Kammergericht berlin, 1 W 45/09 Erbrecht der UDSSR: Qualifizierung als privates Erbrecht; gesetzliches Erbrecht eines Cousins

Oktober 28, 2018

Kammergericht berlin, 1 W 45/09

Erbrecht der UDSSR: Qualifizierung als privates Erbrecht; gesetzliches Erbrecht eines Cousins

Leitsatz

  1. Das Fiskuserbrecht des Staates gemäß dem ab 1962/1964 geltenden Recht der UdSSR ist als privates Erbrecht zu qualifizieren, hier Art. 117 Abs.3 der Grundlagen der Zivilgesetzgebung der UdSSR und der Unionsrepubliken vom 8. Dezember 1961 (GU) und Art. 527 Abs.3, 552 Abs.1 Nr.2 des Zivilgesetzbuchs der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik vom 11. Juni 1964 (ZGB/RSFSR-1964).

    2. Die Regelung des Art. 532 ZGB/RSFSR-1964, nach der ein Cousin nicht zu den gesetzlichen Erben gehört, verstößt schon abstrakt nicht gegen die öffentliche Ordnung (ordre public).

Tenor

Die weitere Beschwerde wird nach einem Wert von 202.000 € zurückgewiesen.

Gründe

Die weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 27 ff. FGG i.V.m. Art. 111 Abs.1 S.1 FGG-RG), jedoch nicht begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer Rechtsverletzung, auf die die weitere Beschwerde allein mit Erfolg gestützt werden kann (§ 27 Abs.1 FGG i.V.m. §§ 546 f. ZPO).

Die Annahme des Landgerichts, der Beteiligte sei auch hinsichtlich der im Inland belegenen Nachlassgegenstände nicht Erbe der Erblasserin, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Erbfolge richtet sich gemäß Art. 220 Abs.1 EGBGB i.V.m. Art. 24, 25 EGBGB a.F. insgesamt nach dem Recht der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) als dem Staat, dem die Erblasserin zum Todeszeitpunkt angehörte (vgl. Palandt/Heldrich, BGB, 45. Aufl., Art. 24 EGBGB Anm. 2). Danach ist der Beteiligte nicht Erbe, weil die Erblasserin kein Testament hinterlassen hat und er nicht zum Kreis der gesetzlichen Erben gehört, Art. 117 ff. der Grundlagen der Zivilgesetzgebung der UdSSR und der Unionsrepubliken vom 8. Dezember 1961 (GU) und Art. 527 ff. i.V.m. Art. 8 Nr.5, 567 des Zivilgesetzbuchs der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik vom 11. Juni 1964 (ZGB/RSFSR-1964). Deutsches Erbrecht kommt nicht zur Anwendung.

Eine Nachlassspaltung nach Art. 28 Abs.3 des Konsularvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR vom 25. April 1958 (BGBl. 1959 II S. 232) ist nicht eingetreten. Dafür genügt es nicht, dass die Erblasserin als Rechtsnachfolgerin des 1976 verstorbenen G. W. Mitglied der ungeteilten Erbengemeinschaft nach dem 1929 verstorbenen S. V. war, zu dessen Nachlass ein Grundstück in Berlin-Charlottenburg gehörte. Selbst wenn der Konsularvertrag auch für Berlin (West) gegolten hätte und die gesamthänderische Beteiligung an einem Grundstück als unbewegliches Vermögen zu qualifizieren wäre (vgl. BGH, NJW 2001, 2396 verneinend zu § 25 Abs.2 RAG/DDR), ist diese jedenfalls durch die Übereignung des Grundstücks an einen Dritten vor dem Tod der Erblasserin entfallen. Der auf ein Bankkonto eingezahlte anteilige Kaufpreis (die Forderung gegen die Bank) ist kein unbeweglicher Nachlassgegenstand i.S.v. Art. 28 Abs.3 des Konsularvertrags, auf den deutsches Recht Anwendung finden könnte. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Beschluss sowie im Beschluss vom 14. Februar 1996 – 87 T 83/95 verwiesen.

