BGH, 19.08.2015 – XII ZB 610/14 – Betreuung bei zweifelhaftem Widerruf der Vorsorgevollmacht

August 17, 2018

Amtlicher Leitsatz:

Ist zweifelhaft, ob eine Vorsorgevollmacht wirksam widerrufen worden ist, können die Angelegenheiten des Betroffenen durch den Bevollmächtigten wegen der dadurch bedingt eingeschränkten Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr regelmäßig nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. August 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerden der Betroffenen und der weiteren Beteiligten zu 1 und 2 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 16. Oktober 2014 aufgehoben, soweit ihre Beschwerden gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 8. Oktober 2014 zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe

I.

Die Betroffene und ihre Geschwister, die Beteiligten zu 1 und zu 2, wenden sich mit ihren Rechtsbeschwerden gegen die Bestellung eines Berufsbetreuers.

Am 8. Juli 2014 erteilte die Betroffene der Beteiligten zu 1 und ersatzweise deren Ehemann, dem Beteiligten zu 3, eine notarielle General- und Vorsorgevollmacht, die sie mit Schreiben vom 28. August 2014 widerrief.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 8. Oktober 2014 unter Bezugnahme auf ein Sachverständigengutachten gleichen Datums für die Betroffene eine Berufsbetreuerin für die Aufgabenkreise Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge und Behördenangelegenheiten bestellt.

Das Landgericht hat die Beschwerden der Betroffenen und der Beteiligten zu 1 und 2 zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die Betroffene und die Beteiligten zu 1 und 2 mit ihren Rechtsbeschwerden.

II.

Die Rechtsbeschwerden haben Erfolg.

  1. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Aus der gutachterlichen Stellungnahme des Dr. S., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 8. Oktober 2014 folge, dass die Betroffene an einer schweren manischen Episode mit psychotisch anmutender Symptomatik leide. Aufgrund dieser Störung sei die Betroffene gegenwärtig nicht in der Lage, sich um ihre eigenen Angelegenheiten in angemessener Weise zu kümmern. § 1896 Abs. 2 BGB stehe der Anordnung der Betreuung nicht entgegen, weil Zweifel an der Wirksamkeit der – von der Betroffenen ihrer Schwester und ihrem Schwager erteilten – Vollmacht bestünden. Da nicht festgestellt werden könne, ob die Betroffene im Zeitpunkt des Widerrufs der Vollmacht geschäftsfähig gewesen sei, bestünden Zweifel an der Wirksamkeit des Widerrufs der Vollmacht, weshalb auch die Frage, ob die Vollmacht (noch) wirksam sei, nicht zweifelsfrei beantwortet werden könne.

Die Auswahlentscheidung des Amtsgerichts, eine Berufsbetreuerin anstatt, wie von der Betroffenen vorgeschlagen, ihre Schwester bzw. ihren Bruder zum Betreuer zu bestellen, sei nicht zu beanstanden. Deren Bestellung liefe dem Wohl der Betroffenen zuwider. Aufgrund der innerfamiliär bestehenden Meinungsverschiedenheiten sei die Einrichtung einer Berufsbetreuung notwendig, um sicher zu stellen, dass die getroffenen Entscheidungen dem Wohl der Betroffenen entsprächen. Auch erscheine fraglich, ob die Betroffene zurzeit in der Lage sei, die Vor- und Nachteile einer von ihr gewünschten Betreuung sowohl durch ihren Ehemann als auch durch ihre Schwester oder ihren Bruder hinreichend abzuwägen.

Das Amtsgericht habe in seinem Beschluss die gutachterliche Stellungnahme des Dr. S. heranziehen und verwerten dürfen. Die Einholung einer Schweigepflichtentbindungserklärung durch die Betroffene sei nicht vorzunehmen gewesen. Von einer Anhörung sei abgesehen worden, weil keine neuen Erkenntnisse von einer weiteren Anhörung der Betroffenen oder der Beschwerdeführer durch das Beschwerdegericht zu erwarten gewesen seien.

