AG Meiningen, Beschluss vom 27.05.2021 – 14 C 568/20

Februar 24, 2022

AG Meiningen, Beschluss vom 27.05.2021 – 14 C 568/20

Das Nichtgestatten einer Ausnahme vom Verhüllungsverbot des § 176 Abs. 2 GVG rechtfertigt für sich genommen nicht die Besorgnis der Befangenheit.

Tenor
Der Antrag der Beklagten, den Richter am Amtsgericht … wegen Befangenheit vom Verfahren zu entbinden, wird zurückgewiesen.

Gründe
A Die Parteien streiten um restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall. Mit Schriftsatz vom 18.05.2021 lehnten die Beklagten den zur Entscheidung berufenen Richter am Amtsgericht … wegen Besorgnis der Befangenheit ab. In den Verhandlungen am 12.05.2021 in diesem und einem weiteren Rechtsstreit (14 C 492/19), in dem der Prozessbevollmächtigte der Beklagten ebenfalls Parteivertreter sei, habe der abgelehnte Richter alle am Verfahren beteiligten Personen aufgefordert, die Masken abzunehmen, dabei auf die Regelung des § 176 GVG hingewiesen und dass dieser auch für Rechtsanwälte gelte. Der Beklagtenvertreter habe daraufhin ausgeführt, dass er aus medizinischen Gründen seine FFP2-Maske aufbehalten wolle. Daraufhin habe der abgelehnte Richter den Verhandlungstermin aufgehoben.

Dies begründe eine Befangenheit des Richters. So sei ein Richter zu unvoreingenommener und neutraler Amtsführung verpflichtet. Dies verlange auch eine strenge Sachlichkeit. Hieran bestünden jedoch aufgrund des dargelegten Sachverhalts erhebliche Zweifel, denn es stelle eine willkürliche Benachteiligung dar, wenn die Partei bzw. deren Prozessbevollmächtigter „ohne rechtliche Grundlage zum Nichttragen einer FFP-2 Maske aufgefordert werde“. Schon der Gesundheitsschutz rechtfertige es, dass in einem Raum befindliche Personen medizinische Masken tragen.

Der Zweck der vom abgelehnten Richter zitierten Vorschrift des § 176 GVG sei die Wahrung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Personen die ihr Gesicht verhüllen wollten und sich dabei insbesondere auf medizinische Gründe berufen würden, sei dies zu gestatten. Dies folge auch aus § 176 Abs. 2 S. 2 GVG wonach der Vorsitzende Ausnahmen gestatten könne, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig sei. Dies sei bei einem Rechtsanwalt der Fall.

Unabhängig davon sei schon in der Ladung zum Verhandlungstermin darauf hingewiesen worden, dass im Justizzentrum Meiningen ein medizinischer Mund-Nasen-Schutz zu tragen sei was auch am Eingang des Gerichtsgebäudes nochmals deutlich durch ein Plakat zum Ausdruck gebracht werde.

Ein Richter müsse seiner besonderen Vertrauensstellung gerecht werden. Hieran fehle es, wenn der Vorsitzende „die Verfahrensbeteiligten zu einer Ordnungswidrigkeit anstiften“ wolle. Mit seinem Handeln habe der abgelehnte Richter nämlich „das Begehen einer Ordnungswidrigkeit“ verlangt. Nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 der Thüringer Verordnung zur Regelung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen und schrittweisen weiteren Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 sei das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in allen geschlossenen Räumen, die öffentlich zugänglich sein oder bei denen Publikumsverkehr bestehe, vorgeschrieben. Nach § 40 Abs. 3 Nr. 4 der Verordnung sei das Nichttragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in allen geschlossenen Räumen, die öffentlich zugänglich seien oder bei denen Publikumsverkehr bestehe, ordnungswidrig.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 18.05.2021 Bezug genommen.

B Der Befangenheitsantrag war zurückzuweisen.

