AG Düsseldorf, Beschluss vom 08.12.2021 – 37 C 270/21

Januar 5, 2022

AG Düsseldorf, Beschluss vom 08.12.2021 – 37 C 270/21

Tenor
In dem Rechtsstreit

M gegen B GmbH

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Artikel 267 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung vom 9. Mai 2008, zuletzt geändert durch Art. 2 ÄndBeschl. 2012/419/EU vom 11.7.2012 (ABl. L 204 S. 131) im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:

1. Ist es für das Vorliegen von unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen am Bestimmungsort der Reise im Sinne von Artikel 12 Absatz 2 Satz 1 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2001/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates (im Folgenden Pauschalreise-Richtlinie genannt) hinreichend, dass das Zielgebiet der Reise durch die national für den Schutz vor übertragbaren Krankheiten eingerichtete Fachbehörde als Risikogebiet eingestuft ist und die Voraussetzungen der Einstufung als Risikogebiet am Heimatort zugleich nicht vorgelegen haben?

2. Muss der Reisende im Zeitpunkt des Rücktritts von der Pauschalreise im Sinne von Artikel 12 Absatz 2 Satz 1 der Pauschalreise-Richtlinie prognostizieren können, dass erhebliche Beeinträchtigungen am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe am Abreisetag oder zum Zeitpunkt der Reise vorliegen werden?

3. Muss der Rücktritt zeitnah vor der Reise stattfinden oder kann er jedenfalls dann jederzeit zwischen dem Zeitpunkt der Reisebuchung und dem Reiseantritt erklärt werden, wenn für die Möglichkeit des Eintritts des außergewöhnlichen Umstands im Rücktrittszeitpunkt nicht jegliche Anhaltspunkte gefehlt haben?

Gründe
I.

1 Den Vorlagefragen liegt ein Rechtsstreit zugrunde, der folgenden Sachverhalt betrifft:

2 Der Kläger buchte für sich und seine Ehefrau eine Pauschalreise nach Antalya, Türkei in der Zeit vom 3. Juni 2021 bis zum 16. Juni 2021 zu einem Preis von 2.108,00 Euro bei der Beklagten. Auf die Rechnung der Beklagten hin zahlte der Kläger einen Betrag in Höhe von 648,00 Euro an.

3 Mit Schreiben vom 10. März 2021 erklärte der Kläger seinen Rücktritt von der gebuchten Pauschalreise und dem Reisevertrag und verlangte Rückerstattung der angezahlten 648,00 Euro. Den Rücktritt begründete der Kläger mit Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes, die zum Zeitpunkt des Rücktritts bestanden. Zum vorgesehenen Reisedatum bestand keine Reisewarnung des Auswärtigen Amts mehr, jedoch war das Zielland der Reise weiter durch das gemäß § 2 Absatz 3 Nummer 1 des BGA-Nachfolgegesetzes in Deutschland für die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von übertragbaren und nicht übertragbaren Krankheiten zuständige Robert-Koch-Institut als Risikogebiet eingestuft.

4 Der Kläger hat vor dem vorlegenden Amtsgericht Düsseldorf als erstinstanzlichem Gericht Klage erhoben gegen die Beklagte auf Zahlung von 648,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank hieraus seit dem 10. April 2021 sowie darüber hinaus Zahlung, hilfsweise Freistellung, von den vorgerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung durch seinen Prozessbevollmächtigten in Höhe von 159,94 Euro.

5 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Aufrechnung erklärt mit ihrem Entschädigungsanspruch wegen des Reiserücktritts aus § 651h Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Zeitpunkt des Rücktritts 25% des Reisepreises beträgt und damit die Klageforderung übersteigt. Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte dürfe trotz des Rücktritts keine Entschädigung verlangen, weil am Bestimmungsort der Reise unvermeidbare außergewöhnliche Umstände im Sinne des § 651h Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorgelegen hätten, nämlich eine besondere Gesundheitsgefährdung durch die Folgen der Covid19-Pandemie.

6 § 651h des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der auch Artikel 12 der Pauschalreise-Richtlinie umgesetzt hat und zum 1. Juli 2018 in Kraft getreten ist, lautet in den Absätzen 1 bis 3 wie folgt:

7 „(1) Vor Reisebeginn kann der Reisende jederzeit vom Vertrag zurücktreten. Tritt der Reisende vom Vertrag zurück, verliert der Reiseveranstalter den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Der Reiseveranstalter kann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen.

8 (2) Im Vertrag können, auch durch vorformulierte Vertragsbedingungen, angemessene Entschädigungspauschalen festgelegt werden, die sich nach Folgendem bemessen:

9 1.Zeitraum zwischen der Rücktrittserklärung und dem Reisebeginn,

10 2.zu erwartende Ersparnis von Aufwendungen des Reiseveranstalters und

11 3.zu erwartender Erwerb durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen.

