LG Berlin 67 S 298/21

März 2, 2022

LG Berlin 67 S 298/21

1. Für den Mieter nicht erkenn- oder beherrschbare Pflichtverstöße seines Erfüllungsgehilfen mindern das Gewicht der ihm zugerechneten und zum Gegenstand einer ordentlichen Kündigung erhobenen Pflichtverletzung deutlich (hier: Zurechnung des Verhaltens einer Betreuerin mit dem Aufgabenkreis „Wohnungsangelegenheiten“).

2. Es geht kündigungsrechtlich zu Lasten des Vermieters, wenn er den Mieter ohne vorherige Zahlungsaufforderung durch den umgehenden Ausspruch einer Zahlungsverzugskündigung „ins Messer laufen lässt“, obwohl er erkennen musste, dass der Zahlungsrückstand nicht auf der Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit des Mieters beruht, sondern auf einem geringfügigen Versehen oder sonstigen von ihm nicht zu vertretenden Umständen.

3. Der Verzug des Mieters mit im Vertrauen auf die Verfassungsgemäßheit des MietenWoG Bln einbehaltenen Mietanteilen ist abhängig von den sonstigen Umständen des Einzelfalls geeignet, die Kündigung des Mietverhältnisses zu rechtfertigen. Dabei kommt der Pflichtverletzung des Mieters das für eine ordentliche Kündigung erforderliche Gewicht aber jedenfalls solange nicht zu, wie der Vermieter dem Mieter gegenüber nicht seine eigenen rechtlichen oder tatsächlichen Schlussfolgerungen aus der Entscheidung des BVerfG vom 25. März 2021 zur Verfassungswidrigkeit des MietenWoG Bln ausdrücklich oder zumindest konkludent – etwa durch den Ausspruch einer Zahlungsaufforderung oder Mahnung – kundgetan hat.

vorgehend AG Berlin-Mitte, 3. November 2021, 17 C 39/21, Urteil
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 3. November 2021 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte – 17 C 39/21 – wird auf ihre Kosten nach einem Wert von bis 8.000,00 € zurückgewiesen.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 10 % leistet.

Gründe
I.

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Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Räumung und Herausgabe einer Wohnung in Berlin-Moabit.

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Das Amtsgericht hat die Klage mit am 3. November 2021 verkündeten Urteil abgewiesen. Das streitgegenständliche Mietverhältnis sei weder durch die Kündigung vom 7. Januar 2021 noch durch die Kündigungen vom 22. April 2021 oder 24. Juni 2021 beendet worden. Wegen der Einzelheiten, insbesondere zum erstinstanzlichen Vorbringen und zu den im ersten Rechtszug gestellten Anträgen, wird auf das amtsgerichtliche Urteil (Bl. 125-134 d.A.) Bezug genommen.

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Gegen das ihr am 12. November 2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 3. Dezember 2021 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und die Berufung im selben Schriftsatz begründet.

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Die Klägerin rügt im Wesentlichen, das Amtsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Kündigung vom 7. Januar 2021 nicht zu einer Beendigung des Mietverhältnisses geführt habe. Die Beklagte müsse sich den Pflichtverstoß ihrer Betreuerin zurechnen lassen. Das Amtsgericht hätte zudem den Schriftsatz vom 9. April 2021, der eine schlüssig ausgesprochene Kündigung beinhalte, nicht berücksichtigt. Zudem sei auch die Kündigung vom 24. Juni 2021 wirksam. Es handele sich bei den verspäteten Zahlungen der Beklagten um keine lediglich unerhebliche Pflichtverletzung.

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Die Klägerin beantragt,

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unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung die Beklagte zu verurteilen, die Wohnräume im Haus X zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die Kammer hat die Klägerin mit Beschluss vom 21. Dezember 2021 darauf hingewiesen, dass die Zurückweisung der Berufung als offensichtlich unbegründet beabsichtigt sei.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien erst- und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

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Die Berufung war gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, da sie aus den Gründen des Hinweisbeschlusses der Kammer offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und auch die sonstigen Voraussetzungen für eine Zurückweisung im Beschlusswege vorliegen.

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Das Mietverhältnis ist durch streitgegenständlichen Kündigungen weder fristlos noch fristgerecht beendet worden ist. Hieran vermag auch die Stellungnahme der Klägerin vom 24. Januar 2022 nichts zu ändern.

