Gericht: VG Kassel 3. Kammer Aktenzeichen: 3 L 348/20.KS

April 26, 2020

Gericht: VG Kassel 3. Kammer
Aktenzeichen: 3 L 348/20.KS

§ 58 Abs. 1 HGO begründet nicht das Recht eines Gemeindevertreters, neben der Einladung und der Tagesordnung sämtliche für die Sitzung relevante Unterlagen in schriftlicher Form zu erhalten.

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist Stadtverordneter der Stadtverordnetenversammlung der A-Stadt. Er begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, ihm sämtliche Einladungen, Tagesordnungen und die üblichen ergänzenden Unterlagen für die Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung in Papierform zuzusenden.

Zur Begründung seines am 26.02.2020 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Antrags hat der Antragsteller vorgetragen, Magistrat oder Verwaltung der A-Stadt hätten offensichtlich gegen Ende des Jahres 2018 entschieden, das sogenannte „Ratsinformationssystem“ nebst einem von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Tablet-Endgerät einzuführen. Im bisherigen fast zwei Jahrzehnte üblichen Geschäftsablauf sei die Übersendung der Sitzungsunterlagen in der Regel 15 Kalendertage vor dem Sitzungstag auf postalischem Wege erfolgt. Am 16.01.2019 sei eine erste Information der Stadtverordneten erfolgt und diese hätten Tablet-Computer gegen Übergabebestätigung ausgehändigt bekommen. Dabei habe es sich seiner Auffassung nach um den Beginn einer Probephase gehandelt, um die Praxistauglichkeit sowohl der Software als auch der Hardware für die Kommunikation und den Versand der Sitzungsunterlagen zwischen den Stadtverordneten und dem Magistrat bzw. der Verwaltung zu testen. Auch sei der übliche Postversand der Sitzungsunterlagen in Papierform in gleicher Weise parallel zum elektronischen Verfahren weitergelaufen. Er habe sehr schnell festgestellt, dass das neue Verfahren sowohl von der Hardware als auch der Software für das Aufgabengebiet und auch für seine persönlichen Ansprüche eher ungeeignet sei. Das Computerprogramm sei störungsanfällig, die Bedienung sehr kompliziert und auf dem kleinen Display habe er aufgrund einer Sehschädigung Schwierigkeiten mit der Lesbarkeit der Dokumente. Bebauungspläne und größere Vorlagen (DIN A3) seien gar nicht zu betrachten. Daher habe er mit Schreiben vom 01.04.2019 seine persönliche Einverständniserklärung zur Nutzung des Ratsinformationssystems zurückgezogen, obschon er sich nicht erinnern könne, überhaupt eine solche Erklärung abgegeben zu haben. Er habe gleichzeitig die weitere Zustellung der Unterlagen auf dem Postweg beantragt, auf sein Schreiben jedoch keine Antwort erhalten. Mit Schreiben vom 22.11.2019 habe er an seinen Antrag erinnert, jedoch bis heute keine Antwort erhalten. Um seine Tätigkeit als Stadtverordneter weiter ausüben zu können, habe er die Sitzungsunterlagen auf seinem privaten Rechner heruntergeladen und auf eigene Kosten ausgedruckt. Insgesamt beliefen sich die Kosten hierfür auf ca. 200-250 € jährlich. Seiner Auffassung nach entspreche dieses Vorgehen nicht § 58 HGO und sei mit dem Wortlaut von § 9 Abs. 3 der Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung und der Ausschüsse der A-Stadt (im Folgenden: Geschäftsordnung) nicht zu vereinbaren. Die einschlägige Rechtsprechung des hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss vom sechsten 20.08.1986 – 2 TG 798/86 -, juris) sei nach 34 Jahren überholt. Wenn zum damaligen Zeitpunkt Antragsunterlagen wenige Seiten umfasst hätten, so könnten heute allein Unterlagen für einen Bebauungsplan mehr als 100 Seiten umfassen. Dies alles nach dem Mündlichkeitsprinzip abhandeln zu wollen, sei unmöglich.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab sofort alle Einladungen, Tagesordnungen und die üblichen ergänzenden Unterlagen für die Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der A-Stadt in Papierform 15 Tage vor dem Tagungszeitpunkt zuzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, ein Anordnungsgrund sei nicht erkennbar. Eine Regelung sei nicht nötig, um wesentliche Nachteile abzuwenden, da der Antragsteller die Einladungen zu den Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung sowohl schriftlich per Post wie auch in elektronischer Form über das Ratsinformationssystem erhalte. Auch sei ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. Die Einführung einer Sitzungsdienst – Software sei Gegenstand längerer Beratungen der Stadtverordnetenversammlung gewesen. Spätestens mit dem Beschluss über die Haushaltssatzung gemäß § 51 Nr. 7 HGO habe die Stadtverordnetenversammlung für die Einführung des elektronischen Sitzungsdienstes gestimmt. Dies mache deutlich, dass es sich nicht lediglich um eine probeweise Einführung des Systems gehandelt habe. Mit Beschluss des Magistrates vom 20.11.2017 sei ein Auftrag zur Anschaffung der Software bzw. der notwendigen Lizenzen i.H.v. 15.606,36 € erteilt worden. Zudem habe die Stadtverordnetenversammlung in einem Beschluss in der Sitzung vom 15.12.2018 einstimmig die Neufassung von § 9 Abs. 3 der Geschäftsordnung beschlossen, wonach die Einladung zu den Stadtverordnetenversammlungen nunmehr sowohl digital wie auch postalisch erfolge. Ein Anspruch ergebe sich nicht aus § 58 Abs. 1 HGO, da sich diese Vorschrift lediglich auf die Einladung als solche beziehe und nicht auf die Sitzungsunterlagen. Diese seien im ersten Halbjahr 2019 zusätzlich in Schriftform übersandt worden, um den Übergang auf das Ratsinformationssystem zu erleichtern. Anschließend seien die Unterlagen in digitaler Form zur Verfügung gestellt worden und die hierfür erforderlichen technischen und administrativen Voraussetzungen geschaffen worden. Der Antragsgegner habe auch ein mobiles Endgerät von der Stadt erhalten und nutze dieses. Das Gerät ermögliche einen Download der Sitzungsunterlagen, so dass ein Ausdruck von Unterlagen entbehrlich sei. Im Übrigen werde auf die Möglichkeit der Gewährung von Aufwandsentschädigungen über die Entschädigungssatzung hingewiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, der hier allein in Betracht kommt, kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs und der Grund für die notwendige vorläufige Regelung sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 123 Abs. 3 VwGO).

