VG Karlsruhe, Urteil vom 28.07.2022 – 19 K 1406/21

August 26, 2022

VG Karlsruhe, Urteil vom 28.07.2022 – 19 K 1406/21

Tenor
Der Bescheid der … – … -Schule vom 18.03.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 14.04.2021 wird aufgehoben, soweit mit ihm der Schulausschluss des Klägers verfügt worden ist.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen seinen Schulausschluss.

Der 1992 geborene Kläger besuchte vom 01.02.2021 bis zum 17.03.2021 die … – … -Schule in … – Fachschule für Meister, Fachrichtung Metallbauer. Es war eine einjährige Belegung der Meisterschule vorgesehen.

Am 01.02.2021 erschien der Kläger zur Einführungsveranstaltung. Er trug dabei keinen Mund-Nasen-Schutz und legte sowohl dem Klassenlehrer als auch dem Technischen Lehrer und Leiter der Werkstatt ein auf den 27.08.2020 datiertes Attest von Dr. … …, aus … …, Österreich, vor. In diesem heißt es:

„Hiermit bestätige ich, dass das Tragen von einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung für die oben genannte Person aus gesundheitlichen Gründen kontraindiziert, wissenschaftlich belegbar gesundheitsschädlich und im Sinne der Psychohygiene traumatisierend und damit unzumutbar ist.“

Bis zum 10.03.2021 wurde die Klasse sodann in Form des Distanzunterrichts beschult. Am 10.03.2021 zu Beginn des in Präsenz abgehaltenen Werkstattunterrichts wies der Schulleiter den Kläger auf die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung während des Unterrichts hin. Der Kläger legte erneut das oben bezeichnete Attest von 27.08.2020 vor und wurde darauf hingewiesen, dass dieses als nicht ausreichend zur Befreiung von der Maskenpflicht angesehen werde.

Am 17.03.2021 erschien der Kläger erneut ohne Mund-Nasen-Bedeckung zum Unterricht, woraufhin der Technische Lehrer des Werkstattunterrichts den Schulleiter zu sich bat. Zunächst erschien der stellvertretende Schulleiter, der den Kläger vor die Tür des Unterrichtsraums bat und ihn aufforderte, eine Maske zu tragen oder das Schulgebäude zu verlassen. Dieser legte erneut das oben bezeichnete Attest vor und überließ es dem stellvertretenden Schulleiter. Der Kläger bat um eine schriftliche Bestätigung, dass er bei Nichttragen einer Mund-Nasen-Bedeckung die Schule verlassen müsse. Der stellvertretende Schulleiter bat ihn, vor dem Klassenraum zu warten, er werde in der Zwischenzeit die gewünschte Bescheinigung ausstellen. Als sodann der Schulleiter, der stellvertretende Schulleiter und der Technische Lehrer gemeinsam zu dem wartenden Kläger zurückgekehrt waren, bat zunächst der stellvertretende Schulleiter erneut um das Attest, das ihm der Kläger aushändigte. Der stellvertretende Schulleiter übergab dieses dann dem Schulleiter, der es nicht – jedenfalls nicht unmittelbar – an den Kläger zurückgeben wollte. In der Folge ging der Kläger auf den Schulleiter zu. Ihm gelang es, den auf den Rücken abgewendeten Arm des Schulleiters so festzuhalten, dass er das Attest mit der rechten Hand aus dem Griff des Schulleiters herausnehmen konnte. Sodann verließ der Kläger das Schulgelände.

Gegenüber der anschließend eintreffenden Polizei stellte der Schulleiter Strafantrag. Der Schulleiter suchte eine ärztliche Praxis auf, die unter dem 18.03.2021 ein Attest erstellte, wonach der Schulleiter „heute, 17.03.2021“ Kratzspuren und Prellungen am linken Handgelenk sowie Schmerzen und eine Schwellung an der linken Schulter erlitten habe.

Der stellvertretende Schulleiter legte seine Eindrücke von dem Ereignis am 17.03.2021 am 23.03.2021 schriftlich nieder. Danach sei er von dem Werkstattlehrer hinzugebeten worden, weil der Kläger keine Maske getragen habe. Als er den Schüler auf das Attest angesprochen und verwundert gefragt habe, weshalb es sich um ein österreichisches Attest handele, habe dieser das Attest wieder an sich genommen und habe angegeben, dass es rechtswirksam sei, was er durch einen Anwalt habe prüfen lassen. Er habe den Kläger dann, als dieser die Entscheidung, dass er die Schule verlassen müsse, wenn er keine Mund-Nasenbedeckung trage, schriftlich haben wollte, gebeten vor dem Klassenraum zu warten. Er habe dann die gewünschte Bescheinigung verfasst. Als er zurückgekehrt sei, sei auch der Schulleiter wieder vor Ort gewesen. Der Kläger habe auf Nachfrage noch einmal sein Attest gezeigt und es ihm gegeben. Er habe es an den Schulleiter weitergereicht. Dieser habe das Attest zur Prüfung einbehalten. Der Kläger sei unvermittelt auf den Schulleiter losgegangen und habe versucht, ihm das Dokument zu entreißen. Der Schulleiter habe sich mehrfach abgewandt und zu verstehen gegeben, dass er das Dokument erst nach einer Prüfung zurückgeben werde. Der Kläger habe das Dokument dem Schulleiter schließlich entrissen, der eine blutende Wunde am Handrücken davongetragen habe. Der Werkstattlehrer habe die Polizei gerufen.

