Zu den Pflichten des Rechtsmittelgerichts, wenn es einer anwaltlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenkt (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 17. November 2015 – VI ZB 38/13, WM 2016, 895 Rn. 9; vom 18. Dezember 2019 – XII ZB 379/19, NJW-RR 2020, 501 Rn. 13; vom 28. April 2020 – VIII ZB 12/19, NJW-RR 2020, 818 Rn. 26 und vom 26. Januar 2022 – XII ZB 227/21, FamRZ 2022, 647 Rn. 13; jeweils mwN).
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 4. Zivilsenat – vom 23. Dezember 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 20.000,00 € festgesetzt.
I.
Die Kläger machen gegen die Beklagten Ansprüche im Zusammenhang mit einem Medizinprodukt geltend und begehren im Wesentlichen eine Beteiligung am Rohgewinn aus den Verkäufen dieses Produkts sowie die (Rück-)Übertragung der gewerblichen Schutzrechte hierfür.
Das Landgericht hat die hierauf gerichtete Stufenklage vollumfänglich abgewiesen. Gegen das dem Kläger zu 2, der den Kläger zu 1 und sich selbst als Anwalt vertritt, am 5. August 2020 zugestellte Urteil hat dieser am 3. September 2020 Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt. Auf seinen Antrag hat das Berufungsgericht die Frist für die Berufungsbegründung bis zum 5. November 2020 verlängert. Die ausschließlich über das besondere elektronische Anwaltspostfach versandte Berufungsbegründung vom 5. November 2020 ist ausweislich des in der elektronischen Akte befindlichen Authentizitäts- und Integritätsnachweises um 00:00 Uhr am 6. November 2020 beim Berufungsgericht eingegangen. Sie weist am Ende eine Passage auf, die lediglich stichwortartige Ausführungen enthält. Nachdem das Berufungsgericht auf das Fristversäumnis hingewiesen hat, haben die Kläger mit Schriftsatz vom 23. November 2020 Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt.
Zur Begründung haben sie vorgetragen, dass sich der Kläger zu 2 am 4. November 2020 abends unwohl gefühlt und am 5. November 2020 an Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Kopfschmerzen gelitten habe. Dies habe ihn den ganzen Tag weitgehend handlungsunfähig gemacht. Als sich sein Zustand nachmittags kurze Zeit etwas verbessert habe, habe er unter Einnahme von Schmerzmitteln den Versuch unternommen, durch das Zusammenfügen verschiedener vorbereiteter Ausarbeitungen die Berufungsbegründung fertigzustellen. Er habe sich dabei aber nicht ausreichend konzentrieren und krankheitsbedingt nur sporadisch und mit großen Unterbrechungen arbeiten können. Um die am 5. November 2020 auslaufende und ohne die Zustimmung der Beklagten nicht mehr verlängerbare Frist nicht zu versäumen, habe er versucht, die Fehler in der Berufungsbegründung durch zusammenfassende Schlusssätze zu kaschieren und den Schriftsatz sodann wenigstens unvollständig zu verschicken. Selbst dies sei ihm aufgrund der Intensität der Krankheitssymptome aber letztlich nicht rechtzeitig gelungen. Die Erkrankung sei plötzlich aufgetreten und unvorhersehbar sowie schwerwiegend in ihrer Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit des Klägers zu 2 gewesen. Er habe seine Arbeitsfähigkeit auch nicht kurzfristig wiederherstellen können. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen, habe er nicht in Betracht gezogen, da er damit keine Erfahrung gehabt habe. Eine Vertretung sei für ihn nicht erreichbar gewesen. Am 6. November 2020 habe er sich sodann in ärztliche Behandlung begeben; früher sei ihm ein Arztbesuch auch nicht zumutbar gewesen. Seine Ärztin habe ihm Medikamente gegen die Magen-Darm-Erkrankung verabreicht. Erst am 9. November 2020 habe er die Arbeit dann wieder aufnehmen können.
Diese Angaben wurden durch den Kläger zu 2 anwaltlich versichert. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung war eine auf den 6. November 2020 datierte ärztliche Bescheinigung beigefügt, die eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu 2 für die Dauer vom 5. bis 7. November 2020 ausweist.