I. Nach § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Entscheidend ist, ob von dem Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung genügend objektive Gründe vorliegen, die die Befürchtung wecken könnten, der Richter stehe dem Rechtsstreit nicht mehr unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH, NJW 1995, 1677; BGH, NJW-RR 03, 1220; PG/Mannebeck, ZPO, 5. Aufl., § 42, Rn. 5 m.w.N.). Dies ist dann der Fall, wenn aus der Sicht einer Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Nicht erforderlich ist dagegen, dass tatsächlich eine Befangenheit vorliegt. Vielmehr genügt es, dass die aufgezeigten Umstände geeignet sind, der betroffenen Partei Anlass zu begründeten Zweifeln an der Unvoreingenommenheit und Objektivität des Richters zu geben. Dabei kommen aber nur objektive Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit des abgelehnten Richters aufkommen lassen, während rein subjektive Vorstellungen oder Gedankengänge des Ablehnenden als Ablehnungsgründe ausscheiden (BGH, Beschluss vom 25.08.2020 – VIII ARZ 2/20 -, BGHZ 226, 350-365, juris).

Aus § 44 Abs. 2 ZPO ergibt sich, dass es zur Zulässigkeit eines Ablehnungsgesuchs gehört, dass der Ablehnende konkrete Tatsachen substantiiert bezeichnet, aus denen sich seiner Meinung nach die Befangenheit ergeben soll. Ohne Angabe dieser Tatsachen liegt kein zulässiges Ablehnungsgesuch vor. Die Begründung eines Ablehnungsgesuchs muss – jedenfalls in ihrem wesentlichen Kern – sofort abgegeben werden und kann nicht nachgereicht werden. Zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen und wegen der Folgen für den Fortgang des Verfahrens (§ 47 ZPO) ist eine sofortige Begründung des Ablehnungsgesuchs erforderlich, denn nur ein substantiiertes Ablehnungsgesuch kann nach § 44 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht werden (OLG Köln, FamRZ 1996, 1150 = NJW-RR 1996, 1339 = OLGR Köln 1997, 15; BFH/NV 2001, 48 jeweils m.w.N. – jeweils zitiert nach juris -). Diese Glaubhaftmachung nach § 44 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist Zulässigkeitsvoraussetzung für den Antrag (PG/Mannebeck, ZPO, 5. Aufl., § 44, Rn. 1). Sie erfolgt mit den Mitteln des § 294 ZPO, mit Ausnahme der Versicherung an Eides statt durch die ablehnende Partei, die nach § 44 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen ist. Der durch Letzteres gegebene Nachteil wird nach § 44 Abs. 2, S. 2 ZPO durch die Möglichkeit der Bezugnahme auf das Zeugnis des Richters ausgeglichen. Gemeint ist hiermit die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters nach § 44 Abs. 3 ZPO (PG/Mannebeck, ZPO, 5. Aufl., § 44, Rn. 5 m.w.N.).

II. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Ablehnungsgesuch bereits unzulässig.

Der Sachverhalt, der die Befangenheit begründen soll, wird im Wesentlichen mit der eidesstattlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten glaubhaft gemacht. Zwar ist diese eidesstattliche Versicherung des Prozessvertreters der Partei nach § 44 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO als Mittel der Glaubhaftmachung möglich, weil danach nur die eigene eidesstattliche Versicherung der Partei, nicht aber diejenige ihres Prozessbevollmächtigten als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen ist (BeckOK ZPO/Vossler, § 44, Rn. 12, 13). Die angegebene eidesstattliche Versicherung war dem Antrag jedoch nicht beigefügt. Bei einem von einem Rechtsanwalt eingereichten Ablehnungsgesuch kann bei fehlender Glaubhaftmachung der Ablehnungsgründe auch nicht unterstellt werden, dass stillschweigend auf das Zeugnis des abgelehnten Richters Bezug genommen werden sollte (OLG Frankfurt, NJW 1977, 767 = OLGZ 1977, 24 – zitiert nach juris -; PG/Mannebeck, ZPO, 5. Aufl., § 44, Rn. 5).