Am Nachmittag des 17.03.2021 stimmte die Klassenkonferenz unter der Leitung des Schulleiters dem endgültigen Schulausschluss zu, der vom Schulleiter beantragt worden war.

Mit Schreiben vom 18.03.2021 verfügte der Schulleiter, dass der Kläger „unverzüglich aus der … – … – … “ ausgeschlossen werde. Ihm wurde auch ein Hausverbot erteilt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Grund für den Schulausschluss der „schwerwiegende Vorfall am 17.03.21“ sei, bei dem sich der Kläger wiederholt den Anweisungen der Schulleitung widersetzt habe und in der Folge mit körperlicher Gewalt gegen den Schulleiter angegangen sei, wobei der Schulleiter verletzt worden sei. Als er dem Schulleiter ein „vermeintliches Attest“ übergeben habe, dass dieser sodann zur Prüfung habe einbehalten wollen, sei er unvermittelt auf diesen losgegangen, um ihm das Dokument zu entreißen. Er habe den Schulleiter massiv tätlich angegriffen, habe Gewalt angewendet und ihm das Dokument entrissen, wobei der Schulleiter Verletzungen an der Schulter, am Arm und an der Hand erlitten habe. Es handele sich um ein schwerwiegendes Fehlverhalten, bei dem eine Gefährdung von Personen entstanden sei. Es bestehe eine Gefahr für die Sicherheit und die Gesundheit in der Schule. Die Klassenkonferenz sei angehört worden und habe sich der Entscheidung der Schulleitung angeschlossen. Ein Gespräch mit dem Kläger sei nicht möglich gewesen, da er die Schule unmittelbar verlassen habe. Er habe die Möglichkeit, sich zu der Entscheidung zu äußern. Die Angelegenheit könne auf seinen Antrag hin der Schulkonferenz vorgetragen werden. Dazu sei jeweils eine schriftliche Äußerung erforderlich. Sollte bis zum 02.04.2021 keine Meldung an die Schulleitung eingegangen sein, werde die Maßnahme abschließend vollzogen.

Mit Schreiben vom 19.03.2021 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass er diesen vertrete und den Ausschluss vom Präsenzunterricht sowie die Sperrung seines Onlinezugangs für rechtswidrig halte, da der Kläger von der Maskenpflicht befreit sei. Er forderte die Schulleitung auf, bis zum 26.03.2021 zur Vermeidung der Einleitung weiterer Maßnahmen schriftlich zu bestätigen, dass der Kläger auch zukünftig das Schulgelände der … – … – … zu den Zeiten, zu denen er dort am Schulunterricht teilnehmen müsse, ohne Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes aufsuchen könne.

Mit Schreiben vom 22.03.2021 wies die Schule den Bevollmächtigten ergänzend darauf hin, dass der Ausschluss aufgrund des tätlichen Angriffs und nicht des Verstoßes gegen die Maskenpflicht erfolgt sei, sandte ihm den Bescheid zu und bat um Mitteilung bis zum 30.03.2021, ob das Schreiben als Widerspruch zu verstehen sei. In diesem Fall werde er aufgefordert, den Widerspruch innerhalb der gesetzlichen Frist zu begründen und mitzuteilen, ob eine Anhörung der Schulkonferenz gewünscht werde.

Unter dem 24.03.2021 erklärte der Bevollmächtigte, dass das Schreiben vom 19.03.2021 als Widerspruch zu werten sei. Eine weitere Begründung folgte nicht.

Mit Schreiben vom 08.04.2021 legte der Schulleiter den Vorgang dem Regierungspräsidium Karlsruhe vor. Eine Begründung des Widerspruchs sei bisher nicht eingegangen und weder das Angebot eines Gesprächstermins angenommen noch der Wunsch, die Schulkonferenz zu beteiligen geäußert worden. Er lehne den Widerspruch ab. Unter anderem heißt es in dem Vorlagebericht:

„… Nach diesem Übergriff sitzt der Schock bei mir, aber auch den Kollegen sowie den Schülern tief. In der Schule hat sich dieser Vorfall schnell verbreitet, v.a. die betroffene Klasse ist entsetzt. Dieser Vorfall hat die Schulgemeinschaft und auch mich erschüttert. …“

Mit Bescheid vom 14.04.2021 – dem Kläger zugestellt am 15.04.2021 – wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch zurück. Der Ausschluss sei formell und materiell rechtmäßig. Indem die Schule zur Begründung des Widerspruches aufgefordert habe, sei die Anhörung nachgeholt worden. Der Kläger habe auch nicht den Wunsch geäußert, die Schulkonferenz anzuhören. Die Voraussetzungen des schweren oder wiederholten Fehlverhaltens – § 90 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. g), Abs. 6 Sätze 2 bis 5 SchulG – lägen vor. Der Kläger habe das Attest dem Schulleiter unter Anwendung von Gewalt entwendet und diesen verletzt. Er habe durch sein Verhalten gezeigt, dass er ein erhebliches Aggressionspotential in sich trage, das er nicht kontrollieren könne. Zudem sei durch das Verhalten deutlich geworden, dass er die Position des Schulleiters nicht respektiere und sich nicht an geltende Vorschriften halten könne. Da der Schulleiter über die Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu entscheiden habe, sei er in Fällen begründeter Zweifel auch berechtigt, das Attest zu den Akten zu nehmen.

