BGH, Beschl. v. 02.12.2014 – IV ZR 408/14 Verletzung rechtlichen Gehörs nach Tod einer Prozesspartei

Juni 7, 2018

BGH, Beschl. v. 02.12.2014 – IV ZR 408/14

 Verletzung rechtlichen Gehörs nach Tod einer Prozesspartei

(OLG Hamm, Urt. v. 23.01.2014 – I-10 U 61/07; LG Hagen, Urt. v. 31.05.2007 – 9 O 258/00)

Gründe:

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Pflichtteilsergänzung in Anspruch. Sie ist die zweite Ehefrau des am 11.06.1997 verstorbenen Erblassers. Aus dessen erster Ehe waren zwei Kinder hervorgegangen, der Sohn M. (ehemaliger Beklagter zu 1) und die Tochter S. (ehemalige Beklagte zu 6). Der ehemalige Beklagte zu 1 errichtete am 19.06.1982 ein handschriftliches Testament, in dem er seine Schwester zur Alleinerbin einsetzte. 1988 heiratete er die nunmehrige Beklagte zu 1. Die Beklagten zu 2 bis 5 sind seine aus dieser Ehe hervorgegangenen Kinder. Durch Erbverträge vom 07.10.1991 und 23.05.1997 setzten sich der Erblasser und die Klägerin wechselseitig zu Erben ein. Mit Hof- und Hausgrundstücksübereignungsvertrag v. 15.04.1995 übereignete der Erblasser seinem Sohn M. den in der Höferolle eingetragenen „W. Hof” mit der Hofstelle S. straße 15 und dem Einfamilienhaus S.straße 11 sowie das weitere Grundstück S 12.

Die Klägerin verlangte von den beiden Kindern des Erblassers Pflichtteilsergänzung und machte ihre Ansprüche mit Klage v. 09.06.2000 geltend. Noch während des Rechtsstreits erster Instanz verstarb der Sohn M. des Erblassers am 04.10.2003. Das Nachlassgericht erteilte am 13.11.2003 einen Erbschein, der die nunmehrige Beklagte zu 1 als dessen Erbin zu 1/2 sowie die Beklagten zu 2 bis 5 als Erbinnen zu je 1/8 ausweist.

Das LG wies die Klage mit Urt. v. 31.05.2007 gegen die vormalige Beklagte zu 6 ab und gab ihr gegen die Beklagten zu 1 bis 5 teilweise statt. Hiergegen legten sowohl die Klägerin (nur bezüglich der Beklagten zu 1 bis 5) als auch die Beklagten zu 1 bis 5 Berufung ein. Mit Schriftsatz v. 13.12.2013 überreichten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin das Testament des Sohnes M. v. 19.06.2013, welches seine Schwester, die vormalige Beklagte zu 6, mit Schreiben v. 10.12.2013 dem Nachlassgericht übersandt hatte. Das Testament wurde am 30.12.2013 eröffnet.

Am 23.01.2014 fand die mündliche Verhandlung vor dem OLG statt. In dieser wurde auch die Frage der Passivlegitimation der Beklagten infolge des Testaments erörtert. Ebenfalls am 23.01.2014 und zeitlich noch vor der Verhandlung vor dem Berufungsgericht erklärten die Beklagten zu 1 und 3 sowie die Beklagte zu 1 für die Beklagten zu 4 und 5 die Anfechtung des Testaments auf der Geschäftsstelle des Nachlassgerichts. Das OLG hat mit Urt. v. 23.01.2014 unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin auf die Berufung der Beklagten zu 1 bis 5 das Urteil des LG teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Gegen die Abweisung der Klage im Verhältnis zu den Beklagten zu 1 bis 4 richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

Am 21.03.2014 beschloss das Nachlassgericht, dass der Erbschein nicht eingezogen wird, weil das Testament v. 19.06.1982 gem. §§ 2079, 2080, 2081 BGB wirksam angefochten worden sei.