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Die außerordentliche Kündigung vom 7. Januar 2021 wegen rückständiger Mieten für die Monate Dezember 2020 und Januar 2021 ist durch die Schonfristzahlung der Beklagten gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB geheilt worden. Das nimmt die Berufung unangefochten als zutreffend hin.

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Die Kündigung ist aber auch als ordentliche Kündigung unwirksam, da die Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht erfüllt sind.

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Die Beklagte hat zwar pflichtwidrig und schuldhaft gehandelt, indem sie vor Ausspruch der Kündigung die Mieten für Dezember 2020 und Januar 2021 nicht entrichtet hat. Ihr Verschulden entfällt nicht dadurch, dass der Zahlungsausfall ausschließlich auf ein Versehen ihrer für den Aufgabenbereich der „Wohnungsangelegenheiten“ bestellten Betreuerin zurückzuführen ist. Die Beklagte muss sich das Fehlverhalten ihrer Betreuerin gemäß § 278 BGB zurechnen lassen (vgl. BGH, Urt. v. 2. April 1987 – III ZR 149/85, BGHZ 100, 313, juris Tz. 18; Bienwald, in: Staudinger, BGB, Stand: 13. September 2018, § 1902 Rz. 121). Die Pflichtverletzung der Beklagten war jedoch nicht hinreichend erheblich i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB, um ein berechtigtes Interesse der Klägerin zur ordentlichen Beendigung des Mietverhältnisses zu begründen.

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Für die Beurteilung der Erheblichkeit der Pflichtverletzung sind im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen (st. Rspr., vgl. nur Kammer, Urt. v. 16. Juni 2016 – 67 S 125/16, NZM 2017, 361, juris Tz. 18; Urt. v. 13. Februar 2020 – 67 S 369/18, WuM 2020, 278, beckonline Tz. 29; Bieber, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 573 Rz. 63 m.w.N.). Aus diesem Grunde verbieten sich schematische Beurteilungen der Erheblichkeit einer dem Mieter zur Last zu legenden Zahlungspflichtverletzung selbst im hier gegebenen Falle der Verwirklichung eines zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden Zahlungsverzuges nach § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 13. Oktober 2021 – VIII ZR 91/20, NJW-RR 2022, 80, beckonline Tz. 82; Kammer, Urt. v. 16. Juni 2016, a.a.O., Tz. 16). Zu berücksichtigen sind bei einem wegen Zahlungsverzugs gekündigten Mieter – wie bei allen sonstigen verhaltensbedingten Pflichtverletzungen des Mieters auch – stets die beanstandungsfreie Dauer des bisherigen Vertragsverhältnisses, das Gewicht und die nachteiligen Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr, der dem Mieter zur Last zu legende Grad des Verschuldens, die besonderen persönlichen Umstände des Mieters und ein pflichtwidriges (Vor-)Verhalten des Vermieters (vgl. Kammer, Urt. v. 16. Juni 2016, a.a.O., m.w.N.).

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Gemessen an diesen Grundsätzen war die Pflichtverletzung der Beklagten nicht hinreichend erheblich. Zwar ist zu ihren Lasten der Kündigungsrückstand in Höhe von zwei vollen Monatsmieten und die abstrakte Wiederholungsgefahr einer weiteren Zahlungspflichtverletzung zu berücksichtigen. Dazu treten jedoch zu ihren Gunsten – und für die Gesamtabwägung wesentlich – der lediglich geringe Grad des Verschuldens, die besonderen persönlichen Umstände der Beklagten und der Umstand, dass die Beklagte nicht selbst pflichtwidrig gehandelt hat, sondern sich die schuldhafte Pflichtverletzung ihrer Betreuerin als Fremdverschulden gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muss:

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Der zur Begründung der Kündigung herangezogene Mietrückstand ist nicht auf ein Eigenverschulden der Beklagten, sondern allein auf das ihr zugerechnete – und zudem lediglich fahrlässige – Verhalten ihrer auch für „Wohnungsangelegenheiten“ bestellten Betreuerin zurückzuführen. Denn diese hatte im Dezember 2020 den Dauerauftrag für das stets gedeckte Konto der Beklagten gekündigt und die Klägerin zur Verringerung des auch im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des MietenWoG Bln gesteigerten Verwaltungsaufwandes bei der Kontrolle und Anpassung der zu überweisenden Mietzahlungen darum gebeten, die Mieten zukünftig im Lastschriftverfahren einzuziehen. Nachdem die Klägerin der Bitte zur Umstellung des Zahlungsverkehrs „aus technischen Gründen“ nicht entsprochen hatte, ist es der Betreuerin in der Folge bis zum Ausspruch der Kündigung am 7. Januar 2021 aus Gründen offensichtlicher Fahrlässigkeit nicht mehr gelungen, den zuvor gekündigten Dauerauftrag wieder rechtzeitig in Vollzug zu setzen. Die Beklagte hingegen durfte mangels gegenteiligen Anhalts berechtigt davon ausgehen, dass die Betreuerin ihrer im Aufgabenkreis „Wohnungsangelegenheiten“ übertragenen Pflichten zur rechtzeitigen Anweisung des Mietzinses vollständig und pünktlich nachkommt.