Da der Schulleiter ordnungsgemäß gehandelt habe, habe der Kläger ein schwerwiegendes Fehlverhalten begangen, als er sich dem gewaltsam widersetzt habe. Der Ausschluss sei auch verhältnismäßig. Denn der Einsatz der Gewalt sei so schwerwiegend gewesen, dass der Technische Lehrer noch während des Vorfalls die Polizei gerufen habe. Nur durch den Ausschluss könne die Schulsicherheit gewährleistet und verdeutlicht werden, dass die Schule keine Gewalt dulde. Eine mildere, gleich effektive Maßnahme sei nicht ersichtlich, da der Kläger volljährig sei. Er habe die Schule auch erst wenige Wochen besucht. Innerhalb dieser kurzen Zeit habe er bereits die Autorität der Schulleitung in Frage gestellt. Bereits das einmalige gewalttätige Fehlverhalten sei schwerwiegend und erfülle den Tatbestand der Körperverletzung. Die Folgen des Ausschlusses würden dadurch abgemildert, dass er andere Schulen besuchen könne.

Mit Strafbefehl des AG Karlsruhe vom 17.06.2021 wurde der Kläger wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen verurteilt, der hinsichtlich der Tagessatzhöhe mit Beschluss vom 15.10.2021 abgeändert und rechtskräftig wurde.

Der Kläger erhob mit Schriftsatz vom 15.04.2021 Klage. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass er das nunmehr umstrittene Attest bereits am 01.02.2021 vorgelegt habe. An jenem Tag und zunächst in der Folgezeit seien dagegen keine Einwände erhoben worden. Erst am 10.03.2021 habe er das Attest vorzeigen müssen, woraufhin der Schulleiter erklärt habe, dass es sich um eine Fälschung handele. Der Schulleiter sei nicht befähigt, eine solche Feststellung zu treffen. Der Vorwurf sei auch falsch. Das Attest sei von Herrn Dr. … ausgestellt worden. Am 17.03.2021 habe der Schulleiter das Attest rechtswidrig ohne Rechtsgrundlage einbehalten, obwohl er auf das Mitsichführen des Attests auch an anderen Stellen angewiesen gewesen sei. Er habe den Schulleiter mindestens zweimal aufgefordert, ihm das Attest zurückzugeben, und vorgeschlagen eine Kopie zu erstellen. Dem sei der Schulleiter nicht nachgekommen. Der habe sich von ihm weggedreht, bis er schließlich den Unterarm des Schulleiters festgehalten und das Attest aus der Hand genommen habe. Er habe den Schulleiter weder gekratzt noch massiv tätlich angegangen, sondern lediglich den Unterarm des Schulleiters mit seiner linken Hand fixiert. Zwar könnten Tätlichkeiten eines Schülers gegen einen Lehrer grundsätzlich geeignet sein, einen Schulausschluss zu rechtfertigen. Hier sei allerdings zu berücksichtigen, dass etwaige Tätlichkeiten die Schulgemeinschaft nicht hätten erschüttern können, weil sich der Vorfall außerhalb des Klassenzimmers abgespielt habe und außer dem Kläger, dem Technischen Lehrer, dem Schulleiter und dem stellvertretenden Schulleiter keine weiteren Personen anwesend gewesen seien. Es sei nicht zu erkennen, wie ein Schock bei den Schülern tief sitzen solle. Diese hätten den Vorfall nicht mitbekommen.

