Auslegung eines Erbverzichts

Mai 13, 2020

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 29. März 1982 – BReg 1 Z 90/82
Auslegung eines Erbverzichts
1. Grundsätze zur Nachprüfbarkeit der Auslegung von Willenserklärungen durch das Rechtsbeschwerdegericht (hier: notariell beurkundete Abfindungserklärung hinsichtlich erbrechtlicher Ansprüche in einem Übergabevertrag).
2. Ein Vertrag, durch den eine Mutter ihr Anwesen unter Vereinbarung eines Leibgedinges und eines Wohnrechts für eine unverheiratete Tochter einer anderen unverheirateten Tochter übergibt, wohingegen diese sich mit allen Ansprüchen, welche ihr nach dem Tode des vorverstorbenen Vaters zustehen, sowie mit „all ihren Muttergutsansprüchen“ für abgefunden erklärt, enthält nicht notwendig einen Erbverzicht (Anschluß BayObLG München, 1981-02-10, BReg 1 Z 125/80, BayObLGZ 1981, 30).

Tenor
I. Die weitere Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Deggendorf vom 9. August 1982 wird als unbegründet zurückgewiesen.
II. Die Beteiligte zu 1) hat die der Beteiligten zu 2) im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
1. Am … verstarb in … die in … wohnhaft gewesene, 91 jährige Hausfrau M … geb. … (Erblasserin). Sie war verwitwet und hinterließ als nächste Angehörige drei Töchter: M … geb. … (Beteiligte zu 1), G … (Beteiligte zu 2) und M …. Eine letztwillige Verfügung hatte sie nicht getroffen.
Die letztgenannte – am vorliegenden Verfahren nicht beteiligte – Tochter M hat mit notariellem Vertrag vom 20.2.1969 – URNr. … des Notars Dr. R in … – auf ihr Erbrecht nach der Mutter ausdrücklich verzichtet. Am selben Tag und zu Urkunde desselben Notars – URNr. … – hat die Beteiligte zu 2), der das aufgrund Ehe- und Erbvertrags vom 6.2.1933 seit dem Jahre 1951 im Alleineigentum der Erblasserin stehende elterliche Anwesen in … übergeben worden ist, im Zusammenhang mit dieser Übergabe u.a. folgende Erklärung abgegeben:
„Die Übernehmerin erklärt, durch gegenwärtige Übergabe mit allen Ansprüchen vollständig abgefunden zu sein, welche ihr gegen die Übergeberin zustehen nach dem Tode des im Jahre 1951 verstorbenen Vaters F …, wie auch mit all ihren Muttergutsansprüchen.“
2. Die Beteiligte zu 1) erblickt in dieser Erklärung einen Erbverzicht. Dementsprechend stellte sie am 16./19.4.1982 beim Amtsgericht – Nachlaßgericht – Deggendorf den Antrag, ihr einen Erbschein zu erteilen, der bezeugt, daß sie die Erblasserin aufgrund gesetzlicher Erbfolge allein beerbt hat.
Das Nachlaßgericht lehnte den Antrag mit Beschluß des Rechtspflegers vom 2.7.1982 ab, weil es die Auffassung vertrat, daß hinsichtlich der Beteiligten zu 2) – anders als bei ihrer Schwester M … – ein Erbverzichtsvertrag nicht vorliege.
Hierzu führte es aus: Die Auslegung der von G … abgegebenen Erklärung lasse den Willen, auf das Erbrecht zu verzichten, nicht erkennen. Die Mutter habe auch eine solche Erklärung nicht angenommen. Diese habe ihren Töchtern M und G am selben Tag vor dem selben Notar ihren Haus- und Grundbesitz übertragen. M habe dabei in der Überlassungsurkunde erklärt, daß sie Zug um Zug mit Eintragung des Eigentumserwerbs im Grundbuch mit sämtlichen Vater- und Muttergutsansprüchen abgefunden sein solle und daß sie weiterhin auf das ihr gegen die Mutter zustehende Erb- und Pflichtteilsrecht verzichte. Die Mutter habe diese Erklärung ausdrücklich angenommen. Für die Überlassung habe M sonst keine Gegenleistung erbringen müssen.
