AG Siegburg, Urteil vom 18.10.2021 – 125 C 56/21

Juni 23, 2022

AG Siegburg, Urteil vom 18.10.2021 – 125 C 56/21

Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 280,11 EUR nebst Zinsen i. H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.04.2021 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i. H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Ersatz restlicher Reparaturkosten nach einem Verkehrsunfall vom 18.12.2020 in Sankt Augustin geltend. Das im Eigentum der Klägerin stehende Kraftfahrzeug der Marke VW mit dem amtl. Kennzeichen XXX wurde von einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw mit dem amtl. Kennzeichen XYZ beschädigt. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig.

Die Klägerin holte ein Gutachten des Sachverständigenbüros S ein. Sie beauftragte sodann die Autohaus I GmbH & Co. KG in Bonn mit der Reparatur ihres Fahrzeugs auf Basis der gutachterlichen Prognose. Die in Rechnung gestellten Reparaturkosten beliefen sich auf 2.285,81 EUR netto. Hierauf zahlte die Beklagte 2.005,70 EUR. Den Restbetrag i.H.v. 280,11 EUR verfolgt die Klägerin mit der Klage weiter.

Die Klägerin trägt vor, dass sie von o.g. Rechnung freizustellen sei und zwar unabhängig davon, ob die Rechnung möglicherweise in einzelnen Punkten überhöht ist oder nicht; es gelte die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Werkstattrisiko. Die Beklagte sei insbesondere verpflichtet, ihr die Kosten der Positionen „Corona Schutzmaßnahmen“ mit 55,35 EUR, „Schutz-/ Abdeckarbeiten Infrarottrockner“ mit 73,80 EUR, „Fahrzeugreinigung nach Karosserieeinstand“ mit 55,35 EUR und „Fahrzeugverbringung Lackiererei“ mit noch 95,25 EUR zu ersetzen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei 280,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass die geltend gemachten Ansprüche nicht bestünden.

Wegen Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die wechselseitigen Schriftsätze Bezug genommen.

Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf weiteren Schadensersatz in der tenorierten Höhe gem. § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG, § 249 Abs. 2. S. 1 BGB zu. Die Klägerin kann die restlichen Beträge für die Rechnungspositionen „Corona-Schutzmaßnahmen“, „Schutz-/Abdeckarbeiten Infrarottrockner“, „Fahrzeugreinigung nach Karosserieinstand“ und „FAHHZEUGVERBRINGUNG LACKIEREREI“ in der jeweils bezifferten Höhe ersetzt verlangen. Denn gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte aufgrund der Beschädigung einer Sache den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag vom Schädiger verlangen. Der Kostenersatzanspruch erfasst dabei grundsätzlich die Kosten solcher Maßnahmen, die zur Herstellung erforderlich sind. Die Erforderlichkeit bestimmt sich nach einer subjektbezogenen exante Betrachtung. Danach kann der Geschädigte die Kosten ersetzt verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen (BGH, Urteil vom 15.09.2015 – VI ZR 475/14 -, Rn. 11, juris, m.w.N.). Ein Anhalt zur Bestimmung des erforderlichen Reparaturaufwandes sind die Reparaturkosten, die dem Geschädigten von der Werkstatt berechnet werden. Die „tatsächlichen“ Reparaturkosten können regelmäßig auch dann für die Bemessung des „erforderlichen“ Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974 – VI ZR 42/73 -, Rn. 12, juris). Damit trifft den Schädiger grundsätzlich das Werkstattrisiko, d.h. das Risiko, mit einem Mehrbetrag aufgrund unwirtschaftlicher, nicht erforderlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen der Werkstatt belastet zu werden. Diese Risikoverteilung ergibt sich bereits aus § 249 Abs. 1 BGB. Auch danach träfe den Schädiger das Werkstattrisiko, wenn der Geschädigte ihm die Beseitigung des Schadens überlassen hätte. Die Ersetzungsbefugnis nach Absatz 2 soll zu keiner Risikoverschiebung führen, sondern den Geschädigten in die gleiche haftungsrechtliche Position bringen wie Absatz 1 (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974 – VI ZR 42/73 -, Rn. 10, juris). Allerdings haben Reparaturen bei der Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwandes auszuscheiden, die nur bei Gelegenheit der Instandsetzungsarbeiten mitausgeführt worden sind. Ferner hat der Geschädigte nachzuweisen, dass er wirtschaftlich vorgegangen ist, also bei der Beauftragung aber auch bei der Überwachung der Reparaturwerkstatt den Interessen des Schädigers an Geringhaltung des Herstellungsaufwandes Rechnung getragen hat (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974 – VI ZR 42/73 -, Rn. 14, juris).

