BAG 2 AZR 3/83
Fristlose Kündigung wegen Entwendung eines Stückes Bienenstiches
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über die Rechtswirksamkeit einer fristlosen Kündigung und die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.
Die zum Zeitpunkt der Klageerhebung 27 Jahre alte und verheiratete Klägerin war seit Dezember 1980 bei der Beklagten in deren Warenhaus in Essen als Buffetkraft mit einem Monatslohn von 1.705,– DM brutto beschäftigt.
Am 29. März 1982 wurde die Klägerin von einer Kontrollverkäuferin beobachtet, wie sie ohne Bezahlung ein Stück Bienenstichkuchen aus dem Warenbestand nahm und hinter der Bedienungstheke verzehrte. Nach Anhörung und Zustimmung des Betriebsrates zur fristlosen und hilfsweise zur fristgemäßen Kündigung kündigte die Beklagte wegen dieses Vorfalls das Arbeitsverhältnis am 2. April 1982 fristlos.
Mit der vorliegenden Klage wendet sich die Klägerin gegen diese Kündigung. Sie hat vorgetragen, sie habe sich an dem fraglichen Tage nicht wohlgefühlt. Bis zum Nachmittag habe sie deshalb kein Essen zu sich nehmen können. Als es ihr dann besser gegangen sei, habe sie, um ihren größten Hunger zu stillen, ein Stück Bienenstich verzehrt. Dieses Verhalten sei zwar nicht ordnungsgemäß gewesen, gleichwohl halte sie die fristlose Kündigung für nicht gerechtfertigt.
Die Klägerin hat beantragt
1. festzustellen, daß das zwischen den Parteien |
bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die |
fristlose Kündigung der Beklagten vom 2. April |
1982 aufgelöst ist, |
2. die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten |
Bedingungen in ihrem Betrieb weiterzubeschäftigen. |
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, durch das Verhalten der Klägerin sei die Vertrauensgrundlage für eine weitere Zusammenarbeit zerstört worden. Die Klägerin habe gegenüber dem Geschäftsführer am 29. März 1982 auch eingeräumt, mit der unbezahlten Entnahme von Waren und dem Verzehr hinter der Theke gegen die ihr bekannten Richtlinien für Personalkäufe verstoßen und einen strafbaren Diebstahl begangen zu haben. Es sei ihr bekannt gewesen, daß der Kauf von Ware zum eigenen Verzehr vom Abteilungsleiter hätte abgezeichnet und durch einen Kollegen kassiert werden müssen. Schnell verderbliche Ware werde, sofern sie unverkäuflich geworden sei, vom Abteilungsleiter an die Mitarbeiter zur Mitnahme und zum Verzehr verteilt. Trotz der geringen Schädigung rechtfertige ein solcher einmaliger Vorgang aufgrund der Umstände des Einzelfalles die fristlose Kündigung.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.
In der Berufungsinstanz hat die Beklagte hilfsweise den Antrag gestellt, nach Umdeutung der fristlosen Kündigung in eine fristgerechte zum 16. April 1982 das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Ergänzend hat sie vorgetragen, daß das gegen die Klägerin eingeleitete Ermittlungsverfahren nach Zahlung eines Betrages von 60,– DM durch die Klägerin von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden sei. Erschwerend sei zu Ungunsten der Klägerin zu werten, daß sie im Cafeteriabereich an einem Imbißstand gearbeitet habe und zur Entnahme des Bienenstichs in eine andere Abteilung zur Kuchentheke hinübergegangen sei.
Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.
Das Landesarbeitsgericht hat die fristlose in eine fristgerechte Kündigung umgedeutet und das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 1.200,– DM zum 16. April 1982 aufgelöst. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Revision eingelegt. Die Klägerin wendet sich nur noch gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses während die Beklagte ihr Ziel der Klagabweisung in vollem Umfang weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind begründet. Sie führen zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Der Rechtsstreit ist bereits hinsichtlich der Entscheidung über die fristlose Kündigung noch nicht entscheidungsreif.
Das Berufungsgericht hat ergänzend hierzu im wesentlichen ausgeführt: Auch wenn die Beklagte die Klägerin bei der ersten Anhörung auf die nach ihrer Ansicht gegebene strafrechtliche Relevanz ihres Verhaltens hingewiesen habe, sei den Gesamtumständen zu entnehmen, daß sich die Klägerin des Unrechts ihres Handelns „kaum bewußt“ gewesen sein möge. Der weitere Vortrag der Beklagten über die Verteilung schnell verderblicher Ware an das Verkaufspersonal sei möglicherweise geeignet, diese Annahme zu bestätigen. Der einmalige Vorfall und die geringfügige Schädigung der Beklagten führten somit ohne eindringliche Abmahnung für den Wiederholungsfall nicht zu der schwerwiegenden Folge des Arbeitsplatzverlustes.