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Frist zur Berufungsbegründung sei nicht ohne Verschulden der Kläger versäumt worden. Eine Erkrankung des Klägers zu 2 am 5. November 2020 sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 6. November 2020 sei insofern nicht aussagekräftig und ersetze ein ärztliches Attest nicht. Nur ein Arzt könne beurteilen, ob die behauptete Erkrankung noch am 5. November 2020 medikamentös wieder „in den Griff zu bekommen“ gewesen sei. Auch eine anwaltliche Versicherung zur Glaubhaftmachung genüge insofern nicht. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger zu 2 nach eigenen Angaben am 5. November 2020 phasenweise zum Arbeiten an der Berufungsbegründung in der Lage gewesen sei, sei auch nicht glaubhaft, dass ihm ein Arztbesuch an diesem Tag nicht zumutbar gewesen sei.
Es habe keine Veranlassung bestanden, den Klägern durch Erteilung eines Hinweises Gelegenheit zu geben, ein ärztliches Attest nachzureichen. Das Gericht müsse eine anwaltliche Versicherung nicht ungeprüft hinnehmen. Das Vorbringen der Kläger sei nicht glaubhaft. In der Berufungsbegründung sei an keiner Stelle erwähnt, dass es dem Kläger zu 2 krankheitsbedingt nicht möglich gewesen sei, die Berufungsbegründung fristgerecht einzureichen. Dies sei mit Blick darauf, dass ihm der verspätete Eingang der Berufungsbegründung gemäß dem Vortrag der Kläger in ihrem Wiedereinsetzungsantrag bewusst gewesen sei, gänzlich unverständlich. Ebenso unverständlich sei, wie bereits am 6. November 2020 eine vollständig gefertigte Berufungsbegründung bei Gericht habe eingehen können, obgleich nach dem Vorbringen der Kläger am 5. November 2020 lediglich diverse, unzureichende Ausarbeitungen der Berufungsbegründung vorgelegen hätten und der Kläger zu 2 erst am 9. November 2020 wieder arbeitsfähig gewesen sei.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, das erneut über das Wiedereinsetzungsbegehren der Kläger und die Zulässigkeit der Berufung sowie gegebenenfalls über deren Begründetheit zu entscheiden haben wird.
1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte und auch den Form- und Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt jedenfalls – wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend macht – in entscheidungserheblicher Weise das Verfahrensgrundrecht der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip).
Denn das Berufungsgericht hat das anwaltlich versicherte Wiedereinsetzungsvorbringen der Kläger zur plötzlichen Erkrankung des Klägers zu 2 als nicht glaubhaft erachtet, ohne die in diesem Fall grundsätzlich und auch hier gebotenen Maßnahmen zur weiteren Aufklärung zu ergreifen. Dadurch hat es den Klägern den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 28. April 2020 – VIII ZB 12/19, NJW-RR 2020, 818 Rn. 13; vom 18. Januar 2018 – V ZB 113/17 und V ZB 114/17, NJW 2018, 1691 Rn. 6, 8 ff.; jeweils mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Kläger haben es zwar versäumt, ihre Berufung innerhalb der hierfür vorgesehenen (verlängerten) Frist zu begründen (§ 520 Abs. 1, 2 ZPO). Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann jedoch ein – dem Kläger zu 1 nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes – Verschulden des beide Kläger als Rechtsanwalt vertretenden Klägers zu 2 an dem Fristversäumnis (§ 233 Satz 1 ZPO) nicht angenommen und dementsprechend eine Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist nicht versagt werden.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt, der unvorhergesehen krank wird, nur das unternehmen, was ihm in diesem Fall möglich und zumutbar ist, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten (BGH, Beschluss vom 18. Januar 2018 – V ZB 113/17 und V ZB 114/17, aaO Rn. 9 mwN). Der krankheitsbedingte Ausfall des Rechtsanwalts (hier eines Einzelanwalts) am letzten Tag einer Rechtsmittelbegründungsfrist rechtfertigt eine Wiedereinsetzung danach jedenfalls dann, wenn infolge der Erkrankung weder kurzfristig ein Vertreter eingeschaltet noch – gegebenenfalls nach vorheriger Einholung einer Zustimmung des gegnerischen Prozessbevollmächtigten – ein Fristverlängerungsantrag gestellt werden konnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. August 2019 – VII ZB 35/17, NJW 2020, 157 Rn. 13; vom 19. Februar 2019 – VI ZB 43/18, NJW-RR 2019, 691 Rn. 10 f.; vom 22. Oktober 2014 – XII ZB 257/14, NJW 2015, 171 Rn. 19; jeweils mwN).
b) Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, lässt sich nach den bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung nicht abschließend beurteilen. Denn das Berufungsgericht hat – auf der Grundlage einer unzureichenden Aufklärung sowie einer rechtsfehlerhaften Würdigung des Streitstoffs – angenommen, die Kläger hätten bereits nicht (hinreichend) glaubhaft gemacht, dass der Kläger zu 2 infolge einer unvorhergesehenen Erkrankung am letzten Tag der Frist nicht in der Lage gewesen sei, die Berufungsbegründung rechtzeitig einzureichen. Mit der sich möglicherweise daran anschließend stellenden Frage, ob der Kläger zu 2 trotz einer etwaigen Erkrankung zur Ergreifung anderer fristwahrender Maßnahmen in der Lage gewesen wäre, hat sich das Berufungsgericht infolgedessen nicht befasst und dazu keine Feststellungen getroffen.
aa) Nach § 236 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO muss die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrende Partei die zur Begründung der Wiedereinsetzung vorgetragenen Tatsachen glaubhaft machen. Eine Behauptung ist schon dann im Sinne von § 236 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2, § 294 ZPO glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft, also letztlich mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen. Die Feststellung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit unterliegt dem Grundsatz der freien Würdigung des gesamten Vorbringens, die grundsätzlich Sache des Tatrichters ist (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2018 – VI ZB 5/17, NJW-RR 2018, 958 Rn. 12 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. Januar 2022 – XII ZB 227/21, FamRZ 2022, 647 Rn. 11).
Dabei ist allerdings grundsätzlich von der Richtigkeit einer anwaltlichen Versicherung auszugehen. Dies gilt lediglich dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte es ausschließen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten (BGH, Beschlüsse vom 26. Januar 2022 – XII ZB 227/21, aaO Rn. 13; vom 18. Dezember 2019 – XII ZB 379/19, NJW-RR 2020, 501 Rn. 12; vom 8. Mai 2018 – VI ZB 5/17, aaO).
Schenkt das Rechtsmittelgericht einer anwaltlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben, muss es die Wiedereinsetzung beantragende Partei darauf hinweisen und ihr Gelegenheit geben, weitere Beweise, insbesondere entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. April 2020 – VIII ZB 12/19, NJW-RR 2020, 818 Rn. 26 mwN; vom 26. Januar 2022 – XII ZB 227/21, aaO). Ein solcher Hinweis wäre nur dann entbehrlich, wenn bereits in der Vorlage der anwaltlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung des Prozessbevollmächtigten zu den darin genannten Tatsachen läge. In diesem Fall hätte das Berufungsgericht den Beweis zu erheben und läge in der Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne vorherige Vernehmung des Prozessbevollmächtigten eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Januar 2022 – XII ZB 227/21, aaO; vom 18. Dezember 2019 – XII ZB 379/19, aaO Rn. 13; vom 17. November 2015 – VI ZB 38/13, WM 2016, 895 Rn. 9).
bb) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht im Rahmen seiner Beurteilung der – aus seiner Sicht fehlenden – Glaubhaftigkeit des Wiedereinsetzungsvorbringens der Kläger in mehrfacher Hinsicht missachtet.
(1) Verfahrensfehlerhaft hat das Berufungsgericht seine Pflicht zur Erteilung eines Hinweises wegen der (bis dahin fehlenden) Vorlage eines ärztlichen Attests über die behauptete Erkrankung des Klägers zu 2 am 5. November 2020 mit der Begründung verneint, das Wiedereinsetzungsvorbringen der Kläger sei bereits nicht glaubhaft.
Es war vorliegend nicht ausgeschlossen, dass ein Attest der Ärztin, welche den Kläger zu 2 nach dem Vortrag der Kläger am 6. November 2020 behandelt hatte, beizubringen gewesen wäre und ausgereicht hätte, um die behauptete plötzliche, bereits am 5. November 2020 zur Arbeitsunfähigkeit führende und nicht durch sofortige Medikamenteneinnahme zu behebende Erkrankung des Klägers zu 2 glaubhaft zu machen. Insofern hebt das Berufungsgericht in seiner Begründung selbst entscheidend darauf ab, dass auf die Vorlage eines ärztlichen Attests nicht habe verzichtet werden können und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Glaubhaftmachung nicht ausreiche. Dann hätte es den Klägern aber auch Gelegenheit geben müssen, eben dieses von ihm für eine Glaubhaftmachung als notwendig erachtete Attest vorzulegen, bevor es das Vorbringen der Kläger im Hinblick auf seine Glaubhaftigkeit abschließend würdigt.
