|
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). |
|
|
Das FG hat rechtsirrig angenommen, das FA sei wegen der „Rechtskraft der Urteile für 2000 und 2001“ am Erlass des streitigen, auf § 174 Abs. 4 AO gestützten Einkommensteueränderungsbescheids für 2001 vom 6. August 2008 gehindert gewesen. Allerdings kann der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des FG nicht entscheiden, ob der Änderungsbescheid in vollem Umfang rechtmäßig ist. Das Verfahren ist daher an das FG zurückzuverweisen. |
|
|
1. Wie das FG zutreffend dargelegt hat, liegen die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO für eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 2001 vom 6. Juni 2003 und damit für den Erlass des angefochtenen Änderungsbescheids 2001 vom 6. August 2008 dem Grunde nach vor. |
|
|
a) Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgen gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 AO). |
|
|
aa) Irrige Beurteilung i.S. des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO eines Sachverhalts bedeutet, dass sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts nachträglich als unrichtig erweist. Sachverhalt in diesem Sinne ist der einzelne Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft. Der Begriff des Sachverhalts ist dabei nicht auf einzelne steuererhebliche Tatsachen oder ein einzelnes Merkmal beschränkt, sondern erfasst den einheitlichen, für diese Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex (z.B. BFH-Urteile vom 19. August 2015 X R 50/13, BFHE 251, 389; vom 24. April 2013 II R 53/10, BFHE 241, 63, BStBl II 2013, 755; vom 12. Februar 2015 V R 38/13, BFHE 248, 504, jeweils m.w.N.). Dabei müssen der ursprünglich beurteilte und der tatsächlich verwirklichte Lebenssachverhalt und Besteuerungssachverhalt nicht vollständig übereinstimmen (BFH-Urteile vom 14. Januar 2010 IV R 33/07, BFHE 228, 122, BStBl II 2010, 586, sowie in BFHE 248, 504, m.w.N.). Unerheblich ist, ob der für die rechtsirrige Beurteilung ursächliche Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen gelegen hat (z.B. BFH-Urteil vom 14. November 2012 I R 53/11, BFH/NV 2013, 690). |
|
|
bb) Im Streitfall umfasst der „bestimmte Sachverhalt“ des geänderten Bescheids i.S. des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO die Berücksichtigung der tatsächlich im Jahr 2000 gezahlten Umsatzsteuer durch den Kläger als Betriebsausgabe. |
|
|
Dieser Sachverhalt war vom FA bei der Festsetzung der Einkommensteuer für das Jahr 2000 zunächst fehlerhaft beurteilt worden. Erst im Laufe des unter dem Aktenzeichen 11 K 3445/06 E geführten Verfahrens stellte das FA fest, dass Zahlungen des Klägers auf Umsatzsteuer, Zinsen, Säumnis- und Verspätungszuschläge in Höhe von 33.720,12 DM im Jahr 2000 zunächst unberücksichtigt geblieben waren. Mit Änderungsbescheid vom 22. Februar 2008 erkannte das FA die entsprechenden Betriebsausgaben an. Diese Betriebsausgaben sind auch in den nachfolgenden Einkommensteueränderungsbescheiden 2000 vom 6. August 2008 (im Anschluss an das FG-Verfahren erlassen) und vom 19. August 2010 (im Anschluss an das BFH-Verfahren erlassen) erfasst. |
|
|
cc) Diese für den Kläger günstige Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 2000 –d.h. die Erfassung der streitigen Betriebsausgaben– erfolgte aufgrund eines Rechtsbehelfs der Kläger. |
|
|
dd) Aufgrund der Änderung der Steuerfestsetzung für das Jahr 2000 konnte das FA aus dem Sachverhalt –d.h. der Berücksichtigung der im Jahr 2000 gezahlten Umsatzsteuer durch den Kläger als Betriebsausgabe– nachträglich durch die Änderung des Steuerbescheids für das Jahr 2001 zu Lasten der Kläger die richtigen steuerlichen Folgerungen ziehen. |
