OLG Köln, Beschluss vom 21.04.2016 – 20 W 13/16

November 7, 2021

OLG Köln, Beschluss vom 21.04.2016 – 20 W 13/16

Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe
Die gemäß § 127 Abs.2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist in der Sache nicht gerechtfertigt. Das Landgericht hat dem Beklagten die nachgesuchte Prozesskostenhilfe mit Recht verweigert.

Dabei kann letztlich offen bleiben, ob die beantragte Prozesskostenhilfe dem Beklagten bereits aus wirtschaftlichen Gründen zu versagen ist. Insoweit weist das Landgericht allerdings zu Recht darauf hin, dass die Fähigkeit, durch zumutbare Arbeit Geld zu verdienen, wie Einkommen im Sinne des § 115 ZPO zu behandeln ist. Wer es offenkundig leichtfertig unterlässt, eine tatsächlich bestehende und zumutbare Erwerbsmöglichkeit zu nutzen, und die Bedürftigkeit somit ohne weiteres beseitigen kann, handelt rechtsmissbräuchlich; in diesem Fall sind der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Partei die erzielbaren Einkünfte fiktiv zuzurechnen (BGH NJW 2009,3658; OLG Köln – 4. Zivilsenat – OLGR 2007,549; OLG Brandenburg FamRZ 2011,1239). In der Erklärung des Beklagten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse findet sich in der Rubrik „Beruf, Erwerbstätigkeit“ zwar der Eintrag „Student“. Ergänzend gibt der Beklagte jedoch an, er sei „Umwelt- und Friedensaktivist“ und halte sich „größtenteils in Camps, bei Freunden, Sympathisanten und Bekannten auf“, die seine „Weltsicht und Anschauungen teilen“. Danach ist der Beklagte offenbar nur als Student an der Universität eingeschrieben, ohne dem Studium nachzugehen, während er sich ausschließlich als „Aktivist“ betätigt. Da einem Antragsteller, der nur formell einen Studienplatz belegt, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zuzumuten ist, muss sich der Beklagte ein fiktives Arbeitseinkommen grundsätzlich zurechnen lassen. Gründe für eine Unzumutbarkeit hat der Beklagte nicht dargelegt; an der Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen für eine schuldhafte Arbeitsverweigerung hat der Antragsteller jedoch mitzuwirken, insbesondere anzugeben, warum er nicht arbeitet (OLG Köln – 4.Zivilsenat – a.a.O.; OLG Zweibrücken NJW-RR 2002,647; Zöller/Geimer, ZPO, 31.Aufl., § 115 Rn.6). Bei einer fiktiven Berechnung ist von einem Arbeitseinkommen in erzielbarer Höhe auszugehen und, sofern durch die Zurechnung der fiktiven Einkünfte die Bedürftigkeit nicht voll entfällt, gegebenenfalls nach § 115 Abs.2 ZPO Ratenzahlung anzuordnen (BVerfG NJW-RR 2005,1725; BGH a.a.O.). Welche Einkünfte der Beklagte bei zumutbarer Erwerbstätigkeit erzielen könnte, bedarf indes keiner Klärung, weil es jedenfalls an der nach § 114 ZPO erforderlichen Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung fehlt.

Das Verbot der Beweisantizipation gilt im Prozesskostenhilferecht nur eingeschränkt. Wenn konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würde, darf diesem Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens verweigert werden (BVerfG NJW 2003,2976; 2010,288; Zöller/Geimer § 114 Rn.26 m.w.N.). Im Verfahren zur Prüfung der Erfolgsaussicht können auch Erkenntnisse und Beweisergebnisse aus anderen Verfahren verwertet werden, etwa der Inhalt von Strafakten (OLG Zweibrücken OLGR 2009,840; OLG Brandenburg, Beschluss vom 30. September 2010 – 12 W 28/10 – dokumentiert in juris; OLG Koblenz MDR 2014,425; Zöller/Geimer § 114 Rn.26a). Aus den beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Köln – 121 Js 493/14 = 45 Ds 39/15 AG Kerpen – ergibt sich, dass der Beklagte sich am 1. August 2014 gemeinsam mit weiteren Umweltaktivisten auf das Gleisbett der Ibahn der Klägerin im Bereich L, Brücke 164, gesetzt hat, um sich an der Blockade zu beteiligen, und sich dort bis zur Räumung durch die Polizei aufgehalten hat. Dementsprechend hat der Beklagte – nach Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn – der vorläufigen Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen gemäß § 153a Abs.2 StPO zugestimmt.

Die Störung des Betriebs der Klägerin war auch rechtswidrig; insbesondere kann sich der Beklagte nicht auf ein Notwehrrecht (§ 227 BGB) berufen. Es ist bereits zweifelhaft, ob der Beklagte mit der Blockade überhaupt den Zweck verfolgt hat, einen Angriff „von sich oder einem anderen“ abzuwenden, zumal als Angriffsobjekt im Sinne des § 227 Abs.2 BGB nur individuelle Rechtsgüter in Betracht kommen, während der Schutz der Allgemeinheit kein Notwehrrecht begründet (Staudinger/Repgen, BGB, Neubearbeitung 2014, § 2227 Rn.14; Erman/Wagner, BGB, 14.Aufl., § 227 Rn.5; so auch zu § 32 StGB Schönke/Schröder/Perron, StGB, 29.Aufl., § 32 Rn.8). Wie das Landgericht zutreffend annimmt, ist – gerade bei einem dauerhaften Zustand – zudem nicht ersichtlich, weshalb die Handlung des Beklagten „das mildeste Mittel“ darstellen, also erforderlich im Sinne des § 227 Abs.2 BGB sein soll. Davon unabhängig hat kein rechtswidriger Angriff der Klägerin stattgefunden, den es abzuwehren galt. Rechtswidrig ist ein Angriff, sofern sein Erfolg von der Rechtsordnung missbilligt wird (Münchener Kommentar zum BGB/Grothe, 6.Aufl., § 227 Rn.10; Staudinger/Repgen § 227 Rn.28; Bamberger/Roth/Dennhardt, BGB, 3.Aufl., § 227 Rn.12). Deshalb stehen dem „Angegriffenen“ keine Notwehrbefugnisse zu, wenn der „Angriff“ von einer Erlaubnisnorm, insbesondere einer öffentlichrechtlichen Genehmigung gedeckt ist (Leipziger Kommentar zum StGB, 12.Aufl. § 32 Rn.108; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4.Aufl., § 32 Rn.61). Der Betrieb der Ibahn ist der Klägerin – ebenso wie die Kohleförderung – öffentlichrechtlich gestattet und damit rechtmäßig. Der dagegen gerichtete Einwand des Beklagten, jeder Bürger dürfe sich „selbstverständlich weiterhin gegen Eingriffe in seine höchstpersönlichen Rechte sowie die Rechte Dritter wehren“, ist nicht tragfähig; er läuft – zumindest im konkreten Fall – im Ergebnis auf die Billigung einer Selbstjustiz hinaus, die mit der Rechtsordnung nicht vereinbar ist

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