Ausgehend davon sind die o.g. Kosten ersatzfähig. Der Klägerin kann hier kein Vorwurf gemacht werden. Aus ihrer Sicht handelte es sich um Schadenspositionen, die sie nicht beeinflussen konnte. Hinzu kommt, dass sie den Reparaturauftrag gemäß dem von ihr eingeholten Gutachten erteilte. Das Gutachten weist die o.g. Positionen einschließlich der letztlich abgerechneten Beträge auf den S. 15 und 16 ausdrücklich auf. Es ist deshalb nicht ersichtlich, anhand welcher Umstände die Klägerin eine etwaige fehlende Erforderlichkeit, eine Unwirtschaftlichkeit oder eine Überhöhung der Kosten hätte erkennen können. Exemplarisch sei der Einwand der Beklagten genannt, wonach die Kosten der Position „Schutz-/Abdeckarbeiten Infrarottrockner“ in den Lackvorbereitungszeiten enthalten seien. Unabhängig davon, ob der Einwand überhaupt zutreffend ist, zeigt auch die Beklagte nicht auf, dass die Klägerin dies hätte erkennen können und müssen. Einen Abzug i.H.v. 0,36 EUR hat die Beklagte im Rechtsstreit schon nicht begründet.

Die Ausführungen der Parteien zu der Erstattungsfähigkeit der Kosten von Corona-Desinfektionsmaßnahmen geben nur Anlass zu folgenden weiteren Ausführungen:

Auch bei diesen Kosten handelt es sich um einen unfallbedingten Schaden, der der Klägerin zu ersetzen ist. Die mangelnde ausdrückliche Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Werkstatt steht der Annahme eines Schadens nicht entgegen. Vielmehr sind die Desinfektionsmaßnahmen Teil der infolge des Unfalls in Auftrag gegebenen Reparatur und damit im Rahmen der Schadensregulierung konkludent vereinbart worden. Der Schaden ist kausal auf den Verkehrsunfall zurückzuführen. Nach der Äquivalenztheorie ist jede Handlung ursächlich, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Schaden in seiner konkreten Gestalt entfiele. Der Verkehrsunfall kann hier nicht weggedacht werden, ohne dass die Reparatur und die damit verbundenen Desinfektionsmaßnahmen und deren Kosten wegfielen. Es fehlt auch nicht an der Adäquanz. Danach darf die Möglichkeit des Schadenseintritts nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegen, d.h. es sollen diejenigen Kausalverläufe ausgegrenzt werden, die dem Schädiger billigerweise nicht mehr zugerechnet werden können. Um einen solchen handelt es sich hier nicht. Es liegt nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, dass ein zur Reparatur gegebenes Fahrzeug in Zeiten einer Pandemie desinfiziert wird, gerade wenn wie bei der Verbreitung von SARS-CoV-2 die Übertragungswege und Wahrscheinlichkeiten noch immer nicht abschließend erforscht sind und gerade eine Verbreitung durch Oberflächenkontaminationen ernsthaft wissenschaftlich diskutiert wird.

Soweit die Beklagte einwendet, dass es eine allgemein bekannte Tatsache sei, dass diese Kosten in den Verantwortungsbereich der Werkstatt fielen bzw. den allgemeinen, nicht gesondert umlegbaren Betriebskosten zuzuordnen seien, folgt das Gericht dem nicht. Zunächst ist festzuhalten, dass es sich mehr um eine rechtliche Beurteilung denn um eine Tatsache handelt. Sodann zeigen gerade die hierzu ergangenen Entscheidungen, dass die Fragen der Zuordnung der Kosten und deren Ersatzfähigkeit unterschiedlich beantwortet werden. Inwieweit der Klägerin als Geschädigte hätte klar sein müssen, dass hier eine unberechtigte Position abgerechnet wird, erschließt sich dem Gericht nicht und zeigt auch die Beklagte trotz umfangreicher Ausführungen und Zitate letztlich nicht konkret auf. Das gilt wiederum umso mehr, als die Klägerin hier den Reparaturauftrag auf Grundlage eines zuvor eingeholten Sachverständigengutachtens erteilte und das Gutachten eben genau diese Desinfektionskosten auch ausweist. Angesichts dessen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die in Ansatz gebrachten Kosten aus Sicht der geschädigten Klägerin erkennbar überhöht waren.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2, 187 Abs. 1 BGB (analog).

Die Schriftsätze der Klägerin vom 30.08.2021 und 07.10.2021 erfolgten nach Ablauf der gesetzten Stellungnahmefrist, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung gleichsteht. Das hat die Klägerin offensichtlich verkannt. Ihr Inhalt gebietet keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Sie enthalten insbesondere keinen neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 709 S. 2, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 280,11 EUR festgesetzt.

Das Gericht lässt die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu (§ 511 Abs. 4 ZPO).

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder

2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Bonn, Wilhelmstr. 21, 53111 Bonn, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.

Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Bonn zu begründen.

Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Bonn durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:

Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.

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