(2) Weiter hat es das Berufungsgericht versäumt, den Klägern durch einen – nach dem oben aufgezeigten Maßstab gebotenen – Hinweis auf die aus seiner Sicht nicht gegebene Glaubhaftigkeit ihres anwaltlich versicherten Vorbringens Gelegenheit zu geben, weiteren Beweis – neben der bereits erwähnten Vorlage eines ärztlichen Attests – anzutreten. Soweit die Rechtsbeschwerdeerwiderung das Bestehen einer solchen Hinweispflicht mit der Begründung verneint, die Angaben der Kläger in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch seien weder erkennbar unklar noch ergänzungsbedürftig gewesen, verkennt sie, dass dies nach den oben dargestellten Rechtsprechungsgrundsätzen nicht Voraussetzung der Hinweispflicht ist, wenn das Gericht einer anwaltlichen Versicherung keinen Glauben schenken will.
Ein solcher Hinweis wäre – wie oben ausgeführt – nur dann entbehrlich gewesen, wenn in der anwaltlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot der Kläger auf Vernehmung des Klägers zu 2 als Zeuge beziehungsweise Partei zu den anwaltlich versicherten Tatsachen läge. In diesem Fall hätte eine entsprechende Vernehmung des Klägers zu 2 erfolgen müssen und die Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne eine solche weitere Aufklärung stellte sich als unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar.
(3) Schließlich hat das Berufungsgericht den oben dargestellten Maßstab für die Beurteilung der Richtigkeit einer anwaltlichen Versicherung nicht beachtet. Es hat nämlich keine konkreten Anhaltspunkte aufgezeigt, die es ausschließen, den klägerseits geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten, zumal sich aus der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits mit gewisser Wahrscheinlichkeit ergibt, dass der Kläger zu 2 in seiner Arbeitsfähigkeit am 5. November 2020 zumindest eingeschränkt war.
Zwar kann die tatrichterliche Würdigung von dem Rechtsbeschwerdegericht nur darauf überprüft werden, ob sich das Tatgericht entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 18. Januar 2018 – V ZB 113/17 und V ZB 114/17 NJW 2018, 1691 Rn. 11; vom 11. Juli 2017 – VIII ZB 20/17, juris Rn. 10; vom 26. Januar 2022 – XII ZB 227/21, FamRZ 2022, 647 Rn. 11; jeweils mwN). Dieser Nachprüfung hält die Würdigung des Berufungsgerichts – entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung – indes nicht stand. Denn es fehlt insofern an einer umfassenden und widerspruchsfreien Auseinandersetzung mit dem Prozessstoff.
(a) Der vom Berufungsgericht angeführte Umstand, dass in der Berufungsbegründung die Erkrankung des Prozessbevollmächtigten und das Fristversäumnis nicht erwähnt und auch ein Wiedereinsetzungsantrag nicht zugleich gestellt worden sei, steht dem anwaltlich versicherten Vortrag nicht entgegen. Denn aus dem Wiedereinsetzungsvorbringen der Kläger geht – anders als das Berufungsgericht angenommen hat – nicht hervor, dass dem Kläger zu 2 bereits bei der Übersendung der Berufungsbegründung deren verspäteter Eingang beim Gericht bewusst gewesen wäre. Die Kläger haben lediglich vorgetragen, der Kläger zu 2 habe trotz seiner Erkrankung versucht, die Frist für die Berufungsbegründung zu wahren. Dass sie im Rahmen der später – nach Erhalt eines entsprechenden Hinweises des Berufungsgerichts – abgefassten Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags (ex post) davon ausgegangen sind, das Bemühen um die Einhaltung der Frist sei letztlich – krankheitsbedingt – misslungen, bedeutet nicht, dass der Kläger zu 2 dies bereits bei der Versendung des Schriftsatzes (ex ante) gewusst haben muss. Vielmehr spricht gerade der vom Berufungsgericht nicht in den Blick genommene Umstand, dass die Berufungsbegründung denkbar knapp verspätet – namentlich um 00.00 Uhr des dem letzten Tag der Frist nachfolgenden Tags – beim Berufungsgericht eingegangen ist, entscheidend dafür, dass der Kläger zu 2 beim Versenden des Schriftsatzes eine Verspätung noch verhindern zu können glaubte. Vor diesem Hintergrund ist es plausibel, dass sich in der am 6. November 2020 eingegangenen Berufungsbegründung zu einem etwaigen Fristversäumnis keine Ausführungen finden.
