Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans

April 26, 2020

Hessischer Verwaltungsgerichtshof 3. Senat
3 A 1013/17.Z

Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans

1. Es widerspricht den in § 31 Abs. 2 BauGB genannten öffentlichen Belangen, ein Bauvorhaben mittels Befreiung zu genehmigen, das ohne ersichtliche Schwierigkeiten innerhalb der von der planenden Gebietskörperschaft festgesetzten Baugrenzen verwirklicht werden kann.

2. Wird durch ein derartiges Bauvorhaben ein Präzedenzfall geschaffen ist das Vorhaben auch nicht städtebaulich vertretbar.

3. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB nicht dargelegt, kommt es auf eine behauptete Ermessensreduktion auf Null auf der Rechtsfolgenseite des § 31 Abs.2 BauGB nicht mehr entscheidungserheblich an.

Verfahrensgang ausblendenVerfahrensgang
vorgehend VG Frankfurt, 9. Februar 2017, 8 K 228/16.F, Urteil
Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 9. Februar 2017 – 8 K 228/16.F – wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Verfahren auf Zulassung der Berufung auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Der gemäß § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO statthafte und im Übrigen zulässige Antrag des Klägers vom 3. April 2017, einem Montag, gegen das seinem Bevollmächtigten am 1. März 2017 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 9. Februar 2017 – 8 K 228/16.F -, über den die Vorsitzende im Einverständnis mit den Beteiligten anstelle des Senats entscheiden kann (§ 87a Abs. 2 VwGO), ist zwar mit Schriftsatz vom 2. Mai 2017 fristgerecht begründet worden, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Die Vorsitzende nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung und sieht insoweit von einer eigenen Begründung ab. Die Begründung des Zulassungsantrages rechtfertigt keine andere Entscheidung in der Sache.

Der Kläger hat ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht dazulegen vermocht.

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, wenn gegen die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Dies ist der Fall, wenn der die Zulassung des Rechtsmittels begehrende Beteiligte einen die angegriffene Entscheidung tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfest-stellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage stellt und sich dem Verwaltungsgerichtshof die Ergebnisrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung – unabhängig von der vom Verwaltungsgericht für sie gegebenen Begründung – nicht aufdrängt (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 05.06.2018 – 3 A 1844/15.Z -, juris Rdnr. 4). Die gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erforderliche Darlegung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel verlangt dabei, dass die Antragsbegründung in konkreter und substantiierter Auseinandersetzung mit der Normauslegung oder -anwendung bzw. der Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts Gesichtspunkte für deren jeweilige Fehlerhaftigkeit und damit für die Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung aufzeigt. Eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags genügt grundsätzlich nicht, ebenso wenig der pauschale Verweis auf den angefochtenen Bescheid ohne Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung (ständ. Rspr., vgl. u.a. Hess. VGH, Beschl. v. 05.06.2018, a.a.O.; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 25. Auflage 2019, § 124a Rdnr. 49 ff, 52). Bei der Prüfung ernstlicher Zweifel ist das Gericht auf die in dem Zulassungsantrag dargelegten Gründe beschränkt (Hess. VGH, Beschl. v. 20.03.2003 – 4 TZ 822/01 -, NVwZ 2001, 1870; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, a.a.O., § 124a, Rdnr. 50). Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbstständig tragende Begründungsteile gestützt (sogen. mehrfache bzw. kumulative Begründung), muss vom Zulassungsantragsteller für jeden dieser Begründungsteile ein Berufungszulassungsgrund dargelegt werden (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, a.a.O., § 124, Rdnr. 5; § 124a, Rdnr. 7).