Entsprechendes gelte für die Umdeutung der fristlosen Kündigung in eine ordentliche. Auch für die soziale Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung fehle es an der erforderlichen eindringlichen Abmahnung.
Im Gegensatz hierzu hat der Senat in dem Urteil vom 24. März 1958 – 2 AZR 587/55 – (AP Nr. 5 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung) den gegenüber einer Kassiererin bestehenden schwerwiegenden Verdacht, einen Betrag in Höhe von 1,– DM weniger gebont und entwendet zu haben, als einen Sachverhalt anerkannt, der, von den Besonderheiten des Einzelfalles abgesehen, geeignet sei, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Dieselbe Ansicht hat insbesondere das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in mehreren Entscheidungen vertreten (DB 1974, 928: Entwendung von 1,– DM aus einem Kunden-Kfz durch einen Auszubildenden; DB 1976, 680: Entnahme von 20,– DM durch eine Kassiererin auch bei glaubhafter Absicht, den Betrag demnächst zurückzuerstatten; Urteil vom 23. Februar 1981 – 20 Sa 1539/80 – n.v.: Entwendung von zwei kleinen Sektflaschen zum Preis von je 4,98 DM durch einen Auslieferungsfahrer der Beklagten trotz glaubhafter Einlassung des Arbeitnehmers, er habe die Flaschen für Werbeartikel mit einem Wert von etwa 2,– DM gehalten; ebenso LAG Hamm, Urteil vom 21. Januar 1981 – 14 Sa 1066/80 -, n.v.: Der „mehr als dringende“ Verdacht gegenüber einer Ersten Verkäuferin der Beklagten, nach Eintippen eines geringeren als des tatsächlichen Verkaufspreises 4,– DM entwendet zu haben).
Das Landesarbeitsgericht Hamm hat auch in dem von Schwerdtner für seine Auffassung zitierten Urteil vom 17. März 1977 (BB 1977, 849 = DB 1977, 2002) die einmalige Entwendung von einigen Zigaretten aus einer für Besucher des Arbeitgebers bestimmten Zigarettendose nicht für absolut ungeeignet gehalten, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Es hat lediglich ausgeführt, ein solches Verhalten zähle ebenso zu den „Strohhalmaffären“ wie die Entwendung eines Radiergummis oder einer Anzahl von Schreibbögen. Sie könne deshalb, solange keine besonderen Umstände hinzuträten, keinen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen. Sie sei nicht mit einem Personaldiebstahl von Waren zu vergleichen und habe deshalb ein weit geringeres Gewicht.
Die Konkretisierung des wichtigen Kündigungsgrundes durch die abgestufte Prüfung in zwei systematisch zu trennende Abschnitte, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben, und ob bei der Berücksichtigung dieses Umstandes und der Interessenabwägung die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, dient dazu, den Begriff des wichtigen Grundes näher zu klären. Dabei können für die vorrangige Frage, ob ein bestimmter Grund an sich eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, allgemeine Grundsätze aufgestellt werden. Diese Abgrenzung dient der Rechtssicherheit, weil sie die Anwendung des Rechtsbegriffs des wichtigen Grundes überschaubarer macht (vgl. KR-Hillebrecht, § 626 BGB Rz 58 bis 64, m.w.N.). Dem widerspricht es, vorsätzlichen und widerrechtlichen Verletzungen des Eigentums oder des Vermögens des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer allein wegen einer als geringfügig anzusehenden Schädigung des Arbeitgebers von vornherein die Eignung für eine außerordentliche Kündigung abzusprechen. Ob ein Schaden als geringfügig zu betrachten ist, ist bereits eine Wertungsfrage. Es davon abhängig zu machen, ob das Verhalten des Arbeitnehmers einen wichtigen Kündigungsgrund abgeben kann, würde dem Zweck des abgestuften Prüfungsmaßstabs widersprechen. Wie auch die angeführten Instanzentscheidungen zeigen, kann der Umfang des dem Arbeitgeber zugefügten Schadens insbesondere nach der Stellung des Arbeitnehmers, der Art der entwendeten Ware und den besonderen Verhältnissen des Betriebes ein unterschiedliches Gewicht für die Beurteilung der Schwere der Pflichtverletzung haben. So ist etwa die Entwendung einer Zigarette aus einer Besucherschatulle des Arbeitgebers durch einen Arbeitnehmer anders zu beurteilen als die Entwendung einer gleichwertigen Ware durch einen Arbeitnehmer, dem sie – als Verkäufer, Lagerist oder Auslieferungsfahrer – gerade auch zur Obhut anvertraut ist. Objektive Kriterien für eine allein am Wert des entwendeten Gegenstandes ausgerichtete Abgrenzung in ein für eine außerordentliche Kündigung grundsätzlich geeignetes und nicht geeignetes Verhalten lassen sich nicht aufstellen.