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Damit aber fällt der Beklagten kein persönliches Eigenverschulden, sondern lediglich ein gemäß § 278 BGB zugerechnetes Verschulden ihrer Erfüllungsgehilfin zur Last. Ein solches wiegt für den Mieter bei der Beurteilung der Erheblichkeit seiner Pflichtverletzung weit weniger schwer als eigenes Verschulden (vgl. Kammer, Urt. v. 3. Juli 2018 – 67 S 20/18, DWW 2018, 302, juris Tz. 19 m.w.N.; Bieber, a.a.O.). Diese Wertung entspricht dem allgemeinen kündigungsrechtlichen Grundsatz, dass für den Gekündigten nicht erkenn- oder beherrschbare Pflichtverstöße seines Erfüllungsgehilfen das Gewicht der ihm zugerechneten und zum Gegenstand der Kündigung erhobenen Pflichtverletzung deutlich mindern (st. Rspr., vgl. nur BAG, Urt. v. 14. Februar 1978 – 1 AZR 76/76, NJW 1979, 236, juris Tz. 33, Urt. v. 29. November 1983 – 1 AZR 469/82, NZA 1984, 34; juris Tz. 147; Urt. v. 26. März 2015 – 2 AZR 517/14, NJW 2016, 103, beckonline Tz. 42).

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Davon abgesehen würde die kündigungsrechtliche Gleichbehandlung eigener Pflichtverstöße des Mieters mit solchen ihm lediglich zugerechneter seiner Erfüllungsgehilfen zu unauflöslichen Wertungswidersprüchen mit der – wegen der Reichweite des § 278 BGB allerdings nicht zweifelsfreien – Rechtsprechung des VIII. Zivilsenates des BGH führen. Ausweislich derer scheidet eine ordentliche Zahlungsverzugskündigung bei einem vom Jobcenter zu verantwortenden Zahlungsrückstand gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB bereits mangels zurechenbaren Verschuldens behördlichen Handelns aus (vgl. BGH, Urt. v. 21. Oktober 2009 – VIII ZR 64/09, NJW 2009, 3781, beckonline Tz. 30). Es wäre aber mit dem im Bereich der grundlegenden menschlichen Wohn- und Lebenssituation umfassend zu gewährenden Grundrechtsschutz unvereinbar, einem Wohnraummieter die Pflichtverletzungen einer zur materiellen Grundsicherung angerufenen staatlichen Stellen kündigungsrechtlich überhaupt nicht anzulasten, während der Umstand, dass die Pflichtverletzung auf dem Fehlverhalten eines ausschließlich zur Fürsorge des Mieters und zu dessen Schutz vor den Gefahren des Rechtsverkehrs bestellten Betreuers beruht, im gesetzlichen Kündigungstatbestand noch nicht einmal bei der Beurteilung der Erheblichkeit Berücksichtigung finden könnte.