12 Werden im Vertrag keine Entschädigungspauschalen festgelegt, bestimmt sich die Höhe der Entschädigung nach dem Reisepreis abzüglich des Werts der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie abzüglich dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwirbt. Der Reiseveranstalter ist auf Verlangen des Reisenden verpflichtet, die Höhe der Entschädigung zu begründen.

13 (3) Abweichend von Absatz 1 Satz 3 kann der Reiseveranstalter keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Umstände sind unvermeidbar und außergewöhnlich im Sinne dieses Untertitels, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären.“

II.

14 Für die Entscheidung des Rechtsstreits grundlegend ist, welche Anforderungen Artikel 12 Absatz 2 der Pauschalreise-Richtlinie bei einer weltweiten Pandemie an den unvermeidbaren außergewöhnlichen Umstand stellt und ob er eine Auslegung des § 651h Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dahingehend gebietet, dass ein Rücktritt ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr stets möglich ist, wenn im Reisezeitpunkt unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände im Sinne des Artikel 12 Absatz 2 Satz 1 der Pauschalreise-Richtlinie vorgelegen haben und zwar unabhängig davon, ob deren Vorliegen im Rücktrittszeitpunkt prognostizierbar war und welcher Zeitraum zwischen Rücktritt und Reisezeitpunkt liegt. Das vorlegende Gericht neigt dieser Ansicht entgegen der bislang herrschenden Auffassung in der nationalen Rechtsprechung zu.

1.

15 Die an einen unvermeidbaren außergewöhnlichen Umstand zu stellenden Anforderungen gemäß §651h Absatz 3 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und Artikel 12 Absatz 2 Satz 1 der Pauschalreise-Richtlinie liegen zum Zeitpunkt der geplanten Reise nach Auffassung des vorlegenden Gerichts vor, weil ein gegenüber dem Heimatort signifikant gesteigertes Erkrankungsrisiko im geplanten Reisezeitpunkt vorlag und dies für die Annahme außergewöhnlicher Umstände hinreichend ist. Eine erhebliche Beeinträchtigung liegt nach nationaler Auslegung insbesondere dann vor, wenn die persönliche Sicherheit des Reisenden betroffen ist. Eine weltweite Pandemie, welche die Gesundheit der Menschen bedroht, fällt nur unter den Begriff des außergewöhnlichen Umstandes, wenn die Gefahr zu erkranken am Zielort und an Orten, die durchquert werden müssen signifikant höher ist als am Heimatort (BeckOK BGB/Geib, § 651h Rn. 17; Führich NJW 2020, 2137 (2138)).

16 Im Zeitraum, in dem die Reise hätte stattfinden sollen, lag die durchschnittliche 7-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner im Bundesland Hessen, in welchem der Wohnsitz und gewöhnliche Aufenthaltsort des Klägers belegen ist, bei 25,4. Dabei ergibt sich dieser Wert aus einer stetig fallenden Inzidenz zwischen 41 und 16 (Quelle: Robert-Koch-Institut). Im gleichen Zeitraum lag die durchschnittliche 7-Tage-Inzidenz in der Türkei bei einem Wert von 53,1, wobei auch dieser sich ergibt aus einer insgesamt fallenden Inzidenz zwischen 61,2 und 49,6 (Quelle: https://www.coronainzahlen.de/weltweit/türkei/). Somit lag der Inzidenzwert im Reisegebiet des Klägers um knapp 30 registrierte SARS-CoV2-Infizierte pro 100 000 Einwohner in den vergangenen 7 Tagen höher als in dessen Heimatort. Dies bedeutet mehr als eine Verdopplung der Inzidenz im Vergleich zum Heimatort des Klägers. Zugleich führte das deutsche Robert-Koch-Institut die Türkei im Reisezeitpunkt als Risikogebiet, weil die 7-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner weiter im Durschnitt über dem Wert von 50 lag. Das Auswärtige Amt führte daher zum Reisezeitpunkt hinsichtlich der Türkei aus:

17 „Die Ausbreitung von COVID-19 führt weiterhin zu Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr und Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens. Vor nicht notwendigen, touristischen Reisen in die gesamte Türkei wird gewarnt. […]

18 Die Türkei ist von COVID-19 stark betroffen. Die gesamte Türkei ist als Risikogebiet eingestuft.“

19 Bei einer solchen Reisewarnung handelt es sich laut eigener Aussage des Auswärtigen Amtes zwar nicht um ein Reiseverbot, allerdings stellt diese einen dringenden Appell dar, entsprechende Reisen nicht zu unternehmen. Eine gegenüber dem Heimatland höherer Gefährdungslage und damit ein unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand ist gegeben. Dem Reisenden ist es nach Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht zumutbar eine Reise in ein Zielgebiet durchzuführen, das nach der national hierfür zuständigen Behörde als Risikogebiet für eine schwere Erkrankung eingestuft ist, während zugleich am Heimatort die Voraussetzungen für diese Einstufung nicht vorgelegen haben.