Die Beklagte hat in der Berufungsbegründung unter Beweisantritt vorgetragen, die Klägerin habe dem Geschäftsführer auf Befragen zugestanden, darüber unterrichtet gewesen zu sein, daß sie hinter dem Ladentisch keine Eßware verzehren dürfe und bei einem Kauf zum eigenen Verzehr den Kaufpreis durch einen Kollegen kassieren sowie vom Abteilungsleiter abzeichnen lassen müsse. Sie habe ferner die ausdrücklich an sie gerichtete Frage bejaht, ob ihr bewußt gewesen sei, daß die Entnahme von Ware ohne Bezahlung einen strafbaren Diebstahl darstelle. Hierzu hat das Berufungsgericht lediglich ausgeführt, der bei der Anhörung durch die Beklagte gegebene Hinweis auf die nach Ansicht der Beklagten gegebene „strafrechtliche Relevanz“ des Verhaltens der Klägerin ändere nichts daran, daß die Gesamtumstände des Falles auf fehlendes Unrechtsbewußtsein der Klägerin schließen ließen. Damit hat das Berufungsgericht den Sachvortrag der Beklagten in einem entscheidenden Punkt übergangen. Es hat die für die subjektive Tatseite der Klägerin wesentliche Behauptung der Beklagten unberücksichtigt gelassen, die Klägerin habe sowohl ihre Kenntnis von den Anordnungen der Beklagten bei Personalkäufen zugestanden als auch selbst eingeräumt, sich strafbar gemacht zu haben.
Die pauschale Wertung, die Gesamtumstände sprächen gegen ein Unrechtsbewußtsein bei der Klägerin, steht zudem in Widerspruch zu der sich aus § 286 Abs. 1 ZPO ergebenden Pflicht des Tatrichters, alle für die Beweiswürdigung wesentlichen Umstände auch im Urteil darzustellen. Gleiches gilt für die Würdigung, der Vortrag der Beklagten über die Verteilung schnell verderblicher Ware bestätige „möglicherweise“ die Annahme eines fehlenden Unrechtsbewußtseins. Hat die Klägerin eingeräumt, sich eines strafbaren Diebstahls schuldig gemacht zu haben, so spricht dies gegen die Annahme, sie habe sich im Hinblick auf diese betriebliche Übung zum Verzehr des Bienenstichs für berechtigt gehalten.
III. 1. Bereits diese Verfahrensfehler machen die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht erforderlich, weil die für die Würdigung des Verhaltens der Klägerin als wichtiger Kündigungsgrund wesentliche Frage des Verschuldens noch nicht abschließend geklärt ist. Hat die Klägerin vorsätzlich und schuldhaft gehandelt, kann das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht, wie das Berufungsgericht angenommen hat, wegen fehlender Abmahnung der Klägerin verneint werden. Da es sich vorliegend um eine Störung im Vertrauensbereich handelt, ist eine vorherige Abmahnung als Teil des Kündigungsgrundes nur dann erforderlich, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen, etwa aufgrund einer unklaren Regelung oder Anweisung, annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (vgl. Senatsurteil vom 30. Juni 1983 -2 AZR 524/81 – zu A IV 1 der Gründe, zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt; Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 1 Rz 90 a; KR- Hillebrecht, § 626 BGB Rz 100). Diese Voraussetzungen sind aber nicht erfüllt, wenn die Klägerin sich selbst des Unrechts ihrer Tat bewußt gewesen ist. Die Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung hängt dann von dem Ergebnis der Interessenabwägung ab. Die Entscheidung hierüber ist vorgreiflich dafür, ob die soziale Rechtfertigung der Kündigung als umgedeutete ordentliche geprüft werden muß. Deshalb ist das angefochtene Urteil auch in diesem Punkt aufzuheben.
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