OLG Köln, Beschluss vom 24.02.2016 – 8 AR 9/16

November 11, 2021

OLG Köln, Beschluss vom 24.02.2016 – 8 AR 9/16

Tenor
Das Landgericht Stade ist zuständig.

Gründe
I.

Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines Darlehens, das die Klägerin zum Zwecke der Finanzierung des Erwerbs eines Hausgrundstücks bei der im Bezirk des Landgerichts Bonn geschäftsansässigen Beklagten aufgenommen hat und das durch eine Buchgrundschuld gesichert ist. Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Löschungsbewilligung für die zu Gunsten der Beklagten im Grundbuch Altkloster (Landgerichtsbezirk Stade) eingetragenen Grundschuld sowie die Rückzahlung von Darlehensraten. Darüber hinaus beantragt sie die Feststellung, dass infolge des von ihr erklärten Widerrufs ihrer auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärung die Beklagte aus dem Darlehensvertrag keinen Anspruch auf Darlehensraten (mehr) habe und sie sich hinsichtlich der Rückgewähr der ausgezahlten Darlehensvaluta sowie mit der Rückabwicklung des Darlehensvertrages im Annahmeverzug befinde.

Unter dem 18. August 2015 erteilte die zuständige Einzelrichterin des zunächst angerufenen Landgerichts Bonn einen Hinweis, wonach wegen § 24 Abs. 1 ZPO Zweifel an der dortigen Zuständigkeit bestünden und gab den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme. Daraufhin beantragte die Klägerin hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Stade, wohingegen die Beklagte einer Verweisung entgegen trat. Das Landgericht Bonn hat sich mit Beschluss vom 14. September 2015 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Stade verwiesen. Dieses hat sich mit Beschluss vom 29. Januar 2016 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Bonn zurückverwiesen. Es ist der Ansicht, der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Bonn entfalte keine Bindungswirkung.

Das Landgericht Bonn hat mit Beschluss vom 10. Februar 2016 erklärt, an seiner Rechtsauffassung festzuhalten und den Rechtsstreit dem Oberlandesgericht Köln nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Entscheidung über die Zuständigkeitsfrage vorgelegt. Daneben hat die Klägerin unter dem 15. Februar 2016 den Antrag gestellt, das Landgericht Bonn als das zuständige Gericht zu bestimmen.

II.

1. Das Oberlandesgericht Köln ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, weil das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof wäre und das im Bezirk des Oberlandesgerichts Köln gelegene Landgericht Bonn als erstes Gericht mit dieser Sache befasst worden ist.

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.

a) Der Umstand, dass die Vorlage zur Zuständigkeitsbestimmung ohne Antrag der Parteien erfolgt ist, ist trotz des Wortlauts des § 37 Abs. 1 ZPO („Gesuch“) unschädlich. Im Falle des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO kann das Gesuch auch als Vorlage von Amts wegen von einem der am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte ausgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 1985 – IVb ARZ 20/84 -, NJW 1985, 2537; siehe auch H. Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, 23. Aufl, § 37 Rn. 2; jeweils m.w.N.). Ohnedies hat nachfolgend auch die Klägerin einen entsprechenden Antrag an das hier zur Entscheidung berufene Oberlandesgericht gerichtet.

b) Nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO wird das zuständige Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Das ist hier der Fall; sowohl das Landgericht Bonn (mit Beschluss vom 14. September 2015) als auch das Landgericht Stade (mit Beschluss vom 29. Januar 2016) haben sich jeweils für unzuständig erklärt. Beide Unzuständigerklärungen sind auch „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Bonn ist nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO unanfechtbar. Auch gegen den Beschluss, mit dem sich das Landgericht Stade für unzuständig erklärt hat, ist kein Rechtsmittel statthaft.

3. Zuständig für die Entscheidung über das Klagebegehren ist das Landgericht Stade, da der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Bonn vom 14. September 2015 gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend ist.

a) Bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind nicht nur allgemeine Zuständigkeitsvorschriften, sondern auch die verfahrensrechtlichen Bindungswirkungen (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO) und Zuständigkeitsverfestigungen (§ 261 Abs. 3 ZPO) zu beachten (st. Rspr., vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 36 Rn. 28 m.w.N.; ebenso BayOblG, Beschluss vom 9. Mai 1990 – 1 ZR 45/90 -, NJW-RR 1991, 187), weshalb regelmäßig das Gericht zu dem zuständigen zu bestimmen ist, an das die Sache durch den ersten – bindenden – Verweisungsbeschluss gelangt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015 – X ARZ 115/15 -, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9).

Allerdings kommt nach allgemeiner Ansicht offenbar gesetzeswidrigen und offensichtlich unrichtigen Verweisungsbeschlüssen keine Bindungswirkung zu. Dies sind solche, die schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden können, also nicht etwa nur auf unrichtiger Rechtsanwendung beruhen, sondern jeder gesetzlichen Grundlage entbehren und daher als objektiv willkürlich anzusehen sind (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015 – X ARZ 115/15 -, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9, BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1993 – XII ARZ 22/93 -, NJW-RR 1994, 126; Vollkommer, a.a.O., § 36 Rn. 28; jeweils m.w.N.).

b) Bei Anlegung dieses Maßstabs ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Bonn nicht als willkürlich anzusehen, sondern entfaltet die im Gesetz vorgesehene Bindungswirkung.