Der Kläger trägt zur Begründung der von ihm behaupteten ernstlichen Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung im Wesentlichen vor, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei sein Bauvorhaben im Wege der Befreiung genehmigungsfähig, da die Abweichung von den Festsetzungen des Bebauungsplans im Sinne des § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB städtebaulich vertretbar sei. Eine Verschiebung seines Bauvorhabens um 2,50 m nach Norden stehe nicht im Widerspruch zu den Zielen des Bebauungsplans Nr. 133 „Hauptstraße zwischen Furtweg und Häuserstraße“. Insbesondere stelle das Heranrücken an die nördliche Grundstücksgrenze und den dort verlaufenden Bach bis auf 3 m an der engsten Stelle keine unnötige Minimierung des Abstandes zu dem Bach oder eine vermeidbare Dichte zu der auf dem nördlichen Grundstück gelegenen Kindertagesstätte dar. Bereits das Stadtplanungsamt habe in seiner Magistratsvorlage vom 30. Juni 2015 ausgeführt, gegen eine Befreiung bestünden keine städtebaulichen oder planungsrechtlichen Bedenken. Auch hätten sowohl die untere Naturschutzbehörde als auch die untere Wasserbehörde ihre Zustimmung in Aussicht gestellt. Das von ihm geplante Gebäude sei lediglich eingeschossig, so dass die maximal zulässigen Ausnutzungswerte für das insgesamt 1.179 qm große Grundstück nicht erreicht würden. Der Mindestabstand zu der Bachparzelle sei nur an einer einzigen Stelle bzw. einem einzigen Punkt auf 3 Meter reduziert, ansonsten betrage der Abstand 5 Meter. Die beantragte Befreiung widerspreche nicht den Zielen des Bebauungsplans. Es werde auch entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes und der Beklagten kein Präzedenzfall geschaffen. Hierbei sei insbesondere darauf hinzuweisen, dass auf dem sich östlich unmittelbar an sein Grundstück anschließenden Grundstück Hauptstraße …/Flurstück …/… die durch den Bebauungsplan festgesetzte nördliche Baugrenze mit vier großen Mietshäusern um mehrere Meter überschritten werde. Die Entfernung des Baufensters auf den sich an sein Grundstück nach Westen anschließenden Grundstücken zu der nördlichen Grundstücksgrenze sowie dem Bachlauf sei erheblich größer als auf seinem Grundstück, so dass selbst bei entsprechenden Befreiungen auf den Nachbargrundstücken der Abstand zum Bachlauf immer noch ausreichend groß sei. Das Verwaltungsgericht habe auch zu Unrecht angenommen, dass das von der Beklagten im Rahmen einer Befreiungsentscheidung auszuübende Ermessen nicht auf Null reduziert sei. Hierbei sei wiederum auf die Bebauung auf dem Grundstück Hauptstraße … mit den dort befindlichen vier großen Mietshäusern zu verweisen, die die nördliche Baugrenze um mehrere Meter überschritten. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Bebauungen auf den Nachbargrundstücken der Hauptstraße …, …, …, …, …, …, … und … mit seinem Vorhaben nicht vergleichbar seien. Tatsächlich seien die Überschreitungen der nördlichen Baugrenze auf den Grundstücken Hauptstraße …, …, …, … und … mit seiner Grundstückssituation vergleichbar, da die Überschreitungen bis auf die Überschreitung auf dem Grundstück Hauptstraße … sämtlich die von ihm begehrte Überschreitung von 2,50 m deutlich überschritten. Durch die Befreiung werde auch nicht die planerische Grundkonzeption der Beklagten beeinträchtigt. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu der Situation auf den Grundstücken Hauptstraße … und … seien nicht nachvollziehbar, sondern wohl der Übernahme des Widerspruchsbescheides durch das Verwaltungsgericht geschuldet. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die außerhalb der Baugrenzen liegende Bebauung ein Ausmaß erreicht habe, das zur Funktionslosigkeit der Festsetzungen führe.

Dem Folgt die Richterin nicht.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht das Begehren des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, ihm seine Bauvoranfrage hinsichtlich des Bauvorhabens „Neubau eines Einfamilienhauses mit Garage in Oberursel, Hauptstraße … (Flur …, Flurstück …)“ positiv zu bescheiden, abgelehnt.

Das Bauvorhaben des Klägers, mit dem das laut Bebauungsplan Nr. 133 „Hauptstraße zwischen Furtweg und Häuserstraße“ mittels einer Baugrenze festgesetzte Baufenster Richtung Norden um 2,50 m überschritten werden soll, ist nicht genehmigungsfähig, da die Voraussetzungen einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB nicht vorliegen. Das Verwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit der Beklagten zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB verneint, ohne dass dem der Kläger in dem Verfahren auf Zulassung der Berufung entscheidungserheblich hat entgegentreten können.

Gemäß § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und

1. Gründe des Wohls der Allgemeinheit einschließlich des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, die Befreiung erfordern oder

2. die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder

3. die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde

und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

Der Kläger hat weder darzulegen vermocht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB in seinem Fall erfüllt sind, noch, dass selbst dann, wenn man dies annehmen wollte, das der Beklagte eingeräumte Ermessen auf Null reduziert ist.

