Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 13. Juni 2017 Nutzungsvereinbarung zwischen einer Gemeinde und einem Verein: Auslegung einer Vertragsklausel hinsichtlich der Verpflichtung des Vereins zur Aufnahme von Schülern der Gemeinde in die Grundschule

Oktober 31, 2019

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 13. Juni 2017
Nutzungsvereinbarung zwischen einer Gemeinde und einem Verein: Auslegung einer Vertragsklausel hinsichtlich der Verpflichtung des Vereins zur Aufnahme von Schülern der Gemeinde in die Grundschule
1. Die Formulierung „Unabhängig von der Konfession sind auf Antrag … die Kinder der Gemeinde R … aufzunehmen“, lässt eine Auslegung, die zu dem Ergebnis kommt, es solle nur geregelt werden, dass bei der Auswahl der R… Kinder die Konfession keine Rolle spielen dürfe, ebenso zu wie die Auslegung, dass alle R… Kinder aufgenommen werden müssen.
2. Die Feststellung der für die Auslegung maßgeblichen Umstände, die der Auslegung vorangehen muss, kann nur unter Berücksichtigung der für die Behauptungs- und Beweislast maßgeblichen Grundsätze folgen.
3. Die Partei, die ein ihr günstiges Auslegungsergebnis auf Umstände außerhalb der Urkunde stützt, hat diese zu beweisen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 05. Februar 1999, V ZR 353/97, NJW 1999, 1702).
4. Der Wortlaut der Vertragsklausel spricht für eine Verpflichtung des beklagten Vereins, alle R… Kinder unabhängig von seinen sonstigen Auswahlkriterien aufzunehmen. Schon aufgrund der Regelungen des Brandenburgischen Schulgesetzes darf der Beklagte, dessen Schule eine Anerkannte Ersatzschule nach § 123 BbgSchulG ist, keinem Kind nur wegen der Konfession den Zugang zu einer Schule verwehren.
vorgehend LG Frankfurt (Oder), 2. Juni 2016, 72 O 34/15, Urteil

Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 02.06.2016 (Az.: 72 O 34/15) abgeändert und festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, unabhängig von der Konfession auf Antrag der Eltern – Kinder der Gemeinde R… in die evangelische Grundschule R… bis zur Kapazitätsgrenze des jeweiligen Schuljahres aufzunehmen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren wird auf 8.400,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin, die Gemeinde R…, ist Eigentümerin eines mit einem Schulgebäude bebauten Grundstückes, in dem ehemals eine staatliche Grundschule betrieben wurde. Mit Nutzungsvereinbarung vom 27.07./28.07.2007, geändert mit Vereinbarung vom 16.07.2009, überließ die Klägerin das Grundstück dem Beklagten zum (verpflichtenden) Betrieb einer privaten Grundschule. Die Überlassung sollte nach § 4 der genannten Vereinbarung bis zum Schuljahr 2012/2013 kostenlos erfolgen. Danach sollte über ein Nutzungsentgelt erneut verhandelt werden. Am 21.02.2014/27.01.2014 kam es zum Abschluss eines 1. Nachtrages zur Nutzungsvereinbarung vom 16.07.2009.
In dieser wurde § 3 der Vereinbarung („Nutzungszweck“) um folgenden Absatz 6 ergänzt:
„Unabhängig von der Konfession sind auf Antrag der Eltern die Kinder der Gemeinde R… in die evangelische Grundschule R… aufzunehmen“.
Im Rahmen einer zweiten Nachtragsvereinbarung vom 26.11./01.12.2014 wurde diese Klausel bestätigt.
Über den Inhalt bzw. die Auslegung dieser Vereinbarung besteht zwischen den Parteien Streit.
Die Klägerin hat erstinstanzlich zu den Umständen des Vertragsschlusses und der Nachtragsvereinbarung Folgendes vorgetragen:
Hintergrund der zunächst kostenfreien Überlassung der Gebäudes an den Beklagten sei gewesen, dass die Gemeinde R…, für ihre Kinder auch nachdem der staatliche Schulbetrieb eingestellt worden sei, Kindern eine ortsnahe Unterrichtung in einer Grundschule habe sicherstellen wollen. Die Gegenleistung für das finanzielle Entgegenkommen seitens der Gemeinde sei eben die Verpflichtung des Beklagten gewesen, vorrangig R… Schüler aufzunehmen. Vor diesem Hintergrund sei die zitierte Regelung in die Nachtragsvereinbarung aufgenommen worden. Diese habe sicherstellen sollen, dass die Kinder der Gemeinde R… einen verbindlichen Anspruch auf Aufnahme in die Schule bekommen sollten.