Im Übrigen steht der Umstand, dass die Berufungsbegründung nicht sogleich mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbunden worden ist, der Glaubhaftmachung des Geschehensablaufs auch deshalb nicht entgegen, weil vom Gesetz eingeräumte prozessuale Fristen – wie die einen Monat umfassende Frist zur Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist zur Begründung der Berufung nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO – bis zu ihrer Grenze ausgenutzt werden dürfen (vgl. Senatsbeschluss vom 8. März 2022 – VIII ZB 45/21, NJW-RR 2022, 853 Rn. 15 mwN). Dieser Grundsatz darf nicht dadurch ausgehebelt werden, dass der Rechtsuchende sich für die Ausschöpfung der Frist rechtfertigen muss, um einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft zu machen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2018 – VI ZB 5/17, NJW-RR 2018, 958 Rn. 11).
(b) Auch die Begebenheit, dass die Kläger am 6. November 2020 eine vollständige Berufungsbegründung haben einreichen können, obgleich der Kläger zu 2 nach seiner anwaltlichen Versicherung vom 5. November 2020 bis zum 9. November 2020 arbeitsunfähig gewesen sei, ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht geeignet, die anwaltlich versicherte Erkrankung einschließlich deren Intensität und Auswirkungen ernsthaft in Zweifel zu ziehen.
Denn die Kläger haben in ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung vorgetragen, der Kläger zu 2 habe trotz der Erkrankung versucht, die Berufungsbegründung fristgerecht, wenn auch unvollständig, durch das „Zusammenfügen diverser vorbereiteter Ausführungen“ fertigzustellen und Fehler durch zusammenfassende Schlusssätze zu kaschieren. Daher sei der Schriftsatz „zeitlich und inhaltlich ungenügend“. Er enthalte deshalb zahlreiche „semantische und orthografische Fehler“, die alle auf seine krankheitsbedingte mangelnde Arbeits- und Konzentrationsfähigkeit zurückzuführen seien. Letztlich sei ihm die rechtzeitige Übermittlung einer unvollständigen Berufungsbegründung aufgrund der Intensität der Krankheitssymptome misslungen.
Die Begründung des Berufungsgerichts setzt sich mit diesem Vortrag nicht konkret auseinander und zeigt einen Widerspruch zwischen der behaupteten Erkrankung und dem Eingang einer Berufungsbegründung nicht auf. Insbesondere hat das Berufungsgericht nicht in den Blick genommen, dass die am 6. November 2020 eingegangene Berufungsbegründung – korrespondierend mit dem Vortrag der Kläger – am Ende eine Passage aufweist, die lediglich stichwortartige Ausführungen enthält.
Es gilt außerdem zu beachten, dass der Versuch, trotz einer etwaigen Erkrankung noch fristgemäß eine Berufungsbegründung anzufertigen und einzureichen, nach den oben aufgezeigten Grundsätzen der Rechtsprechung als eine überobligatorische Maßnahme zu beurteilen sein kann. Deren Scheitern dürfte den Klägern gegebenenfalls schon deshalb nicht angelastet werden, da andernfalls derjenige, der überobligatorische Maßnahmen zur Fristwahrung ergreift, bei Ausbleiben des Erfolgs schlechter dastünde als derjenige, der insoweit untätig bleibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. März 2022 – VIII ZB 45/21, NJW-RR 2022, 853 Rn. 32; vom 6. Mai 2015 – VII ZB 19/14, NJW 2015, 2266 Rn. 14; jeweils mwN).
c) Soweit das Berufungsgericht seine Entscheidung auch darauf gestützt hat, es sei nicht glaubhaft, dass dem Kläger zu 2 das Aufsuchen eines Arztes am 5. November 2020 nicht zumutbar gewesen sei, lässt sich der Begründung nicht eindeutig entnehmen, ob das Berufungsgericht daraus ein Verschulden des Klägers zu 2 an dem Fristversäumnis ableiten will. Dies wäre jedenfalls rechtsfehlerhaft.
