Bayerisches Oberstes Landesgericht 1. Zivilsenat, 1Z BR 15/00
Ergänzende Testamentsauslegung: Vorversterben des zum Alleinerben eingesetzten Lebensgefährten; Ausschluß der gesetzlichen Erbfolge bei gewillkürter Erbfolge
III. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf DM 2 Mio. festgesetzt.
Gründe
I.
Der im Alter von 70 Jahren 1998 verstorbene Erblasser war ledig und hatte keine Kinder. Die Beteiligten zu 1 und 2 sind seine Geschwister, die Beteiligten zu 3 bis 7 sind die Kinder zweier vorverstorbener Brüder.
Der Beteiligte zu 8 ist der 1940 geborene Sohn der K., der Lebensgefährtin des Erblassers, die ihren Ehemann, den Vater des Beteiligten zu 8, im Krieg verloren hatte. Sie betrieb mehrere Metzgereigeschäfte, in denen der Erblasser als Geselle angestellt war. Im Jahr 1948 zog der Erblasser mit der Mutter des Beteiligten zu 8 zusammen und unterhielt mit ihr bis zu deren Tod am 5.5.1992 einen gemeinsamen Haushalt. In diesem lebte der Beteiligte zu 8 bis ca. 1956/1957, danach absolvierte er auswärts eine Lehre und gründete später eine eigene Familie.
Der Erblasser verfaßte am 8.8.1977 ein eigenhändig ge- und unterschriebenes Testament, das wie folgt lautet:
Nach meinen Ableben ist Frau K. Allein-Erbe! Warum ich so entschieden habe, brauche ich meinen Geschwistern nicht weiter erklären. Bitte versteht meinen Entschluß.
Das Nachlaßgericht erteilte auf Antrag der Beteiligten zu 1 den Beteiligten zu 1 bis 7 am 4.3.1998 einen gemeinschaftlichen Erbschein zu unterschiedlichen Anteilen aufgrund gesetzlicher Erbfolge. Der Beteiligte zu 8 beantragte die Einziehung des Erbscheins, den er für unrichtig hielt, weil die Beteiligten zu 1 bis 7 durch das Testament vom 8.8.1977 von der Erbfolge ausgeschlossen worden seien. Er ist der Auffassung, die ergänzende Auslegung des Testaments ergebe, daß er als Ersatzerbe seiner vorverstorbenen Mutter eingesetzt worden sei. Er beantragte, ihm einen Erbschein zu erteilen, der ihn als Alleinerben des Erblassers ausweise. Das Nachlaßgericht vernahm neun Zeugen und hörte den Beteiligten zu 8 persönlich an. Mit Beschluß vom 22.6.1999 zog es den Erbschein vom 4.3.1998 als unrichtig ein und kündigte zugleich an, dem Beteiligten zu 8 einen Erbschein als Alleinerben erteilen zu wollen.
Gegen diese Entscheidung legten die Beteiligten zu 1 bis 7 Beschwerde ein, auf die das Landgericht mit Beschluß vom 4.11.1999 den Beschluß des Nachlaßgerichts vom 22.6.1999 aufhob. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beteiligte zu 8 mit der weiteren Beschwerde, der die Beteiligten zu 1 bis 7 entgegengetreten sind. Der Erbschein vom 4.3.1998 befindet sich noch in den Händen der Beteiligten zu 1 bis 7.
II.
Das zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.
Die Einziehung des Erbscheins vom 4.3.1998 sei nicht gerechtfertigt, weil die Beteiligten zu 1 bis 7 gesetzliche Erben des Erblassers geworden seien. Das Testament vom 8.8.1977 sei gegenstandslos geworden, nachdem die darin als Alleinerbin eingesetzte Mutter des Beteiligten zu 8 am 5.5.1992 vorverstorben sei. Ein Ersatzerbe sei ausdrücklich nicht eingesetzt worden. Die Auslegungsregel des § 2069 BGB finde keine Anwendung, da der Erblasser seine Lebensgefährtin, nicht aber einen Abkömmling eingesetzt habe. Eine analoge Anwendung der Vorschrift sei nicht möglich.
Auch die ergänzende Testamentsauslegung ergebe nicht, daß der Erblasser den Beteiligten zu 8 als Ersatzerben eingesetzt habe. Zwar könne ein Indiz für einen auf Ersatzerbeneinsetzung gerichteten hypothetischen Willen des Erblassers sein, wenn zwischen ihm und der bedachten Lebensgefährtin ein persönliches Näheverhältnis bestanden habe. Ob dies der Fall gewesen sei, könne dahinstehen. Selbst wenn mein das notwendige Näheverhältnis unterstelle, rechtfertigten die außerhalb der Testamentsurkunde liegenden Umstände nicht die Annahme des hypothetischen Willens des Erblassers, er hätte bei Bedenken des Vorversterbens seiner Lebensgefährtin den Beteiligten zu 8 als Ersatzerben eingesetzt. Der Erblasser habe ausweislich der Formulierung des Testaments das gesetzliche Erbrecht seiner Geschwister bedacht und sie um Verständnis gebeten, daß er seine Lebensgefährtin bedenke. Dagegen habe er den Beteiligten zu 8 nicht erwähnt, der im Zeitpunkt der Testamentserrichtung längst aus dem Familienverband ausgeschieden, eine eigene Familie gegründet und ein eigenes Wohnanwesen erworben habe. Die an die Geschwister gerichteten Formulierungen im Testament ließen im Zusammenhang mit der zwei Jahre später erfolgenden Einräumung eines Wohnungsrechts für die Lebensgefährtin darauf schließen, daß die Erbeinsetzung deren Versorgung nach dem Tod des Erblassers dienen sollte. Der Auffindungsort des Testaments unter einem Stapel Wäsche und alter Zeitungen spreche dafür, daß der Erblasser nach dem Tod der K. dem Testament keine Bedeutung mehr beigemessen habe.