Bei der Übergabe des Hauses der Erblasserin im Wertanschlag von 25 000,– DM an die Tochter G hingegen sei nur die (oben zitierte) Erklärung ohne gleichzeitigen Erb- und Pflichtteilsverzicht abgegeben worden. Die Mutter habe auch keine Annahme eines Erbverzichts erklärt. Ein solcher sei offenbar nicht gewollt gewesen, weil G … erhebliche Leistungen für die Übergabe zu erbringen gehabt habe. So sei der Mutter ein Leibgeding im Wertanschlag von jährlich 1000,– DM und der Schwester M ein Wohnrecht im Wertanschlag von jährlich 800,– DM eingeräumt worden. Ferner habe sich die Übernehmerin mit einem vor vielen Jahren der Übergeberin gewährten Darlehen von 4 200,– DM als abgefunden erklären und an die Schwester M zur Abfindung ihrer Muttergutsansprüche noch einmal 1000,– DM leisten müssen. Im übrigen werde in der notariellen Urkunde erwähnt, daß M zur Abfindung der Vatergutsansprüche bereits eine Schlafzimmereinrichtung und 1000,– DM bekommen habe. Schließlich habe sich die Übernehmerin zur Bezahlung der Beerdigungskosten verpflichtet.
G … habe also erhebliche Verpflichtungen gegenüber ihrer Mutter und ihren Geschwistern übernommen und darüber hinaus ihre Mutter weiterhin in das übergebene Haus aufgenommen. Es sei deshalb nicht anzunehmen, daß sie auf das gesetzliche Erbrecht zu Gunsten der ebenfalls bereits abgefundenen Schwester M habe verzichten wollen. Da in der Überlassungsurkunde überdies davon die Rede sei, daß M … mit ihren Muttergutsansprüchen bereits abgefunden sei, könne auch nicht angenommen werden, daß sie als Alleinerbin vorgesehen gewesen sei. Die Auflistung der bisherigen Zuwendungen habe offensichtlich nur zu Beweiszwecken bei einer späteren Erbauseinandersetzung hinsichtlich der Ausgleichungspflicht der Miterben dienen sollen. Gegen einen Erbverzicht spreche auch die Tatsache, daß der Notar (bei G anders als bei M) eine solche Erklärung nicht aufgenommen habe, obwohl beide Beurkundungen unmittelbar nacheinander stattgefunden hätten. Es sei nicht wahrscheinlich, daß dies vergessen worden sei. Für derartige Urkunden, die häufiger vorkämen, würden regelmäßig Formulare oder dieselben Redewendungen verwendet. Wenn G … eine Erbverzichtserklärung hätte abgeben wollen, so wäre diese Erklärung und ihre Annahme durch die Mutter mit Sicherheit auch in die Urkunde aufgenommen worden. Jedenfalls bestehe eine Vermutung dafür, daß ein Erbverzicht nicht gewollt gewesen sei.
Der gegen diese Entscheidung eingelegten Erinnerung der Beteiligten zu 1) half der Rechtspfleger nicht ab. Auch der Richter erachtete sie für unbegründet; er legte sie deshalb dem Landgericht Deggendorf als Beschwerde vor.
Dieses wies das Rechtsmittel mit Beschluß vom 9.8.1982 als unbegründet zurück.
Dagegen richtet sich die mit Anwaltsschriftsatz am 31.8./3.9.1982 eingelegte weitere Beschwerde, mit der die Beteiligte zu 1) ihren abgelehnten Erbscheinsantrag weiterverfolgt.
Die Beteiligte zu 2) tritt dem Rechtsmittel entgegen.
II.
A. Die an keine Frist gebundene weitere Beschwerde ist statthaft und formgerecht eingelegt (§§ 27, 29 Abs.1 Sätze 1 und 2 FGG). Die Beschwerdeberechtigung der Beteiligten zu 1) folgt gemäß §§ 20, 29 Abs.4 FGG bereits aus der Zurückweisung ihrer Erstbeschwerde (BGHZ 31, 92/95; BayObLGZ 1982, 363/364).