Eine Rechtsgrundlage zum Einbehalten des Attests durch die Schulleitung ergebe sich aus der Corona-VO des Landes nicht. Es sei auch nicht zu erkennen, weshalb das Attest im Original einbehalten werden müsste. Der Schulleiter habe jedenfalls nicht erklärt, dass er eine Kopie habe erstellen wollen. Vielmehr habe er das Attest als Fälschung bezeichnet und habe es einbehalten wollen. Der Kläger habe hingegen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er einverstanden sei, wenn von dem Attest eine Kopie gefertigt würde. Dies hätte im Rahmen der Ermessenserwägungen berücksichtigt werden müssen. Die Frage, ob der Kläger zu Recht eine Mund-Nasen-Bedeckung nicht getragen habe, sei bei den Ermessenserwägungen vollständig unberücksichtigt geblieben.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der … – … – … … vom 18.03.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 14.04.2021 aufzuheben, soweit mit ihm der Schulausschluss des Klägers verfügt worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass der Kläger am ersten Tag des Präsenzunterrichts am 10.03.2021 sowohl durch seine Lehrkraft als auch durch den Schulleiter darauf hingewiesen worden sei, dass das vorgelegte Attest nicht den Anforderungen entspreche, nicht akzeptiert werde und somit nicht zu einer Befreiung von der Maskenpflicht führen könne. Der Kläger habe auch – anders als von ihm behauptet – nicht zunächst freundlich um Herausgabe des Attests und ggf. Anfertigung einer Kopie gebeten. Er sei unvermittelt auf den Schulleiter losgegangen, habe ihn an die Wand gedrückt und ihm gewaltsam das Attest entrissen. Unerheblich sei, dass der Kläger das Attest angeblich auch für die Benutzung der Tiefgarage benötigt habe. Dies könne das gewalttätige Verhalten nicht rechtfertigen. Durch das aggressive Auftreten habe der Kläger den Schulleiter am linken Handgelenk und an der Schulter verletzt. Dem Schulleiter sei es auch gestattet gewesen, die durch den Kläger vorgelegte Bescheinigung an sich zu nehmen, eine Mehrfertigung zu erstellen bzw. sich Notizen zu machen um anschließend die Glaubhaftigkeit der Darlegungen prüfen zu können. Die Behauptung des Klägers, er habe dem Schulleiter die Erstellung einer Mehrfertigung gestattet, sei unzutreffend.

Der Vorfall selbst habe sich in unmittelbarer Nähe des Werkstattraums ereignet, so dass die übrigen Schüler den Vorfall unmittelbar hören und mitbekommen konnten. Der Schulausschluss selbst diene hier in erster Linie der Sicherheit des Schulleiters und der Lehrkräfte, aber auch der Wiederherstellung des Schulfriedens. Es könne an einer Schule nicht geduldet werden, dass Schülerinnen und Schüler sich mit Gewalt gegenüber dem Schulleiter „Recht“ verschafften.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist der Kläger ergänzend informatorisch zu den Geschehnissen am 17.03.2021 angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Dem Gericht lagen die Verfahrensakten der Beklagten sowie die Strafverfahrensakten 14 Cs 280 Js 14335/21 des Amtsgerichts Karlsruhe vor. Auf diese wird ebenso wie auf die Gerichtsverfahrensakten wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.

Gründe
Die zulässige (I.) Klage ist begründet (II.). Der angegriffene Bescheid vom 18.03.2021, der in die Rechte des Klägers einzugreifen bestimmt ist, erweist sich, soweit er angegriffen ist, als nichtig und ist daher im beantragten Umfang aufzuheben.

I. Die erhobene Klage ist als Anfechtungsklage statthaft, denn auch ein nichtiger Verwaltungsakt kann mit dem Ziel der Aufhebung durch das Gericht angefochten werden (BVerwG, Urteil vom 20.03.1964 – VII C 10.61 – BVerwGE 18, 154 (155) u. Beschluss vom 07.01.2013 – 8 B 57.12 – juris Rn. 5; Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 42 Rn. 15; von Albedyll, in: Bader u.a., VwGO, 8. Aufl. 2021, § 42 Rn. 12; aA. Pietzcker/Marsch, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Januar 2020, § 42 Rn. 18). Das – auch im Falle der Nichtigkeit – für die Anfechtungsklage erforderliche Vorverfahren (Schmitt-Kötters, in: BeckOK VwGO, Stand: 01.10.2019, § 42 Rn. 21) ist vom Kläger durchlaufen, die – ebenfalls – anwendbare Klagefrist aus § 74 Abs. 1 VwGO (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.05.1998 – 12 A 12501/97 – NVwZ 1999, 198) eingehalten worden.

II. Die Klage ist begründet. Denn der angegriffene, gegen den Kläger verfügte, Schulausschluss ist nach § 44 Abs. 1 LVwVfG nichtig und unterliegt daher der Aufhebung (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).

1. Mit dem angegriffenen Bescheid vom 18.03.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.04.2021 ist ein endgültiger Schulausschluss im Sinne des § 90 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. g) SchG verfügt worden, zu dem diese Norm in Verbindung mit § 90 Abs. 6 SchG ermächtigt. Die Formulierung, dass die Maßnahme abschließend vollzogen werde, wenn bis zum 02.04.2021 keine Meldung an die Schulleitung eingegangen sein sollte, könnte zwar isoliert betrachtet darauf hindeuten, dass hier eine vorläufige Maßnahme nach § 90 Abs. 9 Satz 1 SchG verfügt werden sollte. Da aber keine zeitliche Befristung ausgesprochen wurde und auch die Klassenkonferenz – entsprechend § 90 Abs. 3 Satz 1 SchG – zum endgültigen Schulausschluss und nicht – entsprechend § 90 Abs. 9 Satz 2 SchG – der Klassenlehrer zum vorläufigen Ausschluss gehört worden ist, kann bei der gebotenen Auslegung aus Sicht eines objektiven Empfängers die verfügte Maßnahme allein als endgültiger Schulausschluss verstanden werden.