Es kann dahinstehen, in welchem Umfang bei der Frage einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB ein atypischer Sachverhalt auch nach den Änderungen durch das Bau- und Raumordnungsgesetzes 1998 zu fordern ist (vgl. Rieger in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl., Kommentar, 2019 § 31 Rdnr. 26 ff., 31; Siegmund in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, Kommentar, 3. Aufl., 2018, § 31 Rdnr. 37; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Kommentar, Stand: Mai 2019, § 31 Rdnr. 29 ff.), da der Kläger die Tatbestandsvoraussetzungen einer Befreiung im Übrigen nicht dargelegt hat.

Unter Einstellung der sogleich darzustellenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Richterin folgt, ist das Vorhaben des Klägers weder mit den Grundzügen der Planung noch mit den öffentlichen Belangen vereinbar.

Es widerspräche den in § 31 Abs. 2 BauGB genannten öffentlichen Belangen, ein Bauvorhaben mittels Befreiung zu genehmigen, das ohne ersichtliche Schwierigkeiten innerhalb der von der planenden Gebietskörperschaft festgesetzten Baugrenzen verwirklicht werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Richterin folgt, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit § 31 Abs. 2 BauGB ein Instrument zur Verfügung gestellt hat, dass trotz Rechtsbindung der Baubehörden an die Festsetzungen eines Bebauungsplans im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit und der Wahrung der Verhältnismäßigkeit für Vorhaben, die den Festsetzungen zwar widersprechen, sich mit den planerischen Vorstellungen aber gleichwohl in Einklang bringen lassen, ein Mindestmaß an Flexibilität hat schaffen wollen. Der Gesetzgeber knüpft die Befreiung indes an genau umschriebene Voraussetzungen. Durch das Erfordernis der Wahrung der Grundzüge der Planung stellt er sicher, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht beliebig durch Verwaltungsakt außer Kraft gesetzt werden dürfen. Die Änderung eines Bebauungsplans obliegt nach § 2 Abs. 4 BauGB unverändert der Gemeinde und nicht der Bauaufsichtsbehörde. Hierfür ist in den §§ 3 und 4 BauGB ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange vorgeschrieben, von dem nur unter den in § 13 BauGB genannten Voraussetzungen abgesehen werden kann. Diese Regelungen dürfen weiterhin nicht durch eine großzügige Befreiungspraxis aus den Angeln gehoben werden. Die Befreiung kann mithin nicht als Vehikel dafür herhalten, die von der Gemeinde getroffene planerische Regelung beiseite zu schieben. Sie darf – jedenfalls von Festsetzungen, die für die Planung tragend sind – nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen lassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.03.1999 – 4 B 5/99 – juris, Rdnr. 5 und 6 m.w.N.).

Sowohl die Beklagte als auch das Verwaltungsgericht haben dem Vorhaben des Klägers zu Recht entgegengehalten, dass er dies gleichermaßen in dem von dem Bebauungsplan vorgesehenen Baufenster verwirklichen kann.

Eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans kommt in einer derartigen Konstellation ohne Hinzutreten weiterer, in § 31 Abs. 2 BauGB genannter Tatbestandsmerkmale, nicht in Betracht, sondern widerspricht den in § 31 Abs. 2 BauGB genannten öffentlichen Belangen. Relevant sind insoweit insbesondere die Belange, die bei den Festsetzungen des Bebauungsplans, von denen abgewichen werden soll, abwägungsbeachtlich gewesen sind, sowie solche öffentlichen Belange, die durch die Befreiung mit Auswirkungen auf die dem Bebauungsplan zugrundeliegende Abwägung erstmals berührt werden. Die Unvereinbarkeit mit öffentlichen Belangen kann danach gegeben sein, wenn die mit dem Bebauungsplan verfolgten Ziele und Zwecke und insbesondere der mit seinen Festsetzungen geschaffene Ausgleich an Belangen, das sogenannte Interessengeflecht der Planung, berührt wird. Dies kann nicht generell, sondern nur nach den planungsrechtlichen Situationen und den sonstigen Umständen des Einzelfalles beurteilt werden (vgl. Söfker, a.a.O., § 31 Rdnr. 57 m.w.N.). Ist ein Vorhaben ohne Weiteres unter Einhaltung der planerischen Vorgaben des Bebauungsplans zu verwirklichen, kann es nicht in das Belieben der Bauaufsichtsbehörde gestellt sein, von dessen Festsetzungen Befreiungen zu erteilen. Denn „Herr des Verfahrens“ ist insoweit die planende Gebietskörperschaft und nicht die für die Erteilung von Baugenehmigungen zuständige Behörde.

