BGH – Bestreiten der Echtheit einer beim Abschluss eines Darlehensvertrages verwendeten Vollmachtsurkunde
Aktenzeichen: V ZR 86/14
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. März 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und den Richter Dr. Kazele
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 4. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 13. März 2014 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Der Nebenintervenient trägt seine Kosten selbst.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 186.553,18 €.
I.
Die Eltern der Klägerin und des Streithelfers bestellten zwischen 1954 und 1964 insgesamt sechs Grundschulden auf einem ihnen gehörenden Grundstück mit einem Betrag von umgerechnet 186.553,18 € zzgl. Zinsen; zudem übernahmen sie die persönliche Haftung und unterwarfen sich der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr Vermögen. Inhaber aller Ansprüche wurde eine Kreissparkasse (im Folgenden: Zedentin). Der Vater der Klägerin (im Folgenden: Erblasser) hatte 1995 eine Familienstiftung (im Folgenden: Stiftung) gegründet, deren Vorstand der Streithelfer war. 1996 und 1997 wurden drei Darlehen durch die Stiftung, den Erblasser und den Streithelfer aufgenommen, die u.a. durch die o.g. Grundschulden abgesichert wurden.
Die Beklagte hat im Rechtsstreit folgende mit Vollmacht überschriebene Erklärung des Erblassers vom 19. Dezember 2000 vorgelegt:
„Bei der KSK Sls.“ [der Zedentin] „bestehen folgende Darlehen: 3000888184, 6000887163 u. 3000895809. Hiermit erkläre ich unwiderruflich, daß ich diese Darlehen allein übernehme. Als Bedingung für meine Übernahme der Darlehensverpflichtungen gilt, daß mein Sohn auf seinen Erb- und Pflichtteilsanspruch verzichtet bzw. ausschlägt. Insoweit ist meine Übernahme aufschiebend bedingt wirksam bis zur Erfüllung seiner Zusage. …
Hiermit erteile ich meinem Sohn B. die Vollmacht, mich in allen Dingen gegenüber der KSK und sonstigen Dritten zu vertreten, die im Zusammenhang mit meiner alleinigen Übernahme der Darlehen, insbesondere auch der Rückführung der Darlehen notwendig sind. Da auch eigene Interessen meines Sohnes von der Bevollmächtigung betroffen sind, ist er von der Beschränkung des § 181 BGB befreit und es ist vereinbart, daß diese Vollmacht über meinen Tod hinaus gilt. Eine Vollmacht zur Führung von Prozessen ist bereits separat erteilt. …“
Die Klägerin bestreitet die Echtheit der Urkunde. Wenn die Unterschrift echt sei, beruhe die Urkunde auf dem Missbrauch eines Blanketts durch den Streithelfer. Der Erblasser sei in dem Zeitpunkt der behaupteten Unterschriftsleistung auch nicht mehr geschäftsfähig gewesen.
Die Klägerin wurde nach dem Tod des Erblassers im Mai 2001, nachdem der Streithelfer die Erbschaft ausgeschlagen hatte, dessen Alleinerbin und damit Eigentümerin des belasteten Grundstücks. Die Stiftung bat in einem Schreiben an die Sparkasse vom 8. November 2001, dass sie und der Streithelfer mit Rücksicht auf den Wunsch des Erblassers aus den Darlehensverhältnissen rückwirkend zum 1. Januar 2001 entlassen werden. Unter dem Schreiben befindet sich die Erklärung der Klägerin, dass sie von dem Vorgang Kenntnis habe und sich im Voraus für die Mitwirkung der Sparkasse bedanke. Die Sparkasse lehnte eine solche rückwirkende Entlassung der beiden anderen Darlehensschuldner ab, da die Zustimmung des Verstorbenen fehle. Die Darlehensverbindlichkeiten wurden auch danach von der Stiftung bedient.
Im Jahre 2005 schlossen die Stiftung, der Streithelfer und die Klägerin mit der Zedentin einen Vertrag über ein Darlehen mit einem Nettokreditbetrag von 22,9 Mio. Japanischen Yen, mit dem die im Jahre 1997 aufgenommenen Darlehen abgelöst wurden. Als Sicherheiten dienten – neben auf dem Grundstück der Stiftung lastende – auch die auf dem Grundstück der Klägerin lastenden Grundschulden. Die Klägerin unterzeichnete zur selben Zeit zudem eine formularmäßige Zweckerklärung, nach der die vorgenannten Grundschulden der Sicherung aller bestehenden und künftigen Forderungen der Zedentin gegen die Stiftung, den Streithelfer und die Klägerin dienen sollten.
