klage mit dem auf die Feststellung von Versicherungsschutz gerichteten Klageantrag nunmehr zulässig.

57

Die Deckungspflicht für die genau bezeichnete Haftpflichtforderung stellt ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO dar, an dessen Feststellung der in Anspruch genommene Versicherungsnehmer ein berechtigtes Interesse hat (Zöller/Greger, ZPO 31. Aufl. 2016, § 256, Rn. 3; Prölss/Martin/Lücke, VVG 29. Aufl. 2015, § 100 VVG, Rn. 19; BGH, Urteil vom 26. März 2014 – IV ZR 422/12 –, Rn. 20, juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 21. Januar 2015 – 5 U 20/14 –, Rn. 15, juris).

58

Die Klage ist aber unbegründet, weil der geltend gemachte Deckungsanspruch nicht besteht.

59

Die Klägerin wird nicht im Sinne der Nr. 1.1 AHB wegen eines Schadenereignisses, welches einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden oder das Abhandenkommen von Sachen oder eine Vermögenseinbuße zur Folge hatte, die weder durch eine Personen- noch eine Sachbeschädigung herbeigeführt ist, von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen.

60

Ein Personenschaden (Variante 1) steht ersichtlich nicht in Rede. Aber auch um Schadensersatz wegen Sachschadens eines Dritten, wie er von den vereinbarten AHB vorausgesetzt wird (Var. 2), geht es nicht (dazu sogleich unter I). Es geht daher auch nicht um einen sich aus einem Personen- oder (Dritt-) Sachschaden ergebenden Vermögensschaden (Var. 4) und ebensowenig um das Abhandenkommen von Sachen (Var. 5). Schließlich wird die Klägerin auch nicht auf Schadensersatz wegen einer Vermögenseinbuße im Sinne der AHB (Var. 6) in Anspruch genommen (dazu unten II).

61

I.

62

Die Klägerin wird nicht im Sinne der Nr. 1.1. AHB wegen eines Schadensereignisses, welches einen Sachschaden zur Folge hatte, auf Schadensersatz in Anspruch genommen.

63

Dabei kommt es im vorweggenommenen Deckungsprozess – wie hier – nicht darauf an, ob der von dem Dritten gegen den Versicherungsnehmer geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht. Versicherungsschutz besteht gemäß Nr. 4.1 AHB auch wegen unbegründeter Haftpflichtansprüche. Der Versicherer schuldet deren Abwehr. Dementsprechend ist für die hier vorzunehmende Prüfung des Versicherungsschutzes – vor bindender Feststellung des Haftpflichtanspruchs – darauf abzustellen, ob nach den (so wird allgemein formuliert) „Behauptungen“ des Anspruchstellers ein Deckungsanspruch besteht (Trennungsprinzip, vgl. Senatsurteil vom 25. Januar 2012 – I-20 U 120/11, 20 U 120/11 –, Rn. 25, juris; BGH, Urteil vom 15. November 2000 – IV ZR 223/99 –, Rn. 9, juris; ferner etwa Piontek, Haftpflichtversicherung, 2016, § 1 Rn. 27 mwN). Unberechtigte Inanspruchnahmen sind vom Versicherungsschutz umfasst, wenn auch nur die entfernteste Möglichkeit besteht, dass der Versicherungsnehmer aus dem unter das versicherte Risiko fallenden Tatbestand verurteilt wird (Senatsurteil vom 21. März 2007 – 20 U 29/06 –, Rn. 21, juris).

64

Aber auch unter Berücksichtigung dieses Trennungsprinzips gilt, dass hier nicht Schadensersatz wegen eines Sachschadens im Sinne der Nr. 1.1 AHB begehrt wird.

65

1.

