VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 10.12.2021 – 1 L 1113/21.NW

März 7, 2022

VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 10.12.2021 – 1 L 1113/21.NW

1. Zum Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nach Maßgabe von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO für die Genehmigung einer Ausnahme von der Jahresfrist zwischen theoretischer und praktischer Fahrprüfung (§ 18 Abs. 2 Satz 1 FeV) im Hinblick auf die Auswirkungen der Corona Pandemie.

2. Wegen der grundsätzlich zwingenden Jahresfrist des § 18 Abs. 1 Satz 1 FeV kommt eine Ausnahmegenehmigung auf der Grundlage des § 74 Abs. 1 FeV nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht.

Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gemäß § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – statthaft und auch sonst zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Das Begehren des Antragstellers zielt in der Hauptsache letztlich auf eine Neubescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B, unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids des Antragsgegners vom 15. November 2021 und Genehmigung einer Ausnahme von der Jahresfrist des § 18 Abs. 2 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung – FeV – zur Ablegung der praktischen Fahrprüfung gemäߧ 17 FeV (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 15. Oktober 2015 – 6 K 5037/14 -, juris). Für den entsprechenden einstweiligen Rechtsschutz ist die Regelungsanordnung i. S. d. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO einschlägig, gegen deren Zulässigkeit auch im Übrigen keine Bedenken bestehen.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen des Gerichts zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO – vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Hier richtet sich der konkrete Eilantrag des Antragstellers darauf, den Antragsgegner unter Aufhebung des Bescheids vom 15. November 2021 im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, eine Ausnahmegenehmigung von der Regelung des § 18 Abs. 2 Satz 1 FeV zu erteilen, mithin auf eine Vorwegnahme der Hauptsache. Eine solche ist im Eilverfahren nur ausnahmsweise möglich, wenn der Anspruch in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit besteht und dem Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung des Gerichts unzumutbare Nachteile drohen (vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 27. Auflage 2021, § 123 Rn. 14, m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind durch den bisherigen Vortrag des Antragstellers nicht dargelegt und glaubhaft gemacht.

Dabei lässt die Kammer im Ergebnis offen, ob es schon an einem Anordnungsgrund für die beantragte einstweilige Anordnung fehlt, weil dem Antragsteller ohne ein vorläufiges Eingreifen des Gerichts keine die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden unzumutbaren Nachteile drohen. Unterbleibt die einstweilige Anordnung, verfällt zwar nach § 18 Abs. 2 Satz 2 FeV seine bereits am 8. Oktober 2020 erfolgreich abgelegte theoretische Fahrprüfung gemäß § 16 FeV. Die dadurch eintretenden Rechtsfolgen, dass er die theoretische Prüfung und eventuell auch die gesamte Fahrausbildung wiederholen muss, wenn seit deren Abschluss mehr als zwei Jahre bis zur Wiederholung der theoretischen Prüfung verstrichen sind (§ 16 Abs. 3 Satz 7 FeV), sind aber vom Verordnungsgeber in der Fahrerlaubnisverordnung bewusst getroffen worden und können deshalb schwerlich als unzumutbar angesehen werden, auch wenn der Betroffene den Rechtsweg beschreiten muss, um seinen vermeintlichen Anspruch durchzusetzen (vgl. dazu ausführlich VG München, Beschluss vom 5. August 2004 – M 6b E 04.3292 -; BayVGH, Beschluss vom 5. April 2004 – 11 CE 03.2137 -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 18. November 2013- 9 L 1432/13 -, alle juris).

Letztlich muss diese Frage im vorliegenden Eilverfahren aber nicht entschieden werden, denn der Antragsteller hat derzeit auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dieser richtet sich, wie ausgeführt, in der Hauptsache darauf, ihm eine Ausnahme von der Jahresfrist des § 18 Abs. 2 Satz 1 FeV zwischen theoretischer und praktischer Fahrprüfung einzuräumen und in der Folge über seinen Antrag auf Erteilung der Fahrerlaubnis unter Aufhebung des Bescheids vom 15. November 2021 neu zu entscheiden. Dass dieser Anspruch mit hoher Wahrscheinlichkeit besteht, kann die Kammer derzeit nicht erkennen.

Gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1 FeV muss die praktische Prüfung innerhalb von zwölf Monaten nach Bestehen der theoretischen Prüfung abgelegt werden. Auf der Grundlage des § 74 Abs. 1 FeV können die nach Landesrecht zuständigen Behörden – hier aufgrund einer Vorgriffsregelung des zuständigen Ministeriums anstelle des bisher gemäß § 1 Satz 1 Nr. 13 der Landesverordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Straßenverkehrsrechts (StVRZustV) zuständigen Landesbetriebs für Mobilität die Fahrerlaubnisbehörden, also der Antragsgegner – in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte einzelne Antragsteller Ausnahmen von den Vorschriften der Fahrerlaubnisverordnung und also auch von § 18 Abs. 2 Satz 1 FeV genehmigen. Die Entscheidung hierüber steht im pflichtgemäßen Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde. Mit der Ausnahmegenehmigung soll besonderen Ausnahmesituationen Rechnung getragen werden können, die bei strikter Anwendung der Bestimmungen nicht hinreichend berücksichtigt werden könnten. Ob ein besonderer Ausnahmefall vorliegt, bemisst sich nach dem Ergebnis eines Vergleichs der Umstände des konkreten Falles mit dem typischen Regelfall, der dem generellen Verbot zugrunde liegt. Das Merkmal der Ausnahmesituation stellt kein Tatbestandsmerkmal dar, sondern ist Bestandteil der dem Antragsgegner obliegenden einheitlichen Ermessensentscheidung, die vom Gericht gemäß § 114 VwGO nur eingeschränkt überprüft werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2013 – 3 C 9/12 – zum vergleichbaren § 70 Straßenverkehrszulassungsordnung – StVZO -; VG Düsseldorf, Urteil vom 15. Oktober 2015, a. a. O., m. w. N.).

Der Antragsteller hat keine hinreichenden Umstände dafür dargelegt, dass die Ermessensentscheidung des Antragsgegners zu seinen Gunsten ausfallen müsste. Bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung hat der Antragsgegner vielmehr die Erteilung einer Ausnahme von der Jahresfrist des § 18 Abs. 1 Satz 1 FeV an den Antragteller ermessensfehlerfrei mit sachgerechten, am Sinn und Zweck der Norm orientierten und verhältnismäßigen Erwägungen abgelehnt.

Wegen der grundsätzlich zwingenden Jahresfrist des § 18 Abs. 1 Satz 1 FeV kommt eine Ausnahmegenehmigung von vornherein nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht. § 18 Abs. 2 Satz 1 FeV hat den Zweck sicherzustellen, dass im Zeitpunkt der praktischen Prüfung und der regelmäßig nachfolgenden Erteilung der Fahrerlaubnis die zuvor in der theoretischen Prüfung nachgewiesenen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht bereits wieder verblasst sind (vgl. ausführlich VG Düsseldorf, Urteil vom 15. Oktober 2015 – 6 K 5037/4 -, a. a. O.). Diese Verzahnung von theoretischer und praktischer Fahrausbildung innerhalb eines überschaubaren Zeitraums dient der Gewährleistung der umfassenden Fahreignung und -befähigung des Bewerbers und damit letztlich dem öffentlichen Interesse der Verkehrssicherheit. Eine Befreiung von § 18 Abs. 2 Satz 1 FeV im Ausnahmefall kann nur erfolgen, wenn der Betroffene plausibel geltend machen kann, dass eine frühere Ablegung der Prüfung im Einzelfall nicht möglich war (vgl. Berthold in: Freymann/Wellner/Trésoret, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, § 74 FeV Rn. 29). Zudem müssen schwere Nachteile entstehen, die das erhöhte Risiko für die Sicherheit des Straßenverkehrs zurücktreten lassen (vgl. OVG RP, Beschluss vom 26. September 2018 – 10 B 11004/18.OVG -, n.v., zur Ausnahme vom gesetzlichen Mindestalter).

