Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 09. Mai 2012 – 4 U 92/10

Juni 22, 2020

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 09. Mai 2012 – 4 U 92/10
Sittenwidrigkeit eines Grundstücksgeschäftes bei auffälligem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung

Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 14.05.2010 – 10 O 31/09 – dahin abgeändert, dass die Klage unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 07.01.2010 abgewiesen wird.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Kläger mit Ausnahme der durch das Versäumnisurteil vom 07.01.2010 entstandenen Kosten, die die Beklagten zu tragen haben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Klägern bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung seitens der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Beklagten vor der Vollstreckung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leisten.
Gründe
I.
Die Kläger begehren die Rückabwicklung eines mit der Beklagten zu 1. – die Beklagte zu 2. ist deren persönlich haftende Gesellschafterin – geschlossenen notariellen Kaufvertrages über die in R… in der Anlage „…straße 77/L…straße 28/K…straße 77“ gelegene Eigentumswohnung Nr. 91; ferner beanspruchen die Kläger die Zahlung von Schadensersatz. Es handelt sich um eine Wohnanlage aus 36 dreigeschossigen Mehrfamilienhäusern des Baujahres 1953/1954 mit insgesamt 221 Wohneinheiten sowie 60 Dachgeschosswohnungen, die aus einer Dachaufstockung im Jahr 1987 resultieren.
Nach Beratung durch den Immobilienvermittler K… K… unterbreiteten die Kläger am 22.11.2001 der Beklagten zu 1. ein notariell beurkundetes Ankaufangebot hinsichtlich der o.a. Wohnung, zu einem Kaufpreis von 146.954,30 DM. In Teil A Ziffer 2. des Angebotes war geregelt, dass die Annahme des Angebotes nicht vor dem 31.12.2001 erfolgen dürfe. Gemäß § 6 des Vertrages haben die Käufer die Erwerbsnebenkosten zu tragen. Die Beklagte nahm das Angebot mit der durch den Notar … beurkundeten Erklärung vom 28.11.2001 an.
Mit Darlehensvertrag vom 19.02. 2002 bewilligte die …bank die Auszahlung des Darlehens in Höhe von 75.671,20 €. Das Darlehen wurde durch eine am 04.03.2002 bestellte Grundschuld gesichert. Mit Schreiben vom 19.03.2007 kündigte die …bank den Klägern gegenüber dieses Darlehen wegen Zahlungsrückstandes fristlos.
In einem vor dem Landgericht Berlin geführten selbständigen Beweisverfahren zum Az. 37 OH 1/08 wurde der Verkehrswert der streitgegenständlichen Wohnung zum Zeitpunkt des Erwerbs durch den Sachverständigen Dipl.-Ing. Architekt S… mit 36.600,00 € bemessen.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Wedding vom 26.11.2009 wurde die Wohnung zwangsversteigert und dem Meistbietenden zum Bargebot von 24.000,00 € zugeschlagen.
Die Kläger haben die Ansicht vertreten, der Kaufvertrag sei unwirksam. Da im Vertrag vereinbart worden sei, dass die Annahme durch die Beklagte zu 1. nicht vor dem 31.12.2001 erfolgen dürfe, habe in der vorfristig erklärten Annahme vom 28.11.2001 ein neues Angebot gelegen, welches sie, die Kläger, nicht in der erforderlichen Form angenommen hätten.
Zudem sei der Kaufvertrag wegen eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung sittenwidrig. Dies sei für die Beklagte zu 1. auch erkennbar gewesen.
Die Beklagten haben behauptet, der tatsächliche Kaufpreis habe nur – umgerechnet – 65.462,41 € betragen. Eine verwerfliche Gesinnung habe angesichts des Vermarktungsgutachtens der A…-Bank und des TÜV-Gutachtens nicht vorgelegen.
Mit Versäumnisurteil vom 07.01.2010 hat das Landgericht Potsdam die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger 75.136,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.03.2002, jedoch unter Anrechnung des erzielten Zwangsversteigerungserlöses in Höhe von 24.000,00 €, zu zahlen. Ferner hat es festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, die Kläger von allen Schäden freizustellen, die ihnen aus dem Erwerb der Eigentumswohnung entstanden sind. Darüber hinaus hat es die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.308,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.03.2009 zu zahlen.