III. Auf die fehlende Glaubhaftmachung waren die anwaltlich vertretenen Beklagten grundsätzlich weder hinzuweisen, noch war diese nachzufordern (Bork in Stein/Jonas/ ZPO, 22. Aufl. § 44, Rn. 8; OLG Köln, Beschluss vom 18.04.1996 – 14 WF 66/96 -, juris). Dies kann jedoch insofern dahingestellt bleiben, als das Ablehnungsgesuch schon nach dem Vortrag der Beklagten jedenfalls auch unbegründet ist.

1. Schon die Behauptung der Beklagten, der abgelehnte Richter habe dessen Prozessbevollmächtigten willkürlich benachteiligt, indem er diesen „ohne rechtliche Grundlage zum Nichttragen einer FFP2-Maske aufgefordert“ habe, was auch im vorliegenden Prozess zu erwarten sei, ist rechtlich nicht nachvollziehbar.

a) Nach dem erst Ende 2019 geschaffenen § 176 Abs. 2 S. 1 GVG dürfen an der Verhandlung beteiligte Personen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen. Es handelt sich hierbei um eine gesetzliche Verbotsregelung, die sich an alle an der Verhandlung beteiligten Personen richtet, auch an Prozessvertreter (Kissel/Mayer/Mayer, 10. Aufl. 2021, GVG § 176, Rn. 51 BeckOK GVG/Allgayer, § 176, Rn. 18; Heuser/Bockemühl, KriPoZ 2020, 343 Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19 – Corona-Gesetzgebung – Gesundheit und Soziales, 1. Aufl. 2020, § 20 Verfahrensrecht, Rn. 65, 66; Burhoff, ZAP 2020, 213) und umfasst in zeitlicher Hinsicht die gesamte Dauer der gerichtlichen Verhandlung im Sinne von § 169 GVG (BeckOK GVG/Allgayer, § 176, Rn. 18; Burhoff, ZAP 2020, 213).

Nach dem Willen des Gesetzgebers gilt diese Verbotsregelung für sämtliche Formen der Gesichtsverhüllung, unabhängig davon, wie diese motiviert ist (vgl. BT-Drs. 19/14747, S. 43; Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19 – Corona-Gesetzgebung – Gesundheit und Soziales, 1. Aufl. 2020, § 20 Verfahrensrecht, Rn. 66; Burhoff, ZAP 2020, 212). Mit Gesichtsverhüllung ist die Verwendung von Textilien und anderen Gegenständen gemeint, die dazu dienen, das Gesicht oder Teile desselben zu verdecken. Dazu gehören schon ausweislich der Gesetzesmaterialien auch Masken oder medizinische Verbände (vgl. BT-Drs. 19/14747, S. 43; BR-Drs. 408/18, S. 4; Burhoff, ZAP 2020,213), so dass auch das Tragen von Atemschutzmasken bzw. medizinischen Masken nach § 176 Abs. 2 S. 1 GVG grundsätzlich verboten ist (auf der Heiden, NJW 2020, 1023; Heuser/Bockemühl, KriPoZ 2020, 344; Deuring, GVRZ 2020, 22 – Rn. 56).

Es ist grundsätzlich auch die Aufgabe des Vorsitzenden, gegebenenfalls unter Androhung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel (§§ 177, 178 GVG) auf die Einhaltung des gesetzlichen Verbots hinzuwirken (BeckOK GVG/Allgayer, § 176, Rn. 18a, 21; Kissel/Mayer/Mayer, 10. Aufl., GVG § 176, Rn. 54; Burhoff, ZAP 2020, 214). Hierauf hat bereits der Gesetzgeber ausdrücklich hingewiesen (BT-Drs. 19/14747, 43; ebenso BR-Drs. 408/18, S. 4).

