BAG 6 AZR 705/15
AGB – Kündigungsfrist in der Probezeit – Auslegung
Wird in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag in einer Klausel eine Probezeit und in einer anderen Klausel eine Kündigungsfrist festgelegt, ohne dass unmissverständlich deutlich wird, dass diese ausdrücklich genannte Frist erst nach dem Ende der Probezeit gelten soll, ist dies von einem durchschnittlichen Arbeitnehmer regelmäßig dahin zu verstehen, dass der Arbeitgeber schon von Beginn des Arbeitsverhältnisses an nur mit dieser Kündigungsfrist, nicht aber mit der zweiwöchigen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB kündigen kann.
Tenor
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über den Zeitpunkt, in dem das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis beendet worden ist.
Die Beklagte betreibt gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung. Die Parteien, deren Tarifbindung das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt hat, schlossen im März 2014 einen Arbeitsvertrag. Der Kläger sollte ab dem 28. April 2014 als Flugbegleiter an eine Fluggesellschaft überlassen werden. Der Arbeitsvertrag stand unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Kläger eine Schulung zum Flugbegleiter, eine flugärztliche Untersuchung sowie die erforderliche Zuverlässigkeitsprüfung bestehe. Die Schulung wurde von der Fluggesellschaft durchgeführt und bezahlt. Nach Erfüllen der im Arbeitsvertrag genannten Bedingungen wurde der Kläger als Flugbegleiter eingesetzt.
In § 1 des Arbeitsvertrags, der 17 Paragrafen mit insgesamt 68 Unterpunkten umfasste, war unter der Überschrift „Bezugnahme auf Tarifvertrag“ die Geltung des zwischen dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistung e. V. (BZA) und den Mitgliedsgewerkschaften des DGB geschlossenen Manteltarifvertrags für die Zeitarbeit (MTV) vereinbart. Gemäß § 9.3 MTV gelten die ersten sechs Monate des Beschäftigungsverhältnisses als Probezeit. In den ersten drei Monaten der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von einer Woche gekündigt werden. Danach gelten die gesetzlichen Kündigungsfristen während der Probezeit gemäß § 622 Abs. 3 BGB.
4
Der Arbeitsvertrag enthielt auszugsweise folgende weitere Regelungen, wobei die Ziff. 4 in § 3 doppelt vergeben war:
„§ 3 Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses | |||
1. | Der Arbeitsvertrag wird im Rahmen einer Neueinstellung | ||
☒ | befristet abgeschlossen gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG (sachgrundlose Befristung) für die Zeit vom 28.04.2014 bis zum 31.12.2015. … | ||
2. | Der Mitarbeiter bestätigt mit seiner Unterschrift, dass vor Abschluss dieses Arbeitsvertrages kein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis mit der G bestanden hat. | ||
3. | Auch während einer etwaigen Befristung kann das Arbeitsverhältnis von beiden Parteien nach Maßgabe der Bestimmungen des MTV und den gesetzlichen Bestimmungen gekündigt werden. | ||
4. | Nach Ablauf der vereinbarten Befristungszeit endet das Arbeitsverhältnis, ohne dass es einer entsprechenden Erklärung einer der Parteien bedarf, sofern nicht zuvor die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses schriftlich vereinbart wurde. | ||
4. | Die ersten 6 Monate nach Beginn des Arbeitsverhältnisses werden als Probezeit vereinbart. | ||
… | |||
§ 8 Beendigung des Arbeitsverhältnisses | |||
1. | Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gilt eine Kündigungsfrist von 6 Wochen zum Monatsende. Die nach den gesetzlichen Bestimmungen für den Arbeitgeber geltenden längeren Kündigungsfristen gelten auch für eine Kündigung durch den Mitarbeiter. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor Arbeitsantritt ist ausgeschlossen. | ||
…“ |
Mit Schreiben vom 5. September 2014, das dem Kläger am selben Tag zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit zum 20. September 2014, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin. Mit seiner am 8. Oktober 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger nur noch gegen die Länge der Kündigungsfrist.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die maßgebliche Kündigungsfrist ergebe sich aus § 8 Ziff. 1 des Arbeitsvertrags, der die Kündigungsfrist ohne eine Ausnahme festgelegt habe. Die Vereinbarung einer Probezeit in § 3 zweite Ziff. 4 des Arbeitsvertrags habe nicht zur Folge, dass die in § 622 Abs. 3 BGB vorgesehene Kündigungsfrist von zwei Wochen gelte. In § 3 des Arbeitsvertrags, der nach seiner Überschrift nur Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses betreffe, seien bis auf die Vereinbarung einer Probezeit in Ziff. 4 ausschließlich Regelungen zur Befristung enthalten.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 5. September 2014 erst zum 31. Oktober 2014 beendet wurde. |