66

Dass diese Voraussetzung für einen Anspruch des Versicherungsnehmers auf Deckungsschutz erfüllt wäre, lässt sich hier nicht etwa schon mit dem Argument begründen, es könne – unabhängig von der „wahren“ Rechtslage (nach Ansicht des Gerichts im Deckungsprozess) – jedenfalls die Auffassung vertreten werden, das geschädigte Rohrstück stehe im Eigentum der Anlieger; schon deshalb sei Deckungsschutz geboten.

67

Dabei bedarf dieser Aspekt vorliegend keiner abschließenden Erörterung. Es kann offenbleiben, ob der Haftpflichtversicherer die von ihm versprochene Abwehr unbegründeter Ansprüche grundsätzlich – vielleicht auch beschränkt auf rechtliche Zweifelsfälle – schon dann zu leisten hat, wenn zwar nach den von dem Dritten behaupteten Tatsachen richtigerweise (nach Ansicht des Gerichts im Deckungsprozess) keiner der Fälle der Nr. 1.1 AHB vorliegt, dies aber bei einer bestimmten anderen Rechtsauffassung sehr wohl der Fall ist; ob also, mit anderen Worten, bei der Prüfung des Deckungsanspruchs zugunsten des Versicherungsnehmers nicht nur die tatsächlichen Behauptungen des Dritten als richtig zu unterstellen sind, sondern – jedenfalls in rechtlichen Zweifelsfällen – auch eine bestimmte Rechtsauffassung als richtig zu unterstellen ist.

68

Ein solcher (auf Abwehr gerichteter) Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer kommt nämlich, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert, jedenfalls nur dann in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer – zumindest hilfsweise – die Abwehr eines unbegründeten Anspruchs begehrt. Die Klägerin indes hat sich, wie ihre Vertreter im Termin bekräftigt haben, auf den Standpunkt gestellt, dass die Anlieger zu Recht Zahlung von 5.524,62 Euro verlangen. Dann kann die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, dass der Beklagte jedenfalls – nämlich dann, wenn bei Unterstellung der von den Anliegern behaupteten Tatsachen richtigerweise ein Sachschaden im Sinne des Nr. 1.1 AHB nicht vorliegt – Abwehr des Anspruchs schulde.

69

2.

70

Es kommt daher vorliegend darauf an, ob die Anlieger nach ihren tatsächlichen Behauptungen Schadensersatz wegen Sachschadens im Sinne der Nr. 1.1 AHB geltend machen. Das ist nicht der Fall.

71

Nach dem Vortrag der Anlieger hat der Wurzeleinwuchs eines auf städtischem Grund stehenden Baumes zur Verstopfung der (Grundstücks-) Anschlussleitung geführt, die im Grundstück der Klägerin verlegt war und die Abwässer vom Grundstück der Anlieger zur öffentlichen Kanalisation führen sollte. Ein solcher Wurzeleinwuchs und die damit (angeblich) bewirkte Rohrverstopfung stellt keinen Sachschaden im Sinne der Nr. 1.1 AHB dar – weder an dem betroffenen Rohrstück selbst (sogleich a) noch am Haus (-grundstück) der Anlieger (unten b). Etwas anderes ergibt sich auch nicht bei dem von der Rechtsprechung entwickelten weiten Verständnis des in den Versicherungsbedingungen verwandten Begriffs „Schadensersatz“ (unten c).

72

a)

73

Die Beeinträchtigung des betroffenen Rohrstücks selbst, also der Grundstücksanschlussleitung auf städtischem Grund, ist kein Sachschaden im Sinne der Nr. 1.1 AHB; denn dazu gehören nur Schäden eines Dritten, nicht des Versicherungsnehmers selbst.

74

Freilich ist an dem durch den Wurzeleinwuchs betroffenen Leitungsstück ein Sachschaden eingetreten.