2. Nach § 44 Abs. 1 LVwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

a) Die Vorschrift ist anwendbar, weil weder ein zwingender Nichtigkeitsgrund nach § 44 Abs. 2 LVwVfG erfüllt ist noch ein in dem Negativkatalog des § 44 Abs. 3 LVwVfG aufgeführter Grund einschlägig ist (dazu auch II. 2. b) bb) (3)), bei dem bestimmt wäre, dass sein Vorliegen nicht als solches zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts führt. Das LVwVfG selbst ist anwendbar, weil für die Tätigkeit der Schulen in Baden-Württemberg nur bei Versetzungs- und anderen Entscheidungen, die auf einer Leistungsbeurteilung beruhen, Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Gesetzes vorgesehen sind, § 2 Abs. 3 Nr. 2 LVwVfG.

b) Der angegriffene Schulausschluss leidet an einem besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne des § 44 Abs. 1 LVwVfG, denn das Verwaltungsverfahren hat der Schulleiter selbst geführt, obwohl ein Grund vorlag, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG. Aufgrund einer bei ihm festzustellenden Befangenheit hätte er sich einer Mitwirkung am Schulausschlussverfahren selbst oder auf Anordnung des Regierungspräsidiums Karlsruhe enthalten müssen. Aufgrund der besonderen Umstände des Falls wiegt der Fehler hier besonders schwer.

aa) In der Person des Schulleiters lag ein Grund vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen, denn er war hinsichtlich des Verwaltungsverfahrens zum Schulausschluss des Klägers befangen.

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG hat, wer in einem Verwaltungsverfahren für eine Behörde tätig werden soll, den Leiter der Behörde zu unterrichten, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen und sich auf dessen Anordnung der Mitwirkung zu enthalten. Betrifft die Besorgnis der Befangenheit den Leiter der Behörde, so trifft diese Anordnung die Aufsichtsbehörde, sofern sich der Behördenleiter nicht selbst einer Mitwirkung enthält, § 21 Abs. 1 Satz 2 LVwVfG. Ein relevanter Grund liegt vor, wenn auf Grund objektiv feststellbarer Tatsachen für die Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände die Besorgnis nicht auszuschließen ist, ein bestimmter Amtsträger werde in der Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden (BVerwG, Urteil vom 13.10.2011 – 4 A 4001.10 – BVerwGE 141, 1 Rn. 33).

(1) Ein solcher Grund bestand hier, weil der Schulleiter hier Opfer einer vom Kläger begangenen Straftat geworden ist, die bei ihm – sehr verständlicherweise – einen tief sitzenden Schock und eine Erschütterung ausgelöst hatte, was er selbst im Nachgang im Rahmen der Nichtabhilfeentscheidung schriftlich niederlegte.

Die Erschütterung und der Schock ist aufgrund des Übergriffs des Klägers gegen den Schulleiter vollständig nachvollziehbar. Insbesondere ist die Kammer nach der informatorischen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung überzeugt, dass die strafrechtlichen Ausführungen des AG Karlsruhe im Strafbefehl vom 17.06.2021 den tatsächlichen Sachverhalt nicht hinreichend erfassen und in der Folge auch nicht vollständig würdigen. Der Kläger, der bei einem persönlichen Gegenübertreten bereits aufgrund seiner erheblichen Körpergröße und seines Körperbaus eine massive Präsenz ausstrahlt, hat nach eigenen Angaben auf die Erläuterung des Schulleiters, das Attest einbehalten zu wollen, deutlich gemacht, dass er es wiederhaben wolle, ohne dass zuvor über die Möglichkeit, eine Kopie zu fertigen, gesprochen worden war. Ebenso hat der Kläger selbst angegeben, sehr erregt gewesen zu sein und gehandelt zu haben. So hat er einen ansteigenden Blutdruck wahrgenommen, der ihn daran gehindert habe, wegen des Streits um das Attest selbst die Polizei zu rufen. Stattdessen habe er es sich genommen, indem der den Unterarm des Schulleiters „keine zehn Sekunden“ fixiert habe. Auch die Schilderung, erst an einer Ampel außerhalb des Schulgebäudes in der Folge seines gewalttätigen Übergriffs Hautschuppen unter den Fingernägeln verspürt zu haben, lässt erkennen, in welch hohem Erregungszustand und mit welcher Heftigkeit der Kläger den Schulleiter durch die Anwendung von physischer Gewalt dazu gebracht hat, das Attest loszulassen. Ohne dass es darauf ankäme ist es schwer vorstellbar, dass der Kläger den Schulleiter nicht mit Gewalt zur Duldung des Entzugs des unmittelbaren Besitzes an dem Attest oder zur Übergabe des Attests genötigt haben soll, wobei die Gewaltanwendung hier erkennbar als verwerflich anzusehen ist. Dies dürfte zu einer Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB und § 223 Abs. 1 StGB führen, weil der Kläger Gesundheitsschädigungen des Schulleiters bewusst in Kauf genommen haben dürfte. Da der Kläger nach eigenen Angaben das Attest freiwillig dem stellvertretenden Schulleiter übergeben und somit keinen unmittelbaren Besitz an dem Attest mehr hatte, kommt auch eine Rechtfertigung nach § 859 BGB nicht in Betracht, da ihm das Attest nicht mittels verbotener Eigenmacht weggenommen worden war. Die Rechte zur Besitzwehr und -kehr bestehen jeweils nur zur Verteidigung unmittelbaren Besitzes gegen verbotene Eigenmacht (Fritzsche, in: BeckOK BGB, Stand: 01.05.2022, § 859 BGB Rn. 4).