Vor Abschluss der ursprünglichen Vereinbarung sei immer betont worden, dass die R… Kinder den „Grundstock“ für den Betrieb der Grundschule darstellen sollten. Im Rahmen des Abschlusses der Nachtragsvereinbarung Anfang des Jahres 2014 hätten die Vertreter der Klägerin darauf Wert gelegt, dass ausdrücklich eine Formulierung in den Vertrag habe aufgenommen werden sollen, durch die sichergestellt werde, dass R… Kinder „auf Antrag“ in die Schule aufgenommen würden. Der Vertreter des Beklagten, Herr W…, habe damit keine Probleme gehabt. Erst im Rahmen der zweiten Nachtragsvereinbarung hätten sich Probleme ergeben, da die neue Vertreterin des Beklagten die Nachtragsvereinbarung mit der Regelung des § 3 Absatz 6 nicht mehr habe unterschreiben wollen. Es hätten dann nochmals Gespräche in der Gemeindevertretung stattgefunden und eine letzte Besprechung im Versammlungsraum des Amtes S…. Dort sei nochmals klargestellt worden, dass die Klägerin der Nachtragsvereinbarung nur dann zustimmen werde, wenn durch die genannte Klausel sichergestellt werde, dass alle R… Kinder einen Aufnahmeanspruch in die Schule hätten. Der beklagte Verein habe dem letztlich zugestimmt und die Nutzungsvereinbarung unterzeichnet.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, unabhängig von der Konfession auf Antrag der Eltern, Kinder der Gemeinde R… in die evangelische Grundschule R… bis zur Kapazitätsgrenze des jeweiligen Schuljahres aufzunehmen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat vorgetragen:
Vor dem 1. Nachtrag habe am 16.01.2014 ein Gespräch mit Herrn Sch…, dem Amtsdirektor und Herrn B… (Bürgermeister) stattgefunden. Hierbei habe die Aufnahme von Schülern keine Rolle gespielt. Der damals neu eingefügte und heute umstrittene Satz sei nicht thematisiert worden, weil für den Beklagten durch die staatliche Anerkennung eine Pflicht zur konfessionsunabhängigen Aufnahme bestehe. Er sei deshalb als unkritisch angesehen worden.
Vor dem zweiten Nachtrag habe am 14.08.2014 ein Gespräch bei dem beklagten Verein mit Herrn Sch… und Herrn B… stattgefunden. Hierbei sei die Schüleraufnahme kein Thema gewesen, da bisher alle Schüler aufgenommen worden seien. Am 28.08.2014 habe um 10.00 eine Gemeindevertretungsversammlung in R… stattgefunden. Hierbei sei es um das Problem der Trockenlegung des Gebäudes gegangen. Es sei aber keine Unterschrift erfolgt. Im September/Oktober 2014 sei dann ein Anruf von Herrn Sch… erfolgt, in dem er um die Unterschrift gebeten habe. Auch hier sei es nur um bauliche Maßnahmen gegangen. Die Schüleraufnahme sei wiederum kein Thema gewesen. Danach sei die Unterschrift erfolgt. Weitere Treffen habe es nicht gegeben. Alle diese Gespräche hätten Frau K… und Frau H… gemeinsam wahrgenommen. Ergänzend hierzu hat der Beklagte nach der mündlichen Verhandlung in einem nachgelassenen Schriftsatz vorgetragen, vor Abschluss des 2. Nachtrages habe der Beklagte, vertreten durch Frau K…, den streitgegenständlichen Satz als überflüssig bezeichnet, da die Aufnahme unabhängig von der Konfession für eine Ersatzschule Pflicht sei. Die Gemeinde habe eine Änderung aber nicht gewollt, da der Entwurf nochmals an die Gemeindevertretersitzung hätte zurückgewiesen werden müssen. Zur Unterschrift sei es zunächst nicht gekommen, da keine Einigung zu den baulichen Zuständigkeiten habe erzielt werden können. Eine mündliche Zusage mit dem Inhalt, dass alle R… Kinder ohne weiteres Aufnahmeverfahren in die Schule aufgenommen würden, sei zu keinem Zeitpunkt gemacht worden.
