BGH, Beschluss vom 18. Oktober 1994 – VI ZB 16/94

Mai 30, 2020

BGH, Beschluss vom 18. Oktober 1994 – VI ZB 16/94
Wirksamkeit einer an einen Anwalt erfolgten Urteilszustellung
Die Wirksamkeit einer an einen Rechtsanwalt erfolgten Urteilszustellung hat nicht zur Voraussetzung, daß ein von dem Anwalt unterzeichnetes formularmäßiges Empfangsbekenntnis zu den Akten gelangt ist.
Ein dem ZPO § 212a genügendes Empfangsbekenntnis kann auch in einer Berufungsschrift oder in einem Wiedereinsetzungsantrag, in der bzw dem das Datum der Zustellung des angefochtenen Urteils ausdrücklich bezeichnet ist, jedenfalls dann zu sehen sein, wenn der betreffende Schriftsatz von demselben Rechtsanwalt unterzeichnet ist, an den auch die Zustellung zu bewirken war.

Tenor
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 14. April 1994 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 11.040 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Durch Urteil vom 30. November 1993 hat das – damalige – Kreisgericht der Klage auf Schadensersatz wegen eines Unfalls im Eisenbahnbetrieb überwiegend stattgegeben. Die Zustellung einer Ausfertigung dieses Urteils an die Parteivertreter gemäß § 212 a ZPO „gegen Empfangsbekenntnis“ ist von der Geschäftsstelle am 8. Dezember 1993 veranlaßt worden. Das dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, Rechtsanwalt K., zur Unterzeichnung als Empfangsbekenntnis übersandte Formular ist nicht zu den Akten gelangt. Mit Schriftsatz vom 31. Januar 1994 an das nunmehrige Landgericht, dort eingegangen am 3. Februar 1994, hat Rechtsanwalt K. für die Beklagte Berufung eingelegt und gleichzeitig mitgeteilt, das Urteil sei am 5. Januar 1994 zugestellt worden. Seit dem 1. Dezember 1993 war jedoch gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Neuordnung der ordentlichen Gerichtsbarkeit und zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes im Land Brandenburg (BbgGerNeuOG) vom 14. Juni 1993 (GVBl. I 198) das Brandenburgische Oberlandesgericht für das Berufungsverfahren zuständig. Dort sind die Akten nach am 8. Februar 1994 verfügter Abgabe erst am 9. März 1994 eingegangen.
Die Beklagte hat gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu vorgetragen, bei rechtzeitiger Abgabe der Sache wäre die Berufungsfrist gewahrt worden. Die Verzögerung der Abgabe durch das Landgericht stelle einen Verstoß gegen die prozessuale Fürsorgepflicht dar.
Das Oberlandesgericht hat durch Beschluß vom 14. April 1994 den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Zuständigkeitsvorschriften hätten dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten bekannt sein müssen, da das entsprechende Gesetz bereits am 17. Juni 1993 bekannt gemacht worden sei und auch schon höchstrichterliche Entscheidungen zu ähnlichen Fallgestaltungen veröffentlicht worden seien. Das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten werde durch eine etwa verzögerte Abgabe der Sache seitens des Landgerichts nicht ausgeräumt.
Gegen den am 20. April 1994 zugestellten Beschluß hat der Beklagte mit am 4. Mai 1994 eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, das Oberlandesgericht sei zu Unrecht von einer Zustellung des Urteils am 5. Januar 1994 ausgegangen. Da sich in der Akte kein Empfangsbekenntnis befinde, habe die Frist zur Berufung gemäß § 516 ZPO erst am 30. April 1994 zu laufen begonnen und sei deshalb bei Eingang der Akten beim Oberlandesgericht noch nicht verstrichen gewesen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Die Beklagte zieht in ihrer Beschwerdebegründung nicht in Zweifel, daß nach § 14 Abs. 1 BbgGerNeuOG die Zuständigkeit für das Berufungsverfahren in der Streitsache mit Wirkung vom 1. Dezember 1993 auf das Brandenburgische Oberlandesgericht übergegangen war und dies dem Prozeßbevollmächtigten des Beklagten bekannt sein mußte (hierzu Senatsbeschluß vom 17. Mai 1994 – VI ZB 11/94 – Umdruck S. 4/5). Sie wendet sich auch nicht gegen die zutreffende Auffassung des Oberlandesgerichts, das aus der Unkenntnis dieser Vorschriften erwachsene Verschulden des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten werde durch eine etwaige Verzögerung der Abgabe durch das Landgericht nicht ausgeräumt (BGH, Urteil vom 5. April 1990 – VII ZR 215/89 – VersR 1990, 799; Beschlüsse vom 13. November 1991 – IV ZB 11/91 – VersR 1992, 849 und vom 5. Februar 1992 – XII ZB 3/92 – VersR 1992, 1154).