75

Sachschaden im Sinne der Nr. 1 AHB ist die Beschädigung oder Vernichtung von Sachen. Dabei liegt eine Beschädigung vor, wenn auf die Substanz einer Sache so eingewirkt wird, dass deren zunächst vorhandener Zustand beeinträchtigt und dadurch ihre Gebrauchsfähigkeit aufgehoben oder gemindert wird (BGH, Urteil vom 21. September 1983 – IVa ZR 154/81 –, Rn. 10, juris; Prölss/Martin/Lücke, VVG 29. Aufl. 2015, Nr. 1 AHB, Rn. 22). Ein Wurzeleinwuchs ist eine solche Einwirkung auf die Sachsubstanz. Mit der Verringerung des Durchflussvolumens im Rohr ist auch die Gebrauchstauglichkeit (jedenfalls an dieser Stelle) beeinträchtigt.

76

Bedingungsgemäßer Schaden ist indes nur ein Drittschaden, wie sich aus Wortlaut und Systematik der Klausel ohne weiteres ergibt („von einem Dritten auf Schadenersatz in Anspruch genommen“, siehe auch Prölss/Martin/Lücke, VVG 29. Aufl. 2015, § 100, Rn. 36). Ein solcher Drittschaden an dem Rohrstück liegt nicht vor.

77

Denn dieses steht gemäß §§ 946, 93, 94 Abs. 1 BGB im Eigentum der Klägerin.

78

aa)

79

Mit der Verlegung im Straßengrund ist das Rohrstück wesentlicher Bestandteil des – jetzt im Eigentum der Klägerin stehenden – Grundstücks geworden und konnte daher nicht Gegenstand besonderer Rechte sein.

80

(1)

81

Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks gehören gemäß § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen. Das war bei dem Rohrstück der Fall.

82

Das Rohrstück ist eine bewegliche Sache. Es handelt sich nicht etwa um einen wesentlichen Bestandteil einer einheitlichen Sache „Anschlussleitung“ vom Haus Y-Straße ## bis zur öffentlichen Abwasseranlage (§§ 947 Abs. 1, 93 BGB). Denn die einzelnen Rohrstücke können getrennt werden, ohne dass der eine oder andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird. Etwas anderes hat auch die Klägerin nicht vorgebracht.

83

Ob eine solche bewegliche Sache mit einem Grundstück fest verbunden ist, beurteilt sich nach der Verkehrsanschauung (Palandt/Ellenberger, BGB 75. Aufl. 2016, § 94, Rn. 2; OLGR Köln 2005, 114, Juris- Rn. 21). Die Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Trennung des Gegenstands vom Grundstück zur Beschädigung oder zur Änderung des Wesens der betreffenden Sache führt oder wenn die Trennung einen übermäßigen finanziellen Aufwand bedeuten würde, was sich regelmäßig am dafür erforderlichen technischen Aufwand erkennen lässt (BeckOK BGB/Fritzsche BGB § 94 Rn. 5-6, beck-online).

84

So lag es hier. Das fragliche Anschlussrohr war in einer Tiefe von einigen Metern im städtischen Grundstück verlegt und mit den zu- und abführenden Rohren der Anschlussleitung durch entsprechende Muffen verbunden. Dass die Herausnahme des beschädigten Rohres einen erheblichen technischen und finanziellen Aufwand erforderte, zeigt schon die vorgelegte Rechnung der Firma B über 4.098,09 Euro (Bl. 53). Die feste Verbindung mit dem Grundstück ergibt sich im Übrigen daraus, dass das Rohr im Erdreich nicht nur abgelegt war, sondern das Erdreich aufgefüllt und verdichtet wurde (Fotos Bl. 56; vgl. auch OLG München, Urteil vom 07. Juni 1994 – 25 U 2311/94 –, Rn. 7, juris; BGHZ 37, 353, Juris-Rn. 15; OLGR Köln 2005, 114, Juris-Rn. 21; OLGR Düsseldorf 2003, 5; OLGR Frankfurt 1998, 65; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2015, 946, Juris-Rn. 8).

