Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 13 U 1/21

August 20, 2022

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 13 U 1/21

vorgehend LG Hamburg 18. Zivilkammer, 4. Dezember 2020, 318 O 368/19, Urteil
anhängig BGH, kein Datum verfügbar, XI ZR 117/22
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 04.12.2020, Az. 318 O 368/19, abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 180.720,65 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a.

aus EUR 922,80 seit dem 24.03.2016
aus EUR 21.597,37 seit dem 24.09.2016,
aus EUR 31.453,33 seit dem 24.03.2017
aus EUR 36.625,50 seit dem 24.09.2017
aus EUR 42.582,80 seit dem 24.03.2018
aus EUR 47.538,85 seit dem 24.09.2018

zu zahlen.

Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin weitere EUR 180.720,65 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a.

aus EUR 922,80 seit dem 24.03.2016
aus EUR 21.597,37 seit dem 24.09.2016,
aus EUR 31.453,33 seit dem 24.03.2017
aus EUR 36.625,50 seit dem 24.09.2017
aus EUR 42.582,80 seit dem 24.03.2018
aus EUR 47.538,85 seit dem 24.09.2018

zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf EUR 361.441,30 festgesetzt.

Gründe
I.

Randnummer1
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin als Darlehensnehmerin zweier – inzwischen beendeter – variabel verzinster Schuldscheindarlehen Zahlungsansprüche für den Zeitraum zustehen, in dem die vereinbarten Zinsgleitklauseln mathematisch einen negativen Wert ergeben.

Randnummer2
Wegen des Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angegriffenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.

Randnummer3
Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Auslegung der jeweiligen Zinsgleitklauseln ergebe, dass keine Zahlungsverpflichtung der Beklagten im Fall eines negativen Zinses bestehe. Bei den Zinsgleitklauseln handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen der Klägerin, die nach Maßgabe eines objektiven Durchschnittskunden der Klägerin auszulegen seien. Die Parteien hätten den Mindestzins in den jeweiligen Zinsgleitklausel stillschweigend auf null festgelegt. Sie hätten Darlehensverträge nach dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 BGB geschlossen, das nach der Auszahlung der Darlehensvaluta keine Zahlungspflicht des Darlehensgebers mehr vorsehe.

Randnummer4
Gegen das Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin.

Randnummer5
Ergänzend zu ihrem erstinstanzlichen Vortrag behauptet die Klägerin, sie hätte die Zinsgleitklausel nicht einseitig vorgegeben, sondern die Parteien hätten die Höhe des Zinsabschlags ausgehandelt. Ferner handele die Beklagte im Aktivgeschäft als Intermediärin, weil sie ihren Ertrag über eine Marge zwischen Aktivgeschäft und Refinanzierung erwirtschafte. In Zeiten eines Negativzinses erhalte die Beklagte auf der Refinanzierungsseite ebenfalls einen Negativzins.

Randnummer6
Sie meint, ihr stünde aufgrund der Vereinbarung in den Schuldscheinen ein Zahlungsanspruch gegen die Beklagte zu, wenn der 6-Monats-EUR-LIBOR unter 0,03 % notiere oder negativ sei. Dafür sprächen der Wortlaut der Zinsgleitklauseln, die Parteiinteressen und der Vertragszweck. Bei der Zinsgleitklausel handele es sich nicht um AGB, weshalb die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB anhand des objektiven Empfängerhorizonts zu erfolgen habe. Indem die Parteien den Zins an den 6-Monats-EUR-LIBOR gekoppelt hätten, ohne eine Ober- (Cap) oder Untergrenze (Floor) zu vereinbaren, hätten sie zum Ausdruck gebracht, dass im Fall eines negativen Zinses, die Klägerin für die Abnahme des Kapitals zu vergüten sei. Durch Abschluss der streitgegenständlichen Zinsgleitklausel habe die Beklagte zum Ausdruck gebracht, sich zum 6-Monats-EUR-LIBOR refinanzieren zu können. Ein Floor bei 0 % würde die Marge der Beklagten im Niedrigzinsumfeld ungerechtfertigt erhöhen und das Äquivalenzverhältnis zwischen den Parteien entgegen den Parteiinteressen stören.

Randnummer7
Die Klägerin beantragt:

Randnummer8
Unter Abänderung des am 04.12.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Hamburg, Aktenzeichen 318 O 368/19:

Randnummer9
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 180.720,65 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu bezahlen, aus

Randnummer10
EUR 922,80 seit dem 24.03.2016
EUR 21.597,37 seit dem 24.09.2016,
EUR 31.453,33 seit dem 24.03.2017
EUR 36.625,50 seit dem 24.09.2017
EUR 42.582,80 seit dem 24.03.2018
EUR 47.538,85 seit dem 24.09.2018

Randnummer11
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 180.720,65 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu bezahlen, aus

Randnummer12
EUR 922,80 seit dem 24.03.2016
EUR 21.597,37 seit dem 24.09.2016,
EUR 31.453,33 seit dem 24.03.2017
EUR 36.625,50 seit dem 24.09.2017
EUR 42.582,80 seit dem 24.03.2018
EUR 47.538,85 seit dem 24.09.2018

Randnummer13
Die Beklagte beantragt,

Randnummer14
die Berufung zurückzuweisen.