B. Das somit zulässige Rechtsmittel erweist sich jedoch als unbegründet.
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung auf die für zutreffend erachteten Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen und zusätzlich ausgeführt:
M und G … seien am selben Tag (20.2.1969) bei dem selben Notar Dr. R in … erschienen und hätten dort unterschiedliche Erklärungen hinsichtlich ihres jeweiligen Erbrechts nach ihrer Mutter abgegeben. Während die Tochter M … rechtswirksam auf ihr Erbrecht gegenüber der Mutter verzichtet habe, habe die Tochter G … lediglich eine Erklärung abgegeben, in der es heiße, daß sie mit allen ihren Ansprüchen vollständig abgefunden sei. Diese Abfindungserklärung komme einem Erbverzicht nicht gleich; ein solcher sei weder gewollt gewesen noch zum Ausdruck gekommen. Wäre mit der Abfindungserklärung ein Erbverzicht beabsichtigt gewesen, so wäre die unterschiedliche Fassung und insbesondere die Unterlassung der gesetzlich vorgeschriebenen Formulierung „Erbverzicht“ unverständlich. Anhaltspunkte dafür, daß auch die Abfindungserklärung einen Erbverzicht habe beinhalten sollen, daß aber ein solcher versehentlich nicht formuliert worden sei, seien nicht ersichtlich. Diese Auslegung entspreche auch der Rechtsprechung und dem Schrifttum.
2. Diese Ausführungen halten der im Verfahren der weiteren Beschwerde allein möglichen rechtlichen Nachprüfung (§ 27 FGG, § 550 ZPO) stand.
a) Die Zulässigkeit der Erstbeschwerde hat das Landgericht, was vom Rechtsbeschwerdegericht selbständig nachzuprüfen ist (BayObLGZ 1982, 331/335), zutreffend bejaht (§ 11 Abs.1 Satz 1 und Abs.2 RPflG, §§ 19, 21 FGG). Dabei hat es die Beteiligte zu 1) ohne Rechtsirrtum als beschwerdeberechtigt angesehen, denn gegen die Ablehnung des Erbscheinsantrags steht dem Antragsteller gemäß § 20 Abs.1 und 2 FGG das Beschwerderecht zu (BayObLGZ 1981, 30/32; Keidel/Kuntze/Winkler FGG 11.Aufl. § 84 RdNr.10; Jansen FGG 2.Aufl. § 20 RdNr.53 und § 84 RdNr.15).
b) Auch in der Sache selbst ist die angefochtene Entscheidung frei von Rechtsfehlern.
aa) Daß das Landgericht zustimmend auf die Gründe des Beschlusses des Nachlaßgerichts verwiesen hat, ist nicht zu beanstanden, denn diese entsprechen den an die Begründungspflicht des Beschwerdegerichts (§ 25 FGG) zu stellenden Anforderungen (BayObLG aaO m.w.Nachw.).
bb) Gegen die Ablehnung des Erbscheinsantrags durch die Vorinstanzen erheben sich keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Nach § 2359 BGB ist ein Erbschein nur zu erteilen, wenn das Nachlaßgericht die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Dabei entscheidet das Gericht – und das in den durch das Rechtsmittel gezogenen Grenzen vollständig an die Stelle des Nachlaßgerichts tretende Beschwerdegericht (BayObLGZ 1966, 435/440 m. Nachw.; 1976, 67/72) – über die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des Erbrechts nach freier Überzeugung (Palandt BGB 42.Aufl. § 2359 Anm.1).
Der angefochtene Beschluß geht im Rahmen dieser Prüfung ohne Rechtsfehler davon aus, daß die Beteiligte zu 2) in dem mit ihrer Mutter geschlossenen Übergabevertrag vom 20.2.1969 nicht auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichtet hat.