2.

20 Dem Kläger war es jedoch im Zeitpunkt seiner Rücktrittserklärung noch nicht möglich prognostizieren zu können, dass ein zu einem entschädigungsfreien Reiserücktritt führender außergewöhnlicher Umstand im Reisezeitpunkt vorliegen wird. Im Zeitpunkt des Reiserücktritts durch den Kläger lagen die 7-Tage-Inzidenzen in ganz Deutschland bei 65, in Hessen bei 69 und in der Türkei bei rund 100. Der Rücktrittszeitpunkt lag im März, die Reise war für den Juni angesetzt. Erfahrungsgemäß war angesichts der wärmeren Witterung ein Rückgang der Inzidenz zu erwarten, der auch – wie oben dargestellt – tatsächlich eingetreten ist, jedoch im Vergleich zum Heimatland nicht in einem solchen Umfang, dass die Einstufung als Risikogebiet und damit das gegenüber dem Heimatland gesteigerte Risiko nicht mehr bestanden hätte.

21 Die Erheblichkeitsschwelle der Beeinträchtigung im Sinne des § 651 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist nach dem Bundesgerichtshof erst dann erreicht, wenn bei der Rücktrittserklärung unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt der Anreise beziehungsweise während der Reise mit den Gesundheitsrisiken zu rechnen sei. Es müsse dabei aus Sicht des Reisenden nicht überwiegend wahrscheinlich sein, dass sich das Risiko verwirklicht, sondern es genüge eine „erhebliche Wahrscheinlichkeit“ von 25 % (MüKoBGB/Tonner, § 651h Rn. 44; Führich: NJW 2020, 2137 (2138); BGH NJW 2002, 3700). Es bedürfe also einer Prognoseentscheidung des Reisenden. Ist im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Reisenden allerdings nicht zu mindestens 25% wahrscheinlich, dass das Risiko einer erheblichen Beeinträchtigung am Urlaubsort vorliegen wird, ist es irrelevant, ob sich dieses Risiko während der Reisezeit später tatsächlich verwirklicht. Es wird insofern lediglich auf den Zeitpunkt des Rücktritts abgestellt, sodass der Reisende entschädigungspflichtig bleibt (Führich: NJW 2020, 2137 (2139); MüKoBGB/Tonner, § 651h Rn. 42). Eine Rücktrittsfrist gibt es nicht. Vor dem Hintergrund der Prognoseentscheidung, für die es deutlich vor dem Reisezeitpunkt regelmäßig an verlässlichen Anknüpfungskriterien fehlt, hat sich daher eine Faustregel von höchstens vier Wochen vor Reisebeginn etabliert (Führich: NJW 2020, 2137 (2139); AG Düsseldorf, Urteil v. 08.02.2021 – 37 C 471/20; AG Hannover, Urteil v. 23.04.2021 – 539 C 12352/20), wobei auch bereits eine Rücktrittserklärung sechs Wochen vor Reisebeginn als noch zeitnah vor der Reise bewertet wurde (AG Aschaffenburg, Urteil v. 18.01.2021 – 126 C 1267/20). Da eine sachlich begründete Prognoseentscheidung im Rücktrittszeitpunkt knapp drei Monate vor Reisebeginn mangels Kenntnis über die weitere Entwicklung der Pandemie unmöglich war, wäre auf Basis dieser Auslegung des §651h Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Klage abzuweisen, da die Beklagte mit ihrer Gegenforderung auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung für den Rücktritt vom Reisevertrag aufrechnen könnte.

III.

22 Das entscheidende Gericht hat Zweifel, ob die nationale Auslegung des § 651h Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs hinsichtlich der geforderten Prognosemöglichkeit und der hieraus gefolgerten Rücktrittsfrist mit Europarecht vereinbar ist. Artikel 12 Absatz 2 der Pauschalreise-Richtlinie lässt den gebührenfreien Reiserücktritt zu, „wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.“

