KG Berlin 21 U 19/21

August 19, 2021

KG Berlin 21 U 19/21

1. Verpflichtet sich ein Restaurantbetreiber, die Gäste einer privaten Feier in seinem Lokal zu bewirten, handelt es sich im Zweifel um einen Werkvertrag über gastronomische Leistungen.

2. Ein solcher Vertrag fällt nicht unter Art. 240 § 5 EGBGB, da der Besteller nicht zum „Inhaber“ einer Eintrittskarte oder sonstigen Teilnahme- oder Nutzungsberechtigung wird.

3. Der Besteller kann einen solchen Vertrag jedenfalls dann aus wichtigem Grund kündigen, wenn er vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde und im Zeitpunkt der Kündigung die Undurchführbarkeit der Veranstaltung auf Grund der Corona-Pandemie hinreichend wahrscheinlich war.

4. Der dem Unternehmer durch diese Absage entstehende Schaden kann aus dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage hälftig zwischen den Parteien zu teilen sein. Bemessungsgrundlage für diese hälftige Teilung sind aber die beim Unternehmer angefallenen und von ihm darzulegenden Kosten, nicht die ihm entgangene Vergütung.

vorgehend LG Berlin, 27. Januar 2021, 23 O 149/20, Urteil
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts vom 27. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das angefochtene Urteil ist fortan ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 13.365,00 €.

Gründe
I.

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Die Beklagte betreibt das Restaurant G. in Berlin.

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Der Ehemann der Klägerin wollte dort am Abend des 30. März 2020, einem Montag, seinen 65. Geburtstag feiern.

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Am 28. Januar 2020 beauftragte die Klägerin die Beklagte in einem „Vertrag über gastronomische Dienstleistungen“ (im Folgenden: Veranstaltungsvertrag) mit der Durchführung der Veranstaltung im Restaurant G. für 90 Personen. Die Beklagte verpflichtete sich, den Veranstaltungsort und Personal zu stellen sowie die Gäste mit einem Dreigangmenü und Getränken zu bewirten. Die Parteien vereinbarten eine Vergütung von 198,00 € (einschließlich 19 % Umsatzsteuer) pro Person, sodass sich ein Gesamtpreis von 17.820,00 € (einschließlich 19 % Umsatzsteuer) errechnete. Bestandteil der Vertragsdokuments sind die Allgemeinen Vertragsbedingungen (im Folgenden: AVB) der Beklagten. Deren § 6 lautet wie folgt:

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„§ 6 Pauschalierter Vergütungsanspruch

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1. Kündigt der Kunde den Vertrag oder wird die Veranstaltung nicht durchgeführt, so kann 40seconds Service GmbH folgende pauschalierte Abgeltung für die bis zur Kündigung erbrachten Leistungen und Aufwendungen verlangen:

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– Kündigung bis zum 15. Tag vor Veranstaltungsbeginn: 75 % des Bestellwerts.

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– Kündigung ab dem 14. Tag vor Veranstaltungsbeginn: 100 % des Bestellwerts.

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2. Der Kunde hat das Recht nachzuweisen, dass 40seconds Service kein Schaden oder ein Schaden nicht in dieser Höhe entstanden ist.“

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Wegen der weiteren Einzelheiten der Vereinbarung und der AVB der Beklagten wird auf die Anlage K 1 verwiesen.

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Am 29. Januar 2020 leistete die Klägerin eine Anzahlung von 13.365,00 € an die Beklagte.

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Am 7. März 2020 fragte die Klägerin bei der Mitarbeiterin B. der Beklagten nach einer Lösung für den Fall, dass die Veranstaltung aufgrund der Corona-Pandemie nicht würde stattfinden können.

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Am 12. März 2020 bot Frau B. der Klägerin per Mail die „kostenfreie Verschiebung“ der Veranstaltung auf einen Montagabend im 3. oder 4. Quartal an, dazu müsse sich die Klägerin aber bis Montag, den 16. März 2020 auf das neue Datum festlegen. Im Falle einer Stornierung müsse die Klägerin gegenwärtig 75 % des Bestellwerts begleichen, vom 16. März 2020 an den vollen Bestellwert.

