1. Bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen Spruchkörpern desselben Gerichts ist der zuständige Spruchkörper in analoger Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen, wenn die Zuständigkeit zumindest eines an einem Kompetenzkonflikt beteiligten Spruchkörpers, auf einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung (hier: § 119a Abs. 1 GVG) ,beruht und die Entscheidung des Konflikts von deren Reichweite und nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans abhängt.
2. Hat ein Spruchkörper in einer solchen Konstellation seine Zuständigkeit durch einen den Parteien bekanntgegebenen Beschluss verneint und die Sache dem nach seiner Auffassung zuständigen Spruchkörper zur Übernahme vorgelegt, ist diese Entscheidung entsprechend § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für den anderen Spruchkörper bindend.
Zuständig ist der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln.
Das Verfahren betrifft die Bestimmung des zuständigen Zivilsenats zur Entscheidung über eine anhängige Berufung.
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückabwicklung eines Vertrags über den Erwerb von Bäumen in Brasilien in Anspruch. Er verlangt nach Anfechtung und Widerruf des Vertrags die Erstattung der an die Beklagte geleisteten Vergütung sowie die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Annahme der vom Kläger angebotenen Abtretung seiner Rechte aus dem Vertrag in Verzug befindet.
Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts mit Sitz in Zürich. Sie bot auf der Grundlage einer in ihrem Internetauftritt veröffentlichten Broschüre mit dem Titel „Das grüne Gold“ verschiedene Anlagekonzepte für private und institutionelle Anleger an, darunter den Kauf von Bäumen verschiedener Gattungen auf Plantagen in Brasilien mit der Möglichkeit, die gekauften Bäume von der Beklagten bewirtschaften, schlagen und vermarkten zu lassen. In der Broschüre, die bis zu einer Untersagungsverfügung der Bundesanstalt für Finanzdienstleitungsaufsicht vom 14. Mai 2019 auch in Deutschland zum Download zur Verfügung stand, bewarb die Beklagte ihr Angebot wie folgt:
Nach Abzug der Bewirtschaftungskosten wird eine Netto-Rendite von mindestens 6% pro Jahr (IRR) erzielt – mehr als bei vielen Finanzprodukten.
Der Kläger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, entschloss sich auf der Grundlage dieser Anpreisung zum Erwerb von 820 Balsabäumen. Die Beklagte übersandte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Mai 2012 ein mit „Vertragsbestätigung Holzinvestment“ bezeichnetes Dokument, das den Abschluss eines Kaufvertrags über 820 Balsabäume zum Preis von 10.244,88 Euro (Nr. 1) sowie eines Servicevertrags (Nr. 2) bestätigte und bestimmte, dass der Kauf- und Servicevertrag als Einzelvertrag einen integralen Bestandteil zu einem „Rahmenvertrag Holzinvestment“ bilde. Mit gleichem Schreiben übersandte die Beklagte zwei vom Kläger zu unterzeichnende Ausfertigungen des Rahmenvertrags, von denen ein Exemplar an die Beklagte zurückzusenden und das andere für die Unterlagen des Klägers bestimmt war. Der Kläger erhielt außerdem eine Rechnung und nach deren Bezahlung ein als „Urkunde“ bezeichnetes Dokument vom 31. Mai 2012, in der die Beklagte dem Kläger sein persönliches Eigentum an 820 mittels Parzellennummern, Baumnummern und GPS-Koordinaten bezeichneten Balsabäumen bescheinigte.