Hinsichtlich der im Inland befindlichen Nachlassgegenstände ist deutsches Erbrecht auch nicht ersatzweise oder auf Grund einer ungeschriebenen Rückverweisung (Art. 27, 28 EGBGB a.F.) deshalb anzuwenden, weil der Nachlass gemäß Art. 117 Abs.3 GU, Art. 527 Abs.3, 552 Abs.1 Nr.2 ZGB/RSFSR-1964 dem Staat als Erben angefallen ist. Dem Erbstatut untersteht auch die Frage, welches Recht der Fiskus an einem erbenlosen Nachlass hat (Senat, IPRspr 1973 Nr. 105; Palandt/Thorn, BGB, 69. Aufl., Art. 25 EGBGB Rn. 10; Soergel/Schurig, BGB, 12. Aufl., Art. 25 EGBGB Rn. 29; Staudinger/Dörner, BGB, Neubearb. 2007, Art. 25 EGBGB Rn. 203; MünchKomm/Birk, BGB, 4. Aufl., Art. 25 Rn. 173). Anderes gilt allenfalls, wenn nach dem zur Anwendung berufenen ausländischen Recht das Fiskuserbrecht nicht – wie z.B. in § 1936 BGB – als privates Erbrecht, sondern als hoheitliches Aneignungsrecht zu qualifizieren ist, wobei die Bestimmung nach der lex fori erfolgt (vgl. Senat, IPRax 1986, 41, 42 zum schwedischen Fiskuserbrecht). Das Anfallsrecht des russischen Staates ist in Art. 117 GU, Art. 527, 552 ZGB/RSFSR-1964 aber als privates, grundsätzlich überall durchsetzbares Erbrecht und nicht als staatliches Okkupationsrecht ausgestaltet (vgl. Senat, a.a.O. zu Sowjet-Russland; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 3. Aufl. (1989), S. 223; Bungert, MDR 1991, 713; Graupner/Dreyling, ZVglRWiss 82 (1983), 193, 195; Schroeder, DNotZ 1964, 645, 666; a.A. Bilinski, ROW 1982, 17, 22; unklar Ferid/Bilinsky, Internationales Erbrecht, Stand Juni 2010, UdSSR, Rn. 95).

Art. 117 Abs.3 GU – seit Mai 1962 unmittelbar geltendes Recht in der gesamten UdSSR (vgl. Ferid/Bilinsky, a.a.O., Hinweise S.1, Rn. 44) – bestimmt, dass das Vermögen des Erblassers durch Erbfolge auf den Staat übergeht. Dem entspricht die Regelung unter Art. 552 Abs.1 ZGB/RSFSR-1964, die zudem nicht zwischen dem Staat als testamentarischen Erben (Nr. 1) und als Ersatzerben (Nr. 2-4) unterscheidet. Der Staat haftet wie der private Erbe für Nachlassverbindlichkeiten (Art. 553 ZGB/RSFSR-1964) und muss sich einen Erbschein ausstellen lassen (Art. 557 ZGB/RSFSR-1964). Auch im Übrigen besteht keine Privilegierung des Staates, die für einen öffentlichrechtlichen Aneignungscharakter des – dann territorial begrenzten – Fiskuserbrechts sprechen könnte. Insbesondere fielen nach dem Recht der UdSSR dort belegene Nachassgegenstände eines sonst erbenlosen Ausländers dem Staat nicht auch immer dann zu, wenn nach dem Heimatrecht des Ausländers der dortige Fiskus Rechtsnachfolger war (vgl. Senat, a.a.O. zum schwedischen Recht).