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Auf Nachfrage des Ehemanns der Klägerin teilte der Mitarbeiter Sn. der Beklagten der Klägerin mit, dass dieses Angebot der Beklagten endgültig sei.

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Noch am selben Tag bot der Ehemann der Klägerin der Beklagten an, die Veranstaltung auf einen Montag im 3. oder 4. Quartal zu verschieben, das neue Datum aber noch nicht jetzt, sondern erst mit zweimonatigem Vorlauf festzulegen. Andernfalls werde er den Vertrag aus wichtigem Grund kündigen und gemäß § 6 AVB den entstandenen Schaden ersetzen.

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Nachdem die Beklagte hierauf nicht reagiert hatte, erklärten die Klägerin und ihr Ehemann noch am 13. März 2020 per Mail und per Schreiben die Kündigung des Vertrags.

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Wegen der Einzelheiten des bisherigen Schriftverkehrs zwischen den Parteien wird auf die Anlagen K 2 bis K 4 verwiesen.

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Am 14. März 2020 trat die SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung (SARS-CoV-2-EindV) des Senats von Berlin in Kraft. Nach § 1 Abs. 1 dieser Verordnung durften öffentliche und nichtöffentliche Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern ab sofort und bis zum Ablauf des 19. April 2020 nicht mehr stattfinden.

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Nachdem eine Mahnung erfolglos geblieben war, hat die Klägerin Klage auf Rückerstattung ihrer Anzahlung von 13.365,00 € nebst Zinsen und außergerichtlichen Anwaltskosten gegen die Beklagte erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass die gesundheitlichen Risiken der sich im März 2020 ausbreitenden Corona-Pandemie und die sich abzeichnenden staatlichen Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung einen wichtigen Grund zur Kündigung des Vertrags mit der Beklagten darstellten mit dem Ergebnis, dass die Beklagte die Abschlagszahlung zurückzuerstatten habe. Die Beklagte ist dazu nicht bereit. Sie ist der Ansicht, ihr stehe aufgrund der Kündigung der Klägerin die pauschalierte Vergütung gemäß § 6.1 ihrer AVB in Höhe von 75 % der vollen Vergütung, also 13.365,00 €, zu, sodass sie die Zahlung behalten dürfe. Die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie stellten schon deshalb keinen wichtigen Kündigungsgrund dar, weil am Tag der Kündigung durch die Klägerin noch kein Veranstaltungsverbot ergangen war.

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Mit Urteil vom 27. Januar 2021 hat das Landgericht der Klage mit Ausnahme des Anspruchs auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Entwicklung der Corona-Infektion zu einer weltweiten Pandemie im März 2020 stelle einen wichtigen Grund für die Klägerin dar, den Vertrag mit der Beklagten zu kündigen, § 648a Abs. 1 BGB. Außerdem habe diese Entwicklung zu einer Störung der Geschäftsgrundlage des Vertrages geführt, sodass die Klägerin auch gemäß § 313 Abs. 3 BGB zum Rücktritt oder zur Kündigung berechtigt gewesen sei.

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Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, zu deren Begründung sie ihr erstinstanzliches Vorbringen vertieft.

II.

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Die zulässige Berufung der Beklagten hat weder Aussicht auf Erfolg noch grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 522 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO. Da auch eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist, ist das Rechtsmittel durch Beschluss zurückzuweisen (§ 522 Abs. 2 ZPO). Die Stellungnahme der Beklagten vom 2. August 2021 zum Hinweisbeschluss des Senats vom 25. Juni 2021 hat an dieser Bewertung nichts geändert (vgl. unten 1.b)cc), 1.c) cc) und dd) sowie 1.e)).

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Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung der Klageforderung verurteilt. Der Klägerin steht ein Anspruch in Höhe von 13.365,00 € gegen die Beklagte zu.