23 Aus dem Wortlaut der Norm ist nicht ersichtlich, dass die Möglichkeit der Prognose des Bestehens des außergewöhnlichen Umstands im Rücktrittszeitpunkt gegeben sein muss. Insbesondere ist dies auch nicht aus Erwägungsgrund 31 zur Pauschalreise-Richtlinie zu ersehen. Die Richtlinie kann insoweit nur so verstanden werden, als dass für die Entscheidung über erhebliche Beeinträchtigungen die tatsächliche Lage im Zeitpunkt des Reiseantritts, beziehungsweise während der Reise entscheidend ist. Im ersten Satz des Erwägungsgrundes 31 zur Pauschalreise-Richtlinie heißt es, dass Reisende „jederzeit“ vor Beginn der Pauschalreise vom Vertrag zurücktreten können. Diese Formulierung greift der Erwägungsgrund in seinem zweiten Satz zwar nicht mehr auf, jedoch kann durch die systematische Stellung der beiden Sätze in demselben Erwägungsgrund darauf geschlossen werden, dass die Formulierung auch auf den zweiten Satz Anwendung finden soll. Zudem nimmt Artikel 12 Absatz 2 Pauschalreise-Richtlinie Bezug auf Absatz 1, der die Rücktrittsmöglichkeit samt Entschädigungsleistung normiert. Die Norm könnte dabei dem Wortlaut nach so interpretiert werden, dass der gesamte Absatz 1 außer Betracht zu lassen sei, also auch die Regelung des „jederzeitigen“ Rücktritts. Allerdings besteht der Sinn und Zweck von Artikel 12 Absatz 2 der Pauschalreise-Richtlinie gerade darin eine Ausnahme zu Absatz 1 bezüglich der Entschädigungspflicht des Reisenden zu normieren. Hierin darüber hinaus auch eine Prognosemöglichkeit oder eine Rücktrittsfrist zu lesen, würde diesem Sinn und Zweck widersprechen.

24 Der Bundesgerichtshof folgert seine Normen-Auslegung zur Begründung einer Prognosemöglichkeit des Reisenden im Rücktrittszeitpunkt aus seinen vorausgegangenen Feststellungen zu § 651j Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung, der eine Kündigungsmöglichkeit normierte, wenn die Reise infolge nicht voraussehbarer höherer Gewalt erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt wird. In seiner Hurrikan-Entscheidung (BGH X ZR 147/01) entschied der Bundesgerichtshof zu § 651j Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, es müsse im Rücktrittszeitpunkt mit einer „erheblichen Wahrscheinlichkeit“ vom Eintritt des Reiserisikos ausgegangen werden können. Die frühere Regelung des § 651j des Bürgerlichen Gesetzbuchs findet sich jetzt in §651h des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Darüber hinaus ging mit der Normierung des neuen § 651h des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Umsetzung der Pauschalreise-Richtlinie einher (siehe Bundestagsdrucksache 18/10822). Der insoweit umgesetzte Artikel 12 Absatz 2 der Pauschalreise-Richtlinie enthält – anders als § 651j Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung – keinen Verweis auf eine „Gefährdung“ der Pauschalreise oder des Reisenden. Eine Gefährdung ist gegeben, wenn eine Sachlage bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen Schaden herbeiführen kann. Insofern kann sich eine Gefahr der Definition nach gerade ausschließlich aus einer Prognose ergeben. Anders als eine Gefährdung allerdings muss eine erhebliche Beeinträchtigung am Reiseort gerade nicht prognostiziert werden. Diese kann sich nur nach tatsächlichen Umständen bemessen. Eine Prognose des Reisenden oder eine zeitliche Nähe zum Reisezeitpunkt zu verlangen, widerspricht daher nach hiesiger Auffassung dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck von Artikel 12 Absatz 2 der Pauschalreise-Richtlinie (so auch Landgericht Frankfurt, Urteil vom 10. August 2021, 24 S 31/21, BeckRS 2021, 23370). Eine Beschränkung der gebührenfreien Rücktrittsmöglichkeit erscheint unter Wahrung eines angemessenen Verbraucherschutzstandards nach hier vertretener Auffassung aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nur dann geboten, wenn der Eintritt der außergewöhnlichen Umstände im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung vollkommen unvorhersehbar war, also zum geplanten Reisezeitpunkt ein zufälliges Ereignis eingetreten ist, für dessen möglichen Eintritt im Zeitpunkt des Rücktritts keinerlei Anhaltspunkte bestanden. Das ist aber nicht der Fall, wenn der außergewöhnliche Umstand in der Ausbreitung einer Pandemie am Reiseziel liegt, deren weltweite Ausbreitung im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bereits bekannt war.

IV.

25 Vom Gerichtshof ist bislang nicht geklärt worden, welche Voraussetzungen an den unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Artikel 12 Absatz 2 Satz 1 der Pauschalreise-Richtlinie bei einer weltweiten Pandemie zu stellen sind, ob eine Prognoseentscheidung des Reisenden im Zeitpunkt des Reiserücktritts gefordert werden darf und ob in welchem Umfang nach dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben eine Höchstfrist zwischen dem Zeitpunkt des Rücktritts und dem Beginn der Reise zu verlangen ist.

26 Wegen der Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (Artikel 267 AEUV) war der Rechtsstreit gemäß § 148 der Zivilprozessordnung auszusetzen.

Düsseldorf, 08.12.2021

Amtsgericht

Richter am Amtsgericht

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