85

(2)

86

Das Rohrstück war – entgegen den von der Klägerin vorgelegten Rechtsgutachten – nicht etwa nur Scheinbestandteil des Grundstücks der Klägerin.

87

(a)

88

Die Annahme eines Scheinbestandteils im Sinne des § 95 Abs. 1 Satz 1 BGB scheitert daran, dass das Rohr nicht nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden worden ist.

89

Es kommt für die Frage eines vorübergehenden Zwecks auf den subjektiven Willen des Einbauenden an, wenn dieser Wille mit dem nach außen in Erscheinung tretenden Sachverhalt vereinbar ist. Die spätere Trennung muss also schon zur Zeit der Verbindung beabsichtigt gewesen sein, auch wenn sie erst nach Jahren erfolgen soll (BeckOK BGB/Fritzsche BGB § 95 Rn. 4-9, beck-online; BGH, NJW 1968, 2331, Juris-Rn. 9).

90

Wann und von wem die Anschlussleitung verlegt worden ist, trägt die insoweit darlegungsbelastete (vgl. OLG Köln aaO, Rn. 24) Klägerin nicht vor, ebenso wenig, inwiefern damals vom Einbauenden ein nur vorübergehender Zweck beabsichtigt gewesen sein soll.

91

Ein nur vorübergehender Zweck der Anschlussleitung ist auch ansonsten nicht ersichtlich.

92

Die Anschlussleitung diente von vornherein dem Abtransport von Abwässern, die auf dem Grundstück Y-Gasse ## anfallen, und ihrer Zuführung in die städtische Kanalisation. Dass dieses Ziel nur für einen bestimmten Zeitraum erstrebt war, ergibt sich nicht schon daraus, dass das Haus Y-Straße ## irgendwann einmal seine Lebensdauer erreicht und ggf. abgerissen werden oder einem Neubau weichen muss. Ebenso wenig kann eine begrenzte Lebensdauer oder die Modernisierungsbedürftigkeit der Rohrelemente und ihrer Verbindungen darauf deuten, dass der Zweck der Anschlussleitung ein vorübergehender ist (OLGR Köln 2005, 114, Juris-Rn. 27 f; OVG Lüneburg aaO, Rn. 9). Zweck ist nicht dasselbe wie Lebensdauer oder technische Verwendbarkeit. Demnach ergibt sich aus der von vornherein absehbaren Erneuerungsbedürftigkeit der Rohrleitung nicht schon ein nur vorübergehender Zweck. Vielmehr diente die Erstellung der Anschlussleitung dazu, die Abwässer vom Grundstück Y-Straße ## dauerhaft in die städtische Kanalisation zu führen. Nichts deutet darauf hin, dass schon beim Verlegen der Leitung daran gedacht war, diese durch eine andere Ableitung zu ersetzen oder gar die Abwässer auf dem Grundstück zu belassen.

93

(b)

94

Die Anschlussleitung stellt auch kein Werk im Sinne des § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB dar, welches in Ausübung eines Rechts an einem fremden Grundstück von dem Berechtigten mit dem Grundstück verbunden ist.

95

Als Recht an einem Grundstück im Sinne des § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB kommen nur dingliche Rechte oder öffentlich-rechtliche Befugnisse in Betracht (BeckOK BGB/Fritzsche BGB § 95 Rn. 12-15, beck-online; Palandt/Ellenberger, aaO, Rn. 5; OLGR Köln 2005, 114, Juris-Rn. 37; OLGR Frankfurt 1993, 61, 62).

96

Die Klägerin behauptet nicht, dass die Anschlussleitung seinerzeit in Ausübung eines Rechts am Straßengrundstück verlegt worden ist. Sie trägt insofern schon nicht vor, dass die Leitung überhaupt von einer anderen Person verlegt worden ist als dem Eigentümer des städtischen Grundstücks, in dem das Rohr verlegt ist. Standen aber das Straßengrundstück und die angrenzenden Grundstücke im Eigentum der Person, die die Anschlussleitungen verlegte, so war diese auf die Einräumung eines Rechts am Straßengrundstück nicht angewiesen.