b) Nach § 176 Abs. 2 S. 2 GVG steht das vorgenannte Verbot jedoch unter einem Erlaubnisvorbehalt. Die Regelung ist aber schon nach ihrem Wortlaut als Ausnahmeregelung konzipiert (OLG Celle, Beschluss vom 15.04.2021 – 3 Ws 91/21 = BeckRS 2021, 8318). Danach kann der Vorsitzende Ausnahmen vom generellen Verbot der Gesichtsverhüllung gestatten. Über solche einzelfallbezogenen Ausnahmen hat der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (Kissel/Mayer/Mayer, 10. Aufl. 2021, GVG § 176, Rn. 54; Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19 – Corona-Gesetzgebung – Gesundheit und Soziales, 1. Aufl. 2020, § 20 Verfahrensrecht, Rn. 67) und zwar alleine auf Grundlage des § 176 Abs. 2 S. 2 GVG (so auch Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19 – Corona-Gesetzgebung – Gesundheit und Soziales, 1. Aufl. 2020, § 20 Verfahrensrecht, Rn. 65), da es sich bei der Regelung des § 176 Abs. 2 GVG um eine Spezialvorschrift handelt, mit der die Frage der Gesichtsverhüllung – wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt – gleich aus welchen Gründen vollständig und abschließend geregelt ist und somit die Generalklausel des § 176 Abs. 1 GVG nach der grundlegenden juristischen Auslegungsregel „lex specialis vor lex generalis“ verdrängt.

Fordert ein Richter zum Ablegen der Gesichtsbedeckung auf, dann hat er auch ohne ausdrücklichen Antrag eines Beteiligten zu prüfen, ob eine Befreiung nach § 176 Abs. 2 S. 2 GVG in Betracht kommt, wenn sich diese Prüfung aufdrängt (BT-Drs. 19/14747, 43; Burhoff, ZAP 2020, 214).

Nach dem Vortrag der Beklagten hat der abgelehnte Richter zum Ablegen der Masken aufgefordert und ist bei dieser Entscheidung auch geblieben, nachdem der Prozessbevollmächtigte der Beklagten angegeben hat, die Maske aus „medizinischen Gründen“ weiterhin tragen zu wollen. Er hat damit eine Ermessensentscheidung innerhalb der ihm vom Gesetz eingeräumten Befugnisse getroffen.

c) Ob die vom abgelehnten Richter getroffene Ermessensentscheidung fehlerhaft war, wie die Beklagten meinen, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, denn dies ist für die Frage der Befangenheit grundsätzlich unbeachtlich.

Die Befangenheitsablehnung ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung kein Instrument zur Fehler- und Verfahrenskontrolle (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 08.01.2013, 3 W 146/12 – zitiert nach juris -; Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Aufl., § 42, Rn. 28 m.w.N.). Verfahrensverstöße sind deshalb grundsätzlich auch kein Ablehnungsgrund (BGH, NJW-RR 2012, 61 = MDR 2012, 49 = JurBüro 2012, 221). Die Art und Weise der Verfahrensführung des Richters kann – als dem Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit zugeordnet – grundsätzlich nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen. Im Ablehnungsverfahren geht es allein um die Parteilichkeit des Richters und nicht um die Richtigkeit seiner Handlungen und Entscheidungen. Über die Richtigkeit von Verfahrensweisen eines Richters ist nicht im Ablehnungsverfahren, sondern in einem etwaigen Rechtsmittelverfahren zu entscheiden (OLG Stuttgart, IBR 2012, 305; KG Berlin, KGR 2000, 310). Nichts anderes gilt für den richterlichen Hinweis bzgl. der Regelungen des § 176 GVG in der Ladungsverfügung.

2. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Vorgehen des abgelehnten Richters so grob fehlerhaft ist, dass sich auch bei einer verständig urteilenden Partei der Anschein der Voreingenommenheit des Richters geradezu aufdrängen muss. Dies ist der Fall, wenn der Richter die seiner richterlichen Tätigkeit auch verfassungsrechtlich gesetzten Schranken so grob missachtet, dass dies den Anschein von Willkür erweckt und sich für die Beteiligten der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung geradezu aufdrängen muss. Dabei kann von Willkür nur dann ausgegangen werden, wenn das Vorgehen des Richters offensichtlich unvertretbar und unhaltbar ist und sich von dem normalerweise geübten Verfahren so weit entfernt und so grob fehlerhaft ist, dass es schlechterdings nicht mehr verständlich erscheint (OLG Saarbrücken, OLGR 2008, 355; KG Berlin, KGR 2005, 291; OLG Stuttgart, IBR 2012, 305; PG/Mannebeck, ZPO, 5. Aufl., Rn. 32 m.w.N). Eine solche enge Ausnahme liegt nach der Begründung des Befangenheitsantrages jedoch nicht vor.