Randnummer15
Die Beklagte behauptet ergänzend zu ihrem Vortrag in erster Instanz, sie nehme keine kongruente Refinanzierung vor, sondern finanziere sich über Laufzeitbänder. Die Refinanzierung bestehe bei der Beklagten aus zahlreichen Produkten, nämlich Kreditprodukten wie lang- und kurzlaufende Kredite, Einlagen sowie Kapitalmarktprodukten. Sie sei keine Hypothekenbank und Pfandbriefe gehörten nicht zu ihren Refinanzierungsprodukten.

Randnummer16
Die Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts und meint, es widerspräche dem Wortlaut der Zinsgleitklauseln und den Parteiinteressen bei Vertragsschluss, eine Zahlungspflicht ihrerseits anzuerkennen. Wie sich die Beklagte refinanziere, sei für die Auslegung der Schuldscheine irrelevant. Die Schuldscheine sähen nach ihrem Wortlaut ausschließlich Zahlungspflichten der Klägerin vor. Die Parteien hätten einen Darlehensvertrag geschlossen und kein Verwahrungsverhältnis beabsichtigt. Nach dem gesetzlichen Leitbild des § 488 BGB sei nur der Darlehensnehmer zur Zahlung für die Kapitalüberlassung verpflichtet. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses sei für die Klägerin erkennbar gewesen, dass die Beklagte das gewährte Kapital risikoadäquat und ertragreich anlegen wolle. Die Beklagte hätte kein Interesse daran gehabt, der Klägerin das Kapital zu Verwahrung zu überlassen. Eine negative Zinsvereinbarung sei für einen Kreditgeber unwirtschaftlich, weshalb die Beklagte stattdessen das Kapital gar nicht ausgegeben hätte. Die Anwendung der Zinsgleitklauseln hätte bestenfalls dazu führen können, dass die Zahlungspflichten der Klägerin entfielen. Zinszahlungspflichten der Beklagten könnten sie hingegen nicht begründen.

II.

Randnummer17
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Randnummer18
1. Die Klägerin hat aus den zwei streitgegenständlichen Schuldscheinverträgen einen Anspruch gegen die Beklagte in Höhe von jeweils EUR 180.720,60. Die Ansprüche folgen aus der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung unter Berücksichtigung der unter Ziff. 1 b) in den streitgegenständlichen Schuldscheindarlehen vereinbarten Zinsgleitklauseln. Für den Zeitraum, in dem die mathematische Anwendung der Zinsgleitklauseln einen negativen Wert ergibt, steht der Klägerin gegen die Beklagte ein Zahlungsanspruch in Höhe des negativen Prozentsatzes aus der jeweils valutierenden Darlehenssumme zu.

Randnummer19
Die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung liegen vor, insbesondere sind die Verträge für den Fall, dass die Zinsgleitklausel zu einem negativen Wert gelangt, lückenhaft (a). Die ergänzende Vertragsauslegung ergibt, dass eine Zahlungspflicht der Beklagten in Höhe des negativen Wertes dem hypothetischen Parteiwillen entspricht (b).

Randnummer20
a) Eine im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließende Regelungslücke besteht, wenn der Vertrag innerhalb des durch ihn gesteckten Rahmens oder innerhalb der objektiv gewollten Vereinbarung ergänzungsbedürftig ist, weil eine Vereinbarung in einem regelungsbedürftigen Punkt fehlt (BGH, Urteil vom 04.03.2004, III ZR 96/03, Tz. 22; Urteil vom 20.01.1994, III ZR 143/92, Tz. 32, juris). Unmaßgeblich ist grundsätzlich, auf welchen Gründen die Unvollständigkeit der Regelung beruht (BGH, Urteil vom 04.03.2004, III ZR 96/03, Tz. 22; Urteil vom 29.04.1982, III ZR 154/80, Tz. 21, juris). Um eine vertragliche Regelungslücke zu identifizieren, müssen zunächst die ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen ausgelegt werden. Erst wenn die allgemeine Auslegung ergibt, dass der Vertrag für den streitgegenständlichen Fall keine Regelung bereithält, ist Raum für eine ergänzende Vertragsauslegung. Die ergänzende Vertragsauslegung kommt nicht in Betracht, wenn das dispositive Recht Regelungen für die offen gebliebene Problematik bereithält. (BGH, Urteil vom 04.03.2004, III ZR 96/03, Tz. 22; Urteil vom 25.06.1980, VIII ZR 260/79, Tz. 15, juris).