Bei Anwendung dieser Maßstäbe ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gerechtfertigt.

Soweit der Antragsteller beantragt hat, dass ihm die Einladungen und Tagesordnungen für die Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung schriftlich zugesandt werden, fehlt es schon am Anordnungsgrund. Es bedarf insoweit nicht des Erlasses einer einstweiligen Anordnung, da der Antragsteller nach dem insoweit unwidersprochenen Vorbringen der Antragsgegnerin die Einladung zu den Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung nach wie vor in Papierform auf dem Postweg erhält. Die Antragsgegnerin hat in der Antragserwiderung vom 16.03.2020 hierzu ausführen lassen, die Einladungen zu den Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung würden entsprechend § 9 Abs. 3 der Geschäftsordnung weiterhin auch in Papierform zusätzlich zu den Einladungen über das Ratsinformationssystem versandt. Da § 9 Abs. 3 S. 2 der Geschäftsordnung vorsieht, dass in der Einladung Zeit, Ort und die Tagesordnung der Sitzung anzugeben sind, geht die Kammer davon aus, dass sowohl die Einladung als auch die Tagesordnung an alle Mitglieder der Stadtverordnetenfraktion versandt werden.

Darüber hinaus fehlt es an einem Anordnungsanspruch für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung. Ein Rechtsanspruch des Antragstellers, neben der Einladung zu den Sitzungen der Gemeindevertretung und der dazugehörigen Tagesordnung auch die für die jeweilige Sitzung maßgeblichen Sitzungsunterlagen in schriftlicher Form postalisch zugesandt zu bekommen, ergibt sich jedoch weder aus § 58 HGO noch aus den Vorschriften der Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung der A-Stadt.