Unter diesen Vorgaben hat der Kläger nicht darzulegen vermocht, dass die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, ihm sei keine Befreiung zu erteilen, rechtsfehlerhaft ist. Der Plangeber hat mit dem Bebauungsplan Nr. 133 „Hauptstrasse zwischen Furtweg und Häuserstrasse“ differenzierte Regelungen hinsichtlich der nördlich gelegenen Baufenster und der dort anzupflanzenden Baum- und Buschgruppen getroffen. Der Bebauungsplan Nr. 133 hat nach dem Vortrag der Beklagten das unter Punkt 5.1 zum Ausdruck gekommene Planungsziel, Baufenster, die mittels Baugrenzen definiert sind, in zweiter Reihe zuzulassen. Es sollte eine lockere offene Bauweise mit starker Durchgrünung geschaffen werden. Dieses Ziel ist durch die Festsetzung von Baugrenzen, die Anpflanzung von Bäumen und Sträuchern und der Festsetzung von gemäßigten Ausnutzungsziffern planerisch festgelegt worden. Ausweislich des dem Gericht vorliegenden Bebauungsplans Nr. 133 „Hauptstrasse zwischen Furtweg und Häuserstrasse“ ist am nördlichen Ende des klägerischen Grundstücks die Anpflanzung von Baum- und Buschgruppen vorgesehen, so dass davon auszugehen ist, dass der Plangeber in Bezug auf die Gestaltung dieses Bereiches planungsrechtliche Überlegungen angestellt hat. Auch dies spricht gegen eine – quasi anlasslose – Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans.

Dass das Bauplanungsamt ausweislich einer Beschlussvorlage an den Magistrat keine städtebaulichen oder planungsrechtlichen Bedenken gegen die beantragte Befreiung gesehen hat, ist dabei nicht entscheidend, ebenso wenig, dass die untere Naturschutzbehörde und Wasserbehörde ihre Zustimmung in Aussicht gestellt haben. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass ausschlaggebend insoweit der Magistratsbeschluss ist, der eine Befreiung abgelehnt hat. Weder die untere Naturschutzbehörde noch die untere Wasserschutzbehörde prüfen im Übrigen im Rahmen ihrer fachlichen Stellungnahmen die (städtebaulichen) Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB, sondern nehmen aus den von ihnen zu beurteilenden fachspezifischen Aspekten Stellung. Dies ist nicht bindend für die die bauordnungs- und bauplanungsrechtlichen Belange prüfende Bauaufsicht.

Das Vorhaben des Klägers stellt sich auch nicht als städtebaulich vertretbar i.S.v. § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB dar. Die Beklagte hat hinreichend deutlich gemacht, welche städtebaulichen Erwägungen gegen die Befreiung sprechen. So hat sie mehrfach darauf hingewiesen, die Befreiung sei städtebaulich nicht vertretbar, da Konflikte mit der benachbarten Kindertagesstätte zu erwarten seien und das geplante Vorhaben im Übrigen ohne Einschränkungen im festgesetzten Baufenster realisiert werden könne. Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch davon auszugehen, dass durch die von ihm begehrte Befreiung ein Präzedenzfall geschaffen würde, was ebenfalls der städtebaulichen Vertretbarkeit entgegensteht. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang unwidersprochen darauf hingewiesen, dass die Grundstücke westlich des Bauvorhabens des Klägers in zweiter Reihe noch nicht bebaut sind und sein Bauvorhaben insoweit Vorbildwirkung entfalten kann.