Bei dem Rahmenvertrag handelt es sich um ein von der Beklagten vorformuliertes Regelwerk mit allgemeinen Bestimmungen zu Abschluss, Inhalt und Durchführung von Kauf- und Serviceverträgen mit der Beklagten. Danach verkauft die Beklagte auf ihren Plantagen in Brasilien angepflanzte und nach einem von ihr entwickelten Plantagen-Management bewirtschaftete Bäume in eigenem Namen und auf eigene Rechnung. Die Bäume werden bis zur Ernte und zum Verkauf mittels Bauminventar durch Baum-, Plot-, Parzellen- und Plantagennummer individualisiert und können von Interessenten durch Abschluss eines entsprechenden Kaufvertrags erworben werden, der als Einzelvertrag einen Bestandteil des Rahmenvertrags bildet (Nr. 1 bis 3). Für die Bewirtschaftung, Ausforstung und den Verkauf der Bäume bietet der Rahmenvertrag Interessenten die Option, mit der Beklagten einen Servicevertrag abzuschließen, der ebenfalls einen Bestandteil des Rahmenvertrags bildet (Nr. 9). Beim Abschluss eines solchen Servicevertrags hat die Beklagte die gekauften Bäume gemäß Plantagen-Management und unter Berücksichtigung der internationalen Standards über die nachhaltige Plantagenwirtschaft zu bewirtschaften, zu verwalten, zu pflegen, zu ernten, zu verkaufen und den Netto-Erlös aus dem Verkauf dem Käufer auf sein angegebenes Konto zu zahlen (Nr. 11).
Nach den Angaben zum Kaufvertrag unter Nr. 1 der Vertragsbestätigung waren die vom Kläger gekauften Bäume im Februar 2012 angepflanzt worden. Die Ausdünnung sollte im Jahr 2014 und der Endschlag 2017 erfolgen. Die Vertragsbestätigung enthielt außerdem eine Holzerlös-Prognose, nach der der Kläger in den fünf Jahren bis zum Endschlag mit seiner Kaufpreiszahlung eine Rendite von mindestens 6 % p.a. erzielen sollte.
Nachdem der Kläger nach Ablauf des Jahres 2017 von der Beklagten weder Abrechnungen noch Auszahlungen eines Erlöses aus Holzverkäufen erhalten hatte, erklärte er mit Schreiben vom 6. Dezember 2018 die Anfechtung der geschlossenen Verträge wegen Irrtums und arglistiger Täuschung. Ferner widerrief er seine auf den Abschluss dieser Verträge gerichteten Willenserklärungen unter Berufung auf die Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen und forderte die Beklagte unter Fristsetzung zur Rückzahlung des Kaufpreises auf. Die Beklagte wies die Ansprüche zurück.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 10.244,88 Euro nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückübertragung des Eigentums an den in der Urkunde vom 31. Mai 2012 bezeichneten Bäumen verurteilt.
Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten ist in den Turnus für allgemeine Zivilsachen eingetragen und dem 19. Zivilsenat des Berufungsgerichts zugeteilt worden. Dieser hat sich durch Beschluss für unzuständig erklärt und die Sache dem 13. Zivilsenat zur Übernahme vorgelegt, dem nach dem Geschäftsverteilungsplan die Zuständigkeit für Streitigkeiten aus Bank- und Finanzgeschäften im Sinne von § 119a Abs. 1 Nr. 1 GVG zugewiesen ist. Der 13. Zivilsenat hat seine Zuständigkeit ebenfalls verneint und den nach dem Geschäftsverteilungsplan für Gerichtsstandbestimmungsverfahren zuständigen 8. Zivilsenat um Entscheidung über die Zuständigkeit ersucht.
Der 8. Zivilsenat möchte den 13. Zivilsenat für zuständig erklären, sieht sich hieran jedoch durch ein Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz gehindert. Deshalb hat er das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 3 und Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
II. Die Vorlage ist zulässig.
Nach § 36 Abs. 3 Satz 1 ZPO hat ein Oberlandesgericht, wenn es im Rahmen eines Gerichtsstandbestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 2 ZPO in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will, die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
1. Die Vorlage betrifft eine Zuständigkeitsbestimmung, die in den Anwendungsbereich von § 36 Abs. 1 ZPO fällt.
Der im Streitfall zu entscheidende Kompetenzkonflikt steht einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen verschiedenen Gerichten im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO gleich.
a) § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO setzt nach seinem Wortlaut voraus, dass sich verschiedene Gerichte rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Streitigkeiten unter verschiedenen Spruchkörpern desselben Gerichts über ihre Zuständigkeit fallen grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift.
b) § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist jedoch entsprechend anwendbar, wenn mehrere Spruchkörper desselben Gerichts um ihre Zuständigkeit streiten und die Entscheidung des Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans abhängt, sondern auf der Grundlage einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung zu treffen ist.