Auf den Einspruch der Beklagten hin hat das Landgericht Potsdam das Versäumnisurteil aufrecht erhalten. Zur Begründung hat es im Hinblick auf die Frage der Sittenwidrigkeit unter anderem ausgeführt, der Vertrag sei jedenfalls aufgrund eines groben Missverhältnisses zwischen Kaufpreis und Werthaltigkeit der Immobilie sowie unzureichender Aufklärung der Beklagten zu 1. als Herausgeber des Vermarktungsprospektes rückabzuwickeln. Die Instandhaltungsrücklage von 10.588,69 DM sei nicht zu berücksichtigen, denn bei angenommener Mangelfreiheit oder nicht vorhandenem Instandhaltungsrückstau wäre ein um 10.588,69 DM höherer Kaufpreis angesetzt worden. Die von der Beklagten übernommenen Nebenkosten seien bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit nicht zu berücksichtigen, da sie den vertraglich vereinbarten Kaufpreis nicht beträfen.
Der zu vermutenden verwerflichen Gesinnung der Beklagten zu 1. stehe, wie näher ausgeführt wird, nicht das Vermarktungsgutachten der A…-Bank entgegen. Bei diesem handele es sich um ein reines Vermarktungsgutachten, welches die Zielrichtung verfolge, einen höchstmöglichen Vermarktungspreis durchzusetzen. Auch dem vorgelegten TÜV-Bericht fehle eine Bewertung anhand von konkreten Wertermittlungsstichtagen.
Die Beklagte zu 1. treffe als Prospektverantwortliche auch eine Aufklärungspflichtverletzung. Der Prospekt werde den Anforderungen weder im Hinblick auf die Ausführungen zur Werthaltigkeit der Eigentumswohnungen noch im Hinblick auf die Regelungen nach Ablauf der Laufzeit zum Mietpoolvertrag gerecht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagten mit der Berufung. Zur Begründung führen sie aus, sowohl die Instandhaltungsrücklage in Höhe von 5.413,91 € als auch die Erwerbsnebenkosten in Höhe von 4.260,22 € hätten vom Kaufpreis in Abzug gebracht werden müssen. Angesichts dessen sei der Vertrag nicht sittenwidrig. Die Erwerbsnebenkosten seien entgegen den Angaben in § 6 des notariellen Kaufvertrages von ihnen, den Beklagten, getragen worden. Die Vertriebsmitarbeiter seien von Beklagtenseite autorisiert worden, dieses mit den Kaufinteressenten für den Fall zu vereinbaren, dass keine Finanzierung der Erwerbsnebenkosten durch die finanzierende Bank erfolge. Nach Anhörung der Kläger im Senatstermin vom 04.04.2012 ist unstreitig geworden, dass zwischen den Klägern und dem Vertriebsmitarbeiter K… K… bei einem Besuch der Kläger im Büro der Erstbeklagten in G… vor dem 22.11.2001 eine entsprechende Vereinbarung getroffen worden ist. Die Erwerbsnebenkosten sind hier nicht durch die Bank der Kläger finanziert worden.
Die Beklagten machen ferner geltend, jedenfalls fehle es an der verwerflichen Gesinnung, da die Geschäftsführung der Beklagten vor Beginn des Verkaufs der Wohnungen eigens ein TÜV-Gutachten in Auftrag gegeben habe, um den Verkehrswert der Wohnungen in der Wohnanlage zu bestimmen. Aus diesem habe sich ergeben, dass der Kaufpreis für die fragliche Wohnung unter dem Verkehrswert gelegen habe.
Etwaige Fehler des Verkaufsprospektes hätten die Kläger nie vorgetragen bzw. nur allenfalls völlig unsubstanziiert angedeutet.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 14.05.2010 – 10 O 31/09 dahin abzuändern, dass unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 07.01.2010 die Klage abgewiesen wird.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Kläger, die nach der mit Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 14.02.2011 (Bl. 442 ff) erfolgten Vorlage einer vom 01.06.2010 datierenden Vollmacht (Bl. 445) ihre Vollmachtsrüge nicht aufrechterhalten, führen zur Parteifähigkeit der – ihren Angaben nach noch nicht gelöschten – Beklagten aus, es existierten noch Vermögenswerte in Gestalt von Ansprüchen auf Erbringung der restlichen Stammeinlage.