Angesichts dessen, dass der Schulleiter hier Opfer einer unter Anwendung physischer Gewalt verübten Straftat geworden ist, die ihn – wie dargestellt – persönlich erheblich betroffen gemacht hat, sind hier Tatsachen festzustellen, die eine nicht unvoreingenommene Entscheidung nicht nur nicht ausschließen lassen, sondern letztlich über die Besorgnis der Befangenheit hinaus eine tatsächliche Befangenheit selbst indizieren. Dass der Schulleiter sein Amt im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nicht – wie geboten – unparteiisch, sondern von Voreingenommenheit geprägt, ausgeübt hat und nicht anders ausüben konnte, wird im konkreten Fall dadurch belegt, dass ihm im Rahmen der Entscheidung ausweislich der Begründung des angegriffenen Bescheids offenkundig bewusst gewesen ist, dass der Kläger anzuhören (§ 28 Abs. 1 LVwVfG) und ihm die Gelegenheit zu geben war, den Wunsch zu äußern, die Schulkonferenz anzuhören (§ 90 Abs. 4 Satz 1 SchG), er diese grundlegenden Verfahrensrechte dem Kläger aber zunächst vorenthalten hat.

(2) Anstatt selbst zu entscheiden, hätte sich der Schulleiter – als Behördenleiter – entweder der Entscheidung enthalten müssen oder die Aufsichtsbehörde – das Regierungspräsidium Karlsruhe (§§ 33 f. SchulG) – informieren müssen, damit diese dann eine Entscheidung über die Nichtmitwirkung hätte treffen können, § 21 Abs. 1 Satz 2 LVwVfG.

Unerheblich für den Rechtsverstoß ist, dass keine Entscheidung der Aufsichtsbehörde über die weitere Mitwirkung des Schulleiters ergangen ist. Denn weder dem Behördenleiter noch der Aufsichtsbehörde kommt bei der Entscheidung ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu, so dass sich die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes allein danach bemisst, ob tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit oder gar – wie hier – eine festzustellende Befangenheit bestand (Steinkühler, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 21 Rn. 55; Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 21 Rn. 1).

(3) Entgegen der in der mündlichen Verhandlung von dem Beklagten geäußerten Rechtsansicht des Beklagten folgt aus der Zuweisung der exklusiven Zuständigkeit für den Schulausschluss an den Schulleiter in § 90 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SchG nicht, dass keine andere Person – beispielsweise der zu seiner Vertretung berufene stellvertretende Schulleiter – über den Schulausschluss befinden dürfte und schon daher ein Ausschluss eines Schulleiters im Verwaltungsverfahren nach den §§ 20 f. LVwVfG nicht in Betracht käme. Die Vorschrift des § 90 Abs. 3 SchG bestimmt die Zuständigkeiten für die Verhängung von Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen, von denen nicht ohne gesetzliche Grundlage abgewichen werden darf. Indes enthalten sie keine besonderen Verfahrensvorschriften auf, nach denen etwa eine Anwendung der §§ 20 f. LVwVfG ausgeschlossen wäre (grundsätzlich für anwendbar hält die Norm auch VG Stuttgart, Beschluss vom 01.12.2015 – 12 K 5587/15 – juris Rn. 5 f.), wie es im mündlichen Vortrag des Beklagten angeklungen ist.

bb) Bei diesem Fehler handelt es sich um einen besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne des § 44 Abs. 1 LVwVfG.

