BGH, Beschluss vom 12.01.2022 – XII ZB 370/21

Juli 14, 2022

BGH, Beschluss vom 12.01.2022 – XII ZB 370/21

Zur Pflicht des Beschwerdegerichts, in einem Betreuungsverfahren die Anhörung des Betroffenen zu wiederholen, wenn diesem das Sachverständigengutachten vom Betreuungsgericht nicht ausreichend bekanntgegeben worden ist.

Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg vom 30. Juni 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe
I.

Der Betroffene wendet sich gegen die Verlängerung der für ihn eingerichteten Betreuung und gegen die Entlassung seines Vaters (Beteiligter zu 4) als Betreuer.

Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen die für ihn eingerichtete Betreuung verlängert, den Beteiligten zu 4 als Mitbetreuer entlassen und dem Beteiligten zu 2 als Berufsbetreuer weiterhin den Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt, Aufenthaltsbestimmung sowie Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern übertragen.

Die vom Verfahrenspfleger (Beteiligter zu 1) auf Wunsch des Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Beschwerdegericht nicht gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von einer erneuten Anhörung des Betroffenen absehen durfte, weil die im ersten Rechtszug erfolgte Anhörung verfahrensfehlerhaft war.

a) Nach §§ 295 Abs. 1 Satz 1, 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht auch in einem Verfahren auf Verlängerung einer bestehenden Betreuung den Betroffenen persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen.

Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Senats voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2020 – XII ZB 153/20 – FamRZ 2021, 385 Rn. 18 mwN).

b) Das Amtsgericht hat bei seiner Anhörung zwingende Verfahrensvorschriften verletzt, weil es das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin an den Betroffenen bekanntgegeben und auch den Verfahrenspfleger nicht aufgefordert hat, das an ihn übersandte Gutachten mit dem Betroffenen zu besprechen (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Februar 2020 – XII ZB 179/19 – FamRZ 2020, 786 Rn. 8). Dass das Erstgericht im Anhörungstermin das Ergebnis des Gutachtens mit dem Betroffenen erörtert und der Verfahrenspfleger nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung ein ausführliches Gespräch mit dem Betroffenen unter Einbeziehung der Ausführungen der Sachverständigen geführt hat, genügt den rechtlichen Anforderungen an eine verfahrensfehlerfreie Anhörung nach § 278 Abs. 1 FamFG nicht. Denn der Betroffene hatte damit vor seiner Anhörung nicht die Möglichkeit, sich mit dem schriftlichen Gutachten auseinanderzusetzen und entsprechende Einwendungen vorzubringen.

Aus diesem Grund hätte das Beschwerdegericht die Anhörung gemäß §§ 278 Abs. 1 Satz 1, 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG wiederholen müssen. Eine erneute Anhörung des Betroffenen war auch nicht deshalb entbehrlich, weil das Landgericht den Betroffenen bereits in einem früheren Verfahren angehört hat und sich der Berichterstatter der Kammer an diese Anhörung noch erinnern konnte.

2. Die Beschwerdeentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 5, Abs. 6 Satz 2 FamFG).

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose

Klinkhammer

Günter

Botur

Krüger

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