Das gute Verhältnis des Erblassers zum Beteiligten zu 8, den er in einigen Fällen als seinen Bevollmächtigten habe auftreten lassen und für den er sogar gebürgt habe, reiche nicht aus, um auf einen hypothetischen Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu schließen, der auf die Ersatzerbeneinsetzung des Beteiligten zu 8 gerichtet gewesen wäre. Auch die zu Lebzeiten der K. gemachte Äußerung des Erblassers, „alles gehöre der Mam und dem Franz“, zwinge nicht zu dem Schluß, daß er letzteren als Ersatzerben angesehen hätte, wenn er das Vorversterben der K. bedacht hätte. Vielmehr sei aufgrund der vom Beteiligten zu 8 wiedergegebenen Äußerungen, er solle nach dem Tod der K. Alleinerbe werden und habe dies geregelt, davon auszugehen, daß der Erblasser eine (Ersatz-) Erbenstellung des Beteiligten zu 8 aus dem Testament vom 8.8.1977 selbst nicht abgeleitet habe.
Mit dem Tod der K. sei der durch ihre Erbeinsetzung erfolgte Ausschluß der gesetzlichen Erben gegenstandslos geworden; der Erblasser habe keineswegs seine Verwandten auf jeden Fall von der Erbfolge ausschließen wollen.
In einem solchen Fall ist jedoch durch Auslegung zu ermitteln, ob in der Einsetzung des Erben zugleich die Kundgabe des Willens gesehen werden kann, die Abkömmlinge des Bedachten zu Ersatzerben zu berufen (BayObLGZ 1982, 159/163). Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung an die Möglichkeit eines vorzeitigen Wegfalls des von ihm eingesetzten Erben tatsächlich gedacht hat und was er für diesen Fall wirklich oder mutmaßlich gewollt hat (OLG Hamm FamRZ 1991, 1483 f.; OLG Frankfurt FamRZ 1996, 829/830).
Kann der wirkliche oder mutmaßliche Wille des Erblassers nicht festgestellt werden, ist eine ergänzende Auslegung in Betracht zu ziehen (BayObLGZ 1988, 165/167; FamRZ 2000, 58/60). Ist der Bedachte eine dem Erblasser nahestehende Person, so legt die Lebenserfahrung die Prüfung nahe, ob der Erblasser eine Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge des Bedachten gewollt hat oder gewollt haben würde (BayObLG FamRZ 1991, 856/866; FamRZ 1997, 641/642). Als dem Erblasser nahestehende Personen hat die Rechtsprechung in erster Linie Verwandte und insbesondere den Ehegatten angesehen. Zu ihnen kann auch eine Lebensgefährtin des Erblassers gehören, insbesondere dann, wenn es sich um eine tiefergehende und auf Dauer angelegte Beziehung bzw. Lebensgemeinschaft handelt (vgl. BayObLG FamRZ 1993, 1496/1497). Entscheidend ist, ob die Zuwendung dem Bedachten als erstem seines Stammes oder nur ihm persönlich gegolten hat. Die erforderliche Andeutung im Testament kann dann schon in der Tatsache der Berufung dieser Person zum Erben gesehen werden. In jedem Fall ist aber der Erblasserwille anhand aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln (BayObLG FamRZ 2000, 58/60; Staudinger/Otte BGB 13. Bearb. § 2069 Rn. 27).
Dieses kann im vorliegenden Fall nicht angenommen werden, denn der Erblasser wendet sich in seinem Testament an seine Geschwister mit der Bitte um Verständnis für die getroffene Erbfolgeregelung und verabschiedet sich mit besten Grüßen und Wünschen an sie und mit der ein vertrautes Verhältnis anzeigenden Unterschrift. Dies spricht dafür, daß dem Erblasser die Belange seiner Geschwister nicht gleichgültig waren und er keineswegs unter allen Umständen deren Ausschluß von der gesetzlichen Erbfolge gewollt hat. Das Landgericht hat daher zu Recht davon abgesehen, die – nach dem Tod von K. gegenstandslos gewordene – Enterbung der gesetzlichen Erben bei der ergänzenden Testamentsauslegung zur Frage der Ersatzerbeneinsetzung heranzuziehen.
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