Das Landgericht hat nach Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugen die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, die von der Klägerin postulierte Pflicht, alle angemeldeten R… Kinder aufzunehmen, finde in § 3 Abs. 6 des Vertrages keine Stütze. Der Wortlaut enthalte keine Aussage dazu, dass der Beklagte keine Auswahlentscheidung treffen dürfe, sondern nenne mit der Konfessionsfrage, mit der der Passus beginne, genau ein Auswahlkriterium, das allein einer Regelung habe zugeführt werden sollen. Wäre die Auffassung der Klägerin richtig, so hätte vom Wortlaut her eine Regelung wie „Unabhängig von weiteren Auswahlkriterien…“ nahegelegen. Im Rückschluss lasse sich der Regelung entnehmen, dass Parteien eine generelle Befugnis des Beklagten, eine Auswahlentscheidung zu treffen, vorausgesetzt haben müssen. Denn nur wenn die Beklagte eine Auswahlentscheidung treffen könne und dürfe, könne sich ein Klärungsbedarf dahingehend ergeben, dass für diese Entscheidung die Konfessionsfrage nicht maßgeblich sein solle.
Dass die Parteien etwas anderes gemeint hätten, lasse sich auch im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht annehmen. Der Zeuge B… habe nicht bekunden können, dass vor der erstmaligen Aufnahme des Passus in das Vertragsverhältnis zwischen den auf beiden Seiten beteiligten Gesprächspartnern andere Aufnahmekriterien als die Konfession auch nur thematisiert worden seien. Auch die Zeugin Dr. A… habe nicht angeben können, dass die Vertreter des Beklagten vor Abfassung der Nachträge eingewilligt hätten, zugunsten der R… Kinder auf jegliche weitere Auswahlkriterien zu verzichten. Der Aussage habe sich nur entnehmen lassen, dass der Klägerin eine Bevorzugung der R… Kinder wichtig gewesen sei und ein Verzicht des Beklagten auf eine Entscheidung nach der Konfession. Dies sei genau das, was der Wortlaut des Passus hergebe. Der Zeuge C… habe die Behauptung der Klägerin ebenfalls nicht zu bestätigen vermocht.
Auf die von der Klägerin gewünschte Auslegung könne auch nicht deshalb geschlossen werden, weil die Aufnahme einer derartigen Regelung in das Vertragswerk ansonsten keinen Sinn gehabt hätte angesichts der Eigenerklärung des Beklagten, er ziehe die Konfessionszugehörigkeit für Auswahlentscheidungen nicht heran. Dem stehe entgegen, dass sowohl aus dem schriftsätzlichen Vortrag der Klägerin als auch aus den Bekundungen der Zeugen – sämtlich Mitarbeiter der Gemeindevertretung – deutlich geworden sei, dass die Gemeinderatsmitglieder dem Beklagten schlicht nicht glaubten.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie einwendet, die Auslegung der Vertragsklausel durch das Landgericht widerspreche sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Bereits durch die Formulierung „… sind auf Antrag der Eltern die Kinder der Gemeinde R… … aufzunehmen“ sei jedes Auswahlermessen des Beklagten ausgeschlossen. Die Klägerin habe auch durch die gehörten Zeugen bewiesen, dass es ihr bei Abschluss dieser Vereinbarung von Anfang an darauf angekommen sei, den Kindern der Gemeinde R… eine Beschulung in der Gemeinde zu ermöglichen. Aus diesem Grunde habe sie das Schulgebäude dem Beklagten zunächst kostenfrei und sodann zu einem geringen Mietzins überlassen. Die Regelung sein auch nur sinnvoll, wenn man sie in dem von der Klägerin dargelegten Sinn verstehe.