Darüber hinaus verteidigen sie das erstinstanzliche Urteil. Hinsichtlich der Instandhaltungsrücklage weise das Landgericht zutreffend darauf hin, dass der Sachverständige andernfalls den Wert der Wohnung im mangelfreien Zustand höher ermittelt hätte. Würde man der Berufung folgen, würde die Rücklage doppelt berücksichtigt, nämlich einerseits wertmindernd und andererseits als Abzugsposten.
Zu einer Vereinbarung über die Tragung der Erwerbsnebenkosten durch die Beklagte sei der Vermittler, Herr K…, nicht ermächtigt gewesen. Darüber hinaus hätte die Beklagte zu 1) das Angebot der Kläger mit dem darin festgehaltenen Inhalt – Tragung der Erwerbsnebenkosten durch die Käufer – angenommen.
Der Senat hat im Termin vom 04.04.2012 die Kläger angehört, insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 562 ff) Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Das – zulässige – Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
1. Allerdings sind die von dem Senat im Termin vom 23.02.2011 (Bl. 448) angesprochenen Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage im Hinblick auf die Parteifähigkeit der Beklagten – unabhängig von der Frage einer Löschung der Beklagten – ausgeräumt. Bei einem, wie hier, Passivprozess ist selbst eine gelöschte Gesellschaft nämlich dann parteifähig, wenn der Kläger substanziiert behauptet, es sei bei der Gesellschaft noch Vermögen vorhanden (BGH NJW-RR 2011, 115, 116; NJW 79, 1592). Entsprechender Vortrag ist hier im Schriftsatz der Klägerseite im Schriftsatz vom 02.03.2011 (Bl. 452 f) erfolgt.
2. Die Klage ist indes unbegründet.
a) Den Klägern steht der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
aa) Sie können einen solchen nicht erfolgreich gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB mit der Begründung geltend machen, es fehle an einem wirksam zustandegekommenen Kaufvertrag.
aaa) Unwirksamkeit ist nicht unter dem Gesichtspunkt einer vorfristigen Annahme zu bejahen. Zwar ist in Teil A. Ziffer 2. des dem Vertrag zugrunde liegenden Angebotes vom 22.11.2001 (K 6; Bl. 68) geregelt, dass die Annahme nicht vor dem 31.12.2001 erklärt werden dürfe und ist die Annahme durch die Beklagte zu 1. bereits am 28.11.2001 erklärt worden. Hierbei hat sie jedoch vollinhaltlich auf das Angebot Bezug genommen. Angesichts dessen ist die Erklärung der Beklagten zu 1. dahin auszulegen, dass die Annahmeerklärung erst zum 31.12. 2001 Wirkung entfalten sollte. Der solchermaßen im Wege der Auslegung bestimmte Vertragsinhalt wird dann auch dem Formerfordernis des § 311b BGB gerecht (vgl. BGH DNotZ 98, 944; OLG Naumburg, Urteil vom 04. April 2000 – 11 U 241/99).
bbb) Ein Anspruch der Kläger auf Rückzahlung des Kaufpreises ergibt sich auch nicht etwa gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB unter dem Gesichtspunkt des Formmangels oder des Einigungsmangels.
(1) Allerdings geht aus den – beklagtenseits unbestritten gebliebenen – Angaben des Klägers zu 2) im Termin vom 04.04.2012 (Bl. 563) hervor, dass die Beurkundung des Ankaufangebotes der Kläger am 22.11.2006 einen schwerwiegenden Formmangel aufwies. Angesichts des nach dem Vorstehenden als unstreitig zugrunde zu legenden Sachverhaltes hat nämlich entgegen § 13 BeurkG – eine Ausnahme vom Vorleseerfordernis gemäß §§ 13a, 14 BeurkG lag ersichtlich nicht vor – der Notar seine Verpflichtung zum Vorlesen der Urkunde nicht genügt, da er diese lediglich vom Bildschirm abgelesen hat (vgl. Litzenburger in Bamberger/Roth, BeckOK BeurkG § 13, Rn.1 – m.w.N.), was, wie der Senat in Übereinstimmung mit dem OLG Frankfurt/Main (DNotZ 2000, 513) annimmt, zur Unwirksamkeit der Beurkundung führt. Der Beurkundungsmangel ist allerdings nach § 311 b Abs. 1 S. 2 BGB durch die unstreitige spätere Eintragung der Kläger geheilt.