Über das Vermögen des Streithelfers wurde im Januar 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Streithelfer machte danach Ausgleichsansprüche gegen die Klägerin in Höhe von 1/3 der von der Stiftung auf die Darlehen gezahlten Zins- und Tilgungsleistungen geltend, welche die Klägerin zurückwies. Die Stiftung stellte die Zahlungen auf die Darlehen ein. Klagen der Stiftung gegen die Klägerin, sie von den Verpflichtungen aus den im Jahre 2005 aufgenommenen Darlehen freizustellen, blieben ohne Erfolg. Der Fremdwährungskredit wurde von der Zedentin im Februar 2009 durch einen Kredit in Höhe von 196.566,62 € abgelöst. Die Klägerin weigerte sich, den geänderten Darlehensvertrag zu unterzeichnen. Die Zedentin kündigte im Mai 2009 den Darlehensvertrag.
Im November 2009 löste die Beklagte, die Lebensgefährtin des Streithelfers, sämtliche Darlehensverbindlichkeiten der Stiftung, des Streithelfers und der Klägerin gegenüber der Zedentin ab. Diese trat die Forderungen gegen die Darlehensschuldner sowie alle Sicherheiten an die Beklagte ab. Nach Umschreibung der Vollstreckungsklauseln auf die Beklagte als Gläubigerin und die Klägerin als Schuldnerin leitete die Beklagte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ein.
Die Klägerin hat Vollstreckungsgegenklage mit dem Ziel erhoben, die Zwangsvollstreckung aus den Urkunden über die Bestellung der Grundschulden für unzulässig zu erklären. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Dieses Urteil hat der Senat mit Beschluss vom 4. Juli 2013 (V ZR 151/12, NJW-RR 2014, 177) aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen Dieses hat nach Vernehmung des Streithelfers als Zeugen erneut zu Gunsten der Klägerin entschieden. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Das Berufungsgericht meint, die Geltendmachung des Anspruchs nach § 1192 Abs. 1, § 1147 BGB stelle sich als eine missbräuchliche Rechtsausübung (§ 242 BGB) dar. Die Beklagte nehme die Klägerin als einen der Gesamtschuldner der Zedentin in Anspruch, um der im Innenverhältnis der Schuldner nicht haftenden Klägerin das Regressrisiko aufzubürden. Die durch die Grundschulden gesicherten Darlehen seien allein der Stiftung zugute gekommen, die damit Grundvermögen erworben und Mietwohnungen errichtet habe. Die Klägerin hätte diese Darlehen auch nicht gemäß der von der Beklagten vorgelegten Vollmachtsurkunde des Erblassers vom 19. Dezember 2000 nach der Erbausschlagung des Streithelfers zurückführen müssen. Die von der Beklagten behaupteten Abreden über eine Schuldübernahme, auf denen die Erbausschlagung der Streithelfers beruht haben soll, habe es nicht gegeben.
Die Aussage des als Zeugen vernommenen Streithelfers zur Entstehung der Urkunde sei nicht glaubhaft. Die Form der von dem Streithelfer verfassten Urkunde (die Abfassung auf der Rückseite eines DIN A5 Blatts mit einem Aufdruck eines Patientenservice) widerspräche der Bedeutung des Inhalts (einer bedingten Verpflichtung zur Übernahme von Verbindlichkeiten in Höhe von 1,2 Mio. DM und Angabe von drei Kontonummern) und den von dem Zeugen geschilderten Umständen ihrer Entstehung (dem Aufsetzen des Schriftstücks gemäß einer nach monatelangen Verhandlungen erzielten Einigung). Die von dem Zeugen abgegebenen Erklärungen über den Zweck der Urkunde (Vermeidung eines Streits in der Familie und einer erbrechtlichen Auseinandersetzung) seien vor dem Hintergrund nicht nachvollziehbar, dass die als Erbin für die Darlehen haftende Klägerin in die behaupteten Gespräche nicht einbezogen worden sei. Der Zeuge habe auch nicht einsichtig erläutern können, warum die Vereinbarung nicht umgesetzt worden sei, obwohl die Stiftung und er allen Anlass gehabt hätten, sich auf die nunmehr vorgetragene Abrede mit dem Erblasser zu berufen. Die vom Streithelfer geführte Stiftung habe über Jahre die Darlehen bedient, ohne sich auf die Abrede zu berufen, und auch in einem Rechtsstreit mit der Klägerin zunächst behauptet, dass zwischen den Darlehensnehmern keine besonderen Vereinbarungen getroffen worden seien, weshalb sie die Klägerin zunächst auf anteilige Zahlung in Anspruch genommen habe. Gegen die Richtigkeit der Darstellung der Beklagten spreche schließlich, dass der Streithelfer erst im September 2008 die Urkunde bei sich wieder aufgefunden haben will, die Stiftung aber in dem von ihr gegen die Klägerin geführten Rechtsstreit bereits im April 2008 auf die wiederaufgefundene Urkunde verwiesen habe.