Gemäß § 58 Abs. 1 HGO beruft der Vorsitzende die Gemeindevertreter zu den Sitzungen der Gemeindevertretung schriftlich oder elektronisch unter Angabe der Gegenstände der Verhandlung. Dabei muss die Tagesordnung alle Gegenstände der Verhandlung enthalten, die zur Beratung und Beschlussfassung anstehen (vergleiche Schneider/Dreßler/Rauber/Riss, Hessische Gemeindeordnung, § 58 HGO Rdnr. 2). Denn die schriftliche Einladung unter Angabe der Tagesordnungspunkte dient dazu, dass die Stadtverordneten in die Lage versetzt werden, sich ausreichend auf die Sitzung vorzubereiten. Erforderlich ist daher eine so genaue Bezeichnung der Tagesordnungspunkte, dass die Stadtverordneten erkennen können, worüber beschlossen werden soll (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 26.08.1986 – 2 TG 798/86 -, juris-Rdnr. 58). Die Übersendung weiterer Unterlagen ist somit von § 58 Abs. 1 S. 1 HGO nicht gefordert, da nach dem Wortlaut der Vorschrift ausdrücklich nur die Angabe der Gegenstände der Verhandlung erforderlich ist (vgl. Bennemann u. A., Kommunalverfassungsrecht Hessen, § 58 HGO Rdnr. 7).

Zwar ist dem Antragsteller zuzugeben, dass mittlerweile auch die Beschlussfassung in Gemeindevertretungen eine Komplexität erreicht hat, die es sinnvoll macht, zur Vorbereitung der Sitzungen nicht lediglich die Einladung und die Tagesordnung an die Stadtverordneten zu versenden, sondern diesen zu einer angemessenen Vorbereitung der Sitzung Anträge und weitere Unterlagen rechtzeitig vor der jeweiligen Sitzung gerade dann zukommen zu lassen, wenn diese umfangreicher und komplizierter sind (vgl. in diesem Sinne auch Bennemann a.a.O., Rdnr. 9). Das Mündlichkeitsprinzip bringt es mit sich, dass es für die Erörterung und Beschlussfassung der Stadtverordnetenversammlung gerade bei schwierigen Angelegenheiten einer gründlichen Vorbereitung der Stadtverordneten bedarf, wozu in aller Regel das vorgängige Durcharbeiten von Beschlussvorlagen und ähnlichen, die eigentliche Beschlussfassung vorbereitenden Unterlagen bedarf. Dies spricht dafür, dass auch über den Wortlaut von § 58 Abs. 1 HGO hinaus den Stadtverordneten frühzeitig diese Unterlagen zur Verfügung gestellt werden, will man nicht Gefahr laufen, dass eine sinnvolle abschließende Befassung in der bevorstehenden Sitzung gerade wegen der Komplexität scheitert und es weiterer Beratungen bedarf. Einen Anspruch auf die Übersendung weiterer Unterlagen ergibt sich aus § 58 Abs. 1 HGO dennoch nicht. Die von der Antragsgegnerin bislang gehandhabte Praxis, dennoch sämtliche Unterlagen vor einer jeden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung den Mitgliedern zuzusenden ist zwar sinnvoll und zu begrüßen, eine Rechtspflicht hierzu gibt es allerdings nicht. Dass diese Praxis nunmehr auf eine Übersendung in elektronischem Wege umgestellt worden ist, kann daher jedenfalls Rechte des Antragstellers nicht beeinträchtigen.

Im Übrigen hat der Antragsteller erklärt, dass er grundsätzlich in der Lage ist sich, seinen persönlichen Bedürfnissen entsprechend durch Download und Ausdruck am eigenen Computer sich die von ihm als erforderlich erachteten Ausdrucke erstellen zu lassen, wobei ihm allerdings zusätzliche Kosten entstünden. Soweit die Antragsgegnerin hierzu in der Antragserwiderung vom 16.03.2020 zudem auf die Möglichkeit von Aufwandsentschädigungen nach der Entschädigungssatzung hingewiesen hat, kann der Antragsteller sich auch weiterhin in der von ihm als erforderlich gesehenen Art und Weise auf die Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung vorbereiten, ohne dass ihm Nachteile entstehen würden. Dieser Aspekt steht dem Erlass einer einstweiligen Anordnung ebenfalls, wenn nicht schon auf der Ebene des Anordnungsgrundes, entgegen.

§ 9 Abs. 3 der Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung entspricht seinem Regelungsgehalt nach den Vorgaben von § 58 Abs. 1 HGO und beschränkt den Anspruch der Stadtverordneten auf die schriftliche, wahlweise auch elektronische Zusendung der Einladung und der Tagesordnung der jeweiligen Ratssitzung. Auch hieraus erwächst dem Antragsteller kein Anordnungsanspruch, da sich die Praxis der Stadtverordnetenversammlung an dieser Regelung orientiert.

Da der Antragsteller unterlegen ist, hat er gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG, wobei die Kammer, wie in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes üblich, den Streitwert um die Hälfte reduziert hat.

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