Randnummer21
Die streitgegenständlichen Schuldscheinverträge sind lückenhaft. Die gleichlautenden Verträge halten keine Regelung für den Fall bereit, dass der Referenzzins unter 0,03 % fällt. Dann gelangen die jeweils unter Ziff. 1 b) vereinbarten, gleichlautenden Zinsgleitklauseln mathematisch zu einem negativen Wert (aa), ohne dass der Vertrag eine Rechtsfolge für diesen negativen Zinswert bestimmt (bb). Zu diesem Ergebnis kommt die Auslegung der ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen. Die festgestellte Regelungslücke kann kein dispositives Vertragsrecht ausfüllen (cc).

Randnummer22
aa) Die Auslegung der ausdrücklich vereinbarten Zinsgleitklauseln ergibt, dass die Klauseln wortlautgetreu anzuwenden sind, selbst wenn sie mathematisch zu einem negativen Ergebnis führen. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei den Zinsgleitklauseln um Allgemeine Geschäftsbedingungen der Klägerin oder um individuell ausgehandelte Vertragsbestandteile handelt.

Randnummer23
(1) Die Klauseln sind wirksam vereinbart worden. Sie sind hinreichend bestimmt; insbesondere legen sie die Parameter der Zinsänderung verständlich fest und nehmen Bezug auf einen öffentlich zugänglichen Referenzzins. Wenn die Klauseln als Allgemeine Geschäftsbedingungen zu qualifizieren sind, unterliegen sie wegen § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB keiner Inhaltskontrolle, da es sich bei der Zinsvereinbarung um die Preisregelung der Parteien handelt (BGH, Urteil vom 10.06.2008, XI ZR 211/07, Tz. 16 f.BGH, Urteil vom 13.04.2010, XI ZR 197/09, Tz. 16, juris).

Randnummer24
(2) Das Auslegungsergebnis hängt nicht davon ab, ob die Auslegung der Zinsgleitklauseln nach den Grundsätzen für Allgemeine Geschäftsbedingungen oder nach §§ 133, 157 BGB erfolgt.

Randnummer25
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach dem Maßstab eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden einheitlich so auszulegen, wie ihr Wortlaut von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreis verstanden wird (BGH, Urteil vom 13.11.2012, XI ZR 500/11, Tz. 16, juris). Ein verständiger, durchschnittlicher Vertragspartner der Klägerin erkennt, dass die Zinsgleitklausel selbst dann gelten soll, wenn der Referenzzins extrem abgleitet und die wortlautgetreue Anwendung der Zinsgleitklausel mathematisch zu einem negativen Wert gelangt. Die durchschnittlichen Vertragspartner der Klägerin, die ein deutsches Bundesland mit hohem Kapitalbedarf ist, sind institutionelle Kreditgeber. Institutionelle Kreditgeber wissen, dass der Referenzzinssatz EUR-LIBOR, den die Parteien anstelle des DEM-LIBOR nach Einführung des Euro heranzogen, die Marktbedingungen am Interbankenmarkt widerspiegelt. Die Zinsgleitklauseln beziehen diese Marktbedingungen mit einem Abschlag von drei Basispunkten in den Vertrag ein. Solange der Referenzzinssatz ein repräsentativer Indikator für die tatsächlich vorherrschenden Marktbedingungen ist, soll also das Verhältnis zwischen der Klägerin und ihrem jeweiligen Vertragspartner hiernach ausgerichtet werden. Führt ein extremes Niedrigzinsumfeld dazu, dass die Kosten für Kapital auf dem Kreditmarkt negativ sind, dann werden diese Marktbedingungen durch einen sehr niedrigen oder negativen Referenzwert widergespiegelt. Dann repräsentiert ein mathematisch negativer Vertragszinswert die tatsächlichen Marktbedingungen und die Zinsgleitklausel erfüllt ihren für redliche Durchschnittskunden der Klägerin objektiv erkennbaren Zweck, weshalb sie weiterhin angewendet werden muss.

Randnummer26
Wenn die Zinsgleitklauseln keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind, sind sie nach §§ 133, 157 BGB auszulegen. Verträge sind hiernach so auszulegen, dass ihr Inhalt dem von beiden Parteien vernünftigerweise (objektiv) gemeinsam gewollten Sinn und Zweck unter Berücksichtigung ihrer Interessenlage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses entspricht (BGH, Urteil vom 12.06.2007, VI ZR 110/06, Tz. 10, juris; BeckOK/Wendtland § 157 Rn. 12). Nach diesen Grundsätzen sind die Zinsgleitklauseln erst recht auch im Fall eines negativen Ergebnisses wörtlich zu nehmen. Im Vertrag kommt zum Ausdruck, dass die Parteien beabsichtigten, ihre Vertragsbeziehung ab dem Jahr 2008 an den dann geltenden Marktbedingungen auszurichten. Sie verzichteten hierbei bewusst darauf, einen Zinshöchstsatz (sog. Cap) oder einen Mindestsatz (sog. Floor) festzulegen. Als professionellen Marktteilnehmern war ihnen bewusst, dass die schrankenlose Bezugnahme auf den Referenzzinssatz zu einem extrem hohen oder einem extrem niedrigen Vertragszins führen kann (vgl. BeckOGK/Weber, § 488 Rn. 266). Wenn ein mathematisch negativer Zinswert die tatsächlichen Marktbedingungen repräsentiert, liegt es innerhalb des vertraglich Gewollten, die Zinsgleitklausel weiterhin anzuwenden.