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, schon aus der Bezugnahmeklausel in § 1 des Arbeitsvertrags und dem danach maßgeblichen § 9.3 MTV folge, dass das Arbeitsverhältnis mit einer kürzeren Frist als derjenigen des § 8 Ziff. 1 des Arbeitsvertrags habe gekündigt werden können. Die Vereinbarung einer Probezeit sei nach allgemeiner Lebensauffassung so zu verstehen, dass andere Kündigungsfristen gelten sollten. Anderenfalls wäre die Vereinbarung einer Probezeit sinnlos, weil sie keine eigenständige Bedeutung habe. Hätte der Kläger den Vertrag als Ganzes gelesen, wäre ihm die explizite Herausstellung der Probezeit in § 3 zweite Ziff. 4 aufgefallen, die nach dem MTV und dem Gesetz eine kürzere Kündigungsfrist bewirke. Die in § 8 Ziff. 1 des Arbeitsvertrags vorgesehene Kündigungsfrist gelte unmissverständlich nur für den Zeitraum nach der Probezeit. Schließlich habe der Kläger wissen müssen, dass der Beklagten an einer kurzfristigen Trennungsmöglichkeit in den ersten sechs Monaten gelegen gewesen sei. Daran ändere nichts, dass er vor dem Einsatz als Flugbegleiter noch geschult habe werden müssen. Ein gesteigerter Bindungswille der Beklagten gehe daraus nicht hervor. Sie habe die Schulung weder durchgeführt noch bezahlt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Beklagte musste bereits in der Probezeit die von ihr in § 8 Ziff. 1 des Arbeitsvertrags festgelegte Kündigungsfrist wahren. Ihre Kündigung vom 5. September 2014 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien darum erst zum 31. Oktober 2014 beendet. Das hat das Landesarbeitsgericht mit Recht erkannt.
(1) Allerdings gilt in einer vereinbarten Probezeit die Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB grundsätzlich ohne besondere Vereinbarung (vgl. nur APS/Linck 5. Aufl. BGB § 622 Rn. 69 mwN). Die Arbeitsvertragsparteien können jedoch auch für die Kündigung in der Probezeit längere Kündigungsfristen vereinbaren (ErfK/Müller-Glöge 17. Aufl. § 622 BGB Rn. 15).
(2) Eine solche abweichende Regelung ist in § 8 Ziff. 1 des Arbeitsvertrags getroffen.
(a) Dabei kann dahinstehen, ob einem nicht rechtskundigen durchschnittlichen Arbeitnehmer, wie die Revision annimmt, die Auswirkung der Vereinbarung einer Probezeit auf die Länge der in dieser Zeit einzuhaltenden Frist bekannt ist oder ob ein solcher Arbeitnehmer nur davon ausgeht, dass in dieser Zeit noch kein Kündigungsschutz gilt, also die Probezeit mit der Wartezeit des § 1 KSchG gleichsetzt (so vereinzelt auch die ältere Rechtsprechung des BAG, vgl. 5. Februar 2004 – 8 AZR 639/02 – zu II 3 a der Gründe; 20. August 1998 – 2 AZR 83/98 – zu II 3 der Gründe, BAGE 89, 307).
(b) Jedenfalls galt nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Arbeitnehmers aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Arbeitsvertrags der Parteien die in dieser Klausel festgelegte Kündigungsfrist schon während der Probezeit. § 3 des Arbeitsvertrags ist mit „Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses“ überschrieben. Zwar weist die Revision mit Recht darauf hin, dass der Begriff „Dauer“ deutlich macht, dass § 3 auch Regelungen enthält, die Bedeutung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben. Alle folgenden Klauseln dieses Paragrafen beziehen sich jedoch bis zur ersten Ziff. 4 ausschließlich auf die Befristung des Arbeitsverhältnisses. § 3 Ziff. 3 eröffnet während des Befristungslaufs eine Kündigungsmöglichkeit, § 3 erste Ziff. 4 legt die rechtlichen Folgen des Befristungsauslaufs fest. Die folgende Regelung der Probezeit in § 3 zweite Ziff. 4 steht mit den davor stehenden Klauseln in keinem rechtlichen oder inhaltlichen Zusammenhang. Zwar steht, worauf die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hingewiesen hat, die Probezeit begriffsnotwendig am Anfang des Arbeitsverhältnisses. Gleichwohl muss der durchschnittliche Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, dass in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Vertrag unter der Überschrift „Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses“ Bestimmungen erfolgen sollen, die die Länge der Kündigungsfrist berühren, wenn zugleich in einer anderen Klausel, die ausdrücklich mit „Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ überschrieben ist, die Kündigungsfrist ohne jede Ausnahme festgelegt ist. Das gilt umso mehr, als der von der Beklagten vorformulierte Vertrag außerordentlich komplex ist und zahlreiche verästelte Regelungen enthält. Der Kläger konnte deshalb erwarten, dass die Beklagte in dem Vertrag die Fallgestaltungen aufführen würde, in denen sie eine von der Frist des § 8 Ziff. 1 abweichende Frist festlegen wollte. Das ist nicht geschehen. An keiner Stelle des Arbeitsvertrags wird für den durchschnittlichen Arbeitnehmer deutlich, dass die Beklagte als Verwenderin kündigungsrechtlich Konsequenzen aus einer vereinbarten Probezeit ziehen, insbesondere für den Beginn des Arbeitsverhältnisses kürzere Kündigungsfristen vorsehen wollte. Eine Kündigungsfrist ist ausdrücklich nur in § 8 Ziff. 1 des Arbeitsvertrags ohne Ausnahmeregelung für die Dauer der Probezeit festgelegt. Allein diese Frist ist deshalb aus Sicht des durchschnittlichen Arbeitnehmers von Beginn an und damit auch bereits während der Probezeit für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses maßgeblich.
