OLG Köln, Urteil vom 24.07.2015 – 20 U 42/15

November 20, 2021

OLG Köln, Urteil vom 24.07.2015 – 20 U 42/15

Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 25. Februar 2015 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 9 O 221/14 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
I.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere noch ausreichend mit einer fallbezogenen Begründung versehen, weil sie auf die tragende Erwägung des Landgerichts, § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sei ungeachtet seiner Eruoparechtswidrigkeit im nationalen Recht weiter anzuwenden, unter Hinweis auf die entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eingeht und insoweit eine Vorlage an den EuGH gefordert wird.

Die Berufung hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf verzinsliche Erstattung der von ihr auf den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag geleisteten Prämien abzüglich des ausgekehrten Betrages gemäß § 812 Abs. 1 BGB. Der Versicherungsvertrag ist auf der Grundlage des Policenmodells gemäß § 5a Abs. 1 VVG a.F. wirksam mit Versicherungsbeginn zum 1. April 2004 zustande gekommen. Die Klägerin hat dem Vertragsschluss nicht binnen der vorliegend maßgebenden Frist von 14 Tagen nach Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen widersprochen (§ 5 a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.). Der von der Klägerin im Oktober 2013 erklärte Widerspruch war verfristet.

Nach § 5 a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. beginnt der Lauf der Frist erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 (Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen nach § 10 a VAG) vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist.

Dass der Klägerin die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen gemäß § 10a VAG mit dem Versicherungsschein übersandt wurden, ist zwischen den Parteien nicht im Streit

Die Widerspruchsbelehrung, die sich auf Seite 3 des Versicherungsscheins vom 6. April 2004 (Anlage K 1) befindet, lautet:

Widerspruchsrecht

Gemäß § 5 a des Versicherungsvertragsgesetzes gilt der Vertrag als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 14 Tagen nach Überlassung dieser Unterlagen in Textform (z.B. Brief, Fax, email) widersprechen. Maßgebend ist das Absendedatum.

Im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben macht diese Belehrung dem Versicherungsnehmer noch ausreichend deutlich, welche Unterlagen ihm vorliegen müssen, damit die Widerspruchsfrist beginnt. Allerdings erwähnt die Belehrung nicht ausdrücklich, dass dem Versicherungsnehmer neben dem Versicherungsschein und den Versicherungsbedingungen auch die Verbraucherinformationen vorliegen müssen, damit die Frist des § 5 a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. beginnt. Der Senat hält dies aber für unschädlich. Die Belehrung stellt klar, dass die Widerspruchsfrist erst nach „Überlassung dieser Unterlagen“ beginnt. Welche Unterlagen das sind, erschließt sich dem Versicherungsnehmer ohne weiteres aus der Aufzählung der auf S. 3 des Versicherungsscheins unter „Sonstige Vertragsinhalte“ genannten Schriftstücke, auf die die Belehrung, die sich auf der gleichen Seite befindet, ersichtlich Bezug nimmt; nämlich:

Allgemeine Bedingungen

Tarifbedingungen zu Tarif NF 2210

Informationen zu den Investmentfonds

Besondere Bedingungen für O Plus

Besondere Bedingungen zum AAA-Management

Besondere Bedingungen für die Nachversicherung

Hinweise zur Überschußermittlung und -beteiligung

Merkblatt Versicherungsleistung im Todesfall der versicherten Person

Steuerrechtliche Hinweise

Merkblatt zur Datenverarbeitung

Allgemeine Hinweise.

Dem Versicherungsnehmer ist danach hinreichend verdeutlicht, dass ihm neben dem Versicherungsschein und den Versicherungsbedingungen auch weitere Unterlagen vorliegen müssen, damit die Widerspruchsfrist in Gang gesetzt wird. Unschädlich ist, dass die Beklagte augenscheinlich keine gesonderte Verbraucherinformation verwendet, denn es reicht aus, wenn die überlassenen Unterlagen diejenigen Informationen enthalten, deren Erteilung die Ziffern 1 und 2 des Abschnitts I der Anlage D zu § 10a VAG verlangen. Dass dies hier nicht der Fall ist, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Belehrung macht dem Versicherungsnehmer mithin unter Einbeziehung des Gesamtinhaltes des Versicherungsscheins noch in ausreichender Weise klar, welche Unterlagen ihm überlassen worden sein müssen, damit die Widerspruchsfrist in Gang gesetzt wird.