97

Es ist auch nicht ersichtlich, dass den (jetzigen) Anliegern oder deren Rechtsvorgängern nach Verlegung der Leitung ein Recht im Sinne des § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB zur Rohrdurchführung am Straßengrundstück eingeräumt worden ist.

98

(aa)

99

Die nachträgliche Begründung eines Scheinbestandteils (vgl. BGH, Urteil vom 11.07.1962 – V ZR 175/60 – Rn. 15 ff., juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 05.07.2012 – 13 K 524/11 – Rn. 64 ff., juris) ergibt sich insbesondere nicht aus dem mit der Berufung vorgelegten Vertrag, mit dem die Klägerin das Eigentum an der Y-Straße von der K erworben hat.

100

In diesem Vertrag ist gerade nicht geregelt, dass das Eigentum an den im Straßengrund verlegten Abwasserleitungen bei der K oder bei einem sonstigen Dritten, insbesondere den jeweiligen Eigentümern der Anliegergrundstücke, bleiben sollte, denen ein Recht zur Rohrdurchführung am Straßengrundstück der Klägerin einzuräumen wäre, oder in deren Eigentum hätte übergehen sollen.

101

Vielmehr sehen die Präambel und § 8 Abs. 1 des Vertrages ausdrücklich vor, dass die Klägerin auch das Eigentum an den Entwässerungskanälen erwerben sollte. Zu diesen Entwässerungskanälen gehören nicht nur die im Straßengrund verlaufenden Leitungen der öffentlichen Abwasseranlage, sondern auch die von den privaten Grundstücksgrenzen zur öffentlichen Kanalisation führenden Anschlussleitungen, weil sich die vertragliche Regelung auf sämtliche „Entwässerungskanäle“ bezieht, ohne zwischen den einzelnen Leitungen zu differenzieren. Zudem übernahm die Klägerin gemäß § 8 Abs. 2 des Vertrages im Hinblick auf die nach Abs. 1 zu erwerbenden Entwässerungskanäle ausdrücklich die Verpflichtung, diese zu erneuern und an die Hausanschlusskanäle und die gemeindliche Abwasseranlage anzuschließen. Die Erneuerungs- und Anschlusspflicht bezog sich so gerade auf die im Straßengrund verlaufenden Anschlussleitungen, ohne dass diese vom Eigentumserwerb ausgenommen wurden.

102

(bb)

103

Ebenso wenig ergibt sich ein Recht an einem Grundstück im Sinne des § 95 Abs. 1 Satz 2 aus dem satzungsrechtlich geregelte Anschluss- und Benutzungsrecht der Anlieger im Hinblick auf die städtische Kanalisation.

104

Den Anschlussnehmern wird mit der Satzung weder ein dingliches Recht am städtischen Grundstück noch eine öffentlich-rechtliche Befugnis zur Rohrdurchführung eingeräumt, sondern lediglich das Recht (sowie die Pflicht), die Abwasserleitungen des Grundstücks an die gemeindliche Abwasseranlage anzuschließen und diese so zu nutzen.

105

Aus diesem Anschluss- und Benutzungsrecht ergeben sich keine Befugnisse im Hinblick auf das städtische Grundstück, in dem die Anschlussleitungen liegen. Vielmehr beschränkt § 13 Abs. 6 der Satzung die Zuständigkeit der Anschlussnehmer im Hinblick auf die Herstellung, die Erneuerung, die Veränderung und die Unterhaltung der Anschlussleitungen auf den Bereich des jeweils anzuschließenden Grundstücks.

106

Dass die Anschlussleitung in Ausübung eines Rechts am fremden Grundstück im Sinne des § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB verlegt worden ist, lässt sich auch nicht mit Blick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Verlegung von Leitungen durch Versorgungsunternehmen rechtfertigen.