 

II.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde ist die Revision zuzulassen, das angefochtene Urteil, soweit es gegen die Beklagten zu 1 bis 4 ergangen ist, aufzuheben und der Rechtsstreit gem. § 544 Abs. 7 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zulassung der Revision folgt aus einem entscheidungserheblichen Verstoß des Berufungsgerichts gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, soweit es angenommen hat, dass der bisherige Beklagte zu 1 durch das Testament v. 19.06.1982 durch seine Schwester beerbt wurde und die Beklagten zu 1 bis 5 daher von der Erbfolge ausgeschlossen seien.

  1. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Verfahrensbeteiligten, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zum zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern. Dieses Recht ist verletzt, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (Senatsbeschl. v. 22.04.2009 – IV ZR 328/07, VersR 2009, 920 Rn. 11). Das Gericht hat nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO darauf hinzuwirken, dass sich die Parteien rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären und insbesondere auch Angaben zu geltend gemachten Tatsachen ergänzen. Ein solcher Hinweis erfüllt seinen Zweck nur dann, wenn der Partei anschließend die Möglichkeit eröffnet wird, ihren Sachvortrag unter Berücksichtigung des Hinweises zu ergänzen. Erteilt ein Gericht einen Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Das Berufungsgericht darf das Urteil in dem Termin erlassen, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, wenn die Partei in der mündlichen Verhandlung ohne weiteres in der Lage ist, umfassend und abschließend Stellung zu nehmen.

Ist das nicht der Fall, soll das Berufungsgericht auf Antrag der Partei Schriftsatznachlass gewähren, § 139 Abs. 5 ZPO. Wenn es offensichtlich ist, dass sich die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann, muss das Berufungsgericht – wenn es nicht in das schriftliche Verfahren übergeht – auch ohne einen Antrag auf Schriftsatznachlass die mündliche Verhandlung vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Erlässt das Berufungsgericht in diesem Fall ein Urteil, ohne die Sache vertagt zu haben, verstößt es gegen den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (BGH, Beschl. v. 04.07.2013 – VII ZR 192/11, NJW-RR 2013, 1358 Rn. 7; v. 10.03.2011 – VII ZR 35/08, NJW-RR 2011, 877 Rn. 11).

  1. Diesen Grundsätzen wird die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht gerecht. Zwischen den Parteien war über einen Zeitraum von nahezu 10 Jahren unstreitig, dass die Beklagten zu 1 bis 5 infolge gesetzlicher Erbfolge Erben des früheren Beklagten zu 1 geworden sind. Dies ergibt sich auch aus dem Erbschein v. 13.11.2003. Die Vermutungswirkung des Erbscheins gem. § 2365 BGB gilt im Zivilprozess mit einem Dritten entsprechend § 292 ZPO (vgl. MünchKomm-BGB/Mayer, 6. Aufl. § 2365 Rn. 21). Die Klägerin musste als gewissenhafte und kundige Prozessbeteiligte bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 23.01.2014 nicht ernsthaft davon ausgehen, dass die Beklagten zu 1 bis 5 nicht Erben des früheren Beklagten zu 1 sind. Zwar hat die Klägerin selbst mit Schriftsatz v. 13.12.2013 das Testament v. 19.06.1982 zur Akte gereicht. Hieraus hat sie aber keine rechtlichen Konsequenzen gezogen, sondern nur darauf hingewiesen, dass die Schwester des vormaligen Beklagten zu 1 dieses Testament aufgefunden und mit Schreiben v. 10.12.2013 an das Nachlassgericht weitergereicht hat.