Die Klägerin beantragt,
in Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 02.06.2016 (Az.: 72 O 34/15) festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, unabhängig von der Konfession auf Antrag der Eltern Kinder der Gemeinde R… in die evangelische Grundschule R… bis zur Kapazitätsgrenze des jeweiligen Schuljahres aufzunehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
In der Berufungsinstanz hat der Beklagte nach gerichtlichem Hinweis seinen erstinstanzlichen Vortrag unter Zeugenbeweis gestellt. Ferner hat er zuletzt unter Beweisantritt vorgetragen, im ersten Nachtrag vom Februar 2014 habe der vom Amt S… erstellte Vertrag die Formulierung über die Aufnahme der R… Kinder enthalten. Auf mündliche Nachfrage sei von R… Seite mitgeteilt worden, man wolle nicht, dass allein konfessionell gebundene Kinder aufgenommen würden und alle anderen Bewerbungen nicht berücksichtigt würden. Die Zugehörigkeit zu einer Kirche solle kein Maßstab sein. Dass grundsätzlich alle Kinder aus R… und vorrangig vor allen anderen aufzunehmen seien, sei nicht besprochen worden. Im zweiten Nachtrag sei die Formulierung dann wieder enthalten gewesen. Bei der Besprechung des durch die Amtsverwaltung vorbereiteten Vertragsentwurfes sei dieser Satz von den Vertreterinnen des Beklagten, Frau H… und Frau K… nochmals als überflüssig und nicht notwendig bezeichnet worden und um Streichung gebeten worden. Die Vertreter der Gemeindevertretung hätten gebeten, davon abzusehen, um den vorbereiteten Vertrag nicht nochmals zurück zur Amtsverwaltung schicken zu müssen. Von einer generellen Aufnahme aller R… Kinder sei nicht gesprochen worden.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen T…, W…, D…, Dr. A…, B… und C…. Ferner hat er den Amtsdirektor des Amtes S… und die Mitglieder des Vorstandes des Beklagten, Frau H… und Frau K…, persönlich nach § 141 Abs. 1 ZPO angehört.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der Anhörungen wird auf die Sitzungsprotokolle vom 07.03.2017 (Blatt 195 der Akte) und vom 15.05.2017 (Blatt 220 der Akte) Bezug genommen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin hat Erfolg.
Die nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässige Feststellungklage der Klägerin ist begründet. Der Senat kommt nach Auslegung der streitgegenständlichen Klausel unter Berücksichtigung der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, dass die Klausel in § 3 Abs. 6 des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages die Verpflichtung enthält, dass der beklagte Verein sämtliche R… Kinder vorrangig in die von ihm betriebene Schule aufnehmen muss.
1.
Voraussetzung der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB ist zunächst, dass die Klausel überhaupt auslegungsbedürftig ist. Hat eine Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt, ist für eine Auslegung kein Raum. Dies ist hier nicht der Fall. Die Klausel lässt nach ihrem Wortlaut mehrere Interpretationen zu und ist nicht eindeutig. Die Formulierung „Unabhängig von der Konfession sind auf Antrag …. die Kinder der Gemeinde R… … aufzunehmen“ lässt – je nachdem worauf der Schwerpunkt zu legen ist – eine Auslegung, die zu dem Ergebnis kommt, es solle nur geregelt werden, dass bei der Auswahl der R… Kinder die Konfession keine Rolle spielen dürfe, ebenso zu wie die Auslegung, dass alle R… Kinder aufgenommen werden müssen. Demgemäß folgt der Senat der Auffassung des Landgerichts, die Auslegung der Klägerin, finde in § 3 Abs. 6 des Vertrages keine Stütze, nicht. Diese Auslegung ist nach dem Wortlaut der Vereinbarung möglich.
2.
Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen bildet der von den Parteien gewählte Wortlaut einer Vereinbarung und der diesem zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille den Ausgangspunkt einer nach §§ 133, 157 BGB vorzunehmenden Auslegung (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 15. Oktober 2014 – XII ZR 111/12, Rn. 48 vom 21. Oktober 2014 – XI ZR 210/13, NJW-RR 2015, 243 Rn. 15 vom 11. November 2014 – VIII ZR 302/13, NJW 2015, 409 Rn. 11). Weiter sind nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen insbesondere der mit der Vereinbarung verfolgte Zweck und die Interessenlage der Parteien zu beachten, ferner die sonstigen Begleitumstände, die den Sinngehalt der gewechselten Erklärungen erhellen können (BGH, Urteile vom 11. Oktober 2012 – IX ZR 30/10, WM 2012, 2144 Rn. 11 mwN; vom 13. November 2014 – IX ZR 277/13, WM 2015, 186 Rn. 8).
