Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg OVG 1 N 17/21

September 2, 2022

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg OVG 1 N 17/21

Erstreckt sich eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs 1 Satz 2 GewO auf alle Gewerbe, stimmt der Unternehmensgegenstand im Sinne des § 6 Abs 2 Satz 2 Nr 2 GmbHG naturgemäß ganz oder teilweise mit dem Gegenstand des Verbots überein. Denn einem Verbot, das die Vertretungsberechtigung in allen Gewerben umfasst, liegt kein bestimmter – sachlich beschränkter – Unternehmensgegenstand zu Grunde (ebenso OLG Brandenburg, Beschluss vom 28. September 2020 – 7 W 51/20 – n.V.; a.A. KG, Beschluss vom 19. April 2012 – 25 W 34/12 – juris).

vorgehend VG Berlin, kein Datum verfügbar, 4 K 16.19
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das ihm am 4. Februar 2021 und dem Beklagten am 11. Februar 2021 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. Januar 2021 wird abgelehnt.

Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der auf § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger sich gegen die Abweisung seiner Klage auf Wiedergestattung der Gewerbeausübung wendet, hat keinen Erfolg. Das im Hinblick auf das Darlegungsgebot (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) maßgebliche Vorbringen führt auf keinen der geltend gemachten Zulassungsgründe.

1. Die Zulassung der Berufung kommt nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) in Betracht.

Derartige Zweifel bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt werden und nicht nur die Begründung der Entscheidung oder nur einzelne Elemente dieser Begründung, sondern auch die Richtigkeit des Ergebnisses derartigen Zweifeln unterliegt. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung u.a. darauf abgestellt, dass die unanfechtbar festgestellte Unzuverlässigkeit des Klägers schon deshalb fortbestehe, weil die öffentlich-rechtlichen Rückstände, die zur konkreten und erweiterten Gewerbeuntersagung durch Bescheid des Bezirksamtes vom 6. April 2006 geführt hätten, noch immer nicht vollständig getilgt seien. Für die Zeit von September 2005 bis September 2006 stünden weiterhin Arbeitnehmeranteile in Höhe von 3.688,23 Euro aus, die einer Restschuldbefreiung nicht unterlägen. Auch nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens in den Folgejahren biete der Kläger keine Gewähr dafür, sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß auszuüben. Denn er habe sich über die gegen ihn ergangene Untersagung hinwegsetzt und sei gewerblich tätig geworden. So habe er sich im Jahre 2014 als Geschäftsführer der K… in das Handelsregister eintragen lassen, obwohl die Gewerbeuntersagung auf die Tätigkeit eines Vertretungsberechtigten eines Gewerbetreibenden sowie auf jede weitere Gewerbetätigkeit erstreckt gewesen sei. Dies habe er bei der Anmeldung 2014 unerwähnt gelassen und damit falsche Angaben macht. Auf eine Fehlberatung durch den damals hinzugezogenen Rechtsanwalt könne er sich nicht berufen. Es komme im Bereich des Gefahrenabwehrrechts nicht auf fehlende Schuldhaftigkeit des Verhaltens an. Unabhängig davon könne ihm nicht verborgen geblieben sein, dass er mit der Tätigkeit als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegen die gegen ihn ergangene Gewerbeuntersagung verstoße. Denn mit diesem Argument habe das Bezirksamt Pankow von Berlin seinen (ersten) Wiedergestattungsantrag im Jahre 2015 abgelehnt. Dies habe den Kläger indes nicht gehindert, sich während der laufenden Verwaltungsstreitsache in den Jahren 2018 bis 2020 bei weiteren haftungsbeschränkten Gesellschaften als Geschäftsführer in das Handelsregister eintragen zu lassen bzw. Eintragungsanträge zu stellen. Seine Auffassung, dass eine Gewerbeuntersagung eine Eintragung als Geschäftsführer nicht hindere, wenn das seinerzeit konkret untersagte Gewerbe (hier: gewerblicher Güterverkehr ohne GüKG, Spedition) keine Übereinstimmung mit dem beabsichtigten Gewerbegegenstand (hier: Sicherheits-/Bewachungsgewerbe) habe, überzeuge nicht. Die in einem anderen Streitfall vom Kammergericht vertretene Ansicht verkenne die Struktur des § 35 Abs. 1 GewO. Deren Anwendungsbereich könne durch die Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. GmbHG nicht eingeschränkt werden.