Die Belehrung ist auch in drucktechnisch deutlicher Form erfolgt. Dies fordert ausreichende Lesbarkeit und setzt die Verwendung einer hinreichend großen Schrift voraus (vgl. BGH, NJW 2011, 1061). Darüber hinaus muss sich der Belehrungstext in einer nicht zu übersehenden Weise (etwa durch farbliche Gestaltung, größere Buchstaben, Sperrschrift oder Fettdruck) aus dem übrigen Text hervorheben (vgl. BGH, NJW 2009, 3060). Dem ist hier ausreichend dadurch Rechnung getragen worden, dass die Widerspruchsbelehrung auf der Seite 3 des Versicherungsscheins vollständig in Fettdruck hervorgehoben und zudem umrahmt ist. Sie findet sich ferner unmittelbar über den Unterschriften der für die Beklagte handelnden Personen und erlangt auch dadurch eine erhöhte Aufmerksamkeit.

§ 5 a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. fordert ferner eine Belehrung über den Beginn und die Dauer der Frist. Dazu gehört die Benennung des Ereignisses, das die Frist in Lauf setzt (BGH, NJW 2009, 3572 und NJW 1994, 1800). Das konkrete Datum des Fristbeginns muss hingegen nicht angegeben werden; auch die Grundsätze der Fristberechnung (§§ 187 ff. BGB) müssen nicht mitgeteilt werden (BGH, NJW 2010, 3503). Schädlich sind insoweit nur Formulierungen, die einen von § 187 Abs. 1 BGB abweichenden Fristbeginn nahelegen (BGH, NJW 1994, 1800; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12. Juli 2013 – I-4 U 152/12). Danach ist die vorliegende Belehrung nicht zu beanstanden, denn sie benennt – was ausreichend ist – klar das Ereignis, das die Frist in Lauf setzt (Überlassung der Unterlagen), ohne – was nicht erforderlich ist – das konkrete Datum des Fristbeginns zu benennen.

Ferner ist darüber zu belehren, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genügt (§ 5 a Abs. 2 Satz 3 VVG a.F.; vgl. BGH, VersR 2004, 497). Dem ist mit der hier verwendeten Formulierung, dass das Absendedatum maßgebend ist, hinreichend Rechnung getragen. Damit wird für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer zum Ausdruck gebracht, dass die Widerspruchsfrist eingehalten ist, wenn er den Widerspruch innerhalb der Frist an den Versicherer absendet.

Die Belehrung ist nicht deshalb intransparent, weil die Begriffe „Versicherungsvertragsgesetz“ und “ diese Unterlagen“ verwendet worden sind. Inwieweit der Begriff „Versicherungsvertragsgesetz“ nicht verständlich und erläuterungsbedürftig ist, ist nicht ersichtlich. Was unter “ diese Unterlagen“ zu verstehen ist, ist – wie schon ausgeführt – aus den weiteren Angaben im Versicherungsschein zu ersehen.

Es bedurfte – anders als etwa nach § 360 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BGB – nicht der Benennung des Widerspruchsadressaten. Der Versicherungsnehmer weiß, dass der Versicherer sein Vertragspartner ist (vgl. BGH, Urt. v. 10. Juni 2015 – IV ZR 204/12 -); die Anschrift der Beklagten findet sich im Policenbegleitschreiben.

Die Beklagte musste auch weder über die Rechtsfolgen des Widerspruchs aufklären noch darüber, dass der Widerspruch ohne Angabe von Gründen erfolgen kann (zu Letzterem BGH, aaO). Das verlangt § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. nicht.

Es muss auch nicht auf die Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. hingewiesen werden. § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. fordert lediglich eine Belehrung über die Frist zum Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.

2.

Ob § 5a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 S. 1 VVG a.F. gegen europäisches Recht verstößt, bedarf keiner Entscheidung. Der Senat ist auch nicht gehalten, dem EuGH die Frage vorzulegen, ob das Policenmodell im Einklang steht mit den Bestimmungen in Art. 31 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang II Buchstabe A der Richtlinie 92/96 EWG des Rates vom 10. November 1992 bzw. Art. 36 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang III Buchstabe A der die erstgenannte Richtlinie ablösenden Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 sowie mit Art. 15 der Zweiten Lebensversicherungsrichtlinie (Richtlinie 90/619/EWG vom 8. November 1990) bzw. Art. 35 der die vorgenannte Richtlinie ablösenden Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002. Einer Vorlage bedarf es deshalb nicht, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den in Rede stehenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen vereinbar ist, nicht entscheidungserheblich ankommt (vgl. BVerfG, VersR 2015, 693).