(1) Der Erbverzicht (§ 2346 Abs.1 Satz 1 BGB) ist ein erbrechtlicher Vertrag, der nach der gesetzlichen Begriffsbestimmung einen Verzicht des Verwandten (oder Ehegatten) des Erblassers auf sein gesetzliches Erbrecht enthält. Dieser Verzicht ist ein abstraktes, unmittelbar den Verlust des Erbrechts bewirkendes Rechtsgeschäft (BGHZ 37, 319/327; Staudinger BGB 10./11.Aufl. RdNr.17, BGB-RGRK 12.Aufl. RdNr.1, je zu § 2346; Palandt Überbl. v. § 2346 BGB Anm.1; Kipp/Coing Erbrecht 13. Bearbeitung § 82 II; Brand/Kleeff Nachlaßsachen 2.Aufl. S.240; Bartolomeyczik/Schlüter Erbrecht 11.Aufl. § 5 II 2) und als solches vom Grundgeschäft zu unterscheiden, das gegebenenfalls ein mit dem Erbverzicht verbundener Abfindungsvertrag oder Hofübergabevertrag sein kann (Staudinger § 2348 BGB RdNr.11; Firsching Nachlaßrecht 5.Aufl. S.108). Denn regelmäßig ist die Abfindungsvereinbarung nicht der Rechtsgrund für die Leistung des Erbverzichts; sie ist vielmehr das Grundgeschäft für die Leistung der Abfindungsbeträge (Degenhart Rpfleger 1969, 145/146). Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht ergreift ohne weiteres auch den Pflichtteil (§ 2303 Abs.1 Satz 2, § 2346 Abs.1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB) als die Werthälfte jenes Erbrechts (Staudinger Vorbem. § 2346 BGB RdNr.55; BGB-RGRK § 2346 RdNr.16; Lange/Kuchinke Lehrbuch des Erbrechts 2.Aufl. § 7 II 2 b; Bartholomeyczik/Schlüter § 5 II 3 a); er kann aber auch – als beschränkter Erbverzicht – unter Vorbehalt des Pflichtteilsrechts (Palandt § 2346 BGB Anm.2) erklärt werden oder kann das Pflichtteilsrecht allein betreffen (§ 2346 Abs.2 BGB). Bei bloßem Verzicht auf den Pflichtteil bleibt das gesetzliche Erbrecht als solches unberührt (Staudinger RdNr.33, BGB-RGRK RdNr.18, Palandt Anm.3, je zu § 2346 BGB)
(2) Ob und in welchem Umfang ein Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht von seiten des Verwandten wirksam erklärt worden ist, hat das Nachlaßgericht im Erbscheinsverfahren von Amts wegen (§ 12 FGG) zu prüfen (Staudinger Vorbem. § 2346 BGB RdNr.101; Palandt § 2348 BGB Anm.1). Es hat über diese Vorfrage, von der die Erledigung der Angelegenheit (Entscheidung über den Erbscheinsantrag) abhängt, – incidenter – mitzubefinden (vgl. BayObLGZ 1964, 32/34 f. und 385/387; KG NJW 1960, 633/634; KG WPM 1969, 707/708; Keidel/Kuntze/Winkler RdNr.32 und Jansen RdNr.14, je zu § 12 FGG) und dazu – soweit erforderlich – nach Feststellung des Erklärungstatbestandes die Verzichtserklärung nach den für Rechtsgeschäfte unter Lebenden geltenden Vorschriften der §§ 133, 157, 242 BGB auszulegen (Staudinger Vorbem. § 2346 BGB RdNr.21; zu allem: BayObLGZ 1981, 30/33 f.).
(3) Für eine Auslegung ist freilich nur dann Raum, wenn der Wortlaut der Erklärung nicht eindeutig ist (BGHZ 32, 60/63; BayObLGZ 1979, 12/15 = Rpfleger 1979, 134/135; BayObLGZ 1981, 30/34 m.w.Nachw.). Die Frage der Auslegungsfähigkeit ist dabei eine vom Gericht der weiteren Beschwerde selbständig nachzuprüfende und zu entscheidende Rechtsfrage (BGH FamRZ 1971, 641/642; BayObLG aaO). Im vorliegenden Fall muß die Auslegungsbedürftigkeit, worauf auch die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist, bejaht werden, denn die „Abfindungserklärung“ im Vertrag vom 20.2.1969 ist zumindest, wie schon die unterschiedlichen Auffassungen der Beteiligten zeigen, nicht völlig eindeutig, zumal darin der dem Gesetz nicht bekannte Begriff „Muttergutsansprüche“ verwendet wird.