(1) Ein Fehler fällt besonders schwer ins Gewicht, wenn sich der Verwaltungsakt als unvereinbar mit tragenden Verfassungsprinzipien oder grundlegenden Wertvorstellungen der Rechtsordnung erweist. Die an ein rechtsstaatliches Vorgehen zu stellenden Anforderungen müssen so drastisch verfehlt werden, dass es unerträglich wäre, dem Verwaltungsakt Wirksamkeit und damit Rechtsverbindlichkeit zuzuerkennen. Diese Anforderungen zeigen, dass im Falle von Rechtsfehlern eines Verwaltungsakts dessen Rechtswidrigkeit die Regel, die Nichtigkeit und der damit verbundene Verlust des Geltungsanspruchs dagegen die seltene Ausnahme ist (BVerwG, Urteil vom 22.01.2021 – 6 C 26.19 – BVerwGE 171, 156 Rn. 50). Der Katalog der in § 44 Abs. 2 LVwVfG aufgezählten Nichtigkeitsgründe ist als Auslegungshilfe für die Generalklausel des Absatzes 1 heranzuziehen (BVerwG, Urteil vom 22.02.1985 – 8 C 107.83 – NJW 1985, 2658 (2659)). Auch Absatz 3 der Vorschrift ist in den Blick zu nehmen, weil aus ihm die Wertung herauszulesen ist, welche Mängel nicht hinreichend schwer sind, um auf die Nichtigkeit des Verwaltungsakts zu schließen (vgl. Schemmer, in: BeckOK VwVfG, Stand: 01.04.2022, § 44 Rn. 19). Der Fehler im Sinne des § 44 Abs. 1 LVwVfG bezieht sich also auf den Verwaltungsakt, nicht aber auf das Verhalten der Behörde. Dies wird bestätigt namentlich durch § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG, der selbst durch (arglistige Täuschung, Drohung oder) Bestechung erwirkte Verwaltungsakte für nicht nichtig, sondern nur rücknehmbar erklärt (BVerwG, Urteil vom 22.02.1985 – 8 C 107.83 – NJW 1985, 2658 (2659)). Hinsichtlich der Mitwirkung eines Beteiligten am Verwaltungsverfahren (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVwVfG) wird vertreten, dass dies „fast immer“ zur Nichtigkeit führe (Kuntze/Beichel-Benedetti, in Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 6. Aufl. 2021, § 20 Rn. 139 mit Fn. 135; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 20 Rn. 66), Selbstbegünstigung und Entscheidung in unmittelbar eigener Sache stellen in aller Regel einen schweren und offenkundigen Fehler dar (Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 20 Rn. 69).

(2) Gemessen an diesen Maßstäben handelt es sich beim Führen des Verwaltungsverfahrens durch den Schulleiter um einen besonders schwerwiegenden Fehler.

Die Stellung des Schulleiters in der konkreten Verfahrenssituation zum Zeitpunkt des Erlasses des Schulausschlusses, der für die Beurteilung der Nichtigkeit in Ermangelung spezialgesetzlicher Regelungen maßgeblich ist (BVerwG, Beschluss vom 05.04.2011 – 6 B 41.10 – juris Rn. 4), ist sehr der einer Person angenähert, die durch die Entscheidung einen unmittelbaren Vorteil erlangen kann. Denn die in dem Bescheid zum Anlass für das Tätigwerden angesprochene Gefährdung von Personen hatte sich – was auch aus dem Bescheid hervorgeht – in der Person des Schulleiters selbst realisiert. Er war in seiner körperlichen Integrität verletzt worden und wehrt mit dem Schulausschluss nicht allein Gefahren von dem Lehrerkollegium ab, sondern zuvörderst schützt er sich mit der Maßnahme selbst.

Unabhängig davon, ob man der Ordnungsmaßnahme „Schulausschluss“ neben dem vorrangig (auch general-) präventiven Zweck auch einen repressiven Charakter zuschreiben will (etwa OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14.08.2013 – 2 A 10251/13 – NVwZ-RR 2013, 963 (964); Rux, in: Ehlers/Fehling/Punder, Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2021, § 86 Schulrecht Rn. 162) oder ausdrücklich jede repressive Komponente verneint (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.04.2015 – 19 E 514/14 – juris Rn. 2; VG Berlin, Beschluss vom 12.11.2020 – 3 L 649/20 – NVwZ-RR 2021, 581), kommt die Entscheidung des Schulleiters als Opfer einer – nicht vollständig unerheblichen – unter Anwendung von physischer Gewalt verübten Straftat eines Erwachsenen, der aufgrund der besonderen Umstände des Falls und der Person des Täters ein erhebliches Potential zur Einschüchterung zukam, dennoch einer Entscheidung eines „Richters in eigener Sache“ sehr nahe. Die Nähe und Ähnlichkeit eines endgültigen Schulausschlusses zu repressiven Maßnahmen und seine Tragweite, der sich auf die Möglichkeit zu einem anderweitigen Schulbesuch auswirken kann (§ 90 Abs. 4 Satz 2 SchG), führen dazu, dass eine Entscheidung durch den von dem das Verfahren auslösenden strafbaren vorsätzlichen Fehlverhalten erkennbar und individualisierbar erheblich Betroffenen als rechtsstaatlich nicht hinnehmbar erscheinen muss.

Aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz fairer Verfahrensgestaltung, der in seinem Anwendungsbereich nicht auf das gerichtliche Verfahren beschränkt ist (BVerwG, Urteile vom 05.12.1986 – 4 C 13.85 – BVerwGE 75, 214 (230) und vom 09.06.2010 – 9 A 20.08 – NVwZ 2011, 177 Rn. 151; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 13.11.1979 -1 BvR 1022/78 – BVerfGE 52, 380 (390)), folgen insbesondere das Gebot der Sachlichkeit und Neutralität; das Gebot verlangt, das Verfahren vorurteilslos, tolerant und emotionslos zu betreiben (Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 9 Rn. 62). Die §§ 20 f. LVwVfG sind besondere Ausprägungen dieses allgemeinen Grundsatzes. Mit ihrer Verletzung sind hier, weil die Betroffenheit des Schulleiters eine Besondere war und deshalb nicht zur Besorgnis der Befangenheit, sondern zur Befangenheit selbst geführt hat und dieser sodann ähnlich wie jemand, der in eigener Sache entscheidet, agierte, die an ein rechtsstaatliches Vorgehen zu stellenden Anforderungen in drastischer Weise verfehlt worden, so dass es unerträglich wäre, dem Verwaltungsakt Wirksamkeit und damit Rechtsverbindlichkeit zuzuerkennen.