Die – vom Landgericht Stade nicht geteilte – Auffassung des Landgerichts Bonn, wonach eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Stade gem. § 24 Abs. 1 ZPO gegeben sei, ist nicht objektiv willkürlich (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Februar 2016 – 8 AR 88/15 -, n.v.).

Der Senat verkennt nicht, dass andere Landgerichte und andere Kammern desselben Landgerichts die vorliegende Konstellation nicht der Vorschrift des § 24 Abs. 1 ZPO zuordnen und dass hierfür in Ansehung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes gute Gründe streiten mögen. Denn vorliegend geht der Streit nicht in erster Linie um den Bestand der Grundschuld – also die rechtliche Qualifikation der dinglichen Belastung -, sondern um einen schuldrechtlichen Anspruch auf Löschung, der materiell der Rückübertragung der Grundschuld gleichkommen mag (vgl. LG Itzehoe, Beschluss vom 15. Februar 2016 – 7 O 185/15 -, juris Rn. 7 ff. [9]). Letztere fällt aber nach gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht in den Anwendungsbereich von § 24 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1970 – V ZR 168/67 -, BGHZ 54, 201, 203). Auch in der vorliegenden Konstellation ist nicht ersichtlich, weshalb gerade vom Gericht der belegenen Sache vorzugsweise eine richtige Würdigung und sichere Feststellung der Rechtsverhältnisse zu erwarten wäre (vgl. LG Itzehoe, Beschluss vom 15. Februar 2016 – 7 O 185/15 -, juris Rn. 7 ff. [10]).

Die verweisende Kammer des Landgerichts Bonn hat sich indes im Verweisungsbeschluss mit der zu Grunde liegenden Rechtsfrage ausführlich auseinandergesetzt und ihre abweichende Rechtsauffassung nachvollziehbar begründet. Schon nach dem Wortlaut von § 24 Abs. 1 ZPO ist es nicht erkennbar unvertretbar, eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Stade anzunehmen, weil mit der begehrten Löschungsbewilligung die „Freiheit“ des Eigentums von einer „dinglichen Belastung“ geltend gemacht werde. Auch gibt es keine eindeutige höchstrichterliche Rechtsprechung, die in der vorliegenden Konstellation eine Anwendung des § 24 Abs. 1 ZPO ausschließen würde. Vielmehr hat der Bundesgerichtshof offen gelassen, ob Klagen, mit denen schuldrechtliche Ansprüche auf Löschung geltend gemacht werden, der Vorschrift des § 24 ZPO unterfallen (BGH, Urteil vom 26. Juni 1970 – V ZR 168/67 -, BGHZ 54, 201, 203).

Dem entspricht, dass es nach den – vom Landgericht Bonn in seiner Hinweisverfügung zitierten und auch in der Kommentarliteratur zumindest sinngemäß angeführten – Obersätzen in den Entscheidungen anderer Gerichte für die Begründung der ausschließlichen Zuständigkeit des § 24 ZPO ausreicht, dass der Klageantrag auf Bewilligung der Löschung gerichtet und der Beklagte Inhaber der dinglichen Belastung ist, wobei es gleichgültig ist, ob die Befreiung von der Belastung lediglich aufgrund eines schuldrechtlichen Anspruches verlangt wird (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 31. März 2004 – 5 U 4/04 -, OLGR 2004, 366, 367; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 9. April 2014 – 1 (Z) Sa 13/14 -, juris Rn. 13; aus dem Schrifttum: Patzina, in: MünchKommZPO, Band 1, 4. Aufl., § 24 Rn. 11; H. Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 1, 23. Aufl., § 24 Rn. 24; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 24 Rn. 13; ferner Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Erster Band Teilband 2, 4. Aufl., § 24 Rn. 36). Überdies vertritt mit dem Landgericht Frankfurt am Main ein anderes Landgericht in identischen Fallgestaltungen ebenfalls die Auffassung, dass für Klagen auf Erteilung einer Löschungsbewilligung für eine Grundschuld das Gericht ausschließlich zuständig sei, in dessen Bezirk die Sache belegen ist (LG Frankfurt a.M., Beschlüsse vom 27. Juli 2015 – 2-19 O 95/15, 2/19 O 95/15 -, juris Rn. 8; vom 21. April 2015 – 2-05 O 335/14 -, juris Rn. 4; vom 25. März 2015 – 2-19 O 132/14 -, juris Rn. 5). Soweit ersichtlich wird diese Rechtsprechung vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main geteilt (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 14. Oktober 2014 – 11 SV 97/14 -, juris Rn. 6).

Die nach alledem mit vertretbarer Argumentation jedenfalls gemäß § 281 ZPO begründete Zuständigkeit des Landgerichts Stade für den Klageantrag 1 b erstreckt sich auch auf den hiermit verbundenen Zahlungsantrag 1 a betreffend die Darlehensraten und die unter Ziffer 2 gestellten Feststellungsanträge. Insoweit hat das Landgericht Bonn ebenfalls nachvollziehbar ausgeführt, dass angesichts der der Entscheidung zu Grunde liegenden identischen Rechtsfrage eine Trennung der Anträge nicht in Betracht kommt. Die Erwägungen, wonach sich die Zuständigkeit schon aus einer Anwendung von § 25 ZPO ergeben könnte, und die Abtrennung einzelner Klageanträge zu einer prozessunökonomischen und unzweckmäßigen Aufspaltung des Streitgegenstandes führen würde, sind jedenfalls nicht objektiv willkürlich.

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