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Bereits davon ausgehend kam der Pflichtverletzung der Beklagten nicht das für die ordentliche Beendigung des Mietverhältnisses erforderliche Gewicht zu. Darüber hinaus hat sich auch die Klägerin pflichtwidrig verhalten, indem sie ihrer hier ausnahmsweise bestehenden Pflicht zu einem Hinweis an den Mieter auf den bestehenden Zahlungsrückstand vor Ausspruch der Kündigung zuwider gehandelt hat. Es entspricht aber einer aus dem Rücksichtnahmegebot des § 241 Abs. 2 BGB und den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) erwachsenen allgemeinen Vertragspflicht, seinen Vertragspartner auch während des Vertrages einen Hinweis zu erteilen, wenn eine von letzterem unerkannte erhebliche Beeinträchtigung der mit dem Vertrag verfolgten Interessen droht (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 17. Oktober 2006 – XI ZR 205/05, NJW 2007, 257, beckonline Tz. 14; Kähler, in: BeckOGK BGB, Stand: 1. August 2021, § 242 Rz. 732 m.w.N.). Ein Vermieter handelt deshalb – unbeschadet der sich ohnehin nur auf das Recht zur außerordentlichen Kündigung beziehenden Regelung des § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BGB – treuwidrig, wenn er den Mieter vor Ausspruch der ordentlichen Kündigung nicht abmahnt, obwohl sich ihm die Erkenntnis aufdrängen muss, dass der Zahlungsrückstand nicht auf der Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit des Mieters beruht, sondern auf einem geringfügigen Versehen oder sonstigen von ihm nicht zu vertretenden Umständen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil v. 25. März 2004 – 10 U 109/03, DWW 2004, 190, juris Tz. 18; OLG Hamm, Urt. v. 24. April 1998 – 33 U 97/97, WuM 1998, 485, beckonline Tz. 4; Beschl. v. 24. August 2016 – 30 U 61/16, BeckRS 2016, 125773, beckonline Tz. 58; Kammer, Beschl. v. 3. Juli 2017 – 67 S 395/16, WuM 2017, 213, beckonline Tz. 2; Alberts, in: Guhling/Günther, Gewerberaummietrecht, 2. Aufl. 2019, § 543 Rz. 21 m.w.N.; Kähler, a.a.O., Rz. 732.1 m.w.N.).

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So lag der Fall hier. Denn auch für die Klägerin, die noch unmittelbar zuvor mit der Betreuerin der Beklagten wegen der von dieser erbetenen Zahlungsumstellung korrespondiert hatte, musste es sich auch angesichts der spätestens seit Einrichtung der Betreuung im Jahre 2017 stets zuverlässigen Mietzahlungen aufdrängen, dass der Zahlungsausfall nicht auf einer Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit der Beklagten beruhte, sondern allenfalls auf einem geringfügigen technischen oder organisatorischen Versehen ihrer Betreuerin im Zusammenhang mit der erbetenen Umstellung der Zahlungen auf den Lastschrifteinzug. Dass sie diese Erkenntnis nicht zum – verkehrsüblichen – Anlass einer an die Betreuerin der Beklagten gerichteten Zahlungsaufforderung oder Mahnung im Dezember 2020 oder spätestens im Januar 2021 genommen, sondern die unter Betreuung stehende Beklagte stattdessen durch umgehenden Ausspruch der Kündigung hat „ins Messer laufen lassen“, geht zu Lasten der Klägerin. Ihr pflichtwidriges Unterlassen steht bereits für sich genommen, erst Recht aber in der Gesamtschau mit den aufzeigten übrigen Umständen des Einzelfalls, einer für den Kündigungsausspruch erforderlichen hinreichenden Erheblichkeit der Pflichtverletzung der Beklagten entgegen.

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Das Mietverhältnis hat auch nicht durch den Schriftsatz vom 9. April 2021 seine Beendigung gefunden („Der mit der Klage geltend gemachte Räumungsanspruch wird … mit diesem weiteren Vertragsverstoß begründet.“). Insoweit kann dahinstehen, ob es sich dabei unter Zugrundelegung der Auslegungsparameter des § 133 BGB überhaupt um eine weitere Erklärung der Kündigung handelt. Sie wäre jedenfalls in der Sache unbegründet. Die nur wenige Tage verspätete Mietzahlung im März 2021 ist selbst in der Gesamtschau mit den vorherigen geringfügigen Pflichtverletzungen der Beklagten nicht hinreichend erheblich, um eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zu rechtfertigen. Das gilt erst recht bei der gebotenen Berücksichtigung der Pflichtverletzungen der Klägerin, die aus den dargetanen Gründen nicht nur ihren Hinweispflichten zuwider gehandelt, sondern zudem ihre Pflicht zur Vertragstreue schuldhaft verletzt hat, indem sie die Beklagte zuvor mit einer materiell unwirksamen Kündigung des Mietverhältnisses überzogen hat (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 11. Januar 1984 – VIII ZR 255/82, NJW 1984, 1028, juris Tz. 22; Urt. v. 28. November 2001 – XII ZR 197/99, NJW-RR 2002, 730, juris Tz. 12).