  1. Diese Ausführungen halten den Rügen der Rechtsbeschwerde nur teilweise stand. Die angefochtene Entscheidung gründet auf Verfahrensfehlern. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde vor allem, dass die Einholung des Sachverständigengutachtens in mehrfacher Hinsicht verfahrensfehlerhaft erfolgt ist, weshalb es nicht hätte verwertet werden dürfen.
  2. a) Unbedenklich ist allerdings, dass das Amtsgericht den Sachverständigen bestellt hat, obgleich dieser die Betroffene zuvor behandelt hat und dass die Betroffene den Sachverständigen als ihren behandelnden Arzt nicht von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden hat (vgl. Senatsbeschluss vom September 2010 – XII ZB 383/10FamRZ 2010, 1726 Rn. 9, 11).
  3. b) Jedoch ist die Erstellung bzw. Verwertung des Sachverständigengutachtens nicht frei von Verfahrensfehlern.
  4. aa) 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG sieht für das Betreuungsverfahren eine förmliche Beweisaufnahme vor. Nach § 30 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FamFG ist diese entsprechend der Zivilprozessordnung durchzuführen.

(1) Danach bedarf es zwar nicht zwingend eines förmlichen Beweisbeschlusses (vgl. § 358 ZPO), jedoch ist die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen wenn nicht förmlich zuzustellen, so doch zumindest formlos mitzuteilen (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 383/10 FamRZ 2010, 1726 Rn. 19 für das Unterbringungsverfahren).

Ferner hat der Sachverständige gemäß § 280 Abs. 2 Satz 1 FamFG vor der Erstattung des Gutachtens den Betroffenen persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Dabei muss er schon vor der Untersuchung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein und ihm den Zweck der Untersuchung eröffnen. Andernfalls kann der Betroffene sein Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, nicht sinnvoll ausüben (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 383/10FamRZ 2010, 1726 Rn. 20 mwN).

(2) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage setzt schließlich gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut grundsätzlich auch dem Betroffenen persönlich im Hinblick auf dessen Verfahrensfähigkeit (§ 275 FamFG) zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 7. August 2013 – XII ZB 691/12FamRZ 2013, 1725 Rn. 11 mwN).

  1. bb) Dem wird das instanzgerichtliche Verfahren nicht gerecht.

(1) Zu Recht rügen die Rechtsbeschwerden, es sei weder aus den Akten noch sonst ersichtlich, dass der Betroffenen die Bestellung des Sachverständigen vor Beginn der Begutachtung bekannt gegeben worden ist. Auch sonst lassen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, dass die von dem Sachverständigen durchgeführten Erhebungen einer späteren Begutachtung dienen sollten und dies der Betroffenen bekannt war (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 383/10FamRZ 2010, 1726 Rn. 23).

(2) Schließlich kann den Akten nicht entnommen werden, dass das Sachverständigengutachten der Betroffenen oder auch nur den anderen Beteiligten vor Erlass der Entscheidung bekannt gegeben worden ist. Vielmehr ergibt sich aus der Verfügung, mit der das Amtsgericht die Bekanntgabe seiner Entscheidung veranlasst hat, dass allen Beteiligten mit Ausnahme der Betroffenen eine Abschrift des Gutachtens erst mit der Beschlussausfertigung übersandt worden ist.cc) Die vorstehenden Verfahrensfehler sind auch nicht durch das Beschwerdeverfahren geheilt worden, zumal das Beschwerdegericht die Betroffene

nicht selbst angehört hat.

Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG auch in einem Betreuungsverfahren dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Im Beschwerdeverfahren kann allerdings nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszuges zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (Senatsbeschluss vom 17. Oktober 2012 – XII ZB 181/12FamRZ 2013, 31 Rn. 10 mwN).

Solche Verfahrensvorschriften sind hier – wie ausgeführt – bezogen auf die Begutachtung verletzt worden.Danach ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil die Sache noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Sie ist deshalb an das Landgericht zurückzuverweisen.Die Zurückverweisung wird es dem Beschwerdegericht ermöglichen, entsprechend den vorgenannten Maßstäben gemäß § 280 FamFG zu verfahren.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind die Instanzgerichte allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass die Angelegenheiten eines Betroffenen durch den Bevollmächtigten regelmäßig nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können, wenn zweifelhaft ist, ob die Vorsorgevollmacht wirksam widerrufen worden ist.