107

Diese Rechtsprechung subsumiert die von Versorgungsunternehmen vorgenommene Verlegung von Versorgungsleitungen über fremde Grundstücke unter § 95 Abs. 1 BGB und nimmt so an, dass die Leitungen nicht Bestandteile der Belegenheitsgrundstücke seien, sondern als Zubehör des jeweiligen Werksgrundstücks im Eigentum des Versorgungsträgers stünden (vgl. nur RGZ 83, 67, 70 f; RGZ 87, 43, 50 ff.; BGHZ 37, 353, Juris-Rn. 12; BGHZ 138, 266, Juris-Rn. 27). Sie ist aber auf Abwasserleitungen, die vom Grundstück eines Anschlussnehmers zur öffentlichen Kanalisation führen, nicht übertragbar. Denn die Zuordnung von Versorgungsleitungen zum Werksgrundstück beruht auf der allgemeinen Verkehrsauffassung, wonach solche Leitungen dem wirtschaftlichen Zweck des Versorgungswerks zu dienen bestimmt sind, der in Frage gestellt wäre, wenn das Eigentum an den Leitungen, welches regelmäßig über eine Vielzahl von fremden Grundstücken führt, nicht allein in der Hand des Versorgungsträgers läge (RGZ 87, 43, 50 ff.; BGHZ 37, 353, Juris-Rn. 13).

108

Eine vergleichbare Interessenlage besteht nicht bei Leitungen, welche Abwässer von einzelnen Grundstücken zur öffentlichen Kanalisation führen. Derartige Leitungen führen im Regelfall nicht über eine Vielzahl von fremden Grundstücken, so dass ein unüberschaubares Nebeneinander von Eigentumsrechten an der Leitung nicht zu befürchten ist (so auch BGH, Urteil vom 20.09.1968 – V ZR 55/66 – Rn. 11). Zudem liegt die Entsorgung der Abwässer nach der Verkehrsanschauung nicht in der Hand des jeweiligen Grundstückseigentümers, sondern in der Zuständigkeit des Trägers der öffentlichen Abwasserbeseitigung. Es entspricht deshalb auch nicht den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs, dem jeweiligen Eigentümer des zu entwässernden Grundstücks das Eigentum an den Anschlussleitungen zuzuweisen.

109

Insgesamt sind die Voraussetzungen für die Einordnung der geschädigten Anschlussleitung als Scheinbestandteil des städtischen Grundstücks so nicht gegeben.

110

(c)

111

Unabhängig davon legt die Klägerin auch nichts dafür dar, dass aus der Annahme eines Scheinbestandteils auf das Eigentum der Anlieger am betreffenden Rohrstück zu schließen wäre (zur Frage nach einem wesentlichen Bestandteil des Grundstücks der Anlieger noch sogleich unter bb). Eigentümer des Scheinbestandteils ist grundsätzlich derjenige, der die Sache in das Grundstück eingebracht hat. Dass dieser oder sein Rechtsnachfolger den Anliegern Eigentum an der Anschlussleitung übertragen hat, ist nicht ersichtlich.

112

bb)

113

Vorstehendem lässt sich nicht entgegenhalten, dass Rohrstück sei wesentlicher Bestandteil des angeschlossenen Grundstücks (oder des Gebäudes) Y-Straße ## gewesen. Das trifft – wiederum entgegen den von der Klägerin vorgelegten Rechtsgutachten – nicht zu.

114

Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Gebäudes gehören gemäß § 94 Abs. 2 BGB die zur Herstellung des Gebäudes eingefügten Sachen.