Solche Ausnahmeumstände können aufgrund der staatlichen Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie getroffen wurden und zeitweise auch eine Schließung der Fahrschulen einschließlich des Übungs- und Prüfungsbetriebs beinhalteten, durchaus eintreten. Das erkennt auch das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz an und hat in dem vom Antragsgegner vorgelegten Schreiben vom 26. März 2021 ausgeführt:

„In der Zeit vom 16. Dezember 2020 bis 28. Februar 2021 waren aufgrund der in Rheinland-Pfalz geltenden Maßnahmen der Fahrschulbetrieb sowie der Prüfbetrieb beim TÜV Rheinland e.V. hinsichtlich der Fahrerlaubnisprüfungen weitestgehend eingeschränkt. Seit dem 1. März 2021 darf nunmehr wieder in allen Fahrerlaubnisklassen geschult und geprüft werden (…). Die Tatsache, dass die Fahrschulen nahezu drei Monate keine bzw. lediglich äußerst eingeschränkt vereinzelte Angebote in Präsenzform anbieten durften, hat weiterhin Auswirkungen. Um daraus entstandene Nachteile von betroffenen Fahrerlaubnisbewerbern oder Fahrerlaubnisinhabern hinsichtlich der geltenden Regelungen der Fahrerlaubnisverordnung sowie des Straßenverkehrsgesetzes abzuwenden, wird hiermit zu folgenden Verfahrensweisen die Zustimmung des Ministeriums erteilt:

1. Abweichend von den §§ 16 Abs. 3, 18 Abs. 2, 22 Abs. 5 FeV (…), können Ausnahmen für eine Verlängerung im Einzelfall geprüft und erteilt werden. Dabei soll berücksichtigt werden, dass die Fahrschulen in den Zeiträumen vom März 2020 bis 13. Mai 2020 sowie vom 16. Dezember 2020 bis 1. März 2021 geschlossen waren bzw. Präsenzunterricht im Regelfall nicht zulässig war. Die Frist kann daher um den Zeitraum verlängert werden, von dem der Bewerber nachweislich durch den Lockdown selbst betroffen war.“

Unabhängig davon, dass diese ermessensleitende Regelung nur bis zum 30. Juni 2021 galt, konnte auch hiernach eine Ausnahmebewilligung nicht pauschal, sondern nur erteilt werden, wenn im Einzelfall der Nachweis erbracht wurde, dass der Bewerber durch die pandemiebedingten Einschränkungen tatsächlich selbst betroffen war, das heißt, dass die Einschränkungen sich konkret auf seine Ausbildung und Prüfung ausgewirkt haben müssten.

Das darin zum Ausdruck kommende Kausalitätserfordernis zwischen den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Fahrschulen und dem konkreten Ausbildungsgang des Fahrerlaubnisbewerbers im Einzelfall hat der Antragsgegner in zulässiger Weise auch seiner ablehnenden Ermessensentscheidung gegenüber dem Antragsteller zugrunde gelegt. Denn der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass die Schließung der Fahrschulen oder andere pandemiebedingte Einschränkungen die Einhaltung der Jahresfrist des § 18 Abs. 2 Satz 1 FeV nachweislich unmöglich gemacht haben.