Voraussetzung der Auslegung ist dementsprechend auch die Feststellung des Erklärungstatbestandes, d.h. die zur Ermittlung der für die Auslegung relevanten Tatsachen. Diese muss der Auslegung vorangehen. Erst wenn sie vollständig festgestellt worden ist, darf die Auslegung vorgenommen werden (Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl., § 133, Rn 29).
Hierbei gilt, dass die Auslegung eines Vertrages zwar unabhängig von den Vorschriften über die Behauptungslast und Beweislast vorzunehmen ist. Die Feststellung der für die Auslegung maßgeblichen Umstände hingegen kann nur unter Berücksichtigung der für die Behauptungslast und Beweislast maßgeblichen Grundsätze erfolgen. Der Tatsachenrichter ist nicht gehalten und nicht in der Lage, derartige für die Auslegung wesentliche Umstände vom Amts wegen zu ermitteln und festzustellen. Zu den für die Auslegung relevanten Tatsachen ist also – bei entsprechend substantiiertem Vortrag der Parteien – Beweis zu erheben. Zur Beweislast gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, dass die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der über ein Rechtsgeschäft aufgenommenen Urkunde bei der Auslegung des Vereinbarten dahin auswirkt, dass die Partei, die ein ihr günstiges Auslegungsergebnis auf Umstände außerhalb der Urkunde stützt, diese zu beweisen hat (BGH NJW 1999,1702; NJW 2002, 3164).
5.
Das Landgericht hat – davon ausgehend, dass der Wortlaut gegen die Auslegung der Klägerin spricht – über die von der Klägerin behaupteten Begleitumstände und die Willensrichtung der Parteien, die zu einem anderen Auslegungsergebnis führen könnten, Beweis erhoben, den Beweis aber für nicht erbracht gehalten, so dass sich am Auslegungsergebnis nichts änderte.
Dem folgt der Senat nicht. Ausgehend von den oben genannten Grundsätzen kommt der Senat zu folgendem Ergebnis:
a)
Der Wortlaut der Vertragsklausel spricht dafür, dass der Beklagte verpflichtet werden sollte, alle R… Kinder unabhängig von seinen sonstigen Auswahlkriterien aufzunehmen. Schon die Formulierung, „sind auf Antrag der Eltern die Kinder der Gemeinde R… … aufzunehmen“, spricht dafür, dass eine Verpflichtung begründet werden sollte. „Sind … aufzunehmen“ bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch das Gleiche wie „hat aufzunehmen“ oder „müssen aufgenommen werden“. Mit der Wahl dieser Formulierung ist die Intention erkennbar, sicherzustellen, dass R… Kinder, sofern es die Eltern wollen („auf Antrag“), einen Schulplatz erhalten.
b)
Gegen die Annahme, dass allein geklärt werden solle, dass R… Kinder nicht wegen ihrer (fehlenden) Konfession abgewiesen werden dürfen, spricht auch, dass der Beklagte schon aufgrund der Regelungen des Brandenburgischen Schulgesetzes keinem Kind (ob aus R… oder nicht) nur wegen der Konfession den Zugang zu seiner Schule verwehren darf. Die Schule des Beklagten ist eine Anerkannte Ersatzschule nach § 123 BBSchulG. Infolgedessen gilt für sie § 3 Abs. 1 des BBSchulG, nach dem gleicher Zugang zur Schule, unabhängig von der Religionszugehörigkeit zu gewähren ist. Dementsprechend hat der Beklagte ja auch selbst stets betont, dass auch bereits bevor die streitige Reglung getroffen wurde, kein Kind allein wegen der Konfession abgelehnt worden ist und dies auch gar nicht zulässig gewesen wäre. Dass es unter diesen Umständen dem übereinstimmenden Willen der Beteiligten entsprochen haben soll, eine überflüssige Regelung in den Vertrag aufzunehmen, ist nicht plausibel.
c)
Soweit das Landgericht hierzu ausführt, die Regelung sei trotzdem sinnvoll, da die Gemeinderatsmitglieder dem Beklagten schlicht nicht geglaubt hätten, dass er die Religionszugehörigkeit für die Auswahlentscheidung nicht heranziehen würde, so gibt für diese Annahme weder der schriftsätzliche Vortrag des Beklagten noch die vom Landgericht hierfür herangezogene Aussage der Zeugin Dr. A… etwa her. Aus dieser Aussage ergibt sich nur, dass die Gemeinde nicht wollte, dass R… Kinder abgelehnt werden, weil evangelische Kinder (aus anderen Gemeinden) bevorzugt werden. Daraus lässt sich aber nicht schließen, dass sie eine Regelung treffen wollte, die quasi nur die gesetzliche Vorgabe wiederholt.
d)
Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass die Parteien – hiervon abweichend – übereinstimmend davon ausgegangen sind, dass mit der streitgegenständlichen Klausel nur geregelt werden sollte, dass R… Kinder nicht wegen ihrer (fehlenden) Religionszugehörigkeit abgelehnt werden dürften.