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1. Der Anspruch ergibt sich aus § 4.1 des Veranstaltungsvertrags zwischen den Parteien, bei dem es sich um einen Vertrag mit überwiegend werkvertraglichen Elementen handelt und der folglich im Zweifel nach Werkvertragsrecht zu beurteilen ist, §§ 631 ff BGB. Nach § 4.1 hatte die Klägerin bereits vor der Veranstaltung eine Abschlagszahlung in Höhe von 13.365,00 € an die Beklagte zu leisten. Aus der Vereinbarung einer solchen Abschlagszahlung folgt zugleich die Pflicht der Beklagten als Werkunternehmerin, ihre Leistungen nach Beendigung des Vertrags nachzuweisen und die Abschlagszahlung zurück zu gewähren, soweit sie keine entsprechende Vergütung verdient hat (BGH, Urteil vom 8. Januar 2015, VII ZR 6/14; Urteil vom 22. November 2007, VII ZR 130/06; Urteil vom 24. Januar 2002, VII ZR 196/00).

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Da die Klägerin den Veranstaltungsvertrag am 13. März 2020 wirksam aus wichtigem Grund kündigte und die Beklagte an diesem Tag noch keine Leistungen an die Klägerin erbracht hatte, entfällt der Vergütungsanspruch der Beklagten aus diesem Vertrag vollständig, § 648a Abs. 5 BGB. Somit hat die Beklagte die erhaltene Abschlagszahlung vollständig an die Klägerin zurück zu leisten.

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a) Für die Klägerin bestand am 13. März 2021 ein wichtiger Grund zur Kündigung des Veranstaltungsvertrags mit der Beklagten.

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aa) Am 13. März 2021 hatten sich Umstände, die Grundlage des Vertrags geworden waren, in einer Weise schwerwiegend geändert, dass die Parteien diesen Vertrag so nicht geschlossen hätten, wenn sie diese Entwicklung vorausgesehen hätten. Somit war die Geschäftsgrundlage des Vertrages gemäß § 313 Abs. 1 BGB gestört. Da seine bloße Anpassung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien der Klägerin nicht zumutbar war, war sie aufgrund dieser Störung zur außerordentlichen Kündigung des Vertrags gemäß §§ 313 Abs. 3 bzw. § 648a Abs. 1 BGB berechtigt.

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bb) Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, haben die Parteien am 28. Januar 2020 den Veranstaltungsvertrag in der Erwartung geschlossen, die Geburtstagsfeier des Ehemanns der Klägerin in der vorgesehenen Form – also mit rund 90 Gästen in den Räumen des Restaurants G. – ohne erhebliches Gesundheitsrisiko und in Einklang mit den öffentlichen Vorschriften durchführen zu können. Mit baldigen und erheblichen Einschränkungen für solche Veranstaltungen aufgrund der Corona-Pandemie rechnete die große Mehrheit der Bevölkerung im Januar 2020 noch nicht. Zwar hatte die Berichterstattung über den Ausbruch der Infektionskrankheit in anderen Ländern bereits begonnen; zudem war am 27. Januar 2020 der erste Infektionsfall in Deutschland aufgetreten (https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie_in_Deutschland, abgerufen am 23. Juni 2021). Die Erwartung umfangreicher staatlicher Maßnahmen mit tiefgreifenden Folgen für das gesellschaftliche Leben und den Alltag des Einzelnen war im Januar 2020 aber noch nicht hinreichend konkret, als dass sie zur Geschäftsgrundlage des Veranstaltungsvertrags hätte werden können. Dies änderte sich grundsätzlich erst im März 2020, wie insbesondere in Art. 240 EGBGB zum Ausdruck kommt. Die dort geregelten Moratorien, Stundungen und Gutscheinmodelle (vgl. Art. 240 §§ 1, 3, 5 und 6 EGBGB) sind Sondervorschriften für die Störung der Geschäftsgrundlage infolge der Corona-Pandemie (Grüneberg in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage, 2021, § 313 BGB, Rn. 37a). Sie kommen aber nur zur Anwendung, sofern die jeweiligen Verträge vor dem 8. März 2020 (Art. 240 §§ 1 Abs. 1, 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 EGBGB) bzw. vor dem 15. März 2020 (Art. 240 § 3 Abs. 1 EGBGB) geschlossen wurden. Somit wurden nach der Einschätzung des Gesetzgebers weitreichende Einschränkungen durch die Pandemiebekämpfung vor diesen Stichtagen noch nicht allgemein erwartet (vgl. BT-Drs. 19/18697, S. 7).

