Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 11 U 169/21

Mai 12, 2022

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 11 U 169/21

Tenor
1. Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14. September 2021, Az. 303 O 218/20, wird durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 164.512,16 Euro festgesetzt.

Gründe
I.

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Der Kläger macht als Sachwalter Anfechtungsansprüche gegen die Beklagte, eine Sozialversicherungsträgerin, geltend. Grundlage sind Zahlungen der Schuldnerin an die Beklagte im Zeitraum vom 26. August bis zum 26. Oktober 2020. Die Schuldnerin hatte bereits vor dem 26. August 2020 einen Eigenantrag beim Insolvenzgericht gestellt, was die Beklagte wusste.

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Für den erstinstanzlichen Sach- und Streitstand wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).

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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Der Anspruch scheitere insbesondere nicht an dem Anfechtungsprivileg des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 COVInsAG, da die Norm auf den vorliegenden Fall der Zahlung nach Eigenantrag und Kenntnis der Gläubigerin hiervon nicht anwendbar sei.

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Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die sich zur Begründung ihrer abweichenden Auffassung inhaltlich auf Entscheidungen einer Parallelkammer des Landgerichts Hamburg bezieht (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 8. September 2021 – 336 O 65/21 –, Rn. 28 ff., juris).

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Die Beklagte beantragt:

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Das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14.09.2021 (Az. 303 O 218/20) wird abgeändert und neu gefasst:

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1. Die Klage wird abgewiesen.

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2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

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Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seiner erstinstanzlichen Argumentation und beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Der Senat hat die Beklagte mit Beschluss vom 30. März 2022 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

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Die Beklagte hat hierzu mit Schriftsatz vom 29. April 2022 Stellung genommen und vertritt vor allem die Auffassung, der Senat müsse durch Berufungsurteil mit Revisionszulassung entscheiden.

II.

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Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen hat das Landgericht die Beklagte verurteilt. Zur Begründung nimmt der Senat Bezug auf seinen Hinweisbeschluss vom 30. März 2022.

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1. Die Beklagte hat gegen die dort geäußerte Auffassung in ihrer Stellungnahme vom 29. April 2022 keine neuen Argumente vorgebracht.

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Soweit sie die im Hinweisbeschluss unter I.1.a) als abweichende Auffassung dargestellte Ansicht von Bork (NZI 2022, 21) – allerdings nur in diesem Punkt – für zutreffend hält, folgt ihr der Senat auch weiterhin nicht.

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Auf die Ausführungen zur persönlichen Anwendbarkeit des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 COVInsAG kommt es schon deshalb nicht an, weil der Senat diese Frage im Ergebnis offenlassen kann, wie sich aus dem Hinweisbeschluss ergibt.

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2. Die Sache gebietet auch keine Entscheidung durch Berufungsurteil mit Zulassung der Revision.

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a) Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).

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Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, das heißt allgemein von Bedeutung ist (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2020 – VIII ZR 315/19 –, Rn. 9). Klärungsbedürftig sind solche entscheidungserheblichen Rechtsfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht höchstrichterlich geklärt sind (BGH, a.a.O., Rn. 10). Derartige Unklarheiten bestehen nicht, wenn abweichende Ansichten in der Literatur vereinzelt geblieben und nicht oder nicht nachvollziehbar begründet sind (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 – II ZR 54/09 –, Rn. 3).

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Wie sich aus dem Hinweisbeschluss hinreichend ergibt, entspricht es nahezu einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 COVInsAG keine Anwendung findet, wenn bei Vornahme der angefochtenen Zahlungen der Schuldner bereits einen Eigenantrag gestellt und die Anfechtungsgegnerin hiervon Kenntnis hatte.

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b) Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO).

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aa) Eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts setzt voraus, dass der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen.

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Angesichts der Eindeutigkeit, mit der die maßgebliche Streitfrage in Rechtsprechung und Literatur beantwortet wird, fehlt es auch nicht an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2003 – V ZR 291/02 –, BGHZ 154, 288-301, Rn. 9).

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bb) Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist vorrangig in den Fällen der Divergenz gegeben. Der Senat stellt jedoch keinen Rechtssatz auf, der ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als eine Entscheidung eines gleich- oder höherrangigen Gerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2003 – V ZR 291/02 –, BGHZ 154, 288-301, Rn. 11).

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c) Dass beim Senat und am Landgericht Hamburg eine Vielzahl von Parallelsachen anhängig ist, spielt ebenfalls keine Rolle.

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3. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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