Die vom Beklagten zur Stützung seiner Auslegung angebotenen Zeugen und die Mitglieder des Vorstandes des Beklagten selbst konnten nicht bestätigen, dass zwischen den Parteien eine entsprechende Übereinstimmung bestand. Beide Vorstandsmitglieder des Beklagten haben übereinstimmend ausgeführt, dass im Vorfeld der Vertragsänderung im Februar 2014 über den neu aufgenommenen streitgegenständlichen Passus inhaltlich gar nicht gesprochen worden sei. Frau H… hat dargelegt, dieser Satz habe so im Entwurf gestanden, sie habe aber kein Problem darin gesehen, da sie die R… Kinder sowieso unabhängig von der Konfession aufgenommen hätten, worauf sie auch in Gesprächen mit dem Bürgermeister hingewiesen habe. Frau K… hat ausgeführt, dass dieser Passus für sie unproblematisch gewesen sei, was sie auch zum Ausdruck gebracht habe. Es sei weder von der Gemeinde noch vom Amt darauf hingewiesen worden, dass es ihnen darum gehe, dass jedes R… Kind aufgenommen werde. Der Zeuge W…, hat ebenfalls erklärt, dass über den streitigen Passus nicht gesprochen worden sei und er auch keinen Klärungsbedarf gesehen habe. Er habe den Satz so verstanden, dass es nur um die Konfession gegangen sei und er sowieso den Aufnahmekriterien entsprochen habe, nach der die Konfession keine Rolle spiele. Dass über den Passus nicht gesprochen wurde, hat auch der Zeuge T…, der zum entsprechenden Zeitpunkt Mitglied des Vorstandes des Beklagten war und an den Verhandlungen beteiligt war, bestätigt.
Bereits aus diesen Aussagen der für den Beklagten an den Verhandlungen über den Vertrag beteiligten Personen ergibt sich, dass die Parteien im Vorfeld des Vertragsabschlusses nicht über diese Klausel verhandelt haben und eine Übereinkunft über deren Inhalt im Sinne der Auslegung des Beklagten gerade nicht getroffen wurde.
e)
Darüber hinaus sprechen auch die weiteren, sich aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme ergebenden Begleitumstände und der Sinn und Zweck dafür, dass die Regelung eine Verpflichtung des Beklagten zur Aufnahme aller R… Kinder enthält.
Dass die Klägerin selbst mit dem Passus die Aufnahme der R… Schüler in die Schule sichern und der Beklagte zur Aufnahme verpflichtet werden sollte, haben die Zeugen Dr. A… und B… sowie der Amtsdirektor Sch… in ihrer Anhörung bestätigt. Dass die Klägerin, die die Klausel in den Entwurf des Vertrages eingefügt hatte, dies bezweckte und die Klausel eine Verpflichtung des Beklagten zur Aufnahme der R… Kinder enthielt, war für den Beklagten auch erkennbar, selbst, wenn nicht explizit darüber gesprochen wurde. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass – dies haben sämtliche Zeugen bestätigt und war allen Beteiligten bekannt – in dem Schuljahr, bevor es zur Vertragsänderung kam, mehrere R… Schüler zunächst nicht aufgenommen werden konnten, was nur durch die Einführung der Zweizügigkeit für dieses Schuljahr abgewendet werden konnte. Angesichts dessen wusste der beklagte Verein, dass es zu Problemen bei der Aufnahme R… Schüler gekommen war und die Gemeinde ein Interesse an einer dauerhaften Regelung hatte. Dies hat auch der Zeuge T… in seiner Vernehmung bestätigt indem er ausgeführt hat, ihm sei das grundsätzliche Interesse der Gemeinde an der Aufnahme R… Kinder durchaus bewusst gewesen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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