Zunächst ist nicht erkennbar, inwieweit ein Arztbesuch bereits am 5. November 2020 dazu hätte beitragen können, dass dem Kläger zu 2 die Fristwahrung gelungen wäre. Insoweit lässt die Begründung der angefochtenen Entscheidung jegliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Kläger vermissen, wonach der Kläger zu 2 erst am 9. November 2020 – mithin drei Tage nach der Einleitung der am 6. November 2020 ärztlich verordneten Therapie – wieder arbeitsfähig gewesen sei. Dies bedeutet aber, dass selbst das frühere Einleiten einer zielgerichteten Therapie eine – im Hinblick auf die Vermeidung eines Fristversäumnisses – rechtzeitige Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers zu 2 nicht hätte bewirken können. Diesen Gesichtspunkt lässt auch die Rechtsbeschwerdeerwiderung bei ihrer Verteidigung der entsprechenden Zumutbarkeitserwägungen des Berufungsgerichts außer Acht.
Überdies macht die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend, dass ein Arztbesuch das Verlassen des Hauses und damit in physischer Hinsicht einen erheblich höheren Kraftaufwand erfordert hätte als das – in kurzen Zeitabschnitten erbrachte – Arbeiten am Schreibtisch. Dass das Berufungsgericht – wie die Rechtsbeschwerdeerwiderung einwendet – von einem Hausbesuch des Arztes ausgegangen sein könnte, geht aus den Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss nicht hervor und wäre auch praxisfern.
III.
Sollte das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des nunmehr vorgelegten ärztlichen Attests und des weiteren Vorbringens der Kläger sowie gegebenenfalls nach weiterer Aufklärung des Sachverhalts zu dem Ergebnis gelangen, dass dem Kläger zu 2 die Einreichung der Berufungsbegründung am 5. November 2020 aufgrund einer unvorhergesehenen Erkrankung – also unverschuldet – nicht möglich gewesen sein sollte, wird es darauf ankommen, ob er nach Maßgabe der oben angeführten von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze trotz seiner Erkrankung zur Ergreifung anderer fristwahrender Maßnahmen in der Lage war. Auch bei dieser Prüfung wird sich das Berufungsgericht gegebenenfalls mit dem diesbezüglichen ergänzenden und unter Beweis gestellten Vorbringen der Rechtsbeschwerde zu befassen haben, wonach der Kläger zu 2 am 5. November 2020 aufgrund der aufgetretenen Krankheitssymptome die „Übersicht und Urteilsfähigkeit“ verloren habe, „einfach völlig neben der Kappe“ gewesen sei und deshalb an Auswege aus einem etwaigen Fristversäumnis nicht gedacht habe (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 18. Januar 2018 – V ZB 113/17 und V ZB 114/17, NJW 2018, 1691 Rn. 14).
Dieses Vorbringen ist – entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung – zu berücksichtigen, weil sowohl die Glaubhaftmachung von Tatsachenvortrag als auch die Ergänzung oder Erläuterung von erkennbar unklaren oder ergänzungsbedürftigen Angaben in dem Wiedereinsetzungsgesuch auch noch nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist zulässig sind (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und selbst im Rechtsmittelverfahren – wie hier geschehen – noch nachgeholt werden können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 2006 – XI ZB 4/05, NJW 2006, 1518 Rn. 16; vom 28. April 2020 – VIII ZB 12/19, NJW-RR 2020, 818 Rn. 26; jeweils mwN).
Im Hinblick auf die Frage, ob es dem Kläger zu 2 möglich gewesen wäre, zumindest über einen Vertreter die Zustimmung des gegnerischen Prozessbevollmächtigten zu einer (zweiten) Fristverlängerung einzuholen und diese sodann zu beantragen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 2019 – VII ZB 35/17, NJW 2020, 157 Rn. 13), erweisen sich die Ausführungen der Kläger in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung auch als unklar und ergänzungsbedürftig, weil sie nur im Ansatz (unzureichende) Ausführungen zu einer Fristverlängerung und einer Vertreterbestellung enthalten, jedoch in ihrer Gesamtheit so zu verstehen sein könnten, dass der Kläger zu 2 krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen sei, in Betracht kommende Alternativen zu der (unvollständigen) Fertigstellung und Einreichung der Berufungsbegründung sachgerecht abzuwägen.
Eine Endentscheidung durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil weitere Feststellungen nicht ausgeschlossen sind. Das Berufungsgericht wird das ergänzende Vorbringen der Kläger (kritisch) zu würdigen und zu prüfen haben, ob in der Vorlage der neuen eidesstattlichen Versicherungen ein Angebot auf Vernehmung des Klägers zu 2 und seiner Ehefrau liegt.
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