Bei einer Auseinandersetzung über die Zuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan ist das Präsidium des Gerichts, dem die betreffenden Spruchkörper angehören, als richterliches Selbstverwaltungsorgan gemäß § 21e GVG zur Entscheidung berufen (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1999 – X ARZ 247/99, NJW 2000, 80, 81).
Beruht indessen die Zuständigkeit zumindest eines an einem Kompetenzkonflikt beteiligten Spruchkörpers auf einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung, ist der für den Rechtsstreit zuständige Spruchkörper in analoger Anwendung von § 36 Abs. 1 ZPO durch das im Instanzenzug nächsthöhere Gericht oder – im Fall des § 36 Abs. 2 ZPO – durch das Oberlandesgericht zu bestimmen. In solchen Fällen geht es nicht um die Auslegung der vom Präsidium gefassten Geschäftsverteilung, sondern um die Anwendung gesetzlicher Zuständigkeitsregelungen. Insoweit besteht keine Verteilungs- und Entscheidungskompetenz des Präsidiums (BGH, Beschluss vom 16. September 2003 – X ARZ 175/03, BGHZ 156, 147, 150 f. = NJW 2003, 3636).
c) Die Regelung in § 119a Abs. 1 GVG enthält eine gesetzlich geregelte Zuständigkeitsverteilung.
Deshalb ist ein Konflikt über eine durch diese Vorschrift begründete Zuständigkeit nicht vom Präsidium zu entscheiden (BT-Drucks. 18/11437 S. 45 f.). Vielmehr ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anzuwenden.
d) Ein negativer Kompetenzkonflikt im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegt im Streitfall vor.
Die beiden mit der Sache befassten Zivilsenate des Berufungsgerichts haben sich jeweils durch einen den Parteien bekannt gegebenen Beschluss für unzuständig erklärt. Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidungen sieht das Gesetz nicht vor.
2. Eine Divergenz im Sinne von § 36 Abs. 3 ZPO ist ebenfalls gegeben.
a) Das vorlegende Gericht sieht die von der Beklagten zu erbringenden Leistungen als Vermittlung von Geschäften über die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten in Form einer Vermögensanlage gemäß § 1 Abs. 11 Satz 1 Nr. 2 KWG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Nr. 7 VermAnlG und damit als Finanzdienstleistung nach § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 KWG und nach § 312b Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. (jetzt: § 312 Abs. 5 BGB) an, was zur Zuständigkeit des 13. Zivilsenats gemäß § 119a Abs. 1 Nr. 1 GVG führe.
Mit dieser Auffassung weicht das vorlegende Gericht von einem Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz ab, das ein vergleichbares Vertragsmodell nicht als Finanzdienstleistung im Sinne von § 312b Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. angesehen hat (OLG Koblenz, Urteil vom 8. Oktober 2020 – 6 U 1582/19, IHR 2021, 76).
b) Dass die andere Entscheidung keine Gerichtsstandbestimmung betrifft, sondern eine Leistungsklage zum Gegenstand hat, ist in Zusammenhang mit § 36 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht von Bedeutung (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2020 – X ARZ 124/20, MDR 2021, 253 Rn. 7).
c) Der Zulässigkeit der Vorlage steht auch nicht der Umstand entgegen, dass sich die vom vorlegenden Oberlandesgericht als entscheidungserheblich angesehene Rechtsfrage in der anderen Entscheidung nicht in Zusammenhang mit § 119a Abs. 1 Nr. 1 GVG und § 1 KWG gestellt hat, sondern in Zusammenhang mit § 312b Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.
aa) Nach der Auffassung des vorlegenden Gerichts ist der Begriff der Finanzdienstleistung im Sinne von § 312b Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. gleich auszulegen wie in § 1 KWG.