a) Schon die mehrfache Behauptung der Beklagten, der abgelehnte Richter habe mit seiner Entscheidung zu einer „Ordnungswidrigkeit angestiftet“ ist rechtlich nicht nachvollziehbar.

Richtig ist, dass nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 der Thüringer Verordnung zur Regelung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen und schrittweisen weiteren Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (in Kraft seit 01.04.2021) das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in allen geschlossenen Räumen, die öffentlich zugänglich sind oder bei denen Publikumsverkehr besteht, vorgeschrieben ist. Richtig ist auch, dass nach § 40 Abs. 3 Nr. 4 dieser Verordnung das Nichttragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in allen geschlossenen Räumen, die öffentlich zugänglich sind oder bei denen Publikumsverkehr besteht, ordnungswidrig ist.

Beides gilt aber nicht für gerichtliche Verhandlungen. Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Sinne der vorgenannten Verordnung ist – wie ausgeführt – eine besondere Form der Gesichtsverhüllung, die mit der sitzungspolizeilichen Sonderregelung des § 176 Abs. 2 GVG für die Gerichtsverhandlung umfassend und abschließend bundesgesetzlich geregelt ist. In diese bundesrechtliche Regelung kann der Landesgesetzgeber nach Art. 31 GG weder entgegenstehend regelnd, noch sanktionierend eingreifen.

Das hat der Thüringer Verordnungsgeber auch gesehen und in § 42 Abs. 2 der Thüringer Verordnung zur Regelung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen und schrittweisen weiteren Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 ausdrücklich klargestellt, dass die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 des Grundgesetzes und Art. 86 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Thüringen einschließlich der verfahrensleitenden und sitzungspolizeilichen Befugnisse der Richter unberührt bleiben, insbesondere soweit Richter die Art und Weise des Infektionsschutzes bei richterlichen Amtshandlungen innerhalb und außerhalb der Gerichte im Einzelnen ausgestalten. Im Gerichtssaal ist der Vorsitzende Richter für das jeweilige Verfahren, funktional betrachtet, das „justizeigene Gesundheitsamt“ und agiert sitzungspolizeilich im Rahmen der prozessrechtlich und durch § 176 GVG ausgeformten Verfahrensleitungsbefugnis (so Kersten/Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, 2. Aufl. 2021, Kap. IX Ziff. 3).

b) Weil es sich bei § 176 Abs. 2 GVG rechtsdogmatisch um ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt handelt, muss ein Verfahrensbeteiligter, für den das gesetzliche Verbot des § 176 Abs. 2 Satz 1 GVG gilt, den Ausnahmetatbestand des § 176 Abs. 2 Satz 2 GVG begründen (Claus, NStZ 2020, 62).

Die Beklagten führen hier an, dass sich ihr Prozessbevollmächtigter bezüglich des Tragens einer Maske auf „medizinische bzw. gesundheitliche Gründe“ berufen habe, ohne dies näher darzulegen. Lediglich dem Hinweis auf die Thüringer Verordnung zur Regelung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen und schrittweisen weiteren Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-COV-2 ist zu entnehmen, dass es sich hier nicht um medizinische Gründe handelt, die in der Person des Prozessbevollmächtigten der Beklagten liegen, sondern um den allgemeinen Infektionsschutz hinsichtlich einer Ansteckung mit dem Corona-Virus.