Der entgegenstehenden Argumentation von Bilinsky in ROW 1982, 17 ff. ist nicht zu folgen. Auf die Ausführungen zur Rechtslage in der UdSSR bis 1962, insbesondere zum Dekret über die Aufhebung des Erbrechts vom 27. April 1918 (vgl. dazu auch KG, JW 1925, 2142; 1938, 2477; DNotZ 1941, 427), kommt es nicht an. Maßgebend ist das anzuwendende, ab 1962/1964 geltende Recht, das – ggf. in Abkehr von früheren Regelungen (Art. 433 ZGB/RSFSR-1923) – ein echtes Ersatzerbrecht des Staates begründet (Schroeder, a.a.O.) und den erbenlosen Nachlass nicht wie nationalisiertes oder herrenloses Vermögen behandelt. Das Fiskuserbrecht ist auch nicht deshalb als hoheitliche „Enteignung“ zu werten, weil der Kreis der testamentarischen Erben „weitgehend eingeengt“ und das Anfallsrecht des Staates „erheblich zu Lasten potentieller Erben erweitert“ ist. Hier werden die Neuregelungen zur Testierfreiheit (Art. 119 Abs.1 GU, Art. 534 Abs.1 ZGB/RSFSR-1964) übergangen, nach denen der Erblasser jede beliebige Person als Erben einsetzen kann (vgl. Ferid/Bilinsky, a.a.O., Hinweise S.2, Rn. 101). Eine zivilrechtliche Qualifizierung des Fiskuserbrechts setzt auch nicht etwa voraus, dass das Gesetz – wie §§ 1924 ff. BGB – eine schrankenlose Verwandtenerbfolge vorsieht. So wird z.B. das Anfallsrecht nach Art. 466 des Zivilgesetzbuchs der Schweizerischen Eidgenossenschaft als privates Erbrecht anerkannt (vgl. Senat, a.a.O. zur Schweiz; Staudinger/Dörner, a.a.O., Art. 25 EGBGB Rn. 205; MünchKomm/Birk, a.a.O., Art. 25 Rn. 172; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl. (2001), S. 283; Bungert, a.a.O.; Graupner/Dreyling, a.a.O.), obwohl die gesetzliche Erbberechtigung der Verwandten mit der 3. Ordnung (Parentel) endet, Art. 457 ff. ZGB/Schweiz. Ob der Kreis der gesetzlichen Erben aus Sicht des deutschen Rechts zu eng gezogen ist, kann über die Vorbehaltsklausel des Art. 30 EGBGB a.F. (Art. 6 EGBGB) berücksichtigt werden.

Danach bedarf es einer Anpassung der Kollisionsnormen nicht, weil kein Normenmangel besteht. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) i.S.v. Art. 30 EGBGB a.F. Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler festgestellt, dass die Anwendung des Erbrechts der UdSSR nicht zu einem Ergebnis führt, das nach den Rechtsanschauungen zum Entscheidungszeitpunkt gegen die guten Sitten oder den Zweck eines deutschen Gesetzes verstößt (Art. 30 EGBGB a.F.) bzw. mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar oder mit den Grundrechten unvereinbar ist (Art. 6 EGBGB).