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Schließlich haben auch die in den Schriftsätzen vom 22. April und 24. Juni 2021 – ausdrücklich als „fristgemäß“ erklärten – Kündigungen das Mietverhältnis nicht gemäß § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB zu beenden vermocht. Mit Ausnahme der angeblichen weiteren Zahlungspflichtverletzung der Beklagten waren die sonstigen angeblichen (Bagatell-)Pflichtverletzungen mit Blick auf die aufgezeigten Pflichtverletzungen der Klägerin und aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils, auf die die insoweit Kammer Bezug nimmt und denen nichts hinzuzufügen ist, bereits grundsätzlich nicht von hinreichendem Gewicht, um eine Beendigung des Mietverhältnisses zu rechtfertigen.

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Nichts anderes gilt für die von der Klägerin behauptete weitere Zahlungspflichtverletzung der Beklagten im Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. März 2021 zur Verfassungswidrigkeit des MietenWoG Bln (2 BvF 1/20, 2 BvL 4/20, 2 BvL 5/20, NJW 2021, 1377). Einer abschließenden Entscheidung der Kammer, ob sich die Beklagte überhaupt in Zahlungsverzug befunden hat, indem sie nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. März 2021 die sich aus der zuvor – zudem von der Klägerin – veranlassten „Absenkung“ der Miete um monatlich 74,90 EUR ergebenden Nachzahlungsbeträge in Höhe von insgesamt 973,70 EUR erst am 17. Juni 2021 an die Klägerin zurückerstattet hat, bedarf es nicht:

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Es unterliegt im Ausgangspunkt keinem Zweifel, dass Vermieter grundsätzlich befugt sind, die nach Inkrafttreten des MietenWoG Bln vom Mieter einbehaltenen Absenkungsbeträge zurückzuverlangen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28. Oktober 2020 – 1 BvR 972/20, NJW 2021, 845, beckonline Tz. 19), da das BVerfG das MietenWoG Bln gemäß § 78 Satz 1 BVerfGG rückwirkend für nichtig erklärt und sich nicht mit einer bloßen Unvereinbarkeitserklärung nach § 31 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVerfGG begnügt hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25. März 2021, a.a.O., Tz. 187; Beschl. v. 7. Juli 2020 – 2 BvR 696/12, NJW 2020, 3232, beckonline Tz. 103). Ebenso unzweifelhaft kann ein Verzug des Mieters mit der Nachentrichtung der Absenkungsbeträge abhängig von den sonstigen Umständen des Einzelfalls geeignet sein, die außerordentliche oder zumindest die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zu rechtfertigen. Ob allerdings eine im Gefolge des MietenWoG Bln – und noch dazu vom Vermieter – veranlasste Absenkung der Miete im Einzelfall zu einem dauerhaften Forderungsverzicht, einem pactum de non petendo oder einer Stundung im Umfang der Absenkungsbeträge geführt hat und welche Auswirkungen sich daraus auch unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben für die Fälligkeit und einen etwaigen Verzug des Mieters mit den einbehaltenen Beträgen ergeben, kann hier dahinstehen. Denn dabei handelt es sich um komplexe Rechtsfragen, deren zutreffende Beantwortung selbst unter Heranziehung professionellen Rechtsrats aufwändig und schwierig ist. Es kommt hinzu, dass sich das Erfordernis einer – zutreffenden – Beantwortung für einen in den Anwendungsbereich des MietenWoG Bln gefallenen Mieter nicht aus seinem eigenen pflichtwidrigen Vorverhalten, sondern ausschließlich aus dem verfassungswidrigen Handeln des Berliner Landesgesetzgebers ergibt. Deshalb kommt der Pflichtverletzung eines Mieters im Zusammenhang mit der Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit des MietenWoG Bln das für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung erforderliche Gewicht jedenfalls solange nicht zu, wie der Vermieter dem Mieter gegenüber nicht seine eigenen rechtlichen oder tatsächlichen Schlussfolgerungen aus der Entscheidung des BVerfG ausdrücklich oder zumindest konkludent kundgetan hat, etwa durch den – hier fehlenden – Ausspruch einer Zahlungsaufforderung oder einer Mahnung. Erst ein dagegen gerichtetes Zuwiderhandeln des Mieters ist in diesem Zusammenhang geeignet, seiner Pflichtverletzung das für eine Kündigung des Mietverhältnisses hinreichende Gewicht zu verleihen (vgl. BGH, Urt. v. 28. November 2007 – VIII ZR 145/07, NJW 2008, 508, beckonline Tz. 28; Kammer, Beschl. v. 3. Juli 2017, a.a.O., Tz. 4 (allgemein)).