Zwar darf ein Betreuer gemäß § 1896 Abs. 2 BGB nicht bestellt werden, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Eine wirksam erteilte Vorsorgevollmacht kann der Bestellung eines Betreuers aber nur dann entgegenstehen, wenn u.a. gegen die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung keine Bedenken bestehen (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 – XII ZB 165/10FamRZ 2011, 285 Rn. 11 mwN).

Das gilt auch dann, wenn die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung nach den getroffenen Feststellungen – wie hier – außer Frage steht, es aber zweifelhaft ist, ob sie wirksam widerrufen worden ist (OLG Schleswig BtPrax 2006, 191; Jürgens Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1896 BGB Rn. 19). Zwar bleibt von diesen Zweifeln die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung unberührt. Jedoch können die Angelegenheiten des Betroffenen auch in einem solchen Fall durch einen Bevollmächtigten nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden. Denn die Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr wird durch ihren Widerruf auch dann eingeschränkt, wenn Zweifel an der Wirksamkeit des Widerrufs verbleiben (vgl. OLG Schleswig BtPrax 2006, 191).

b) Ebenso wenig greift die zur Wirksamkeit des Widerrufs von der Rechtsbeschwerde erhobene Aufklärungsrüge durch.

(1) Die Frage, ob die Betroffene zur Zeit des Widerrufs nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war oder zumindest begründete Zweifel an ihrer Geschäftsfähigkeit bestanden, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären.

Allerdings bedarf es insoweit entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht zwingend einer förmlichen Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 280 Abs. 1 FamFG. Das Gericht hat vielmehr in einem ersten Schritt vor der Anordnung der Gutachtenerstattung zu prüfen, ob das Verfahren im Hinblick auf eine Betreuerbestellung oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes weiter zu betreiben ist. Dies setzt hinreichende Anhaltspunkte voraus, dass Betreuungsbedarf besteht oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in Betracht kommt (Senatsbeschluss vom 18. März 2015 – XII ZB 370/14FamRZ 2015, 844 Rn. 13 mwN). In diesem ersten – von § 280 FamFG nicht erfassten – Verfahrensabschnitt ist mithin auch zu prüfen, ob eine Betreuung wegen Bestehens einer wirksamen Vollmacht entbehrlich ist, bevor ein – bei wirksamer Vollmacht überflüssiges – Gutachten eingeholt wird.

Das ändert freilich nichts an dem Umstand, dass auch die Feststellung von Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen – sofern nicht das Gericht ausreichende eigene Sachkunde darlegt – vielfach der Einholung einer fachärztlichen Stellungnahme erfordern wird. Dabei steht es jedoch – anders als im Fall des § 280 FamFG – im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es im Wege des Frei- oder Strengbeweises vorgeht (vgl. OLG Schleswig BtPrax 2006, 191 mwN). Denn in welchem Umfang Tatsachen zu ermitteln sind, bestimmt sich nach § 26 FamFG. Das Gericht hat danach von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben (Senatsbeschluss vom 18. März 2015 – XII ZB 370/14FamRZ 2015, 844 Rn. 15 mwN).

(2) Diesen Anforderungen genügen die vom Amtsgericht angestrengten Ermittlungen. Es bedurfte zur Beantwortung der Frage, ob der Widerruf wirksam erfolgt ist, nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens im förmlichen Beweisverfahren. Im Übrigen hat das Amtsgericht eine mündliche Stellungnahme des Sachverständigen zu dieser Frage eingeholt, die Betroffene hierzu befragt und die sich widersprechenden Äußerungen der Beteiligten gewürdigt. Wenn das Gericht auf der Grundlage dieser Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangt, dass weder die Wirksamkeit noch die Unwirksamkeit des Widerrufs mit der hinreichenden Sicherheit festgestellt werden kann, ist dies hinzunehmen.

c) Es ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen auch nicht zu beanstanden, dass die Instanzgerichte dem Wunsch der Betroffenen, die Beteiligten zu 1 und 2 zu Betreuern zu bestellen, nicht gefolgt sind. Die Entscheidungen halten sich insoweit im Rahmen der Senatsrechtsprechung zu 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB (Senatsbeschluss vom 14. August 2013 – XII ZB 206/13 – NJW-RR 2013, 1473 Rn. 8).