Von seinem Rechtsstandpunkt aus würde das vorlegende Gericht mit der beabsichtigten Entscheidung folglich von der Auslegung des § 312b Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. in der anderen Entscheidung abweichen.
bb) Ob der Rechtsstandpunkt des vorlegenden Gerichts zutrifft, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht es für die Zulässigkeit einer Vorlage nach § 36 Abs. 3 Satz 1 ZPO aus, wenn die Rechtsfrage, die zur Vorlage führt, nach Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts entscheidungserheblich ist und dies in den Gründen des Vorlagebeschlusses nachvollziehbar dargelegt wird (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2018 – X ARZ 303/18, NJW 2018, 2200 Rn. 7; Beschluss vom 15. August 2017 – X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 6; Beschluss vom 26. August 2014 – X ARZ 275/14, MDR 2015, 51 Rn. 2).
Diesen Anforderungen wird der Vorlagebeschluss gerecht.
3. Einer Gerichtsstandsbestimmung steht nicht entgegen, dass die Beklagte in Konkurs gegangen ist.
Ausweislich des Handelsregisters des Kantons Zürich ist mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 27. Januar 2022 die Beklagte aufgelöst und ihre Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs gemäß Art. 731b Abs. 1 Nr. 3 des Schweizer Obligationenrechts angeordnet worden. Mit Urteil vom 24. März 2022 hat die Konkursrichterin über die bereits aufgelöste Gesellschaft den Konkurs eröffnet. Mit Urteil vom 24. Juni 2022 ist das Konkursverfahren mangels Aktiven eingestellt worden.
Welche Wirkungen sich aus diesen Entscheidungen für den vorliegenden Rechtsstreit in der Hauptsache ergeben, bedarf keiner Entscheidung.
Eine Unterbrechung des Rechtsstreits durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der beklagten Partei hindert eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht. Die Entscheidung über den Gerichtsstand betrifft nicht die Hauptsache, sondern nur die Zuständigkeit. Sie hat daher nur vorbereitenden Charakter (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014 – X ARZ 578/13, NJW-RR 2014, 248 Rn. 7 zu § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO).
III. Zuständig zur Entscheidung über die Berufung ist der 13. Zivilsenat.
Die Entscheidung, mit der sich der 19. Zivilsenat für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit dem 13. Zivilsenat vorgelegt hat, ist für diesen entsprechend § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend.
1. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen verschiedenen Zivilgerichten ist grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache zuerst verwiesen worden ist.
Dies folgt aus der Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangener Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend ist. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa deshalb, weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BGH, Beschluss vom 15. August 2017 – X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 15).
2. § 281 ZPO betrifft nach seinem Wortlaut nur Verweisungen zwischen verschiedenen Gerichten und ist daher grundsätzlich nicht auf Abgaben oder Verweisungen unter Spruchkörpern desselben Gerichts anwendbar.
Soweit keine speziellen Verweisungsregelungen wie §§ 97 ff. GVG und § 17a Abs. 6 GVG gelten, wird der Rechtsstreit vom zunächst damit befassten Spruchkörper an den zuständigen Spruchkörper abgegeben, ohne dass dieser im Sinne von § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO an die Abgabe gebunden wäre. Dies gilt nach der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur, wenn zwischen zwei Spruchkörpern die Frage nach der gerichtsinternen Zuständigkeit gemäß dem Geschäftsverteilungsplan in Rede steht, sondern grundsätzlich auch für Abgaben im Verhältnis zwischen für allgemeine Zivilsachen zuständigen Spruchkörpern und Spruchkörpern mit gesetzlich zugewiesenen Spezialzuständigkeiten (BGH, Beschluss vom 3. Mai 1978 – IV ARZ 26/78, BGHZ 71, 264, 272).
3. Hieraus wird in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und überwiegend auch in der Literatur der Schluss gezogen, eine unmittelbare oder entsprechende Anwendung von § 281 ZPO sei im Verhältnis zwischen Spruchkörpern mit einer Spezialzuständigkeit nach § 119a Abs. 1 oder § 72a Abs. 1 GVG und anderen Spruchkörpern desselben Gerichts nicht möglich.