Die Klägerin hat selbst ausdrücklich darauf hingewiesen, sie könne nicht beurteilen, ob das jetzt aufgefundene Testament eine Unrichtigkeit des Erbscheins v. 13.11.2003 begründe. In der Zeit bis zur mündlichen Verhandlung v. 23.01.2014 haben auch die Beklagten zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, sie seien nicht Erben des vormaligen Beklagten zu 1. Die Klägerin konnte von der Rechtsnachfolge auf Seiten des vormaligen Beklagten zu 1 nichts wissen. So kam es in Betracht, dass das Testament v. 19.06.1982 keine Wirkung mehr entfaltete, weil der ehemalige Beklagte zu 1 entweder anderweitig testiert hat oder die Beklagten zu 1 bis 5 das Testament angefochten haben.

Ein Anfechtungsrecht stand ihnen gem. §§ 2079, 2081 BGB zu. Nach § 2079 BGB kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalles vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden ist.

So liegt es hier, da der vormalige Beklagte zu 1 seine jetzige Ehefrau erst 1988 geheiratet hat und die vier Kinder danach geboren wurden. So hat der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausdrücklich erklärt, das Recht der Beklagten, das Testament anzufechten, liege auf der Hand.

Eine sachgerechte Reaktion der Klägerin auf die Frage, welche Auswirkungen das Testament aus 1982 hat, war in der mündlichen Verhandlung daher nicht möglich. Das Berufungsgericht durfte nicht unmittelbar am Ende der mündlichen Verhandlung ein Urteil verkünden, nachdem die Rechtsnachfolge über einen langen Zeitraum unstreitig geblieben war. Vielmehr wäre es erforderlich gewesen, auch ohne Schriftsatzantrag der Klägerin entweder in das schriftliche Verfahren überzugehen oder die Sache zu vertagen, um den Parteien Gelegenheit zu ergänzender Stellungnahme, gegebenenfalls nach gerichtlichem Hinweis, zu geben. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung darum bemüht hätte, die Frage der Rechtsnachfolge aufzuklären. Ausweislich des Protokolls sind die Beklagten zu 1 und 3 persönlich im Termin anwesend gewesen. Das Berufungsgericht hat sie indessen nicht befragt, ob ein Widerrufstestament existiert oder sie das Testament angefochten haben. Hätte es dieses getan, so hätte es erfahren, dass diese beiden Beklagten vor dem Termin beim Berufungsgericht am selben Tag beim Nachlassgericht waren und dort die Anfechtung des Testaments erklärt hatten.

Durch die Vorgehensweise des Berufungsgerichts lief die Klägerin Gefahr, dass ihre auf Pflichtteilsergänzung gerichtete Klage wegen vermeintlich nicht gegebener Erbenstellung der Beklagten zu 1 bis 5 abgewiesen würde, obwohl sich nachträglich herausstellt, dass das Testament aus 1982 wegen erfolgreicher Anfechtung keine Wirkung entfaltet. Dies hat auch das Nachlassgericht mit seinem Beschl. v. 21.03.2014 angenommen und wegen der wirksam erklärten Anfechtung davon abgesehen, den zugunsten der Beklagten zu 1 bis 5 erteilten Erbschein einzuziehen. Diese Gefahr hätte das Berufungsgericht vermeiden können und müssen, wenn es ordnungsgemäß auf eine weitere Aufklärung des Sachverhalts hingewirkt und auf den Erlass einer Entscheidung im Termin zur mündlichen Verhandlung verzichtet hätte.

  1. Der Verstoß gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör ist auch entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob ein Pflichtteilsergänzungsanspruch der Klägerin gegen den vormaligen Beklagten zu 1 bestanden hat. Dies ist daher revisionsrechtlich zugunsten der Klägerin zu unterstellen. Ebenfalls kommt es aufgrund der erklärten Anfechtung des Testaments in Betracht, dass weiterhin die Beklagten zu 1 bis 5 Erbinnen des vormaligen Beklagten zu 1 geworden sind. Auf die von der Klägerin weiter aufgeworfene Frage der prozessualen Stellung eines zunächst verklagten Scheinerben kommt es demgegenüber nicht an.

 

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