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Dies lässt sich auf den hier in Rede stehenden Veranstaltungsvertrag übertragen.

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cc) Es ist unerheblich, dass am Tag der Kündigung des Vertrags durch die Klägerin, dem 13. März 2020, die Durchführung der Veranstaltung im Restaurant G. noch nicht untersagt war. Die Geschäftsgrundlage des streitgegenständlichen Vertrags ist nicht erst dann gestört, wenn die rechtmäßige Durchführung der Veranstaltung durch ein öffentlich-rechtliches Verbot unmöglich geworden ist, sondern bereits dann, wenn eine solche Entwicklung aus objektiver Sicht ex ante hinreichend wahrscheinlich war (zu der entsprechenden Problematik bei § 651h Abs. 3 BGB vgl. AG Hannover, Urteil vom 9. April 2021, 502 C 12946/20; AG Düsseldorf, Urteil vom 8. Februar 2021, 37 C 471/20; AG Frankfurt, Urteil vom 11. August 2020, 32 C 2136/20; Sprau in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage, 2021, § 651h, Rn. 13a).

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Die prognostische Einschätzung, dass die geplante Feier aufgrund von Veranstaltungsverboten am 30. März 2020 unmöglich wird oder aufgrund des Infektionsgeschehens zumindest ein signifikantes medizinisches Risiko für die Anwesenden und ihre Kontaktpersonen in der Folgezeit darstellt, war am 13. März 2020 gerechtfertigt. Dies zeigt sich schon daran, dass bereits am Folgetag, dem 14. März 2020, der Berliner Senat ein mit sofortiger Wirkung geltendes Verbot für derartige Veranstaltungen erließ (vgl. § 1 Abs. 1 SARS-CoV-2-EindV).

Randnummer31
b) Wird damit die außerordentliche Kündigung des streitgegenständlichen Veranstaltungsvertrags gemäß §§ 648a Abs. 1, 313 Abs. 3 BGB auf die aus der Corona-Pandemie resultierenden Gesundheitsrisiken bzw. auf staatliche Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung gestützt, steht dies nicht in Widerspruch zu Art. 240 § 5 EGBGB. Durch diese Vorschrift wird dem Veranstalter einer Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstigen Freizeitveranstaltung, die aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattfinden konnte, das Recht eingeräumt, einem Teilnehmer anstelle der Erstattung des Einheitspreises einen Gutschein zu übergeben, den dieser grundsätzlich erst nach dem 31. Dezember 2021 ausgezahlt verlangen kann, vgl. Art. 240 § 5 Abs. 1 und 5 EGBGB. Aus dieser Regelung lässt sich ableiten, dass bis zum 31. Dezember 2021 die außerordentliche Kündigung der von Art. 240 § 5 EGBGB erfassten Verträge, zumindest aber die Rechtsfolge der sofortigen Rückerstattung einer bereits geleisteten Abschlagszahlung aufgrund des coronabedingten Ausfalls einer Veranstaltung ausgeschlossen sein soll. §§ 648a, 313 Abs. 3 BGB werden also insoweit jedenfalls im Grundsatz verdrängt (vgl. Grüneberg in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage, 2021, § 313 BGB, Rn. 37a).