III.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist – obwohl die Beklagte und der Streithelfer unabhängig voneinander Beschwerde erhoben haben – als ein Rechtsbehelf zu behandeln, über den einheitlich zu entscheiden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juli 1993 – V ZR 235/92, NJW 1993, 2944; BGH, Beschluss vom 24. Januar 2006 – VI ZB 49/05, NJW-RR 2006, 644 Rn. 6). Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet; die Revision ist nicht – wie vorgebracht – zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) wegen einer grundlegenden Verkennung der Beweisregel in § 416 ZPO zuzulassen.
An den Beweis des Gegenteils gegen eine gesetzliche Vermutung sind strenge Anforderungen zu stellen. Der Beweis ist nicht schon dann geführt, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Text der Urkunde ohne den Willen des Ausstellers nachträglich über dessen Unterschrift gesetzt worden ist, die Vermutung also nur erschüttert ist. Die Vermutung der Echtheit des Textes über der Unterschrift muss nach der Überzeugung des Gerichts – die gemäß § 286 ZPO allerdings auch aus den Gesamtumständen gewonnen werden kann – widerlegt sein (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2002 – II ZR 37/00, NJW 2002, 2101, 2102 [zur Vermutung aus § 1006 BGB]).
bb) So verhält es sich hier jedoch. Das Berufungsgericht geht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von einer manipulierten, nicht echten Urkunde aus. Es ist nämlich nach Vernehmung des Streithelfers der Beklagten als Zeugen, der nach eigenem Bekunden den Urkundentext verfasst und dem Erblasser zur Unterschrift vorgelegt hat, davon überzeugt, dass dessen Aussage über die Entstehung der Urkunde nicht glaubhaft ist. Die von der Beklagten behauptete, von dem Zeugen geschilderte Abrede über eine Schuldübernahme durch den Erblasser, auf Grund derer die Urkunde am 19. Dezember 2000 aufgenommen worden sein soll, hat es nach der Überzeugung des Berufungsgerichts nie gegeben.
Zu diesem Ergebnis ist das Berufungsgericht auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände gelangt. Maßgebend dafür waren die Widersprüche zwischen den Äußerlichkeiten und dem Inhalt der Urkunde, die fehlende Plausibilität der Erklärungen des Zeugen dazu, die nicht nachvollziehbaren Bekundungen des Zeugen zum Zweck der Urkunde, die nicht erfolgte Umsetzung der behaupteten Vereinbarung mit dem Erblasser, die langjährige Bedienung der Darlehen ohne Berufung auf die Vereinbarung einer Schuldübernahme sowie die Widersprüche in dem Prozessvortrag über das Wiederauffinden der Urkunde.
Nach der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts ist die Vermutung des § 440 Abs. 2 ZPO widerlegt worden. Die vorgelegte Urkunde mit Datum des 19. Dezember 2000 ist jedenfalls insoweit unecht, als der Text über der Unterschrift nicht dem Willen des Erblassers entspricht. Die Urkunde wurde nicht wie von dem Streithelfer geschildert – in Gegenwart des Erblassers mit dessen Willen aufgesetzt und unterschreiben. Danach ist ein von dem Streithelfer manipuliertes, unechtes Schriftstück in den Rechtsstreit eingeführt worden, dem nicht die in § 416 ZPO bestimmte Beweiskraft zukommt. Da die Beweisregel nicht eingreift, wirkt sich der Rechtsfehler des Berufungsgerichts über den Umfang der formellen Beweiskraft einer echten Urkunde (siehe oben 1.b) im Ergebnis nicht aus.
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