LG Hamburg, Urteil vom 08.03.2022 – 303 O 53/21

April 30, 2022

LG Hamburg, Urteil vom 08.03.2022 – 303 O 53/21

Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.674,97 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2020 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist für den Kläger vorläufig vollstreckbar, in Höhe von 460 € der für den Kläger vollstreckbaren Kosten ohne Sicherheitsleistung, im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.

Tatbestand
Die Parteien streiten über Rückgewähransprüche aus Insolvenzanfechtung.

Der Kläger ist Sachwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der H.- D. GmbH (nachfolgend: GmbH). Die Beklagte ist eine gesetzliche Krankenkasse. Die GmbH stellte bei dem Amtsgericht B.- C. – Insolvenzgericht – (Amtsgericht) unter dem 01.09.2020 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen (Anlage K 1). Mit Beschluss vom 07.09.2020 ordnete das Amtsgericht zunächst die vorläufige Eigenverwaltung an (Anlage K 2). Mit Beschluss vom 30.11.2020 eröffnete das Amtsgericht sodann das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH und ordnete zugleich Eigenverwaltung an (Anlage K 3). Mit vorab per Telefax übersandten Schreiben vom 14.09.2020 teilte die GmbH der Beklagten mit, dass sie sich unter gerichtlichen Gläubigerschutz gestellt und das Amtsgericht mit Beschluss vom 08.09.2020 im Rahmen des Insolvenzantragsverfahrens die vorläufige Eigenverwaltung angeordnet hat. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Schreibens vom 14.09.2020 wird auf Anlage K 4 Bezug genommen. Im Zeitraum vom 24.09. bis 06.11.2020 nahm die GmbH an die Beklagte 6 Zahlungen über insgesamt 5.548,72 € vor, wobei hinsichtlich der Einzelheiten des Zahlungsverlaufs und der Tilgungsbestimmungen auf Bl. 30 d.A. Bezug genommen wird. Mit zwei separaten Schreiben vom 10.12.2020, hinsichtlich deren Einzelheiten auf Anlage K 5 Bezug genommen wird, erklärte der Kläger unter Bezugnahme auf § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Anfechtung der vorgenannten Zahlungen und forderte die Beklagte jeweils unter Fristsetzung zum 28.12.2020 erfolglos zur Rückzahlung des Gesamtbetrages auf.

Ursprünglich hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.548,72 € nebst Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2020 zu bezahlen. Unter dem 10.05.2021 hat die Beklagte an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.873,75 € auf zwei angefochtene Zahlungen vom 06.11.2020 gezahlt. Mit Schriftsatz vom 16.06.2021 hat der Kläger den Rechtsstreit zunächst in der Hauptsache in Höhe von 1.873,75 € und sodann mit Schriftsatz vom 27.09.2021 auch im Hinblick auf die aus diesem Betrag begehrten Zinsen für erledigt erklärt. Den Erledigungserklärungen hat sich die Beklagte mit am 03.08.2021 und 11.10.2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsätzen angeschlossen und im Hinblick auf den erledigten Teil Kostenübernahme erklärt.

Der Kläger beantragt nunmehr,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.674,97 € nebst Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2020 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass die Zahlungen an die GmbH gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG nicht anfechtbar seien.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe
Die Klage ist zulässig und – soweit noch rechtshängig – auch begründet.

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht gem. 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO auch nach übereinstimmender Teilerledigungserklärung der Parteien und einer damit einhergehenden Reduzierung des Streitwertes auf unter 5.000 € weiterhin sachlich zuständig.

II.

Hinsichtlich des noch rechtshängigen Teils der Klage ist diese auch begründet.