Die Bestimmung des Art. 532 ZGB/RSFSR-1964, nach der ein Cousin – Verwandter 4. Grades i.S.v. § 1589 BGB – nicht zu den gesetzlichen Erben gehört, verstößt schon abstrakt nicht gegen die öffentliche Ordnung. Auch wenn Art. 14 Abs.1 S.1 GG eine gesetzliche Erbfolge (BVerfGE 91, 346, 359) und insoweit das Verwandtenerbrecht (BVerfGE 93, 165, 173 f.; a.A. Dreier/Wieland, GG, 2. Aufl., Art. 14 Rn. 67) gewährleistet, ist verfassungsrechtlich garantiert jedenfalls nur die gesetzliche Erbfolge der engeren Familie, die auch von Art. 6 Abs.1 GG gefordert wird (Maunz/Dürig/Papier, GG, Stand April 2010, Art. 14 Rn. 301; v.Mangold/Depenheuer, GG, 6. Aufl., Art. 14 Rn. 518; v.Münch/Brun-Otto Bryde, GG, 5. Aufl., Rn. 48; Sachs/Wendt, GG, 5. Aufl., Art. 14 Rn. 198 jew. m.w.N.). Familie i.S.v. Art. 6 Abs.1 GG ist nur die engere Familie, das sind die Eltern und Kinder (BVerfGE 48, 327, 339; BVerwG, NVwZ 1994, 381, 385; v.Mangold/Robbers, a.a.O., Art. 6 Rn. 77; vgl. auch BVerfGE 91, a.a.O., nach dem der Bruder nicht zu den nächsten Familienangehörigen gehört). Danach verbietet Art. 14 Abs.1 S.1 GG allenfalls, das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten und der Erben 1. und 2. Ordnung (Parentel) i.S.v. §§ 1924, 1925 BGB zu Gunsten eines Fiskuserbrechts abzuschaffen (vgl. MünchKomm/Leipold, a.a.O., Einl. § 1922 Rn. 36). Die Regelung des Art. 532 ZGB/RSFSR-1964 geht darüber nicht hinaus und beruft im Übrigen mit den Großeltern auch Erben der 3. Ordnung (Parentel) i.S.v. § 1926 BGB. Lediglich die Abkömmlinge der Großeltern sind nicht gesetzliche Erben. Darin besteht hinsichtlich der 3. Parentel auch der einzige Unterschied zur gesetzlichen Erbfolge nach Art. 457 ff. ZGB/Schweiz und §§ 365 ff. ZGB/DDR, so dass die vergleichenden Erwägungen des Landgerichts zu Art. 235 § 1 EGBGB im Wesentlichen zutreffen.

Erst recht ist das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts im konkreten Fall mit den Grundrechten oder sonst offensichtlich mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts nicht unvereinbar. Das gilt auch dann, wenn ein familiärer Kontakt zwischen der Erblasserin und dem Beteiligten bestand, wofür allerdings – insbesondere im Hinblick auf die Umstände der Grundstücksveräußerung – keine Anhaltspunkte bestehen. Die Vorbehaltsklausel kommt nur zur Anwendung, wenn der zu beurteilende Tatbestand einen hinreichenden Inlandsbezug aufweist, wobei die Anforderungen um so geringer sind, je stärker die ausländische Norm gegen grundlegende Gerechtigkeitsvorstellungen hier zu Lande verstößt (BGHZ 118, 312, 349; OLG Hamm, ZEV 2005, 436, 438 f.; Palandt/Thorn, a.a.O., Art. 6 EGBGB Rn. 6; vgl. auch BVerfG, NJW 2007, 900, 903 Tz 73; BVerfGE 31, 58, 73 ff.). Das Landgericht hat rechtlich zutreffend ausgeführt, dass der zu beurteilende Sachverhalt keinen ausreichenden Inlandsbezug aufweist. Die Erblasserin und der Beteiligte sind keine deutschen Staatsangehörigen und hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland. Der allein in Betracht kommende Umstand, dass eine Nachlassschuldnerin (die kontoführende Bank) ihren Sitz im Inland hat, ist ein schwacher Bezug. Dieser genügt auch nicht deshalb, weil nach dem Untergang der UdSSR die Russische Föderation als Fortsetzungsstaat den Kreis der gesetzlichen Erben erweitert hat, Art. 1141 ff. ZGB/Russland. Diesem Gesichtspunkt und den gewandelten rechtspolitischen Vorstellungen kommt keine erhebliche Bedeutung zu, da der ausländische Gesetzgeber davon abgesehen hat, eine – im Hinblick auf das Fiskuserbrecht mögliche – Rückwirkung der Gesetzesänderung anzuordnen (vgl. Ferid/Mosgo, a.a.O., Russland, Rn. 16 ff.).

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 30 Abs.1, 131 Abs.2 KostO a.F.

 

 

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