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose

Klinkhammer

Schilling

Nedden-Boeger

Botur

 

Amtlicher Leitsatz:

Ist zweifelhaft, ob eine Vorsorgevollmacht wirksam widerrufen worden ist, können die Angelegenheiten des Betroffenen durch den Bevollmächtigten wegen der dadurch bedingt eingeschränkten Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr regelmäßig nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. August 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerden der Betroffenen und der weiteren Beteiligten zu 1 und 2 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 16. Oktober 2014 aufgehoben, soweit ihre Beschwerden gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 8. Oktober 2014 zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe

I.

Die Betroffene und ihre Geschwister, die Beteiligten zu 1 und zu 2, wenden sich mit ihren Rechtsbeschwerden gegen die Bestellung eines Berufsbetreuers.

Am 8. Juli 2014 erteilte die Betroffene der Beteiligten zu 1 und ersatzweise deren Ehemann, dem Beteiligten zu 3, eine notarielle General- und Vorsorgevollmacht, die sie mit Schreiben vom 28. August 2014 widerrief.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 8. Oktober 2014 unter Bezugnahme auf ein Sachverständigengutachten gleichen Datums für die Betroffene eine Berufsbetreuerin für die Aufgabenkreise Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge und Behördenangelegenheiten bestellt.

Das Landgericht hat die Beschwerden der Betroffenen und der Beteiligten zu 1 und 2 zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die Betroffene und die Beteiligten zu 1 und 2 mit ihren Rechtsbeschwerden.

II.

Die Rechtsbeschwerden haben Erfolg.

Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Aus der gutachterlichen Stellungnahme des Dr. S., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 8. Oktober 2014 folge, dass die Betroffene an einer schweren manischen Episode mit psychotisch anmutender Symptomatik leide. Aufgrund dieser Störung sei die Betroffene gegenwärtig nicht in der Lage, sich um ihre eigenen Angelegenheiten in angemessener Weise zu kümmern. § 1896 Abs. 2 BGB stehe der Anordnung der Betreuung nicht entgegen, weil Zweifel an der Wirksamkeit der – von der Betroffenen ihrer Schwester und ihrem Schwager erteilten – Vollmacht bestünden. Da nicht festgestellt werden könne, ob die Betroffene im Zeitpunkt des Widerrufs der Vollmacht geschäftsfähig gewesen sei, bestünden Zweifel an der Wirksamkeit des Widerrufs der Vollmacht, weshalb auch die Frage, ob die Vollmacht (noch) wirksam sei, nicht zweifelsfrei beantwortet werden könne.

Die Auswahlentscheidung des Amtsgerichts, eine Berufsbetreuerin anstatt, wie von der Betroffenen vorgeschlagen, ihre Schwester bzw. ihren Bruder zum Betreuer zu bestellen, sei nicht zu beanstanden. Deren Bestellung liefe dem Wohl der Betroffenen zuwider. Aufgrund der innerfamiliär bestehenden Meinungsverschiedenheiten sei die Einrichtung einer Berufsbetreuung notwendig, um sicher zu stellen, dass die getroffenen Entscheidungen dem Wohl der Betroffenen entsprächen. Auch erscheine fraglich, ob die Betroffene zurzeit in der Lage sei, die Vor- und Nachteile einer von ihr gewünschten Betreuung sowohl durch ihren Ehemann als auch durch ihre Schwester oder ihren Bruder hinreichend abzuwägen.

Das Amtsgericht habe in seinem Beschluss die gutachterliche Stellungnahme des Dr. S. heranziehen und verwerten dürfen. Die Einholung einer Schweigepflichtentbindungserklärung durch die Betroffene sei nicht vorzunehmen gewesen. Von einer Anhörung sei abgesehen worden, weil keine neuen Erkenntnisse von einer weiteren Anhörung der Betroffenen oder der Beschwerdeführer durch das Beschwerdegericht zu erwarten gewesen seien.