Das dagegen gerichtete Zulassungsvorbringen führt zu keiner abweichenden rechtlichen Beurteilung.

a) Der Einwand, das Verwaltungsgericht „übergeht…, dass wegen des deutlichen Gesetzeswortlautes nach § 6 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 GmbHG eine erweiterte Gewerbeuntersagung als Vertretungsberechtigter einer juristischen Person rechtswidrig“ sei, trifft nicht zu. Die Kammer hat sich mit dem Wortlaut des § 35 Abs. 1 GewO, der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck der Norm auseinandergesetzt und das Verhältnis zu § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 GmbHG ebenso in den Blick genommen wie den dazu ergangenen Beschluss des Kammergerichts vom 19. April 2012 – 25 W 34/12 – (juris). Dabei ist sie in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, die erweiterte Gewerbeuntersagung auf Tätigkeiten als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden für alle Gewerbe (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 GewO) gebiete schon aus Gründen der „Logik den Schluss, dass jedweder Gewerbegegenstand mit der untersagten Gesamtheit aller gewerblichen Tätigkeitsfelder eine Übereinstimmung im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. (2) GmbHG“ habe. Der Gesetzgeber habe verhindern wollen, dass Personen, die wegen bestimmter Konkursdelikte bestraft worden seien oder gegen die ein Berufsverbot verhängt worden sei, ihre Geschäfte alsbald unter dem Deckmantel einer anonymen Kapitalgesellschaft wieder aufnähmen und hierdurch Dritte gefährdeten. Die Vorschrift diene damit der Eindämmung von Ausweichbewegungen durch Personen, denen zum Schutz anderer Wirtschaftsteilnehmer Beschränkungen auferlegt worden seien. Die Änderung des GmbH-Gesetzes sei zu einer Zeit erfolgt, als § 35 Abs. 1 GewO bereits um die Möglichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung ergänzt gewesen sei. Deshalb spreche nichts dafür, dass § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 GmbHG ermöglichen solle, das Ausweichen auf andere Geschäftsfelder, das mit der sechs Jahre zuvor eingeführten erweiterten Gewerbeuntersagung gerade habe unterbunden werden sollen, im Rahmen der gesetzlichen Vertretung einer GmbH zu ermöglichen.

Vor diesem Hintergrund überzeugen die Ausführungen im Zulassungsantrag nicht, wonach der Gesetzgeber in der Begründung zur Einführung der erweiterten Untersagungsmöglichkeit für Vertretungsberechtigte eines Gewerbetreibenden in § 35 GewO (BT/Drs. 10/318) gerade nicht zum Ausdruck gebracht habe, dass damit eine Deckung des Unternehmensgegenstandes im Sinne des 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 GmbHG nicht mehr vorliegen müsse. Anders als der Kläger meint bestand für den Gesetzgeber keine Veranlassung, „die Flucht eines unzuverlässigen Gewerbetreibenden in eine gänzlich andere Gewerbeart…in der Gesetzesbegründung“ ausdrücklich zu thematisieren, denn die Gewerbeordnung ist um die Möglichkeit einer erweiterten Gewerbeuntersagung durch Gesetz vom 13. Februar 1974 (BGBl. I 161) und damit lange vor der Änderung des § 6 Abs. 2 GmbHG durch Gesetz 4. Juli 1980 (BGBl. I 836) ergänzt worden. Daran hat sich durch die mit Gesetz vom 15. Mai 1986 (BGBl. I 721) eingefügte Regelung zur Tätigkeit als Vertretungsberechtigter in § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG nichts geändert. Unabhängig davon deckt sich ein Verbot, das sich – wie hier – auf alle Gewerbe erstreckt, stets teilweise mit einem Unternehmensgegenstand, der irgendein Gewerbe umfasst. Damit sieht die verfassungsgemäße Regelung des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 1993 – 1 B 1/93 – juris) eine vorsorgliche gewerbeübergreifende Untersagung als Rechtsfolge vor, ohne dass der später in Kraft getretene § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 GmbHG dem entgegensteht. Darauf hat das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen. Dass die Inhabilität aus § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 GmbHG nur dann folgt, wenn der Gegenstand des Unternehmens sich mit dem Gegenstand des Verbots deckt, schützt den Betroffenen daher nur, wenn allein das tatsächlich ausgeübte Gewerbe untersagt (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GewO) oder wenn die Untersagung künftiger Gewerbeausübung gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 2 GewO auf eines oder einzelne andere Gewerbe sachlich beschränkt wird (so zutreffend OLG Brandenburg, Beschluss vom 28. September 2020 – 7 W 51/20 – Gerichtsakte Bl. 147 ff.). Beides ist vorliegend nicht der Fall.

