Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 11.02.2019 – 9 AR 2/19 (SA F)

August 2, 2022

Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 11.02.2019 – 9 AR 2/19 (SA F)

Tenor
Zum zuständigen Gericht wird das Amtsgericht – Familiengericht – Luckenwalde bestimmt.

Gründe
1.

Gegenstand des dem Zuständigkeitsstreit zugrunde liegenden Verfahrens ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz aufgrund verschiedener Vorfälle an unterschiedlichen Orten sowie aufgrund von weiteren verbalen Übergriffen via Telekommunikation.

Die Antragstellerin zu 1. stellte ihre Anträge (für sich und zwei minderjährige Kinder) bei der Rechtsantragsstelle des für ihren Wohnort zuständigen Amtsgerichts Luckenwalde. Ohne Hinweis an die Antragstellerin zu 1. auf ein Wahlrecht für den Gerichtsstand und ohne vorherige Anhörung hat sich das Amtsgericht Luckenwalde mit Beschluss vom 21. Januar 2019 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel verwiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Antragsgegner im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel wohnt und „die Tat“ dort auch begangen worden sei.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat sich mit Beschluss vom selben Tag ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG dem Brandenburgischen Oberlandesgericht vorgelegt.

2.

Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 5 Abs. 1 FamFG durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden.

Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG liegen vor.

Zuständig ist das Amtsgericht – Familiengericht – Luckenwalde aufgrund der durch die Antragsteller ausgeübten Wahl gemäß § 211 FamFG. Das Amtsgericht Luckenwalde war nach dem insoweit maßgeblichen Vorbringen der Antragstellerin zu 1. gemäß § 211 Nr. 1 FamFG als Gericht des Tat-, respektive Erfolgsorts der geschilderten – ausdrücklich auch gegen die Antragsteller zu 2. und 3. gerichteten – drohenden und beleidigenden Gesten und Nachrichten im November 2018 (vgl. dazu auch Bl. 5 GA) ersichtlich jedenfalls auch örtlich zuständig. Die Antragstellerin zu 1. hat – nunmehr zur Vermeidung weiterer Verzögerungen mit Schreiben vom 6. Februar 2019 unmittelbar durch den Senat über ihr Wahlrecht informiert – am heutigen Tage mitgeteilt, dass sie dieses dahin ausübe, dass das Amtsgericht Luckenwalde für die Entscheidung über ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Gewaltschutzanordnung zuständig sein soll. Nach Ausübung des Wahlrechts durch die Antragstellerin ist das Amtsgericht – Familiengericht – Luckenwalde gemäß § 211 FamFG das ausschließlich örtlich zuständige Gericht.

Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel ergibt sich auch nicht als Folge des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Luckenwalde, weil diesem Beschluss Bindungswirkung nicht beigemessen werden kann.

Zwar sind im Interesse der Verfahrensökonomie und zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkten Verzögerungen und Verteuerungen des Verfahrens Verweisungsbeschlüsse gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 FamFG unanfechtbar. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGHZ 102, 338/340 BGH NJW-RR 1992, 902 f.). Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss jedoch dann keine Bindungswirkung zu, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 3 FamFG ergangen angesehen werden kann. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Einfache Rechtsanwendungsfehler rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung demzufolge grundsätzlich nicht. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt oder wenn sich die Verweisungsentscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist, d.h. nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (ständige höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung, vgl. nur BGH MDR 2011, 253/254 und 1254; Brandenburgisches Oberlandesgericht, 1. Zivilsenat, JMBl. 2011, 25 – jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; erkennender Senat, Beschluss vom 12. März 2012, Az. 1 (F) Sa 2/12).

Hier liegt ein gravierender Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor, der zur Durchbrechung der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses Anlass gibt (vgl. dazu Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 281 Rdnr. 17a). Das Amtsgericht Luckenwalde hätte mindestens die Antragsteller (bei einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gew-SchG nicht notwendig auch den Antragsgegner) vor Erlass des Beschlusses vom 21. Januar 2019 zu der beabsichtigten Verweisung anhören müssen, § 3 Abs. 1 Satz 2 FamFG; dies gilt vorliegend umso mehr, als die Antragsteller nach § 211 FamFG ein Wahlrecht hinsichtlich des zuständigen Gerichts haben, das nach ordnungsgemäßer Ausübung desselben örtlich ausschließlich zuständig ist. Hier kam nach der ausführlichen Darstellung im Antrag vom 21. Januar 2019 und den dazu überreichten Anlagen ersichtlich nicht allein das Amtsgericht Brandenburg an der Havel nach § 211 Nr. 1 und 3 FamFG, sondern gleichermaßen das Amtsgericht Luckenwalde nach § 211 Nr. 1 FamFG in Betracht. Es ist allgemein anerkannt, dass das Gericht des Tatorts im Sinne von § 211 Nr. 1 FamFG jeden Handlungsort, also sowohl den Tatort wie auch den Erfolgsort erfasst, die – gerade auch bei der Verwendung von Fernkommunikationsmitteln – regelmäßig auseinanderfallen (vgl. Zöller, a.a.O., § 211 Rdnr. 6 FamFG). Eine bindende Wahl des zuständigen Gerichts hatten die Antragsteller zunächst nicht getroffen. Die Antragstellerin zu 1. ist durch keines der beteiligten Amtsgerichte auf ihr Wahlrecht hingewiesen worden, was erforderlich gewesen wäre (Johannsen/Henrich/ Götz, FamFG, 6. Aufl., § 211 Rdnr. 7; siehe auch Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 211 FamFG Rdnr. 4). Dass die Antragstellerin die Rechtsantragsstelle des Amtsgerichts Luckenwalde aufgesucht hat, ist noch nicht als Akt der Ausübung des Wahlrechts anzusehen, da für die Aufnahme derartiger Anträge die Zuständigkeit eines jeden Amtsgerichts gegeben ist, § 25 Abs. 2 FamFG. Solange der Antragsteller nicht belehrt ist oder sonst erkennen lässt, dass er bewusst sein Wahlrecht ausüben will, kann aus der Tatsache, dass eines der zuständigen Gerichte aufgesucht wird, noch nicht auf die Ausübung des Wahlrechts geschlossen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 17. August 2010, Az.: 9 AR 4/10; Prütting/Helms/Neumann, FamFG, 4. Aufl., § 211 Rdnr. 2; Keidel/Giers, FamFG; 19. Aufl., § 211 Rdnr. 2). Letztlich kommt es für diese Frage im Streitfall allerdings bereits deshalb nicht mehr an, weil inzwischen nach Hinweis durch den Senat ausdrücklich die Wahl des – danach ausschließlich örtlich zuständigen – Amtsgerichts Luckenwalde erklärt worden ist.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

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