Diese Ausführungen halten den Rügen der Rechtsbeschwerde nur teilweise stand. Die angefochtene Entscheidung gründet auf Verfahrensfehlern. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde vor allem, dass die Einholung des Sachverständigengutachtens in mehrfacher Hinsicht verfahrensfehlerhaft erfolgt ist, weshalb es nicht hätte verwertet werden dürfen.

a) Unbedenklich ist allerdings, dass das Amtsgericht den Sachverständigen bestellt hat, obgleich dieser die Betroffene zuvor behandelt hat und dass die Betroffene den Sachverständigen als ihren behandelnden Arzt nicht von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden hat (vgl. Senatsbeschluss vom September 2010 – XII ZB 383/10 – FamRZ 2010, 1726 Rn. 9, 11).

b) Jedoch ist die Erstellung bzw. Verwertung des Sachverständigengutachtens nicht frei von Verfahrensfehlern.

aa) 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG sieht für das Betreuungsverfahren eine förmliche Beweisaufnahme vor. Nach § 30 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FamFG ist diese entsprechend der Zivilprozessordnung durchzuführen.

(1) Danach bedarf es zwar nicht zwingend eines förmlichen Beweisbeschlusses (vgl. § 358 ZPO), jedoch ist die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen wenn nicht förmlich zuzustellen, so doch zumindest formlos mitzuteilen (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 383/10 FamRZ 2010, 1726 Rn. 19 für das Unterbringungsverfahren).

Ferner hat der Sachverständige gemäß § 280 Abs. 2 Satz 1 FamFG vor der Erstattung des Gutachtens den Betroffenen persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Dabei muss er schon vor der Untersuchung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein und ihm den Zweck der Untersuchung eröffnen. Andernfalls kann der Betroffene sein Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, nicht sinnvoll ausüben (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 383/10 – FamRZ 2010, 1726 Rn. 20 mwN).

(2) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage setzt schließlich gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut grundsätzlich auch dem Betroffenen persönlich im Hinblick auf dessen Verfahrensfähigkeit (§ 275 FamFG) zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 7. August 2013 – XII ZB 691/12 – FamRZ 2013, 1725 Rn. 11 mwN).

bb) Dem wird das instanzgerichtliche Verfahren nicht gerecht.

(1) Zu Recht rügen die Rechtsbeschwerden, es sei weder aus den Akten noch sonst ersichtlich, dass der Betroffenen die Bestellung des Sachverständigen vor Beginn der Begutachtung bekannt gegeben worden ist. Auch sonst lassen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, dass die von dem Sachverständigen durchgeführten Erhebungen einer späteren Begutachtung dienen sollten und dies der Betroffenen bekannt war (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 383/10 – FamRZ 2010, 1726 Rn. 23).

(2) Schließlich kann den Akten nicht entnommen werden, dass das Sachverständigengutachten der Betroffenen oder auch nur den anderen Beteiligten vor Erlass der Entscheidung bekannt gegeben worden ist. Vielmehr ergibt sich aus der Verfügung, mit der das Amtsgericht die Bekanntgabe seiner Entscheidung veranlasst hat, dass allen Beteiligten mit Ausnahme der Betroffenen eine Abschrift des Gutachtens erst mit der Beschlussausfertigung übersandt worden ist.

cc) Die vorstehenden Verfahrensfehler sind auch nicht durch das Beschwerdeverfahren geheilt worden, zumal das Beschwerdegericht die Betroffene nicht selbst angehört hat.

Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG auch in einem Betreuungsverfahren dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Im Beschwerdeverfahren kann allerdings nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszuges zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (Senatsbeschluss vom 17. Oktober 2012 – XII ZB 181/12 – FamRZ 2013, 31 Rn. 10 mwN).

Solche Verfahrensvorschriften sind hier – wie ausgeführt – bezogen auf die Begutachtung verletzt worden.

Danach ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil die Sache noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Sie ist deshalb an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Zurückverweisung wird es dem Beschwerdegericht ermöglichen, entsprechend den vorgenannten Maßstäben gemäß § 280 FamFG zu verfahren.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind die Instanzgerichte allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass die Angelegenheiten eines Betroffenen durch den Bevollmächtigten regelmäßig nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können, wenn zweifelhaft ist, ob die Vorsorgevollmacht wirksam widerrufen worden ist.