Randnummer27
bb) Vertraglich nicht geregelt ist hingegen, welche Rechtsfolge ein mathematisch negativer Zinswert haben soll.Dieser Punkt ist regelungsbedürftig, da zu den vertraglichen Stichtagen in den Jahren 2015 bis 2018 der 6-Monats-EUR-LIBOR zunächst unter 0,03 % und danach tatsächlich negativ notierte, sodass die wortlautgetreue Anwendung der Zinsgleitklauseln zu einem negativen Wert führten.

Randnummer28
Den Schuldscheinverträgen kann auch unter Berücksichtigung der übrigen Regelungen neben den Zinsgleitklauseln kein Mindestzinswert von 0,0 % entnommen werden (1). Die Auslegung der Verträge lässt auch nicht erkennen, dass die Parteien eine Umkehr der Zinszahlungsströme grundsätzlich ausschließen wollten (2).

Randnummer29
(1) Die Annahme des Landgerichts, die Parteien hätten konkludent einen Mindestzins (sog. Floor) von 0,0 % vereinbart (ähnlich LG Düsseldorf, Urteil vom 24.06.2020, 2b O 254/18, Tz. 29 f., juris, bestätigt durch OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.10.2021, I-5 U 29/21, Tz. 34 f., juris), überzeugt nicht. Nach Überzeugung des Senats lässt die Tatsache, dass der Vertrag keine Regelungen zur Umkehr von Zahlungsströmen im Fall eines negativen Zinswerts enthält, diesen Schluss nicht zu. Richtig ist zwar, dass die Klägerin in den Verträgen „Darlehensschuldner“ und die Beklagte „Darlehensgläubiger“ genannt werden und unter der jeweiligen Ziffer 5 Abs. 3 nur Zinszahlungspflichten der Klägerin festgelegt sind. Dies ist allerdings auf den Umstand zurückzuführen, dass die Parteien bei Vertragsschluss nicht damit rechneten, dass die Zinsgleitklauseln jemals zu einem negativen Wert führen würden und damit nur Ausdruck der Lücke im Vertrag. Bei Vertragsschluss im Jahr 1998 war nicht absehbar, dass ein historisches Niedrigzinsumfeld und die Absenkung der EZB-Leitzinsen im Oktober 2015 erstmals in der Geschichte des LIBOR dazu führen würde, dass der Referenzzins 6-Monats-EUR-LIBOR unter 0,03 % und im November 2015 sogar negativ notiert.

Randnummer30
(2) Ein konkludenter Ausschluss einer Zahlungspflicht der Beklagten im Fall eines negativen Zinswerts kann auch nicht aus dem Umstand geschlossen werden, dass die Parteien meinten, einen Darlehensvertrag i. S. v. § 488 BGB abzuschließen (so auch LG Düsseldorf, Urteil vom 11.03.2020, 13 O 322/18, Tz. 19, juris; anders hingegen LG Düsseldorf, Urteil vom 24.06.2020, 2b O 254/18, Tz. 29 f., juris, bestätigt durch OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.10.2021, I-5 U 29/21, Tz. 34 f., juris). Der historische Gesetzgeber hatte bei der Schaffung von § 488 Abs. 1 BGB kein Marktumfeld vor Augen, in welchem Kapitalkosten ins Negative abgleiten. Deshalb spricht § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB nur von einer Zinszahlungspflicht des Darlehensnehmers. „Zinsen“ im Sinne des Gesetzes können nicht negativ sein (OLG Stuttgart, Urteil vom 27.03.2019, 4 U 184/18, Tz. 204, juris; BeckOGK/Weber, § 488 Rn. 225; Tröger, NJW 2015, 657, 659 f.). Dass das Gesetz keinen negativen Zins kennt, bedeutet allerdings nicht, dass die wirtschaftlichen Kosten für Kapital nicht negativ sein können und eine Umkehr der Zahlungsströme vertraglich vereinbart werden kann. Seit 2014 zeigen negative Leitzinssätze der EZB, negative Referenzzinssätze wie den EUR-LIBOR, Kapitalüberlassungsverträge mit negativen Zinsen und die Erhebung von Verwahrentgelt bei Kapitaleinlagen im Passivgeschäft vieler Banken (ugs. „Strafzinsen“), dass Kapital auch ein negativer Wert zukommen kann. Dann ist es marktüblich, dass Kapitalgeber Kapitalnehmer dafür bezahlen, ihnen Kapital abzunehmen – und nicht umgekehrt. Eine Zahlungspflicht der Kapitalgeber kann in einem Vertrag, der im Übrigen einem Darlehensvertrag i. S. v. § 488 BGB entspricht, ohne weiteres vereinbart werden, da das Vertragsrecht keinen Typenzwang kennt. Vertragsparteien müssen nicht einen der im BGB typisierten Vertragsarten abschließen, sondern können vom dispositiven Recht abweichende Vertragspflichten festlegen. Welche Pflichten vereinbart sind, richtet sich vorrangig nach der Auslegung der gegenseitigen Willenserklärungen, und nicht nach den gesetzlich typisierten Vertragsarten. Vereinbaren die Parteien eines Darlehensvertrags begrifflich ungenau einen negativen Zinssatz, dann ist die Abrede dahingehend auszulegen, dass der Zinssatz 0 % beträgt und der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer zu einer regelmäßigen Zahlung verpflichtet ist, die sich prozentual an der Darlehensvaluta bemisst (BeckOGK/Weber, § 488 Rn. 226).