1. Dem Kläger stehen Ansprüche auf Rückzahlung der jeweils unter dem 24.09., 25.09. und 26.10.2020 geleisteten Zahlungen in Höhe von insgesamt 3.674,97 € gem. § 143 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu. Hinsichtlich der beiden vormals streitgegenständlichen Zahlungen vom 06.11.2020 in Höhe von insgesamt 1.873,75 € haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.

a) Im Übrigen handelt es sich bei den Zahlungen vom 24.09., 25.09. und 26.10.2020, die gem. § 129 Abs. 1 i.V.m. § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO jeweils nach Insolvenzantragstellung und vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgten, um Zahlungen der GmbH (Schuldnerin) aus ihrem Vermögen an die Beklagte und damit um Rechtshandlungen i.S.d. § 130 Abs. 1 InsO. Die Zahlungen verschafften der Beklagten eine Befriedigung i.S.d. § 130 Abs. 1 InsO, da sie auf die fälligen Beitragsschulden der Schuldnerin für die Monate September und Oktober 2020 erfolgten. Sie benachteiligten auch die übrigen Gläubiger i.S.d. § 129 Abs. 1 InsO, da ihnen keine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstand und sie hierdurch die Insolvenzmasse verkürzten.

b) Die Zahlungen sind auch anfechtbar. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht § 2 Abs. 1 Nr. 4 S. 1 Hs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 COVInsAG der Anfechtung dieser vier Zahlungen nicht entgegen, da diese die Anfechtung ausschließende Vorschrift auf die hier nach Antragstellung erfolgten Zahlungen keine Anwendung findet. Bereits mit Urteil vom 28.09.2021, Az.: 303 O 64/21, hat die Kammer insoweit wie folgt entschieden:

„[…] aa) Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass dem Wortlaut dieser Vorschrift eine solche zeitliche Schranke nicht entnommen werden kann.

bb) Die Nichtanwendbarkeit dieser eine Anfechtung ausschließenden Vorschrift auf nach Antragstellung erfolgte Zahlungen folgt aber aus der vom Gesetzgeber verfolgten Zielsetzung dieser Norm. Ziel des COVInsAG ist, wie die Gesetzgebungsmaterialien zeigen, Unternehmen davor zu bewahren, frühzeitig in ein Insolvenzverfahren zu geraten. Dabei liegt es auf der Hand, dass dieses Ziel ab erfolgter Antragstellung nicht mehr erreicht werden kann. So heißt es im allgemeinen Teil der Begründung des Gesetzeswortlautes zum COVInsAG wie folgt: „Auf diese Weise erhalten die Unternehmen Gelegenheit, die Insolvenz, insbesondere unter Inanspruchnahme der bereitzustellenden Hilfe, ggf. aber auch im Zuge von Sanierungs- und Finanzierungsvereinbarungen abzuwenden (Deutscher Bundestag – Drucksache 19/18110 vom 24.03.2020, S. 19).“

Der besondere Teil der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG zeigt, dass mit dem Begriff der „Insolvenz“ die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gemeint ist. Denn dort heißt es wie folgt: „Sie sollen nicht befürchten müssen, zur Rückgewähr zwischenzeitlicher Leistungen verpflichtet zu werden oder den Zugriff auf die bei der Vergabe der neuen Kredite gewährten Sicherheiten zu verlieren, wenn die Bemühungen um die Rettung des Unternehmens der Kreditnehmerin oder des Kreditnehmers scheitern und deshalb doch ein Insolvenzverfahren eröffnet wird (Deutscher Bundestag – Drucksache 19/18110 vom 24.03.2020, Seite 23).“