Die Ansicht der Rechtsbeschwerde, das Landgericht habe die Auslegungsfähigkeit oder doch zumindest die Auslegungsbedürftigkeit verkannt, geht jedoch fehl. Zwar sind die Gründe des angefochtenen Beschlusses insofern nicht ganz eindeutig, als von einer Unterlassung der „gesetzlich vorgeschriebenen“ Formulierung die Rede ist. Denn eine bestimmte Formulierung des Erbverzichts ist im Gesetz nicht „vorgeschrieben“. Das Landgericht wollte damit aber ersichtlich keineswegs ausdrücken, daß eine Erklärung, in der das Wort „Erbverzicht“ nicht verwendet werde, nicht gleichwohl als Erbverzicht ausgelegt werden könne. Vielmehr lassen die übrigen Ausführungen – wie auch die Bezugnahme auf die Gründe der erstinstanziellen Entscheidung, in der das Amtsgericht eine eingehende Auslegung vorgenommen hat – deutlich erkennen, daß das Landgericht sehr wohl geprüft hat, ob die Abfindungserklärung der Beteiligten zu 2) nicht trotz des Fehlens des Begriffes „Erbverzicht“ einen solchen beinhalten könnte. Das stellt nichts anderes dar als eine Auslegung, die das Landgericht am Schluß seiner Entscheidung unter Anführung eines einschlägigen Zitats sogar ausdrücklich erwähnt.
(4) Die Auslegung selbst ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Seine Auslegung bindet das Rechtsbeschwerdegericht, sofern sie nach den Denkgesetzen und der Erfahrung möglich ist, mit den gesetzlichen Auslegungsregeln im Einklang steht und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt (BGH LM § 133 (D) BGB Nr.4; BGH WPM 1980, 247). Die Schlußfolgerungen des Tatrichters müssen hierbei nicht zwingend sein; es genügt und ist mit der weiteren Beschwerde nicht mit Erfolg angreifbar, wenn der vom Tatrichter gezogene Schluß möglich ist, mag selbst ein anderer Schluß ebenso nahe oder gar noch näher liegen (BGH FamRZ 1972, 561/563; BayObLGZ 1971, 147/154; 1979, 256/261; 1981, 30/34 und ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Beschluß vom 18.3.1983 – BReg. 1 Z 58/82 –; Keidel/Kuntze/Winkler RdNrn.42, 47, 48 und Jansen RdNrn.19, 20, je zu § 27 FGG).
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Für die Auslegung der hier in Frage stehenden Abfindungserklärung vom 20.2.1969 ist in erster Linie § 133 BGB maßgebend; es ist der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften; es ist also zu ermitteln, was als Inhalt jeder einzelnen Erklärung anzusehen ist. Hierzu muß der gesamte Inhalt der Erklärungen einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher, die außerhalb der Vertragsurkunde liegen, als Ganzes gewürdigt werden; auch die allgemeine Lebenserfahrung ist zu berücksichtigen (RGZ 142, 171/174; BGH LM § 133 (B) BGB Nr.1; BayObLGZ 1976, 67/75; BayObLG Rpfleger 1980, 471).
Die vom Landgericht in Übereinstimmung mit dem Nachlaßgericht für richtig gehaltene Auslegung ist nicht nur möglich, was genügen würde, sondern wird auch nach Auffassung des Senats dem Willen der am fraglichen Vertrag vom 20.2.1969 Beteiligten am ehesten gerecht. Denn anders läßt sich der unterschiedliche Wortlaut der beiden unmittelbar nacheinander vor einem und demselben Notar geschlossenen Verträge kaum erklären. Wenn der Notar, also ein Rechtskundiger, der Kraft seines Amtes gehalten ist, auf eine rechtlich einwandfreie und unmißverständliche Vertragsgestaltung hinzuwirken, in dem einen Vertrag den Erbverzicht mit eben diesem Begriff eindeutig zum Ausdruck bringen ließ, in dem anderen Vertrag hingegen diesen Begriff nicht verwendete, sondern nur die Erklärung beurkundete, daß die Übernehmerin mit ihren Ansprüchen nach dem Tode des Vaters und ihren Muttergutsansprüchen vollständig abgefunden sei, dann liegt nichts näher als der Schluß, daß im zweiten Fall der im ersten Fall ausdrücklich angesprochene Erbverzicht nicht gewollt war.