Randnummer31
Indem die Parteien vorliegend die Verzinsung ihres Darlehens von dem Referenzzinssatz EURIBOR abhängig machten, brachten sie zum Ausdruck, dass der Darlehensvertrag relativ zu den variablen Bedingungen des Marktes abgewickelt werden soll. Weder aus den Vertragsunterlagen noch aus den vorgetragenen sonstigen Umständen des Vertragsschlusses ist ersichtlich, dass diese Vereinbarung durch das gesetzliche Leitbild des § 488 BGB konkludent eingeschränkt werden sollte. Vielmehr ist der Senat davon überzeugt, dass den Parteien bei Vertragsschluss im Jahr 1998 nicht bewusst war, dass der gesetzliche Rahmen des § 488 BGB die zukünftigen wirtschaftlichen Bedingungen des Marktes nicht mehr zutreffend abbilden könnte.

Randnummer32
cc) Es existiert kein dispositives Vertragsrecht, das die Regelungslücke füllen kann, denn der historische Gesetzgeber hatte bei Schaffung des Vertragsrechts kein Niedrigzinsumfeld vor Augen, in dem der Preis für Kapital negativ ist.

Randnummer33
b) Die unter a) festgestellten Regelungslücken in den Schuldscheinverträgen sind im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dahingehend auszufüllen, dass die Beklagte für den Zeitraum eines negativen Zinswerts zur Zahlung an die Klägerin in Höhe des negativen Prozentsatzes aus der jeweils valutierenden Darlehenssumme verpflichtet ist.

Randnummer34
Die ergänzende Vertragsauslegung erfolgt danach, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten (BGH, Urteil vom 04.03.2004, III ZR 96/03, Tz. 24; Urteil vom 01.02.1984, VIII ZR 54/83, Tz. 21, juris; BeckOK/Wendtland, Rn. 38). Bei der Ermittlung dieses hypothetischen Parteiwillens sind in erster Linie die in dem Vertrag schon vorhandenen Regelungen und Wertungen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 04.03.2004, III ZR 96/03, Tz. 24; Urteil vom 25.06.1980, VIII ZR 260/79, Tz. 16, juris; BeckOK/Wendtland, § 157 Rn. 40). Die hieraus herzuleitende Vertragsauslegung muss sich als zwanglose Folge aus dem gesamten Zusammenhang des Vereinbarten ergeben (BGH, Urteil vom 04.03.2004, III ZR 96/03, Tz. 24; Urteil vom 25.06.1980, VIII ZR 260/79, Tz. 15, juris; BeckOK/Wendtland, § 157 Rn. 40).

Randnummer35
Die unter Ziff. 1 b) der Schuldscheinverträge vereinbarten Zinsgleitklauseln bilden den Ausgangspunkt für die ergänzende Vertragsauslegung. Wie bereits festgestellt, koppeln die Zinsgleitklauseln den Vertragszins an den Referenzzins, ohne eine Ober- oder Untergrenze vorzusehen. Aus der vorhandenen Regelung, den Parteiinteressen und den Umständen bei Vertragsschluss geht hervor, dass die jeweils aktuellen Marktbedingungen den Vertragspreis definieren sollten. Die Parteien nahmen bei Vertragsschluss an, dass die Zinsgleitklausel dazu führen würde, dass auch die Beklagte aufgrund ihrer Refinanzierungsmöglichkeiten unabhängig von den jeweiligen Marktbedingungen ein wirtschaftlich sinnvolles Geschäft machen würde. Wenn die Zinsgleitklausel im Niedrigzinsumfeld zu einem negativen Wert gelangt, dann wird eine Umkehr der Zahlungsströme in Höhe des negativen Zinswerts den Parteiinteressen gerecht.