Zwar darf ein Betreuer gemäß § 1896 Abs. 2 BGB nicht bestellt werden, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Eine wirksam erteilte Vorsorgevollmacht kann der Bestellung eines Betreuers aber nur dann entgegenstehen, wenn u.a. gegen die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung keine Bedenken bestehen (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 – XII ZB 165/10 – FamRZ 2011, 285 Rn. 11 mwN).

Das gilt auch dann, wenn die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung nach den getroffenen Feststellungen – wie hier – außer Frage steht, es aber zweifelhaft ist, ob sie wirksam widerrufen worden ist (OLG Schleswig BtPrax 2006, 191; Jürgens Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1896 BGB Rn. 19). Zwar bleibt von diesen Zweifeln die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung unberührt. Jedoch können die Angelegenheiten des Betroffenen auch in einem solchen Fall durch einen Bevollmächtigten nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden. Denn die Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr wird durch ihren Widerruf auch dann eingeschränkt, wenn Zweifel an der Wirksamkeit des Widerrufs verbleiben (vgl. OLG Schleswig BtPrax 2006, 191).

b) Ebenso wenig greift die zur Wirksamkeit des Widerrufs von der Rechtsbeschwerde erhobene Aufklärungsrüge durch.

(1) Die Frage, ob die Betroffene zur Zeit des Widerrufs nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war oder zumindest begründete Zweifel an ihrer Geschäftsfähigkeit bestanden, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären.

Allerdings bedarf es insoweit entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht zwingend einer förmlichen Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 280 Abs. 1 FamFG. Das Gericht hat vielmehr in einem ersten Schritt vor der Anordnung der Gutachtenerstattung zu prüfen, ob das Verfahren im Hinblick auf eine Betreuerbestellung oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes weiter zu betreiben ist. Dies setzt hinreichende Anhaltspunkte voraus, dass Betreuungsbedarf besteht oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in Betracht kommt (Senatsbeschluss vom 18. März 2015 – XII ZB 370/14 – FamRZ 2015, 844 Rn. 13 mwN). In diesem ersten – von § 280 FamFG nicht erfassten – Verfahrensabschnitt ist mithin auch zu prüfen, ob eine Betreuung wegen Bestehens einer wirksamen Vollmacht entbehrlich ist, bevor ein – bei wirksamer Vollmacht überflüssiges – Gutachten eingeholt wird.

Das ändert freilich nichts an dem Umstand, dass auch die Feststellung von Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen – sofern nicht das Gericht ausreichende eigene Sachkunde darlegt – vielfach der Einholung einer fachärztlichen Stellungnahme erfordern wird. Dabei steht es jedoch – anders als im Fall des § 280 FamFG – im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es im Wege des Frei- oder Strengbeweises vorgeht (vgl. OLG Schleswig BtPrax 2006, 191 mwN). Denn in welchem Umfang Tatsachen zu ermitteln sind, bestimmt sich nach § 26 FamFG. Das Gericht hat danach von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben (Senatsbeschluss vom 18. März 2015 – XII ZB 370/14 – FamRZ 2015, 844 Rn. 15 mwN).

(2) Diesen Anforderungen genügen die vom Amtsgericht angestrengten Ermittlungen. Es bedurfte zur Beantwortung der Frage, ob der Widerruf wirksam erfolgt ist, nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens im förmlichen Beweisverfahren. Im Übrigen hat das Amtsgericht eine mündliche Stellungnahme des Sachverständigen zu dieser Frage eingeholt, die Betroffene hierzu befragt und die sich widersprechenden Äußerungen der Beteiligten gewürdigt. Wenn das Gericht auf der Grundlage dieser Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangt, dass weder die Wirksamkeit noch die Unwirksamkeit des Widerrufs mit der hinreichenden Sicherheit festgestellt werden kann, ist dies hinzunehmen.

c) Es ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen auch nicht zu beanstanden, dass die Instanzgerichte dem Wunsch der Betroffenen, die Beteiligten zu 1 und 2 zu Betreuern zu bestellen, nicht gefolgt sind. Die Entscheidungen halten sich insoweit im Rahmen der Senatsrechtsprechung zu 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB (Senatsbeschluss vom 14. August 2013 – XII ZB 206/13 – NJW-RR 2013, 1473 Rn. 8).

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose

Klinkhammer

Schilling

Nedden-Boeger

Botur

 

Haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.
© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.