(2) Es liegt auch – der Senat teilt insoweit nicht die Sichtweise der Kläger – kein Einigungsmangel vor.
aa) Es trifft zwar zu, dass die Erstbeklagte unter dem 28.11.2001 das notariell beurkundete Ankaufsangebot der Kläger vom 22.11.2006 uneingeschränkt angenommen hat und dass das Angebot in seinem § 6 die Regelung enthielt, die Erwerbsnebenkosten seien durch die Käufer zu tragen. Die mündliche Vereinbarung über die Tragung der Erwerbsnebenkosten durch die Verkäuferin war aber für den Fall getroffen worden war, dass die Bank nicht bereit sein werde, auch noch diese Kosten zu finanzieren. Darüber, ob dies der Fall war, bestand weder am 22. noch am 28.11.2001 bereits Klarheit. Es ergeben sich deshalb weder Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger auf diese Vereinbarung bei ihrer Angebotserklärung am 22.11.2001 keinen Wert mehr legten noch dafür, dass die Beklagte zu 1) bei ihrer Annahmeerklärung am 28.11.2001 nicht mehr bereit gewesen wäre, sich für den Fall, dass eine solche Finanzierungslücke einträte, an der vor dem 22.11.2001 getroffenen Absprache festhalten zu lassen. Die Parteien stimmten also bei Abgabe ihrer Erklärungen dahin überein, dass grundsätzlich die Regelung gemäß § 6 des Vertrages gelten sollte, für den Fall fehlender Finanzierbarkeit der Erwerbsnebenkosten durch die Bank hingegen die vor dem 22.11.2001 im Büro der Erstbeklagten in G… getroffenen Vereinbarung – wobei, vergleichbar dem Fall einer falsa demonstratio, das übereinstimmend Gewollte lediglich nicht zum Ausdruck gebracht worden ist. Einen Einigungsmangel vermag der Senat angesichts dessen nicht zu erkennen.
bb) Ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB steht der Klägern ferner nicht aufgrund der von ihnen in der Klageschrift und auch bereits mit dem vorgerichtlichen Anwaltsschreiben vom 16.12.2008 erklärten Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 BGB zu. Die Kläger begründen die Anfechtung nämlich lediglich damit, dass sie von der Beklagten zu 1. über den Wert und den Ertrag der Immobilie getäuscht worden seien. Aus dem Vortrag der Kläger lässt sich aber nichts dazu entnehmen, welche Angaben durch die Beklagte zu 1. bzw. eine andere Person, deren Erklärungen sich die Beklagte zu 1. zurechnen lassen müsste, in Bezug auf den Ertrag der Immobilie erfolgt sein sollen.
cc) Schließlich besteht ein Bereicherungsanspruch der Kläger auch nicht wegen Nichtigkeit des Kaufvertrages gemäß § 138 BGB.
Eine Nichtigkeit gemäß § 138 Abs. 2 BGB wegen Wuchers kommt nicht in Betracht. Die subjektiven Voraussetzungen des Wuchers, dass nämlich der Wucherer die beim anderen Teil bestehende Schwächesituation – Zwangslage, Unerfahrenheit, mangelndes Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche – ausgenutzt hat, sind nach dem klägerischen Sachvorbringen nicht ersichtlich.
Gegenseitige Verträge können allerdings, auch wenn der Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB nicht in allen Voraussetzungen erfüllt ist, als wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sein, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung objektiv ein auffälliges Missverhältnis besteht und mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Das ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist, weil er etwa die wirtschaftlich schwächere Position des anderen Teils bewusst ausgenutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass sich der andere nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für ihn ungünstigen Vertrag eingelassen hat (BGH NJW 2001, 1127, 1128). Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob – hiervon ist bei Grundstücksgeschäften bereits dann auszugehen, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung -, lässt dies den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu (BGH a.a.O.; NJW 2002, 429, 430). Die hieran anknüpfende Schlussfolgerung leitet sich aus dem Erfahrungssatz her, dass in der Regel außergewöhnliche Leistungen nicht ohne Not – oder nicht ohne einen anderen den Benachteiligten hemmenden Umstand – zugestanden werden und auch der Begünstigte diese Erfahrung teilt (BGH NJW 2001, 1127, 1128).
Ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ist hier nicht zu verzeichnen. Der Kaufpreis i.H.v. – umgerechnet – 65.462,41 € überstieg den Wert der Wohnung – umgerechnet 36.000,- € nur um 78,9 %.
aaa) Allerdings ist der Wert der Leistung der Verkäuferseite, entgegen der Auffassung der Beklagten, mit 36.600,00 € zu bemessen, wie durch das Landgericht unter Bezugnahme auf das Gutachten S… erfolgt. An diese tatsächlichen Feststellungen der I. Instanz ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 ZPO gebunden, da keine Zweifel an ihrer Vollständigkeit und Richtigkeit bestehen.
Die Beklagten ziehen nunmehr offenbar nicht mehr in Zweifel, dass der Sachverständige S… ausweislich S. 7, 11 und 14 seines Gutachtens vom 29.10.2008 (Bl. 123, 127, 130) die Wohnung auch besichtigt hat. Soweit die Beklagten ausführen, der Sachverständige habe die Wohnung nicht im Zeitpunkt des Erwerbs durch die Kläger besichtigt, trifft dies zwar zu. Es ist aber nicht ersichtlich, welchen Einfluss dies auf das Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen S… haben soll. Eine Wertermittlung für Grundstücke bezogen auf frühere Zeitpunkte gehört zu den regelmäßigen Aufgaben eines Grundstückssachverständigen. Soweit die Beklagten nunmehr behaupten, dass die Wohnung im Erwerbszeitpunkt in einem besseren Zustand gewesen sei, tragen sie, abgesehen davon, dass entsprechender Vortrag gemäß § 531 Abs. 2 ZPO auch nicht zulassungsfähig wäre, nichts dazu vor, was tatsächlich besser gewesen und vom Sachverständigen S… bei seiner Bewertung nicht berücksichtigt worden sein soll. Soweit bereits im selbständigen Beweisverfahren mit Schriftsatz vom 19.01.2009 Einwendungen gegen die vom Sachverständigen S… zugrunde gelegte Ausstattung erhoben worden waren, hat der Sachverständige hierzu in seinem Ergänzungsgutachten vom 10.08.2009 (Bl. 252) die von ihm vorgenommene Bewertung nachvollziehbar begründet.
Soweit die Beklagten ausführen, dass der Wert der Instandhaltungsrücklage in Abzug zu bringen sei, liegt kein Fehler des Gutachtens des Sachverständigen S… vor. Dieser hatte lediglich ein Gutachten über den Verkehrswert der von der Beklagten zu 1. an die Kläger übertragenen Immobilie zu erstellen, nicht aber die Gegenleistung der Kläger zu beurteilen.
Auch mit den weiteren von den Beklagten mit Schriftsatz vom 19.01.2009 vorgebrachten Einwendungen gegen sein Gutachten hat sich der Sachverständige S… in seinem Ergänzungsgutachten vom 10.08.2009 (Bl. 250-257) überzeugend auseinander gesetzt und in sich widerspruchsfrei die von ihm angesetzten Wertermittlungsfaktoren begründet.
Schließlich stehen auch der TÜV-Bericht sowie das Gutachten des Dr. T… den auf das Gutachten des Sachverständigen S… gestützten Feststellungen des Landgerichts betreffend den Verkehrswert der Wohnung nicht entgegen.
Das Gutachten des Dr. T… ist ohne Ansehung der streitgegenständlichen Wohnung erstellt worden. Es ist zudem lediglich für Beleihungszwecke der A…-Bank unter Beachtung bankinterner – hier nicht bekannter – Vorgaben erstellt worden (Bl. 190). Darüber hinaus wurde von Herrn Dr. T… bei der Bewertung zugrunde gelegt, dass alle Instandsetzungsmaßnahmen abgeschlossen sind (Bl. 192). Dies entspricht aber weder dem Zustand zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses, noch sind die für die Instandsetzung erforderlichen Geldmittel von der Beklagten zu 1. aufgebracht worden. Maßgeblich für die Beurteilung des Wertes der Leistung der Beklagten zu 1. ist daher lediglich – so wie vom Sachverständigen S… angenommen – der Wert der Wohnung unter Berücksichtigung eines bestehenden Instandhaltungsrückstaus.