Randnummer36
aa) Wenn Vertragsparteien einen variablen Zinssatz vereinbaren, der sich an einem Referenzzinssatz orientiert, bringen sie zum Ausdruck, dass sie zueinander wirtschaftlich so stehen wollen, wie es gemessen am Referenzzinssatz auf dem Kreditmarkt zwischen Kapitalgebern und Kapitalnehmern zu dem jeweiligen Zeitpunkt üblich ist. Ein variabler Zinssatz wird in der Regel dann gewählt, wenn die Vertragsparten die Faktoren für den Wert des Kapitals bei Vertragsschluss noch nicht für die gesamte Vertragslaufzeit vorhersehen können und sich deshalb nicht auf einen Festzins für die gesamte Vertragslaufzeit festlegen wollen (Manhardt/Ivanov, BKR 2021, 355, 358; Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 190). Die Umsetzung des variablen Zinses erfolgt durch eine Zinsgleitklausel, die in ihrer Berechnung auf einen Referenzzinssatz Bezug nimmt. Durch diese Zinsgleitklausel können die Parteien basierend auf ihren individuellen Vertragsumständen, wie etwa der Bonität des Kapitalnehmers, festlegen, in welchem Verhältnis sie zu den durchschnittlichen Teilnehmern des Interbanken-Kreditmarktes stehen. Hierbei kann ein Auf- oder ein Abschlag zum Referenzzinssatz vereinbart werden.

Randnummer37
Vorliegend haben die Vertragsparteien in der jeweils unter Ziff. 1 b) der Verträge vereinbarten Zinsgleitklausel festgelegt, dass der Preis der Kapitalüberlassung anhand des Referenzzinssatzes 6-Monats-DEM-LIBOR mit einem Abschlag von 3 Basispunkten bemessen werden soll. Denkbar ist, dass die Parteien einen Abschlag von 3 Basispunkten vereinbarten, weil sie der Auffassung waren, die Klägerin, ein deutsches Bundesland, weise eine höhere Bonität als die üblichen Marktteilnehmer auf. Der Referenzzinssatz EUR-LIBOR (Abk. für London Interbank Offered Rate), den die Parteien nach Einführung des Euro heranzogen, bildet den täglichen Durchschnittszinssatz aus den Brief-Sätzen ab, zu dem international tätige Großbanken Euro-Geldmarktgeschäfte in London abschließen (Heldt, Gabler Wirtschaftslexikon, LIBOR). Der 6-Monats-EUR-LIBOR bildet also den Durchschnittspreis des Kapitals auf dem Interbanken-Kreditmarkt für Termingeschäfte mit einer Laufzeit von 6 Monaten ab. Zu diesem Preis wird Kapital am Interbankenmarkt aufgenommen und ausgegeben. Bis zum Jahr 2015 mussten Kapitalnehmer auf dem Kreditmarkt einen Zins dafür bezahlen, um Kapital aufzunehmen. Der Durchschnittspreis des Kapitals war gemessen am 6-Monats-EUR-LIBOR bis zum Jahr 2015 deshalb immer positiv. Im Jahr 2015 fand auf dem Kreditmarkt allerdings ein Paradigmenwechsel statt. Initiiert durch das wiederholte Absenken des EZB-Leitzinses war das Angebot an Kapital auf dem Interbankenmarkt so hoch, dass sich die Interessenlage zwischen Kapitalnehmern und Kapitalgebern umkehrte. Nunmehr bezahlten Kapitalgeber Kapitalnehmer dafür, dass sie ihnen Kapital abnahmen. Der 6-Monats-EUR-LIBOR drückt dies seitdem durch einen negativen Wert aus. Dieser negative Wert spiegelt die Vergütung wider, die Banken am Interbankenmarkt dafür erhalten, wenn sie anderen Banken Kapital abnehmen. Es entspricht daher dem hypothetischen Parteiwillen, dass auch in ihrem Verhältnis seit dem Zinstermin 23.03.2016, der auf dem Zinsfixing vom 21.09.2015 beruht, die Beklagte die Klägerin für die fortdauernde Kapitalabnahme vergütet, um die Kongruenz zu den jeweils aktuellen Kreditmarktverhältnissen beizubehalten. Das Gegenteil, nämlich dass die Klägerin bei Vertragsschluss freiwillig auf ihr Recht auf eine Vergütung für die Kapitalabnahme verzichtet hätte, kann der Klägerin nicht unterstellt werden. Es entspräche deshalb auch nicht dem hypothetischen Parteiwillen, einen Verzicht der Klägerin auf die ihr wirtschaftlich am Markt erzielbaren Erträge anzunehmen.