|
|
ee) Der Änderung nach § 174 Abs. 4 AO stand der Ablauf der Festsetzungsfrist nicht entgegen. |
|
|
Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden. War die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, als der später geänderte Steuerbescheid erlassen wurde, gilt dies gemäß § 174 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AO nur, wenn der Sachverhalt in dem (nunmehr zu ändernden) Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt wurde, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt (vgl. BFH-Urteil vom 16. April 2013 IX R 22/11, BFHE 241, 136, BStBl II 2016, 432). |
|
|
Der fehlerhafte Einkommensteuerbescheid 2000 wurde am 22. Februar 2008 geändert. Die Korrektur des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2001 erfolgte am 6. August 2008 und damit fristgerecht. § 174 Abs. 4 Satz 4 AO greift nicht ein: Die Festsetzungsfrist für den Erlass des Bescheids für das Streitjahr war noch nicht abgelaufen, als der später auf den Rechtsbehelf der Kläger hin geänderte (Schätzungs-)Bescheid für 2000 vom 26. Februar 2002 erlassen wurde. |
|
|
ff) Mithin konnte das FA mit dem angefochtenen Änderungsbescheid vom 6. August 2008 die mit Bescheid vom 6. Juni 2003 erfolgte Steuerfestsetzung für das Jahr 2001 korrigieren, soweit darin Umsatzsteuerzahlungen des Klägers als Betriebsausgaben erfasst waren, die zugleich bei der (korrigierten) Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2000 berücksichtigt sind. |
|
|
2. Entgegen der Auffassung des FG stand dem Erlass des Einkommensteueränderungsbescheids für das Jahr 2001 die „Rechtskraft der Urteile für 2000 und 2001“ nicht entgegen. |
|
|
a) Eine Änderung gemäß § 174 Abs. 4 AO ist gemäß § 110 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 FGO ausgeschlossen, soweit zu dem steuerlichen Sachverhalt, dessen steuerliche Folgen durch den Änderungsbescheid gezogen werden sollen, bereits ein rechtskräftiges Urteil mit Bindungswirkung für die Beteiligten besteht. Nach der Regelung des § 110 Abs. 2 FGO bleiben die Vorschriften der AO über die Änderung von Verwaltungsakten unberührt, soweit sich aus § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO nichts anderes ergibt. § 110 Abs. 2 FGO ist nach der Rechtsprechung des BFH im Sinne eines Vorrangs der Rechtskraft gegenüber den Änderungsvorschriften der AO auszulegen (z.B. BFH-Urteil vom 12. Januar 2012 IV R 3/11, BFH/NV 2012, 779). |
|
|
Gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Für den Umfang der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils ist der Begriff Streitgegenstand in § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO im Sinne von „Entscheidungsgegenstand“ zu verstehen. Dies ist die Teilmenge aller mit dem angefochtenen Verwaltungsakt erfassten Besteuerungsgrundlagen, über die das Gericht entschieden hat. Der sachliche Umfang der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils ergibt sich in erster Linie aus der Urteilsformel. Zu deren Auslegung sind erforderlichenfalls Tatbestand und Entscheidungsgründe heranzuziehen, ohne dass die Begründung eines Urteils als solche bzw. die Urteilselemente rechtskraftfähig wären (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2012, 779; vom 19. Dezember 2006 VI R 63/02, BFH/NV 2007, 924, BFH-Beschlüsse vom 25. Oktober 2012 XI B 48/12, BFH/NV 2013, 230; vom 27. August 2014 XI B 32/14, BFH/NV 2014, 1897, jeweils m.w.N.). |
|
|