Ferner ist das Gutachten des Dr. T… insoweit widersprüchlich, als er einerseits selbst ausführt, dass der Mietspiegel die allgemeine Lage der Straßenzüge K…straße/L…straße/ …straße mit „einfach“ bewertet und dass der konkreten Lage des K…parks eine Tendenz zu „mittel“ zugeordnet werde, er andererseits ohne nähere Begründung zur Annahme eines Quadratmeterpreises von 1.525,00 € gelangt, der nahezu die obere Grenze der Preise für einfache Wohnlagen erreicht und sogar mehr als 20 % über dem Mittelwert für mittlere Wohnlagen liegt (Bl. 193/194).
Soweit im Gutachten des Dr. T… für die streitgegenständliche Wohnung ein konkreter Wert von 70.374,00 € ausgewiesen ist, basiert dieser nicht auf einer spezifischen Bewertung des streitgegenständlichen Objekts; vielmehr wurde dieser Wert auf der Grundlage eines allgemein von Herrn Dr. T… bestimmten Bewertungsrasters ermittelt.
Wie das Gutachten des Dr. T… ist auch der TÜV-Bericht ohne Ansehung der streitgegenständlichen Wohnung erstellt worden. Zudem legt der Bericht ohne Auseinandersetzung mit der anderweitigen Einordnung der Wohnlage im Mietspiegel eine mittlere Wohnlage zugrunde.Ferner stellt der Bericht nicht auf den für die Bewertung maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs, sondern auf die Wohnmarktlage im Jahr 2000 ab (Bl. 213). Außerdem werden ausweislich S. 10 des TÜV-Berichtes (Bl. 214) die Instandsetzungsarbeiten in die Bewertung eingepreist. Insoweit wird auf die diesbezüglichen Ausführungen zum Gutachten Dr. T… Bezug genommen. Insgesamt enthalten die kursorischen Aussagen des TÜV-Berichtes keine den Vorgaben der Wertermittlungsverordnung vom 06.12.1988 entsprechende Bewertungen.
bbb) (1) Bei der Bestimmung des Wertes der Leistung der Kläger ist, entgegen der Auffassung des Landgerichts, der Betrag der Instandhaltungskostenrücklage in Höhe von 5.413,91 € (10.588,69 DM) abzuziehen. Insoweit haben die Vertragsparteien den Notar gemäß § 2 Nr. 3 des Vertrages (Bl. 73) angewiesen, diesen Betrag an den Verwalter auszuzahlen, der ihn zweckgebunden für die beschlossenen Instandsetzungsmaßnahmen verwenden sollte. Mithin ist der insoweit geleistete Kaufpreisteil nicht der Beklagten zu 1. zugute gekommen, sondern diente der Absicherung der Einzahlung der Instandhaltungsrücklage. Die mit deren Hilfe durchgeführten Instandsetzungsmaßnahmen kamen aber letztlich den Klägern als Wohnungseigentümern zugute. Angesichts dessen ist bei Beurteilung der von den Klägern an die Beklagte zu 1. erbrachten Leistung der vorgenannte Betrag in Abzug zu bringen. Ob und wieweit der vertraglich vorgesehene Betrag in der Folgezeit auch tatsächlich als Instandhaltungsrücklage verwandt worden ist, was die Kläger im Berufungsrechtszug in Abrede gestellt haben (Schriftsatz vom 11.03.2012, Bl. 547 ff, Bl. 548), ist unbeachtlich, da es für die Bemessung des Wertes der beiderseitigen Leistungen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt.
(2) (a) Die Erwerbsnebenkosten sind bei der Betrachtung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung nicht schon vor dem Hintergrund außer Acht zu lassen, dass es sich um Nebenkosten handelt. Vielmehr sind diese Kosten typischerweise vom Käufer zu tragen. Werden sie gleichwohl vom Verkäufer übernommen, sind sie, da sich hierdurch die insgesamt vom Käufer aufzubringenden Kosten reduzieren, bei der Ermittlung des auf das Objekt entfallenden Kaufpreises abzuziehen (vgl. auch BGH WM 00, 1245, 1247; OLG Hamm vom 22.03.2007 – 22 U 183/04). Für die rechtliche Beurteilung kann es keinen Unterschied machen, ob der Kaufpreis um den Betrag der eigentlich vom Käufer aufzubringenden Erwerbsnebenkosten höher ausfällt, diese aber vom Verkäufer übernommen werden oder ob der Kaufpreis geringer angesetzt wird, dann jedoch die Erwerbsnebenkosten vom Käufer getragen werden. Der den Käufer insgesamt treffende Kostenaufwand ist in beiden Fällen der gleiche – niedrigere -.