Randnummer38
bb) Entgegen der Auffassung des Landgerichts führt ein Zahlungsanspruch der Kapitalnehmer gegenüber institutionellen Kapitalgebern in Höhe des vertraglichen Negativzinses nicht zur Übervorteilung der Kapitalgeber. Vielmehr führte es zu einer unangemessenen Benachteiligung von Kapitalnehmern, wenn im Fall eines variablen Zinses der Zinswert auf der Nulllinie festgehalten würde, ohne Kapitalnehmern bei negativen Werten einen Zahlungsanspruch gegen ihre Vertragspartner für die Kapitalabnahme zu gewähren (zutr. LG Düsseldorf, Urteil vom 11.03.2020, 13 O 322/18, Tz. 19, juris). Hintergrund ist, dass sich institutionelle Kapitalgeber ihrerseits auf dem Interbankenmarkt refinanzieren können und dies nach dem Grundsatz des § 2 LiqV auch müssen, wobei regelmäßig auch Vorsorge gegen Zinsänderungsrisiken aus dem Absicherungsgeschäft getroffen wird. Die Refinanzierung kann etwa darüber stattfinden, dass der Kapitalgeber seinerseits Kapital zu einem für einen ebenfalls an den Referenzzinssatz gekoppelten variablen Zins aufnimmt oder die Risiken der Zinsschwankungen mittels sog. Swap-Geschäfte absichert. Durch solch eine kongruente Refinanzierung kann der Kapitalgeber sicherstellen, über die gesamte Vertragslaufzeit eine feste Marge in Höhe der Differenz zwischen den Zinssätzen im Aktiv- und im Refinanzierungsgeschäft zu generieren. Diese Marge bleibt auch im Fall von negativen Referenzzinssätzen erhalten. Dann kann der Kapitalgeber im Refinanzierungsgeschäft Zahlungsansprüche in Höhe des negativen Referenzzinssatzes geltend machen. Wenn er seinerseits aber nicht dazu verpflichtet wäre, Kapitalnehmer für die Kapitalabnahme zu bezahlen, könnte er seine Gewinnspanne auf Kosten der Kapitalnehmer bei negativen Zinsen unangemessen erhöhen. Das bei Vertragsschluss festgelegte Äquivalenzverhältnis, das sich im Verhältnis zur aktuellen Marktsituation definieren sollte, wäre gestört (Söbbing/v. Bodungen, ZBB 2016, 39, 43). Jedenfalls gegenüber einem institutionellen Kapitalgeber müssen Kapitalnehmer deshalb einen Zahlungsanspruch in Höhe des mathematischen Negativzinses haben, wenn die Parteien einen variablen Zinssatz ohne Floor vereinbart haben. Etwas anders kann nur in Ausnahmefällen gelten, etwa wenn der Kapitalgeber die Veränderung der Konditionen im Aktivgeschäft aus einem Grund nicht durch Refinanzierungsgeschäfte ausgleichen kann, der nicht aus seiner Risikosphäre rührt (vgl. Staudinger/Freitag, § 488 Rn. 51b; BeckOGK/Weber, § 488 Rn. 268.3). Ein solcher Grund läge z. B. vor, wenn der Kapitalgeber aufgrund gesunkener Bonität des Kapitalnehmers das Geschäft nicht kostendeckend refinanzieren kann. Hat der Kapitalgeber hingegen im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit eine inkongruente Refinanzierung gewählt, die nicht über die gesamte Vertragslaufzeit zu einer festen Marge führt, fällt es in seinen Risikobereich, wenn er im Niedrigzinsumfeld, die Kosten der Kapitalüberlassung nicht ausgleichen kann (Söbbing/v. Bodungen, ZBB 2016, 39, 43 f.).

Randnummer39
Die üblichen Vertragspartner der Klägerin sind Kreditinstitute, die sich jedenfalls zu durchschnittlichen Konditionen auf dem Kreditmarkt refinanzieren können. Das gilt auch für die Beklagte und deren Rechtsvorgängerin als Zentralinstitut deutscher Volksbanken. Die Beklagte hätte also ihrerseits Refinanzierungsverträge, mit dem Referenzzinssatz entsprechenden Konditionen auf dem Interbankenmarkt abschließen können. Vorliegend entspricht es daher dem hypothetischen Willen der Vertragsparteien, dass der Klägerin ein Zahlungsanspruch für den Fall zusteht, dass die Zinsgleitklauseln infolge des Abgleitens des Referenzzinssatzes zu einem negativen Wert gelangen. Hätten die Parteien das atypische Niedrigzinsumfeld vorausgesehen, dann hätten sie vereinbart, dass die Beklagte die potentiellen Einnahmen, die sie aufgrund der Negativzinsen auf dem Interbankenmarkt erzielen kann, entsprechend der vereinbarten Zinsgleitklausel an die Klägerin weiterreichen muss. Ob sich die Beklagte oder ihre Rechtsvorgängerin tatsächlich mit einem für sie günstigen Referenzzinssatz refinanziert hat oder, wie sie vorträgt, grundsätzlich keine kongruenten Refinanzierungsgeschäfte abschließt, kann dahinstehen. Verträge, die die Beklagte mit Dritten zur Refinanzierung abgeschlossen hat, können nicht zur Auslegung des streitgegenständlichen Schuldscheinvertrags herangezogen werden. Entscheidend ist allein, dass die Beklagte erkennbar die Möglichkeit hatte, sich gegen die Risiken eines schwankenden Referenzzinssatzes abzusichern. Wenn sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, ist der dadurch eintretende Verlust das Ergebnis ihrer unternehmerischen Risikoentscheidung und beeinflusst die ergänzende Vertragsauslegung nicht.