b) Entgegen dem Zulassungsvorbringen führt auch die im angegriffenen Urteil nicht festgestellte bzw. prognostizierte Zuverlässigkeit des Klägers zu keinen ernstlichen Richtigkeitszweifeln. Vielmehr räumt der Kläger selbst ein, bei der von ihm im Jahre 2014 veranlassten Eintragung als Geschäftsführer der K… nicht auf die bestandskräftige Gewerbeuntersagung hingewiesen zu haben. Damit hat er in der nach § 8 Abs. 3 Satz 1 GmbHG abzugebenden Versicherung falsche Angaben gemacht, was strafbewehrt ist. Auf die behauptete Fehlberatung durch seinen damaligen Rechtsanwalt kann er sich aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils (Urteilsabdruck S. 9/10) nicht berufen. Dazu verhält sich der Zulassungsantrag nicht. Ebenso räumt der Kläger ein, immer noch Arbeitnehmeranteile für die Zeit von September 2005 bis September 2006 in Höhe von 3.688,23 Euro zu schulden. Mit seinem Einwand, dies sei „allenfalls einem Versehen geschuldet“, sein sonstiges „Wohlverhalten“ im Zusammenhang mit dem „Ausgleich von Ausständen des ehemaligen Speditionsgewerbes“ zeige doch, „dass er sich seiner Rolle für die Allgemeinheit bewusst (sei) und seine Schuld begleichen möchte“, wendet sich der Kläger lediglich in der Art einer Berufungsbegründung gegen das angegriffene Urteil und setzt der erstinstanzlichen Würdigung insoweit nur seine eigene wertende Wahrnehmung entgegen. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO lässt sich daraus nicht ableiten.

2. Die Berufungszulassung wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) kommt ebenfalls nicht in Betracht.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache setzt voraus, dass eine bisher weder höchstrichterlich noch obergerichtlich beantwortete konkrete und zugleich entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen und erläutert wird, warum sie über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist und im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.

Die formulierte Rechtsfrage,

„ob von § 35 Absatz 1 Satz 1 und Satz 2 GewOsämtliche Gewerbe im Zusammenhang einer Vertretungsberechtigung untersagt werden oder nur für Gewerbetreibende mit dem sich der Unternehmensgegenstand des, der Untersagung grundlegenden, Gewerbes ganz oder teilweise deckt“,

bedarf – soweit sie hier im Wiedergestattungsverfahren entscheidungserheblich ist – keiner grundsätzlichen Klärung, denn sie lässt sich ohne Weiteres aus der Bestimmung selbst beantworten. Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO kann das tatsächlich ausgeübte Gewerbe ganz oder teilweise untersagt werden. Insoweit stellt sich die aufgeworfene Frage nicht. Soweit sich nach § 35 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 2 GewO die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden sowie auf einzelne andere Gewerbe erstrecken, stellt sich die Frage in einem Berufungsverfahren ebenfalls nicht, denn die dem Kläger erteilte erweiterte Untersagung erstreckte sich auf alle Gewerbe (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 GewO). Ein die Vertretungsberechtigung in allen Gewerben umfassendes Verbot deckt sich wiederum naturgemäß stets ganz oder teilweise mit jedem Gewerbe, denn dieser erweiterten Untersagung liegt kein bestimmter – sachlich beschränkter – Unternehmensgegenstand zu Grunde.

3. Schließlich hat auch der auf § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung keinen Erfolg

Der Zulassungsgrund besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten setzt eine solche qualifizierte Schwierigkeit der Rechtssache mit Auswirkung auf die Einschätzung der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung voraus, dass sie sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht signifikant von dem Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitfällen unterscheidet. Diese Anforderungen sind erfüllt, wenn aufgrund des Zulassungsvorbringens keine Prognose über den Erfolg des Rechtsmittels getroffen werden kann, dieser vielmehr als offen bezeichnet werden muss (st. Rspr. d. Senats; vgl. auch vgl. Seibert in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 106 ff.). Dies ist – wie unter 1. und 2. im Einzelnen dargelegt – nicht der Fall. Die behaupteten „besonderen rechtlichen Schwierigkeiten im Zusammenspiel des § 6 Abs. 2 S. 2 Nr.2 GmbHG mit § 35 Absatz 1 Satz 1 und Satz 2 GewO“ stellen sich nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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