(b) Zwischen den Parteien ist nach der Anhörung der Kläger im Termin vom 04.04.2012 unstreitig geworden, dass der Vermittler K… mit den Klägern als Kaufinteressenten bei deren Besuch im Büro der Beklagten in G…, d.h. vor dem Termin zur notariellen Beurkundung ihres Kaufangebotes am 22.11.2001 zugesichert hat, dass die Erwerbsnebenkosten von der Verkäuferin getragen würden. Diese Erklärung band die Beklagte zu 1). Ohne Erfolg beruft sich die Klägerseite im Schriftsatz vom 16.04.2012 (Bl. 570 ff, Bl. 571) darauf, der Zeuge K… sei – dies ist im Übrigen zwischen den Parteien unstreitig – nicht Mitarbeiter der Beklagten zu 1) gewesen, sondern vielmehr ein solcher der Firma C…. Die Beklagten haben nämlich bereits mit Schriftsatz vom 16.03.2011 (Bl. 458) vortragen lassen, diese Abrede sei von dem jeweiligen Vertriebsmitarbeiter im Auftrag der Beklagten zu 1) getroffen worden. Der Hinweis der Klägerseite auf den Schriftsatz der Beklagtenseite vom 02.03.2012 (Bl. 546) ist in diesem Zusammenhang unbehelflich. Zwar ist von der „damals von Herrn P… vertretenen Berufungsbeklagten“ die Rede. Dies bezog sich aber ersichtlich auf die damalige Geschäftsführerstellung von Herrn P… und steht nicht in Widerspruch zu dem angeführten Vorbringen, der Vertriebsmitarbeiter K… sei von der Erstbeklagten bevollmächtigt worden, für sie die Absprache hinsichtlich der Tragung der Erwerbsnebenkosten durch die Verkäuferseite zu treffen.
Nach alledem steht dem Wert der Leistung der Beklagtenseite (36.000,- €) ein solcher der Klägerseite von 65.462,41 € (75.136,54 abzüglich der Instandhaltungsrücklage von 5.413,91 € sowie der Erwerbsnebenkosten i.H.v. 4.260,22 €) gegenüber, was eine Überteuerung von 78,9 % ausmacht, angesichts derer ein besonders grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung zu verneinen ist.
Liegt hiernach kein besonders grobes, sondern lediglich ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, kann eine verwerfliche Gesinnung nur bei Vorliegen weiterer besonderer Umstände angenommen werden (BGH NJW 01, 1127, 1128), für die hier indes nichts ersichtlich ist. Sie ergeben sich insbesondere auch nicht aus der durch die Kläger behaupteten und beklagtenseits bestrittenen Unerfahrenheit der Käufer im Erwerb von Grundstücken. Es ist vielmehr die eigene Angelegenheit eines Grundstückserwerbers, sich einen Überblick über die Marktgängigkeit des vom Verkäufer begehrten Preises zu verschaffen (BGHZ 123, 126, 129).
dd) Unabhängig von der Frage, ob, wie von dem Landgericht im hier vorliegenden Fall des Erwerbs einer Eigentumswohnung angenommen, die Grundsätze über die Prospekthaftung überhaupt anwendbar sind, scheitert eine entsprechende Haftung bereits daran, dass der Prospekt auf seiner S. 46 (Bl. 61) zutreffend über die Laufzeit des Mietpools informiert. Soweit die Kläger rügen, aus dem Prospekt sei die „krasse Überteuerung“ der Wohnung nicht ersichtlich geworden, ist auf die bereits angesprochene Eigenverantwortlichkeit von Immobilienerwerbsinteressenten im Hinblick auf den Wert des Objektes hinzuweisen.
b) Nach dem oben Ausgeführten besteht auch kein Anspruch der Kläger auf entgangenen Gewinn. Sie können ebenfalls keine Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für weiter gehende Schäden sowie Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten beanspruchen.
Da eine Haftung der Erstbeklagten nicht begründet ist, besteht auch keine Haftung der Zweitbeklagten gemäß § 161 Abs. 1 HGB in ihrer Eigenschaft als Komplementärin
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 344 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung aufweist noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO).
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Wertstufe bis 80.000,- € festgesetzt:

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