(3) Der Fehler wird auch nicht vom Anwendungsbereich des § 44 Abs. 3 Nr. 2 LVwVfG (in analoger Anwendung) erfasst, was zur Folge hätte, das gesetzlich geregelt wäre, dass der Verstoß gegen § 21 LVwVfG für sich genommen nicht zur Nichtigkeit der angegriffenen Entscheidung führen könnte.

Allein aus dem Umstand, dass die Mitwirkung von ausgeschlossenen Personen nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 LVwVfG nicht zur Nichtigkeit eines Verwaltungsakts führt (§ 44 Abs. 3 Nr. 2 LVwVfG), kann nichts für die Bedeutung der Mitwirkung einer befangenen Person im Sinne von § 21 LVwVfG geschlossen werden (Leisner-Egensperger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 44 Rn. 45; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 9. Auf. 2018, § 44 Rn. 179, Schuler-Harms, in: Schoch/Schneider, VwVfG, Stand: April 2022, § 21 Rn. 42; aA. Goldhammer, in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand: April 2022, § 44 Rn. 96; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2019, § 44 Rn. 53). Denn wenn schon die gesetzgeberische Entscheidung zu der Bedeutung von Verstößen gegen § 20 LVwVfG bewusst selektiv ist und die Entscheidung in eigener Sache (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVwVfG) nicht zwingend von der Nichtigkeit ausschließt, gibt es keinen Anhaltspunkt, dass die Frage der Mitwirkung von Personen, die wegen (der Besorgnis der) Befangenheit auszuschließen sind, bei der Regelung der (ausgeschlossenen) Nichtigkeit übersehen worden sein könnte.

c) Der besonders schwerwiegende Fehler ist auch offenkundig im Sinne des § 44 Abs. 1 LVwVfG, wobei die Offenkundigkeit inhaltsidentisch mit der Offensichtlichkeit im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG ist (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 44 Rn. 122; vgl. auch BT-Drs. 13/8884, S. 5 zur Änderung des Wortlauts des § 44 Abs. 1 VwVfG von „offenkundig“ zu „offensichtlich“).

Offensichtlich ist die schwere Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung dann, wenn sie für einen unvoreingenommenen, mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten, verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich ist (BVerwG, Beschluss vom 13.10.1986 – 6 P 14.84 – BVerwGE 75, 62 (65)). Der schwere Mangel muss zweifelsfrei erkennbar sein, weder darf es intensiver Nachforschungen noch einerbesonderen Vertrautheit mit der tatsächlichen oder rechtlichen Lage bedürfen (Leisner-Egensperger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 44 Rn. 27).

Da sich aus der Begründung des Schulausschlusses selbst die Beteiligung des Schulleiters an dem Ereignis, das Anlass zum Schulausschluss geboten hat, ergibt, ist der schwerwiegende Fehler hier ohne Nachprüfung zweifelsfrei zu erkennen, auch weil der Verfasser des Bescheids mit seinem Namenszug und seiner Funktion „Schulleiter“ ausgewiesen ist.

3. Die nichtige Schulausschlussverfügung vom 18.03.2021 unterliegt der Aufhebung, weil von ihr der Rechtsschein eines wirksamen Schulausschlusses ausgeht und dies den Kläger in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).

4. Offen bleiben kann hier, wie es sich rechtlich auswirkte, wenn die Befangenheit des Schulleiters allein zur ursprünglichen Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schulausschlusses geführt hätte. Während der Verstoß gegen § 21 LVwVfG wohl nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens nicht mehr kausal für den zur Prüfung gestellten Verwaltungsakt sein dürfte (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.05.2015 – 1 C 24.14 – BVerwGE 152, 164 Rn. 15; Steinkühler, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 21 Rn. 59), stellte sich wohl die Frage, ob die fehlerhafte Befassung der Klassenkonferenz (§ 90 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. g) SchG) – diese wurde noch am 17.03.2021 von dem befangenen Schulleiter geleitet, der dort einen „Antrag auf Schulausschluss des Klägers“ stellte – zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Entscheidung führen müsste, was angesichts des erheblichen faktischen Gewichts der Klassenkonferenz (LT-Drs. 13/1424, S. 7) nicht fern liegt.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Berufung war nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO gegeben ist, § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO. Insbesondere sind die hier aufgeworfenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Nichtigkeit des Schulausschlusses aufgrund des Handelns eines befangenen Behördenleiters einzelfallgeprägt und führen auf keine verallgemeinerungsfähigen Rechtsfragen, die im Interesse der Rechtssicherheit, der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung bedürften.

Beschluss vom 28.07.2022

Der Streitwert wird in Anwendung von § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.

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