Randnummer40
cc) Die Annahme des Landgerichts, Kreditgebern könne vernünftigerweise nicht unterstellt werden, dass sie ein Darlehen zu einem negativen Zins, also mit einer Vergütung für die Kapitalannahme ausgäben, missachtet die wirtschaftlichen Umstände im Niedrigzinsumfeld. So bildet sich ein negativer Referenzzinssatz gerade erst dadurch heraus, dass Kapital nirgendwo kostenfrei eingelegt werden kann. Angenommen, ein Kreditinstitut hat Kapitalreserven, dann kann es alternativ zur Kreditvergabe diese Reserven nur entweder bei der Zentralbank oder als Bargeld einlagern. Die Zentralbank erhebt seit Juni 2014 ihrerseits negative Zinsen auf Einlagen (Einlagenfazilität). Auch die Lagerung von Bargeld ist nicht kostenfrei. Hierfür müssen entsprechende Räume vorgehalten und unterhalten werden; ggf. entstehen zusätzliche Sicherheitskosten (vgl. Vogel, BKR 2018, 45, 46). Im Niedrigzinsumfeld ist für das Kreditinstitut also auch das Halten von Kapital auf Dauer verlustreich. Die einzige Möglichkeit, ihren Verlust zu reduzieren ist dann, das Kapital an Kapitalnehmer – notfalls zuzüglich einer Vergütung für die Kapitalabnahme – abzugeben.

Randnummer41
2. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB. Eine Mahnung war gem. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB hinfällig, da die Parteien unter Ziff. 1 b) für Zinszahlungen eine Zeit nach dem Kalender, nämlich jeweils den 23.03 und den 23.09. eines Jahres bestimmt hatten. Die Beklagte geriet mit Ablauf des jeweiligen Fälligkeitstages in Verzug, sodass die Schuld entsprechend § 187 Abs. 1 BGB ab dem darauffolgenden Tag zu verzinsen ist. Zwar enthält die Fälligkeitsvereinbarung keine Regelung für Zahlungsansprüche der Klägerin in Höhe eines mathematisch negativen Zinswerts. Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gilt diese Fälligkeitsvereinbarung aber auch für den der Klägerin zugesprochenen Zahlungsanspruch. Hätten die Parteien einen Zahlungsanspruch der Klägerin in Höhe des negativen Zinswerts explizit vereinbart, dann hätten sie hierfür auch dieselbe Fälligkeitsvereinbarung wie für den herkömmlichen Zinsanspruch getroffen. Das Zinseszinsverbot gem. § 289 Satz 1 BGB steht dem Anspruch auf Verzugszinsen nicht entgegen. Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei den zuerkannten Zahlungsansprüchen der Klägerin nicht um Zinsen im klassischen Sinne, sondern um ein Entgelt, das die Klägerin für die Abnahme von Kapital erhält (MüKoBGB/Ernst, § 289 Rn. 4). Der Zweck des Zinseszinsverbots, den Schuldner vor unvorhersehbar steigenden Zahlungspflichten zu schützen, ist vorliegend nicht erfüllt.

III.

Randnummer42
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Randnummer43
2. Die Zulassung der Revision ist angesichts der Entscheidung des OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.10.2021, I-5 U 29/21, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Divergenz ist, dass die angefochtene Entscheidung von der Entscheidung eines höherrangigen Gerichts, von einer gleichrangigen Entscheidung eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts oder von der Entscheidung eines anderen gleichgeordneten Gerichts abweicht. Eine solche Abweichung liegt vor, wenn die angefochtene Entscheidung eine Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, also einen Rechtssatz aufstellt, der von einem die Entscheidung tragenden Rechtssatz der Vergleichsentscheidung abweicht (BGH, Beschluss vom 29.05.2002, V ZB 11/02, Tz. 8; NJW 1984, 2707, zu § 24 II Nr. 1 LwVG; Wenzel, in: MünchKomm-ZPO, 2. Aufl., § 546 Rdnr. 44). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Als gleichgeordnetes Gericht lehnte das OLG Düsseldorf in der genannten Entscheidung die Zahlungspflicht eines Kreditinstituts für den Fall, dass eine an einen Referenzzinssatz gekoppelte variable Zinsgleitklausel zu einem mathematisch negativen Ergebnis gelangt, ab. Die Vergleichsentscheidung ist getragen von dem Rechtssatz, dass ein zwischen professionellen Kreditmarktteilnehmern in der Zeit vor dem historischen Niedrigzinsumfeld geschlossener Schuldscheindarlehensvertrag mit variablen Zins eine Zahlungspflicht des Darlehensgebers nach Auszahlung der Darlehensvaluta ausschließt. Ein mathematisch negativer Zinswert führe auch dann nicht zur Umkehr der Zahlungsströme, wenn dieser negative Wert die Marktbedingungen wegen eines historischen Niedrigzinsumfelds zutreffend widerspiegelt. Zur Begründung beruft sich das Gericht insbesondere auf das gesetzliche Leitbild des § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB, nachdem keine Zahlungspflicht des Darlehensnehmers vorgesehen sei.

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