Sobald dieses Ziel – die Verhinderung eines Insolvenzverfahrens – nicht mehr erreichbar ist, kann § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG so nicht mehr anwendbar sein. Ziel des COVInsAG ist es, pandemieinduzierte Insolvenzverfahren zu vermeiden. Dass lediglich solchen Schuldnern der Schutz des COVInsAG zuteilwerden sollte, die eine Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens anstreben, zeigt der besondere Teil der Gesetzesbegründung zum ursprünglichen § 4 COVInsAG. Dort heißt es: „Da nicht absehbar ist, ob sich die Verhältnisse in den nächsten Monaten hinreichend stabilisiert haben werden, sollen die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht einschließlich der daran anknüpfenden Folgen nach § 2 sowie die Einschränkung der Möglichkeit zur Versagung der Restschuldbefreiung und die Regelung zum Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen nach § 3 durch Rechtsverordnung bis zum 31. März 2021 verlängert werden können, wenn das durch die Aussetzungsregelung bestehende Bedürfnis danach fortbesteht, die Eröffnung von Insolvenzverfahren zu vermeiden und die Fortführung von insolvenzreifen Unternehmen zu ermöglichen. Das gilt insbesondere dann, wenn weiterhin Bedarf nach zum Zwecke der Stabilisierung der Unternehmen zur Verfügung gestellten Hilfsmitteln besteht oder anderweitig Aussichten bestehen, die betroffenen Unternehmen außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu stabilisieren und zu sanieren (Deutscher Bundestag – Drucksache 19/18110 vom 24.03.2020, Seite 25).“ So bringen auch § 1 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. COVInsAG sowie § 1 Abs. 3 Satz 3, 2. Alt. COVInsAG klar zum Ausdruck, dass das COVInsAG in seiner Gesamtheit nur dann anwendbar sein soll, wenn noch die Möglichkeit besteht, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu verhindern.

Nach dem Telos des COVInsAG muss also die Nichtstellung eines Antrages auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in § 2 COVInsAG mit hineingelesen werden. Die Insolvenzanfechtung ist nicht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG ausgeschlossen, da der Ausschlusstatbestand aufgrund der gebotenen restriktiven teleologischen Auslegung auf einen solchen Fall nicht anzuwenden ist (siehe auch LG München I, Urteil vom 13. Juli 2021, – 6 O 17571/20 -, veröffentlicht in ZInsO 2021, S. 1817 (1818)). Auf die Aussichten der Beseitigung der Insolvenzgründe in einem Insolvenzverfahren durch Insolvenzplan kommt es indes bei der Beurteilung der Ausnahme zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. COVInsAG nicht an.

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 COVInsAG soll dazu dienen, die Geschäftsführer vor unzumutbaren Haftungsrisiken im Zusammenhang mit Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen zur Beseitigung einer Insolvenzreife zu schützen. Zugleich sollen die Kreditgeber, Gesellschafter und Gläubiger des ordentlichen Geschäftsverkehrs nach § 2 COVInsAG durch Privilegien dazu motiviert werden, in der Sanierungsphase „an Bord zu bleiben“, etwa durch Lieferantenkredite. Der Schuldner soll weder rechtlich (§ 15a InsO) noch faktisch durch den Abbruch von Geschäftsbeziehungen dazu gezwungen werden, in ein Insolvenzverfahren zu gehen, sondern darf die Phase der Unsicherheit zunächst überbrücken, solange seine Situation nicht als aussichtslos zu gelten hat.

Nach der Ratio des § 1 COVInsAG und auch des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG genießen damit Deckungen nach Antragstellung keinen Schutz mehr. Denn im Fall der Antragstellung entfällt die Notwendigkeit des Dispens von der Antragspflicht. Die Tatsache der Antragstellung zeigt, dass die außerinsolvenzrechtlichen Sanierungsbemühungen nicht den erwünschten Erfolg gezeitigt haben. Für einen Fortbestand der Privilegierung nach Maßgabe von § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG verbleibt damit mit erfolgter Antragstellung kein Raum.“

Dieser zutreffenden Rechtsansicht schließt sich der erkennende Einzelrichter nach eigener Prüfung auch für den vorliegenden Einzelfall an.

2. Der Anspruch des Klägers auf Verzugszinsen seit dem 29.12.2020 ergibt sich aus § 143 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. §§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befindet sich nach fruchtloser Aufforderung des Klägers zur Rückzahlung seit dem 29.12.2020 in Zahlungsverzug.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91, 91a ZPO. Soweit die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, hat die Beklagte Kostenübernahme erklärt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.

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