Hierzu hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es einem Versicherungsnehmer, der mit Überlassung der Versicherungspolice die Versicherungsbedingungen, die Verbraucherinformationen und eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung nach § 5a VVG a.F. erhalten hat, auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach nationalem Recht gemäß den Grundsätzen von Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt ist, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (BGH, VersR 2014, 1065). Dem schließt sich der Senat an.

Es bedarf auch keiner Vorlage an den EuGH zur Entscheidung darüber, ob das Recht zur Lösung vom Vertrag verwirkt sein kann. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben auf den Einzelfall obliegt dem nationalen Gericht. Die generellen Maßstäbe für eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt (BGH, aaO, Rz. 42; BVerfG, aaO, Rz. 43 ff.). Danach ist eine missbräuchliche Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht gestattet (zuletzt etwa EuGH, ZfZ 2014, 100, Rz. 29). Rechtsmissbräuchliches Verhalten kann sich auf der Grundlage lediglich objektiver Kriterien ergeben, soweit die mit der einschlägigen Bestimmung verfolgten Zwecke beachtet werden (so insbes. EuGH, Slg. 2000, I-1705, Rz. 34). Wenn – wie vorliegend – der Versicherungsnehmer über sein Vertragslösungsrecht vor Wirksamwerden des Vertrags ordnungsgemäß belehrt wird und er die notwendigen Vertragsunterlagen rechtzeitig erhalten hat, dann sind die mit der Dritten Richtlinie Lebensversicherung angestrebten Ziele erreicht worden (s. BGH, aaO, Rz. 42; BVerfG, aaO, Rz. 47). Demgemäß ist es treuwidrig, wenn sich der solchermaßen belehrte und informierte Versicherungsnehmer unter Berufung auf ein (unterstelltes) gemeinschaftswidriges Zustandekommen des Vertrags von diesem nach Jahren wieder lösen will. Er würde sich dadurch gegenüber den vertragstreuen Versicherungsnehmern einen objektiv widerrechtlichen Vorteil verschaffen.

Die Treuwidrigkeit des Verhaltens der Klägerin ergibt sich vorliegend daraus, dass sie den Vertrag bis zur Erklärung des Widerspruchs 9 1/2 Jahre lang durchgeführt und dadurch bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrags begründet hat.

3.

Auch mit den Hilfsanträgen hat die Berufung keinen Erfolg.

Mangels Begründung ist die Berufung unzulässig, soweit die Klägerin Auskunft und ggf. Zahlung auf der Grundlage eines ohne Verrechnung von Abschlusskosten berechneten Rückkaufswerts begehrt, denn hierzu finden sich in der Berufungsbegründung keine Ausführungen. Gleiches gilt für den hilfsweise verfolgten Anspruch auf Auskunft über den Mindestrückkaufswert und ggf. weitere Zahlung.

Der auf Mitteilung des Stornoabzugs gerichtete Auskunftsanspruch ist erfüllt; insoweit haben die Parteien den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat übereinstimmend für erledigt erklärt.

Mit Beendigung der Auskunftsstufe ist die Stufenklage in die nächste Stufe gelangt. Auf der Leistungsstufe bleibt die Klage ohne Erfolg, weil eine jetzt notwendige Bezifferung des Leistungsantrags nicht erfolgt ist; angesichts der erteilten Auskunft ist auch nicht ersichtlich, dass der Klägerin eine Bezifferung möglich gewesen wäre.

4.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Auch mit den Hilfsanträgen ist die Klägerin letztlich unterlegen; soweit es die Auskunft über den Stornoabzug angeht, bleibt es im Rahmen der nach übereinstimmender Erledigungserklärung insoweit zu treffenden Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO jedenfalls in Anwendung des Rechtsgedankens des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bei der Kostenlast der Klägerin.

Zur Zulassung der Revision besteht nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Juli 2014 (VersR 2014, 1065) und der Zurückweisung der dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 2. Februar 2015 (aaO) keine Veranlassung mehr.

Berufungsstreitwert: 7.102,09 €

Maßgebend ist alleine der (höhere) Streitwert des Hauptantrags (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG); auch mit dem Hilfsantrag werden Ansprüche aus der Abwicklung des Versicherungsvertrags verfolgt, so dass das Anspruchsziel bei wirtschaftlicher Betrachtung identisch ist.

Haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.
© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.