Für eine entsprechende Anwendung von § 281 ZPO fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke. Wenn der Gesetzgeber im Wissen, dass § 281 ZPO auf gerichtsinterne Abgaben keine Anwendung finde, auf § 119a Abs. 1 oder § 72a Abs. 1 GVG gestützte Abgabeentscheidungen gleichwohl mit bindender Wirkung hätte ausstatten wollen, hätte er dies nach dieser Auffassung ausdrücklich anordnen müssen, wie er es auch für die Verweisung von der Zivilkammer zur Kammer für Handelssachen desselben Landgerichts (oder umgekehrt) für nötig befunden und in § 102 Satz 2 GVG bestimmt habe. Aus dem Fehlen einer § 102 Satz 2 GVG entsprechenden Vorschrift sei daher zu schließen, dass Abgaben im Zusammenhang mit § 119a Abs. 1 oder § 72a Abs. 1 GVG nicht bindend sein sollen (KG, Beschluss vom 15. März 2021 – 2 AR 11/21, NJW-RR 2021, 644 Rn. 12 f.; OLG München, Beschluss vom 7. Februar 2019 – 34 AR 114/18, r+s 2019, 358 Rn. 11; OLG Hamburg, Beschluss vom 6. August 2018 – 6 AR 10/18, juris Rn. 11 [insoweit in MDR 2018, 1327 nicht abgedruckt]; Musielak/Voit/Wittschier, 19. Aufl. 2022, § 119a GVG Rn. 1; Zöller/Lückemann, 34. Aufl. 2022, § 119a GVG Rn. 1 i.V.m. § 72a GVG Rn. 2; Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 281 Rn. 4; Fischer, MDR 2020, 75, 77; BeckOK StPO/Feldmann, 29. Ed. 1.1.2018, GVG § 72a Rn. 6).
4. Dieser Auffassung vermag der Senat nicht beizutreten.
a) Das Gesetz sieht eine Bindungswirkung von Abgaben zwischen verschiedenen Spruchkörpern desselben Gerichts allerdings auch heute nur für bestimmte Konstellationen vor. Bis zum Inkrafttreten von § 119a und § 72a GVG war jedoch für die praktisch wichtigsten Fälle der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung innerhalb eines Gerichts eine mit § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO vergleichbare Regelung vorhanden.
Bezüglich der Frage, ob innerhalb desselben Gerichts ein für Zivilsachen, ein für Familiensachen oder ein für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständiger Spruchkörper zur Entscheidung berufen ist, hat der Gesetzgeber mit der am 1. September 2009 in Kraft getretenen Regelung in § 17 Abs. 6 GVG eine Entscheidung mit Bindungswirkung eingeführt.
Für die vergleichbare – und gemäß § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO von ähnlichen Kriterien wie die Zuständigkeit nach § 72a und § 119a GVG abhängige – Frage, ob der Rechtsstreit durch die Kammer oder den Einzelrichter zu entscheiden ist, hat der Gesetzgeber in der seit 1. Januar 2002 geltenden Fassung von § 348 Abs. 2 ZPO ebenfalls eine Entscheidung durch unanfechtbaren Beschluss vorgesehen. Diese Regelung gilt entsprechend für das in § 568 ZPO geregelte Verhältnis zwischen Einzelrichter und Kammer bzw. Senat in der Beschwerdeinstanz, obwohl das Gesetz insoweit keine ausdrückliche Vorschrift enthält (BGH, Beschluss vom 16. September 2003 – X ARZ 175/03, BGHZ 156, 147, juris Rn. 15).
b) Entgegen der in Rechtsprechung und Literatur wohl überwiegend vertretenen Auffassung beruht das Fehlen einer vergleichbaren Vorschrift im Zusammenhang mit § 119a und § 72a GVG auf einer planwidrigen Regelungslücke.
aa) Der Gesetzgeber hat sich bei der Einführung der beiden Vorschriften mit der Frage möglicher Kompetenzkonflikte nicht befasst.