Soweit der Kläger in seinem Zulassungsantrag auf das sich östlich unmittelbar an sein Grundstück angrenzende Grundstück Hauptstraße … (Flurstück verweist und in diesem Zusammenhang vorträgt, dieses mit vier großen Mietshäusern bebaute Grundstück überschreite um mehrere Meter die nördlich festgesetzte Baugrenze, kann auch dem nicht gefolgt werden. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 29. Juni 2017 unwidersprochen vorgetragen, dass die auf dem genannten Flurstück vorhandenen vier Wohnhäuser in zweiter Reihe im Wesentlichen innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche liegen. Die geringe Überschreitung der Baugrenze nach Norden an nur einer Stelle sei durch untergeordnete Bauteile (übereinanderliegende Balkone) bedingt. Die dort ausweislich des beigefügten Lageplans zu erkennende geringfügige Überschreitung der Baugrenze stellt im Vergleich zu den geplanten 42,5 qm des Hauptgebäudes des Klägers eine nur unwesentliche Überschreitung dar.

Hat der Kläger mithin die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB nicht darzulegen vermocht, kommt es auf die von ihm behauptete Ermessensreduktion auf Null auf der Rechtsfolgenseite des § 31 Abs. 2 BauGB nicht mehr entscheidungserheblich an. Die Vorsitzende weist gleichwohl darauf hin, dass die Ermessensentscheidung der Beklagten nach den von dem Kläger vorgebrachten Argumenten auch nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen ist. Hinsichtlich einer Überschreitung der Baugrenzen auf dem Grundstück Hauptstraße … kann auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen werden. Die dort vorhandene Überschreitung der Baugrenze ist nur geringfügig und nur durch untergeordnete Bauteile bedingt. Hinsichtlich der Gebäude Hauptstraße … bis … kann auf den Schriftsatz der Beklagten vor dem Verwaltungsgericht vom 10. März 2016, dort Seite 4, 3. Abs. ff. verwiesen werden, in dem sie differenziert zu den einzelnen Gebäudesituationen Stellung genommen hat. Die allein für das Gebäude Hauptstraße … erteilte Befreiung aus dem Jahr 1996 erfolgte nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten aus betriebsbedingten Gründen und zeitlich vor dem Bau der Kindertagesstätte. Im Übrigen würde eine einzelne Befreiung weder zu einer Ermessensreduktion auf Null führen noch gar zur Funktionslosigkeit des Bebauungsplans Nr. 133 „Hauptstrasse zwischen Furtweg und Häuserstrasse“. Das Verwaltungsgericht hat auf den Seiten 10 und 11 des Urteilsabdrucks die Voraussetzungen für eine Funktionslosigkeit zutreffend dargestellt und ebenso zutreffend die Schlussfolgerung gezogen, dass diese Voraussetzungen im Fall des Bebauungsplans Nr. 133 „Hauptstrasse zwischen Furtweg und Häuserstrasse“ nicht gegeben sind. Die Baufenster des Bebauungsplans Nr. 133 „Hauptstrasse zwischen Furtweg und Häuserstrasse“ in nördlicher Richtung haben einen unterschiedlichen Verlauf, der den örtlichen Gegebenheiten Rechnung trägt. Dass die Festsetzungen nicht mehr umgesetzt werden könnten, ist für das Gericht nicht ersichtlich.

Der Kläger hat auch einen Verfahrensfehler gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO nicht darzulegen vermocht. Gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ist die Berufung zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Der Kläger trägt in diesem Zusammenhang vor, das Verwaltungsgericht habe aufgrund eines Aufklärungsmangels hinsichtlich der von ihm vorgetragenen baulichen Situation auf dem Grundstück Hauptstraße … mit vier großen Mietshäusern und einer Baugrenzenüberschreitung um mehrere Meter den Sachverhalt nicht ordnungsgemäß zur Kenntnis genommen und aufgeklärt. Insoweit verweist er auf seine Klageschrift, dort Seite 7, 3. Absatz. Danach soll das Gebäude bzw. eines der Gebäude auf dem Grundstück Hauptstraße … die nördliche Baugrenze um mehrere Meter überschreiten. Wo diese Überschreitung zu verorten ist, wird von dem Kläger nicht näher dargelegt. Dies auch nicht, nachdem die Beklagte im Berufungszulassungsverfahren unter Beifügung eines Lageplans mit Einzeichnung der Überschreitung und Erläuterung der Überschreitung ausgeführt hat, dass es sich hierbei lediglich um untergeordnete Bauteile, nämlich übereinanderliegende Balkone, in nicht großem Umfang handelt. Ein Aufklärungsmangel auf Seiten des Gerichts ist bei dieser Sachlage nicht substantiiert dargelegt.

Der Antrag ist daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung, bei der das Gericht der nicht angegriffenen Festsetzung des Verwaltungsgerichts folgt, beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.
© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.