Die Begriffe „Elterngut“, „Muttergut“ und „Vatergut“ werden im allgemeinen Sprachgebrauch vielfach nur für den Pflichtteil nach der Mutter oder nach dem Vater verwendet. Daß auch hier die damaligen Vertragsparteien darunter wahrscheinlich nur den Pflichtteilsanspruch verstanden haben, könnte der Umstand vermuten lassen, daß im selben Vertrag u.a. erwähnt war, die Beteiligte zu 1) sei mit ihren Muttergutsansprüchen abgefunden.
Darauf aber kommt es letztlich nicht entscheidend an. Denn ein Vertrag, durch den Eltern ihr Anwesen auf eines ihrer Kinder übertragen, wogegen sich dieses wegen seines künftigen Erbrechts für abgefunden erklärt, ist ohnehin nicht ohne weiteres als Erbverzicht anzusehen, der dazu führen müßte, daß das Kind bei späterem Vermögenserwerb der Übertragenden leer ausgeht (BayObLGZ 1981, 30/35; BGB-RGRK § 2346 RdNr.9). Dieser Erwägung liegt der Gedanke zugrunde, daß bei Übergabeverträgen die Beteiligten im allgemeinen keinen Erbverzicht im Auge haben. Vielmehr soll nach dem Zweck solcher Verträge in aller Regel nur zum Ausdruck gebracht werden, daß vom Stande des gegenwärtigen Vermögens der Übergeber aus die durch die Übergabe dem Abkömmling zugewendeten Vorteile dem von ihm künftig zu erwartenden Erbteil entsprechen und daß der Abkömmling deshalb zugunsten der künftigen Miterben hinsichtlich dieses gegenwärtigen Vermögens als abgefunden zu gelten habe (RG LZ 1932, 102/103 = HRR 1932 Nr.628). Hier hat die Erblasserin mit zwei Übergabeverträgen praktisch ihr ganzes Vermögen vorab auf ihre beiden unverheirateten Töchter übertragen. Dabei hat sie als Gegenleistung eine der Töchter, nämlich M, ausdrücklich auf ihr Erbrecht verzichten lassen, während es ihr bei dem mit der Beteiligten zu 2) geschlossenen Vertrag ersichtlich vornehmlich darauf ankam, ihre eigene Versorgung bis zum Lebensende sicherzustellen und der Tochter M ein Wohnrecht im Elternhaus zu erhalten. Unter diesem Gesichtspunkt besteht kein zwingender Grund für die Annahme, es sei der Mutter auch bei ihrer Tochter G an einem Erbverzicht – etwa als zusätzliche Gegenleistung – gelegen gewesen (BayObLGZ 1981, 30/35 f.; vgl. Speckmann NJW 1970, 117/121), zumal in diesem Übergabevertrag, wie bereits erwähnt, auch hinsichtlich der Beteiligten zu 1) davon die Rede ist, daß sie mit ihren Muttergutsansprüchen abgefunden sei.
cc) Soweit die Rechtsbeschwerde den Sachverhalt anders gewürdigt wissen will – und dahin gehen ihre übrigen Ausführungen –, versucht sie, ihre eigene Tatsachen- und Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Beschwerdegerichts zu setzen. Damit kann sie aber im Rechtsbeschwerdeverfahren keinen Erfolg haben (BGH FamRZ 1972, 561/563; BayObLG FamRZ 1976, 101/104 und BayObLG aaO S.37).
C. Die Entscheidung über die Kostenerstattungspflicht folgt aus § 13 a Abs.1 Satz 2 FGG.

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