Das Tragen einer Schutzmaske ist aber nicht die alleinige Möglichkeit eines solchen Infektionsschutzes. In Betracht kommen vielmehr auch die Einhaltung des vom Robert-Koch-Institut empfohlenen Abstandsgebots von mindestens 1,5 m zu anderen Personen, bauliche Vorkehrungen im Sitzungssaal wie z.B. das Aufstellen von Trennwänden, eine hinreichende Lüftung des Sitzungssaales oder die Wahl eines hinreichend großen Verhandlungssaales im Verhältnis zur Anzahl der Verfahrensbeteiligten (Vuia in Zehelein, COVID-19, Miete in Zeiten von Corona, 2. Aufl. 2021, § 11, Rn. 119, 119a; Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19 – Corona-Gesetzgebung – Gesundheit und Soziales, 1. Aufl. 2020, § 20 Verfahrensrecht, Rn. 63, 67; auch Bork, AnwBl 2021, 33). Ein Gestatten des Tragens einer Maske im Rahmen der nach § 176 Abs. 2 S. 2 GVG zu treffenden Einzelfallentscheidung ist danach nur dann zwingend, wenn dies die einzige Möglichkeit ist, den Infektionsschutz hinreichend zu gewährleisten (in diesem Sinne auch Vuia in Zehelein, COVID-19, Miete in Zeiten von Corona, 2. Aufl. 2021, § 11, Rn. 119a; vgl. hierzu auch Bork, AnwBl. 2021, 33, der empfiehlt, weder ein Verbot noch eine Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes durchzusetzen, weil nach „derzeitigem Erkenntnisstand …. die Einhaltung des Mindestabstandes in jedem Sitzungssaal zu realisieren“ sei).

Dass die Gegebenheiten zum Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Entscheidung des abgelehnten Richters dergestalt waren, dass dem Infektionsschutz der Verfahrensbeteiligten alleine durch das Tragen einer Maske hätte Rechnung getragen werden können und damit eine Ausnahme vom generellen Verbot des § 176 Abs. 2 S. 1 GVG vom abgelehnten Richter zwingend hätte gestattet werden müssen (Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19 – Corona-Gesetzgebung – Gesundheit und Soziales, 1. Aufl. 2020, § 20 Verfahrensrecht, Rn. 67), ist nicht ansatzweise vorgetragen.

c) Das in der Ladung zum Verhandlungstermin darauf hingewiesen wurde, dass im Justizzentrum Meiningen ein medizinischer Mund-Nasen-Schutz zu tragen ist, was auch am Eingang des Gerichtsgebäudes nochmals deutlich durch ein Plakat zum Ausdruck gebracht wird, ist entgegen der Auffassung der Beklagten kein widersprüchliches Verhalten des abgelehnten Richters, der in der mündlichen Verhandlung zum Ablegen der Masken aufgefordert hat. Abgesehen davon, dass aus vorgenannten Gründen zwischen der Gerichtsverhandlung als solchen und dem Weg dorthin durch ein öffentlich zugängliches Gerichtsgebäude zu unterscheiden ist, ist der abgelehnte Richter für die Anordnung des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes im Gerichtsgebäude und die Hinweise hierauf am Gerichtseingang auch nicht verantwortlich. Die Anordnung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Gerichtsgebäude außerhalb des Sitzungssaales beruht nämlich nicht auf der Sitzungsgewalt des Vorsitzenden, sondern auf dem Hausrecht der Gerichtsleitung (VGH München, Beschluss vom 20.01.2021 – 22 ZB 20.2051; 22 ZB 20.2087 = BeckRS 2021, 1703; VG München, Beschluss vom 22.03.2021 – M 30 E 21.1308 = BeckRS 2021,6321; siehe auch Kersten/Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, 2. Aufl. 2021, Kap. IX Ziff. 3).

IV. Die Einholung einer dienstlichen Erklärung des abgelehnten Richters (§ 44 Abs. 3 ZPO) war entbehrlich, weil das von den Beklagten beanstandete Verhalten aus den vorstehend genannten Gründen schon nicht geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (BGH, Beschluss vom 25.08.2020 – VIII ARZ 2/20 -, BGHZ 226, 350-365, juris).

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