b) Hiernach standen dem Erlass des Änderungsbescheids für das Jahr 2001 vom 6. August 2008 keine rechtskräftigen Urteile entgegen. |
|
|
aa) Das Urteil des FG vom 12. Juni 2008 11 K 3445/06 E zur Einkommensteuerfestsetzung 2000 ist durch die Entscheidung des BFH in BFH/NV 2010, 2038 aufgehoben worden. Daher kann es keine Rechtskraft entfalten, die dem Erlass des streitigen Änderungsbescheids für 2001 entgegenstehen könnte. |
|
|
bb) Auch das BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 2038 zur Einkommensteuerfestsetzung 2000 entfaltet keine den Erlass des Änderungsbescheids hindernde Rechtskraftwirkung. Dies folgt bereits daraus, dass das Urteil die Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2000 und demzufolge die Höhe des Betriebsausgabenabzugs für dieses Jahr, nicht aber für das Jahr 2001 betrifft. |
|
|
cc) Dem Erlass des streitigen Einkommensteueränderungsbescheids steht das Urteil des FG vom 13. Januar 2006 11 K 3755/03 E, das u.a. die Frage des Betriebsausgabenabzugs des Klägers im Streitjahr betrifft, ebenfalls nicht entgegen. |
|
|
In seinem die Klage für 2001 abweisenden Urteil befasst sich das FG zwar mit dem Betriebsausgabenabzug, resultierend aus der vom Kläger gezahlten Umsatzsteuer. Entschieden hat es insoweit jedoch nur über den im Klageverfahren noch streitigen Betrag von 647,46 EUR, nicht aber über die bereits in der Einspruchsentscheidung vom 6. Juni 2003 zugunsten des Klägers berücksichtigten Betriebsausgaben in Höhe von 33.714,76 DM. Das FG stellt in den Urteilsgründen ausdrücklich darauf ab, dass der Kläger im Streitjahr höchstens „Zuschläge/Zinsen auf Steuern und Umsatzsteuer in Höhe von 33.714,76 DM“ gezahlt habe. Dies verdeutlicht, dass es –in Übereinstimmung mit dem Klagebegehren und unter Beachtung des im finanzgerichtlichen Verfahren geltenden Verböserungsverbots– lediglich über einen über diesen Betrag hinausgehenden Betriebsausgabenabzug entschieden hat. Das FG hat einen entsprechenden Betriebsausgabenabzug des Klägers verneint und die Klage –da es dem Vorbringen des Klägers auch im Übrigen nicht folgte– abgewiesen. Mithin hat das FG auch nicht im Zusammenhang mit einer Saldierung über die Rechtmäßigkeit des dem Kläger bereits mit der durch die Einspruchsentscheidung geänderten Steuerfestsetzung gewährten Betriebsausgabenabzugs in Höhe von 33.714,76 DM entschieden. Seine diesbezüglichen Ausführungen im Urteil vom 13. Januar 2006 11 K 3755/03 E sind als obiter dictum anzusehen, das nicht an der Rechtskraftwirkung der Entscheidung teilnimmt. |
|
|
3. Der Senat kann allerdings auf der Grundlage der Feststellungen des FG nicht darüber befinden, in welchem Umfang eine Änderung der Steuerfestsetzung für das Streitjahr gemäß § 174 Abs. 4 AO zulässig war. Er kann –da eine weitere Sachaufklärung im Revisionsverfahren ausgeschlossen ist– daher nicht abschließend über die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids entscheiden. Die Sache ist nicht spruchreif. |
|
|
Das FG hat –ausgehend von seiner maßgeblichen Begründung zur Rechtskraftwirkung gemäß § 110 FGO– keine hinreichenden Feststellungen zu den sowohl bei der Festsetzung der Einkommensteuer 2000 als auch bei der Festsetzung der Einkommensteuer 2001 berücksichtigten konkreten Umsatzsteuerzahlungen getroffen. Daher kann der Senat nicht darüber entscheiden, ob tatsächlich eine Doppelerfassung von Umsatzsteuerzahlungen in Höhe von 27.510,84 DM vorliegt, wie im Änderungsbescheid vom 6. August 2008 angenommen und vom Kläger bestritten wird. |
|
|
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO. |
|