(c) Allerdings hat, worauf die Revision zutreffend hinweist, die Vereinbarung einer Probezeit im Regelfall nur den Zweck, während dieser Zeit mit verkürzter Frist kündigen zu können. Ist § 8 Ziff. 1 des Arbeitsvertrags bereits in der Probezeit maßgeblich, läuft die Vereinbarung der Probezeit leer. Das ist jedoch die Folge der von der Beklagten selbst formulierten Vertragsklauseln, die ihren der Vereinbarung der Probezeit zugrundeliegenden Regelungswillen dem durchschnittlichen Arbeitnehmer nicht hinreichend deutlich macht. Hätte die Beklagte als Verwenderin vorgeben wollen, dass in der Probezeit die zweiwöchige Kündigungsfrist des § 9.3 Unterabs. 2 Satz 2 MTV bzw. § 622 Abs. 3 BGB gelten soll, hätte sie dies entweder in § 3 im Zusammenhang mit der Vereinbarung der Probezeit deutlich machen oder die Regelung in § 8 des Vertrags unzweideutig auf die Zeit nach dem Ende der Probezeit begrenzen müssen. Dafür hätte die Einfügung der drei Worte „nach der Probezeit“ im Anschluss an die § 8 Ziff. 1 des Vertrags einleitende Passage „Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gilt“ genügt. An der von ihr vorgegebenen Formulierung, die für den durchschnittlichen, juristisch nicht vorgebildeten Arbeitnehmer nur den Schluss zulässt, dass die einzige Kündigungsfristenregelung in § 8 des Arbeitsvertrags vom ersten Tag des Arbeitsverhältnisses an maßgeblich sein sollte, muss sich die Beklagte festhalten lassen.
(d) Der Hinweis der Revision, die Beklagte habe ungeachtet der Bezahlung der vor Aufnahme der Tätigkeit erforderlichen Schulung des Klägers durch den Entleiher ein Interesse daran gehabt, das Arbeitsverhältnis während der Probezeit mit kürzerer Frist zu beenden, falls sich der Arbeitnehmer – wie im Fall des Klägers geschehen – als flugunfähig erweise, führt zu keiner anderen Auslegung. Dieses Interesse konnte der Kläger dem von der Beklagten formulierten Vertrag nicht entnehmen. Es wäre dieser unbenommen gewesen, ihrem Lösungsinteresse durch eine klare, unzweideutige Regelung der während der Probezeit geltenden Kündigungsfrist Rechnung zu tragen.
(e) Die von der Revision herangezogenen Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 20. Oktober 1995 (- 9 Sa 996/95 -) und des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 14. Mai 2012 (- 17 Sa 15/12 -) stehen dem Auslegungsergebnis nicht entgegen. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf ist vor der Schuldrechtsreform ergangen und befasst sich darum nicht mit der Auslegung einer vom Arbeitgeber vorformulierten Klausel nach den Grundsätzen des AGB-Rechts. Die Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts betrifft die Auslegung eines Arbeitsvertrags, in dem die Bestimmungen zu Probezeit und Kündigungsfrist nicht unter verschiedenen Überschriften getrennt geregelt, sondern in einer Klausel zusammengefasst waren.
III. Selbst wenn man der stillschweigenden Annahme des Landesarbeitsgerichts folgte, die Deutungsspielräume, die der Arbeitsvertrag der Parteien belässt, könnten nicht durch Auslegung geschlossen werden (zum Vorrang der Auslegung vor der Prüfung der Intransparenz vgl.: BGH 25. Februar 2016 – VII ZR 156/13 – Rn. 32; 9. März 2005 – VIII ZR 17/04 – zu II 2 der Gründe; Staudinger/Coester (2013) § 307 Rn. 172; Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen AGB-Recht 12. Aufl. § 307 BGB Rn. 344), wäre die Klage begründet. Die gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, dann sei die Regelung der während der Probezeit geltenden Kündigungsfristen intransparent iSv. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, was die Geltung allein der Frist des § 8 Ziff. 1 des Vertrags zur Folge habe, gerichteten Angriffe der Revision griffen nicht durch.
Wetzlarer Straße 8a
35644 Hohenahr
Telefon: +49 6446 921 332
Telefax: +49 6446 921 331
E-Mail: info@rechtsanwalt-krau.de
Wetzlarer Straße 8a
35644 Hohenahr
Telefon: +49 6446 921 332
Telefax: +49 6446 921 331
Wetzlarer Straße 8a
35644 Hohenahr
Telefon: +49 6446 921 332
Telefax: +49 6446 921 331