Vielmehr stützt die Beklagte ihre Beschwerde lediglich darauf, daß entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts das Urteil nicht vor dem 30. April 1994 zugestellt worden sei, so daß das Oberlandesgericht die Berufung nicht als verspätet habe verwerfen dürfen. Damit kann sie jedoch keinen Erfolg haben. Auch wenn sich bei den Akten kein formularmäßiges Empfangsbekenntnis des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten befindet, konnte das Oberlandesgericht aufgrund der Mitteilung des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten im Schriftsatz vom 31. Januar 1994 davon ausgehen, daß ihm das Urteil am 5. Januar 1994 zugestellt worden ist.
Wie der erkennende Senat in den Urteilen vom 19. April 1994 – VI ZR 269/93 – EzFamR aktuell 1994, 246 und vom 3. Mai 1994 – VI ZR 248/93 – MDR 1994, 718 f. dargelegt hat, setzt die Rechtswirksamkeit einer Zustellung nach § 212 a ZPO neben der tatsächlichen Übermittlung des zuzustellenden Schriftstücks in Zustellungsabsicht durch die Geschäftsstelle und der Entgegennahme des Schriftstücks durch den Anwalt mit dem Willen, das in seinen Gewahrsam gelangte Schriftstück als zugestellt anzunehmen, die Ausstellung eines mit Datum und Unterschrift des Anwalts versehenen Empfangsbekenntnisses voraus (Senatsurteile vom 22. November 1988 – VI ZR 226/87 – VersR 1989, 168 und vom 19. April 1994 aaO m.w.N.).
Während die Beklagte die übrigen Voraussetzungen einer wirksamen Zustellung für den vorliegenden Fall nicht in Zweifel zieht, will sie allein darauf abheben, daß das formularmäßige Empfangsbekenntnis nicht zur Akte gelangt ist. Darauf kommt es jedoch nicht an, weil der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten im Schriftsatz vom 31. Januar 1994 selbst mitgeteilt hat, die Zustellung sei am 5. Januar 1994 erfolgt. Unter den Umständen des Streitfalles kann diese Mitteilung als Empfangsbekenntnis im Sinn des § 212 a ZPO aufgefaßt werden, auch wenn es ohne Benutzung des sonst üblicherweise hierfür vorgesehenen Vordrucks ausgestellt worden ist. Wie der erkennende Senat im Urteil vom 19. April 1994 – aaO m.w.N. – dargelegt hat, kann nämlich in einer Berufungsschrift oder in einem Wiedereinsetzungsantrag, in welchem das Datum der Zustellung des angefochtenen Urteils ausdrücklich bezeichnet ist, jedenfalls dann ein dem § 212 a ZPO genügendes Empfangsbekenntnis zu sehen sein, wenn der betreffende Schriftsatz von demselben Rechtsanwalt unterzeichnet ist, an den auch die Zustellung des Urteils zu bewirken war. Das ist hier der Fall. Bei dieser Sachlage ist es unerheblich, daß das Empfangsbekenntnis erst später ausgestellt worden ist, weil das Gesetz nicht verlangt, daß die Empfangsbestätigung bereits bei der Entgegennahme des Schriftstücks ausgestellt wird (vgl. Senatsurteil vom 19. April 1994 – aaO – m.w.N. mit Hinweis auf BGHZ 35, 236, 239).
Da weitere Bedenken gegen die Wirksamkeit der Zustellung von der Beklagten nicht aufgezeigt und auch sonst nicht ersichtlich sind, ist das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht von einer Zustellung des Urteils am 5. Januar 1994 ausgegangen, so daß die erst am 9. März 1994 beim Berufungsgericht eingegangene Berufung verspätet war.

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