Der Antragsteller war zwar insoweit von der Pandemielage allgemein betroffen, als nach seiner theoretischen Fahrprüfung am 8. Oktober 2020 die Fahrschulen ab 16. Dezember 2020 schließen mussten und er infolge dessen die praktische Fahrausbildung zunächst nicht fortsetzen und abschließen konnte. Im Gegensatz zum Regelfall des § 18 Abs. 2 Satz 1 FeV standen ihm dadurch nicht volle zwölf Monate für die erfolgreiche Ablegung der praktischen Fahrprüfung zur Verfügung, sondern effektiv nur rund neun Monate. Durch diese Umstände war er aber im Ergebnis nicht an der rechtzeitigen praktischen Fahrprüfung vor Ablauf der Jahresfrist des § 18 Abs. 2 Satz 1 FeV gehindert. Seit Wiedereröffnung der Fahrschulen und des Prüfungsbetriebs ab 1. März 2021 bis zum Ablauf der für ihn einschlägigen Jahresfrist am 8. Oktober 2021 blieben ihm nämlich noch mehr als sieben Monate Zeit, um sich auf die praktische Fahrprüfung vorzubereiten und diese abzulegen. Diese Zeit konnte er auch tatsächlich ausreichend für den praktischen Fahrunterricht nutzen, was sich daran zeigt, dass er noch vor Ablauf der Jahresfrist am 2. September und 30. September 2021 zwei Prüfungsversuche für die praktische Fahrprüfung unternommen hat. Bis dahin war es ihm also offenbar trotz der pandemiebedingten Einschränkungen möglich, die erforderlichen Fahrstunden zu absolvieren und die Prüfungsreife zu erlangen.

Dass er dennoch die Prüfungsfrist des § 18 Abs. 2 Satz 1 FeV nicht einhalten konnte, ist entscheidend darauf zurückzuführen, dass er die praktische Fahrprüfung im September 2021 zweimal nicht bestanden hat und deshalb weitere Wiederholungsprüfungen erforderlich wurden. Der Antragsgegner verweist zu Recht darauf, dass solche persönlichen Gründe – wie Wiederholungsversuche bei nicht bestandener Prüfung, oder auch Verzögerungen aufgrund von Krankheit oder Berufstätigkeit – vom Verordnungsgeber bereits bei Gewährung der Frist von einem Jahr zwischen theoretischer und praktischer Prüfung berücksichtigt wurden. Solche Verzögerungen stellen typische Regelfälle im Anwendungsbereich der Norm dar und können damit grundsätzlich keine Ausnahmegenehmigung gemäß § 74 Abs. 1 FeV rechtfertigen.

Der Antragsteller hat demgegenüber nicht ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sich trotz dieser objektiven Sachlage die pandemiebedingten Nachteile noch auf seine Fahrausbildung ausgewirkt und in der Konsequenz zur Versäumnis der Jahresfrist geführt hätten. Sein Vorbringen im Schreiben vom 4. Oktober 2021, nach Wiedereröffnung der Fahrschulen sei es wegen der Bundesnotbremse und der Hygienevorgaben sowie der Corona-Erkrankung eines Fahrlehrers und seiner eigenen Berufstätigkeit erschwert gewesen, Fahrstunden zu erhalten, ist grundsätzlich nachvollziehbar, wird aber durch die Tatsache entkräftet, dass der Antragsteller dennoch in der Lage war, bis September 2021 ausreichend Fahrstunden zu absolvieren und zweimal zur Prüfung anzutreten. Dass er aus beruflichen Gründen auf eine Fahrerlaubnis angewiesen ist, rechtfertigt kein Absehen von den Vorschriften über die Fahrausbildung und -prüfung. Weitere Härtegründe sind für die Kammer im Eilverfahren nicht erkennbar geworden, ebenso wenig wie eine in der Antragsschrift erwähnte allgemeine Verwaltungspraxis, das Ermessen dahingehend auszuüben, eine Ausnahme bis zu einem Zeitraum von drei Monaten zu erteilen.

Der Eilantrag war nach alledem aufgrund der derzeitigen Erkenntnislage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

Der Wert des Streitgegenstands ist gemäß §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 GKG in Höhe des Regelstreitwerts festzusetzen. Eine Streitwertermäßigung im Eilverfahren erfolgt im Hinblick auf die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache nicht.

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