Randnummer32
Dieser Vorrang von Art. 240 § 5 EGBGB gilt aber nur innerhalb des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift. Dieser ist im vorliegenden Fall nicht eröffnet. Denn die Verköstigung der Gäste eines Auftraggebers in einem Restaurant ist keine Freizeitveranstaltung im Sinne von Art. 240 § 5 EGBGB. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll diese Norm nur Veranstaltungen erfassen, bei denen die Teilnehmer jeweils Eintrittskarten oder sonstige Teilnahmeberechtigungen erwerben (vgl. Art. 240 § 5 Abs. 1 EGBGB), die eventuell mehrfach oder für einen bestimmten Zeitraum gelten (vgl. Art. 240 § 5 Abs. 1 EGBGB) und bei denen die Veranstalter mit Kosten für Planung, Werbung, Organisation, Künstler oder Technik in Vorleistung gegangen sind (BT-Drs. 19/18697, S. 5). Der Wortlaut der Vorschrift und die Begründung des Gesetzentwurfs zeigen, dass der Gesetzgeber diese Regelung auf den streitgegenständlichen Fall der Veranstaltung einer privaten Feierlichkeit mit gastronomischen Dienstleistungen in einem Restaurant nicht erstrecken wollte (ebenso für einen Abiturball vgl. LG Paderborn, Urteil vom 25. September 2020, 3 O 261/20).

Randnummer33
An dieser Einschätzung hält der Senat trotz der gegenteiligen Ansicht der Beklagten im Schriftsatz vom 2. August 2021 fest.

Randnummer34
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die Anwendung von Art. 240 § 5 Abs. 1 EGBGB auf den streitgegenständlichen Vertrag über gastronomische Leistungen im Ergebnis lediglich die Wirkung einer Stundung der Klageforderung bis zum 31. Dezember 2021 hätte. Das bedeutet: Erginge ein Art. 240 § 5 EGBGB anwendendes Urteil des Senats bis spätestens zum 31. Dezember 2021, wäre die Beklagte bei dahingehender Antragsumstellung durch die Klägerin nicht zur Zahlung der Klageforderung, sondern nur zur Übergabe eines Gutscheins über diesen Betrag zu verurteilen. Ab dem 1. Januar 2022 könnte die Klägerin aber die Auszahlung des Nennbetrags des Gutscheins von der Beklagten verlangen, Art. 240 § 5 Abs. 5 Nr. 2 EGBGB (vgl. Retzlaff in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage, 2021, Art. 240 § 5 EGBGB, Rn. 4). Könnte das Urteil des Senats, für das noch eine mündliche Verhandlung durchgeführt werden müsste, erst nach dem 1. Januar 2022 ergehen, könnte die Klägerin wegen Art. 240 § 5 Abs. 5 Nr. 2 EGBGB von vornherein nicht mehr auf einen Gutschein verwiesen werden.

Randnummer35
Die Frage der Anwendbarkeit von Art. 240 § 5 EGBGB auf den vorliegenden Vertrag ist somit nur von vorübergehender Bedeutung und hat keine allzu große praktische Relevanz.

Randnummer36
c) Wenn die Störung der Geschäftsgrundlage des streitgegenständlichen Vertrags dazu führt, dass die Klägerin nicht nur die Anpassung des Vertrags beanspruchen, sondern ihn kündigen kann, ist dies der Beklagten auch zumutbar.

Randnummer37
aa) Zwar soll die außerordentliche Kündigung eines Vertrags aufgrund der Störung seiner Geschäftsgrundlage grundsätzlich die ultima ratio sein. Im Grundsatz ist es angezeigt, die negativen Folgen einer solchen Störung nach Möglichkeit zwischen den Parteien hälftig zu teilen (BGH, Urteil vom 23. November 1989, VII ZR 60/89, BGHZ 109, 224; KG, Urteil vom 1. April 2021, 8 U 1099/20). Die Annahme eines außerordentlichen Kündigungsrechts für eine Vertragspartei kann eine deutliche Abweichung von dem Ziel solch einer hälftigen Risikoaufteilung bedeuten. Im vorliegenden Fall hält der Senat sie aber dennoch für geboten und jedenfalls vorzugswürdig gegenüber einer Absenkung des Vergütungsanspruchs der Beklagten, etwa auf 50 % der vereinbarten Vergütung.