115

Das sind allein solche Sachen, ohne die das Gebäude nach der Verkehrsanschauung noch nicht fertiggestellt ist. Eine solche Fertigstellung setzt aber nicht voraus, dass das Gebäude für den beabsichtigten Zweck schon in jeder Hinsicht nutzbar wäre, denn sonst wären nahezu alle Einrichtungsgegenstände wesentliche Bestandteile. Maßgebend kann nicht die wirtschaftliche Einheit der vollendeten Anlage sein, sondern grundsätzlich allein die Fertigstellung des Bauwerks.

116

Zur Herstellung des Gebäudes eingefügt sind hiernach in erster Linie die Baumaterialien. Dazu gehören Fundament und Aufbau sowie daneben auch die für die besondere Eigenart des Gebäudes erforderlichen Gegenstände und Dinge, die dem Baukörper besonders angepasst sind und aus diesem Grunde mit ihm eine Einheit bilden (BGH, Urteil vom 10. Februar 1978 – V ZR 33/76 –, Rn. 9, juris; BGH, Urteil vom 25. Mai 1984 – V ZR 149/83 –, Rn. 10, juris).

117

Gegenstände, die für die Nutzung des Gebäudes erforderlich sind, sind hingegen nicht ohne weiteres wesentliche Bestandteile desselben, sondern allenfalls dann, wenn sie in das Gebäude selbst eingebaut sind (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 1970 – V ZR 71/67 –, BGHZ 53, 324-327, Rn. 9 – BGH, Urteil vom 15. November 1989 – IVa ZR 212/88 – betrifft nur die Frage des Einschlusses in eine Gebäudeversicherung).

118

Das beschädigte Anschlussrohr, welches die Abwässer von der Grundstücksgrenze Y-Straße ## zur öffentlichen Kanalisation leitet, war hiernach nicht zur Herstellung des Gebäudes eingefügt; es war weder im noch am Gebäude eingebaut, noch war es für die Fertigstellung des Bauwerks nach der Verkehrsanschauung erforderlich.

119

cc)

120

Vor diesem Hintergrund ergibt sich auch aus der vorgelegten Abwasserbeseitigungssatzung der Klägerin kein Eigentum der Anlieger an der fraglichen Anschlussleitung.

121

Wie bereits erörtert trifft die Satzung keinerlei Aussagen zu eigentumsrechtlichen Zuordnung der Anschlussleitungen. Dass die Anschlussleitungen gemäß § 2 Nr. 6 lit. b der Satzung nicht zur öffentlichen Abwasseranlage gehören, betrifft nicht die Eigentumsfrage, sondern ist nur für Fragen des öffentlichen Abwasserrechts relevant (vgl. etwa VG Düsseldorf, Urteil vom 25.02.2015 – 5 K 7702/14).

122

Zudem könnte im Wege einer gemeindlichen Satzungsregelung die bundesrechtliche Eigentumsordnung ohnehin nicht wirksam abgeändert werden.

123

dd)

124

Die Beschädigung der im städtischen Grundstück verlaufenden (Grundstücks-) Anschlussleitung stellt nach alledem keinen Schaden eines Dritten im Sinne des Nr. 1.1 AHB dar, sondern ist als Eigenschaden einzuordnen, für den kein Deckungsschutz besteht.

125

b)

126

Ein Sachschaden der Anlieger und ein Schadensersatzanspruch im Sinne des Nr. 1.1 AHB ergeben sich auch nicht daraus, dass die Verstopfung des Rohres auf städtischem Grund den Abfluss der Abwässer vom eigenen Grundstück und aus dem Haus beeinträchtigt hat.

127

Ein Sachschaden (zum Begriff bereits oben 2 a, vor aa) an Haus und Grundstück liegt nicht vor.

128

Es ist, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert worden ist, nicht dargelegt, dass mit der Ablaufstörung auf die Substanz des Hauses oder des Grundstücks Y-Straße ## so eingewirkt worden wäre, dass der zunächst vorhandene Zustand beeinträchtigt worden wäre. Die mit dem eingeschränkten Ablauf der Abwässer einhergehenden Nutzungsbeeinträchtigungen für die Hausbewohner genügen für die Annahme eines Sachschadens nicht.