Die Gesetzesmaterialien umschreiben die einzelnen eine Spezialzuständigkeit begründenden Tatbestände eher kursorisch. Sie heben zwar ausdrücklich hervor, dass die nähere Eingrenzung und Bestimmung der Sachgebiete nicht den Gerichtspräsidien und deren Geschäftsverteilungsplänen vorbehalten werden kann (BT-Drucks. 18/11437 S. 45), befassen sich aber nicht mit der Frage, in welchem Verfahren und durch wen die Zuständigkeit in Zweifelsfällen beurteilt werden soll.
bb) Vor diesem Hintergrund kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber bewusst von einer Regelung abgesehen hat.
Maßgeblich für die Einführung von § 119a und § 72a GVG war die Erwägung, dass eine häufigere Befassung mit einer bestimmten Materie zu einer Qualitätssteigerung führt (BT-Drucks. 18/11437 S. 44). Der Umstand, dass es insbesondere bei Zuständigkeitsvorschriften, die an die Rechtsnatur des dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Geschäfts anknüpfen, zu unterschiedlichen Beurteilungen kommen kann, die zu einer erheblichen Verzögerung des Rechtsstreits führen können, wurde nicht angesprochen.
c) Die planwidrige Gesetzeslücke ist durch entsprechende Anwendung von § 281 Abs. 2 Satz 2 und 4 ZPO zu schließen.
aa) Die Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 2 und 4 ZPO dient dem Zweck, Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkte Verzögerungen zu vermeiden (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2010 – Xa ARZ 14/10, NJW-RR 2010, 891 Rn. 13).
Dieser Zweck greift nicht nur dann, wenn verschiedene Gerichte die Zuständigkeitsfrage unterschiedlich beantworten, sondern auch und erst recht, wenn verschiedene Spruchkörper desselben Gerichts über ihre durch Gesetz begründete Zuständigkeit streiten.
bb) Im Vergleich zu § 17a Abs. 6 GVG (für eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift Klose MDR 2017, 793, 795) ist § 281 ZPO für die zu beurteilende Konstellation die sachnähere Regelung.
Ebenso wie in den von § 17a Abs. 6 GVG erfassten Fällen hat eine Abgabe von einem oder an einen nach § 119a oder § 72a GVG zuständigen Spruchkörper zwar von Amts wegen zu erfolgen, während für eine Verweisung gemäß § 281 Abs. 1 ZPO ein Antrag erforderlich ist. Die Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 2 und 4 ZPO weist dennoch die größere Nähe zu der im Streitfall zu beurteilenden Konstellation auf, weil beide beteiligten Spruchkörper den Regeln der Zivilprozessordnung unterliegen, während es in § 17a Abs. 6 GVG um Spruchkörper geht, für die unterschiedliche Verfahrensordnungen gelten.
5. Im Streitfall ist die Entscheidung des 19. Zivilsenats danach entsprechend § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für den 13. Zivilsenat bindend.
a) Der 19. Zivilsenat hat seine Zuständigkeit durch einen förmlichen Beschluss verneint, den er auch den Parteien bekanntgegeben hat. Dies entspricht einem Verweisungsbeschluss im Sinne von § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO.
Ob eine der Parteien die Abgabe beantragt hat, ist unerheblich. Wie bereits oben erwähnt wurde, hat eine Abgabe an den zuständigen Spruchkörper – anders als eine Verweisung an ein anderes Gericht nach § 281 Abs. 1 ZPO – von Amts wegen zu erfolgen. Entscheidend und ausreichend für die entsprechende Anwendung von § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ist der Umstand, dass ein Spruchkörper sich aufgrund einer gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung für nicht zuständig angesehen und die Sache deshalb an einen anderen Spruchkörper abgegeben hat.
b) Dass der Beschluss des 19. Zivilsenats unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ergangen sein könnte, ist nicht ersichtlich. Er ist auch nicht als willkürlich anzusehen.
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