Randnummer27
Unabhängig davon, erst recht aber in der gebotenen Gesamtschau mit den genannten sonstigen Umständen des Einzelfalles kam einer etwaigen Zahlungspflichtverletzung der Beklagten in diesem Zusammenhang das für eine Kündigung erforderliche Gewicht auch deshalb nicht zu, weil die Beklagte die sich aus der Absenkung der Miete ergebenden Nachzahlungsbeträge bereits am 17. Juni 2021 und damit eine Woche vor Ausspruch der darauf gestützten Kündigung vom 24. Juni 2021 beglichen hat. Einem vom Mieter bei Ausspruch der Kündigung bereits beseitigten Zahlungsverzug kommt aber ein erheblich geringeres – und im hier gegebenen Regelfall für eine Kündigung unzureichendes – Gewicht zu als einem Zahlungsverzug, der zum Zeitpunkt der Kündigung noch besteht. Diese Wertung entspricht nicht nur dem Wesensgehalt der für die außerordentliche Kündigung maßgebenden Regelung des § 543 Abs. 2 Satz 2 BGB, ausweislich derer eine Zahlungsverzugskündigung ausgeschlossen ist, wenn der Mieter zuvor befriedigt wird. Sie steht auch in Einklang mit dem allgemeinen kündigungsrechtlichen Grundsatz, dass es die Abwägung zu Gunsten des Gekündigten beeinflusst, wenn er die Pflichtwidrigkeit seines Tuns erkennt und sich noch vor Ausspruch der Kündigung erfolgreich um die Beseitigung des von ihm geschaffenen vertragswidrigen Zustandes bemüht (vgl. BAG, Urt. v. 27. April 2006 – 2 AZR 415/05, NZA 2006, 1033, beckonline Tz. 11, 22).

Randnummer28
Vor diesem Hintergrund kam es nicht mehr auf die im ersten Rechtszug unberücksichtigte Frage an, ob die Kündigung vom 24. Juni 2021 ebenso wie die vom 22. April 2021 und der Inhalt des Schriftsatzes vom 9. April 2021 nicht sämtlich die zwingenden Formvoraussetzungen der §§ 568 Abs. 1, 126 Abs. 1, Abs. 3, 126a Abs. 1 BGB unterlaufen, da sie jeweils im Rahmen eines nicht unterschriebenen Anwaltschriftsatzes per beA erklärt und erst nach einem sog. Medienbruch in nicht elektronischer Form an die Beklagte zugestellt worden sind (vgl. dazu Bruns, in: BeckOK Mietrecht, Stand: 1. November 2021, § 542 Rz. 124a m.w.N.).

Randnummer29
Die Kammer war schließlich befugt und gehalten, über die Berufung im Beschlusswege zu befinden. Die von der Berufung ins Feld geführten Negativvoraussetzungen der §§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2-4 ZPO liegen nicht vor. Revisionszulassungsgründe sind ebenfalls nicht gegeben, da die für die Beurteilung der streitgegenständlichen Kündigungen entscheidungserheblichen abstrakten Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sind. Davon weicht die Kammer nicht ab. Es kommt hinzu, dass die Klägerin unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenates des BGH zur kündigungsrechtlichen Reichweite von § 242 BGB, die die Kammer insoweit allerdings nicht teilt (vgl. Kammer, Urt. v. 16. Juni 2016, a.a.O., juris Tz. 4 ff.), sich wegen der unmittelbar nach Kündigungszugang geleisteten Schonfristzahlung und den sonstigen Besonderheiten dieses Einzelfalles gemäß § 242 BGB ohnehin nicht mit Erfolg auf den von ihr geltend gemachten Räumungsanspruch berufen könnte (vgl. BGH, Beschl. v. 6. Oktober 2015 – VIII ZR 321/14, BeckRS 2016, 5095, beckonline Tz. 10; Beschl. v. 23. Februar 2016 – VIII ZR 321/14, BeckRS 2016, 4975, beckonline Tz. 5 f.; Urt. v. 19. September 2018 – VIII ZR 261/17, WuM 2018, 785, juris Tz. 51; Urt. v. 13. Oktober 2021, a.a.O, Tz. 88). Vor diesem Hintergrund war auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO nicht geboten.

Randnummer30
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 Satz 2 Alt. 2, 711 ZPO, §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1, 41 Abs. 1, Abs. 2 GKG.

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