129

c)

130

Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass die Anlieger – möglicherweise – einen Anspruch gegen die Klägerin aus Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 683 BGB in Verbindung mit § 1004 BGB haben.

131

Dies kommt – vorbehaltlich der kommunalen Kostenregelung – in Betracht, weil die Klägerin als Eigentümerin des (angeblich) schädigenden Baumes und damit als Störerin möglicherweise gemäß § 1004 Abs. 1 BGB verpflichtet war, die durch den Wurzeleinwuchs des von ihr gehaltenen Baumes bedingten Gebrauchsbeeinträchtigungen am Grundstück der Anlieger zu beseitigen (vgl. dazu VG Düsseldorf, Urteil vom 25.02.2015 – 5 K 7702/14 -, Rn. 93, juris, zur Reparatur einer auf städtischen Grund verlaufenden Anschlussleitung, die durch Wurzeleinwuchs geschädigt war; allg. zum Störungsbeseitigungsanspruch BGH, Urteil vom 07.03.1986 – V ZR 92/85 – , Rn. 11, juris; BGH, Urteil vom 01.12.1988 – V ZR 26/88 -, Rn. 9, juris; BGH, Urteil vom 26.04.1991 – V ZR 346/89 – Rn. 9, juris; BGH, Urteil 21.10.1994 – V ZR 12/94 -, Rn. 6, juris – jeweils aber zur Beseitigung von Wurzeleinwuchs in die Leitung des Anliegers).

132

Ein solcher Anspruch ist aber, wie vor dem Senat erörtert, nur dann und nur soweit als u„versicherter“ Schadensersatzanspruch im Sinne des Nr. 1.1 AHB anzusehen, wie ein Sachschaden vorliegt und der Anspruch die gleiche wiederherstellende Wirkung hat wie ein auf Naturalrestitution gerichteter Schadensersatzanspruch (BGH, Urteil vom 08. Dezember 1999 – IV ZR 40/99 –, Rn. 12, 15 ff., 21, juris). Geht es indes nicht um die Wiederherstellung eines dem Dritten entstandenen Sachschadens (welchen der Bundesgerichtshof aaO ausdrücklich festgestellt hat, Rn. 12: „mit einem Sachschaden einhergegangen“), sondern um die Beseitigung einer bloßen Gebrauchsbeeinträchtigung, so stellt die nach § 1004 Abs. 1 BGB geschuldete Beseitigung keinen „versicherten“ Haftpflichtanspruch dar.

133

II.

134

Die Anlieger machen nach ihrem Tatsachenvortrag und ihrem Begehren auch nicht – im Sinne des Nr. 1.1 AHB – Schadensersatz geltend wegen einer durch ein Schadensereignis eingetretenen Vermögenseinbuße, die weder durch eine Personen- noch eine Sachbeschädigung herbeigeführt ist.

135

Denn eine solche Vermögenseinbuße meint, wie sich aus dem Sinnzusammenhang mit den Begriffen Schadensereignis und Schadensersatz auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ergibt (vgl. zu diesem Auslegungsmaßstab der stRspr. nur BGHZ 123, 83, 85; Rixecker, in: Langheid/Rixecker, VVG, 5. Aufl. 2016, § 1 Rn. 37 ff. mwN) und wie in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist, nicht die Belastung mit dem Anspruch eines beauftragten Handwerkers oder die Vermögenssituation nach dessen Befriedigung. Gemeint ist vielmehr der aufgrund eines Schadensereignisses entgangene Gewinn oder – möglicherweise – eine Entschädigung für entgangene Nutzung. Solches aber wird mit dem geltend gemachten Anspruch auf Ersatz von Reparaturkosten i. H. v. 5.524,62 Euro nicht verlangt.

136

C.

137

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

138

Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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