Randnummer38
Bei der Störung der Geschäftsgrundlage für einen Mietvertrag über Geschäftsräume mag während einer staatlich angeordneten Geschäftsschließung die Herabsetzung der Miete auf die Hälfte dem Ziel der gleichmäßigen Risikoteilung nahekommen (vgl. KG, Urteil vom 1. April 2021, 8 U 1099/20; OLG Dresden, Urteil vom 24. Februar 2021, 5 U 1782/20; abweichend OLG Karlsruhe, Urteil vom 24. Februar 2021, 7 U 109/20; Römermann, NJW 2021, 265 ff), denn auch wenn die Umsätze des Mieters dadurch eingebrochen sein mögen, konnte er die Räumlichkeiten in dieser Zeit immerhin weiter nutzen.

Randnummer39
bb) Bei einem Vertrag über die Durchführung einer Veranstaltung, die coronabedingt abgesagt werden muss, verhält es sich anders. Hier kommt der Auftraggeber nicht, auch nicht teilweise in den Genuss von Leistungen des Unternehmers, während dieser aber durch das Einsparen von Aufwendungen, die ihm bei Durchführung der Veranstaltung entstanden wären – etwa für Wareneinkauf oder Arbeitskräfte – die negativen Auswirkungen des Ausfalls verringern kann. Wenn es somit angezeigt sein sollte, die negativen Konsequenzen des coronabedingten Ausfalls einer Veranstaltung hälftig zu teilen, dann ist es sachgerecht, zur Erreichung dieses Ziels nicht auf den Umsatz abzustellen, den der Leistungserbringer bei Durchführung der abgesagten Veranstaltung hätte erzielen können, sondern auf die Kosten, die ihm durch die Absage tatsächlich entstanden sind. Nur diese sind hälftig zu teilen, wenn sie denn bekannt sind. Dies führt im Ergebnis zu einem geringeren Zahlungsanspruch des Veranstalters. Die Angemessenheit dieses Ansatzes wird aber auch durch Art. 240 § 5 EGBGB belegt, der in ähnlichen Fällen für den Veranstalter nur eine vorübergehende Stundung der Entgeltrückzahlung und im Ergebnis überhaupt keinen Zahlungsanspruch vorsieht.

Randnummer40
cc) Für den vorliegenden Fall folgt aus diesen Überlegungen, dass eine Abmilderung der vergütungslosen Kündigung des Veranstaltungsvertrags nicht in Betracht kommt. Denn maßgeblicher Ausgangspunkt für die hälftige Teilung der nachteiligen Folgen des coronabedingten Ausfalls der Veranstaltung können nur die Kosten sein, die der Beklagten hierdurch entstanden sind und die nicht durch staatliche Unterstützungsleistungen – etwa Kurzarbeitergeld – oder die Minderung der Miete des Restaurants aufgefangen worden sind. Aus dem Vorbringen der Beklagten sind derartige Kosten aber nicht zu entnehmen.

Randnummer41
Auch nachdem der Senat mit seinem Beschluss vom 25. Juni 2021 auf diesen Punkt hingewiesen hat, trägt die Beklagte nur zu den Aufwendungen vor, die sie infolge der Absage der Veranstaltung erspart hat (vgl. Schriftsatz vom 16. November 2020, S. 3), die aber nicht maßgeblich sind.

Randnummer42
dd) Bei einer Gesamtbewertung aller Umstände ist der Beklagten die außerordentliche Kündigung des Veranstaltungsvertrags auch deshalb zumutbar, weil als alternative Maßnahme hierzu insbesondere die Verschiebung in Betracht gekommen wäre, deren Scheitern aber im Wesentlichen auf das eigene Verhalten der Beklagten zurückzuführen ist. Zwar bot sie der Klägerin am 12. März 2020 die Verschiebung der Feierlichkeit auf einen Tag im 3. oder 4. Quartal des Jahres 2020 an, dies aber ultimativ unter der Bedingung, dass sich die Klägerin innerhalb von vier Tagen auf das Datum festlegt. Diese Vorgabe war zu unflexibel. Sachgerecht hingegen war das Gegenangebot des Ehemanns der Klägerin, das Datum mit einem Vorlauf von zwei Monaten festzulegen (vgl. Anlagen K 2 und K 3). Indem die Beklagte hierauf nicht einging, ist sie selbst maßgeblich dafür verantwortlich, dass es nicht zu der Verschiebung der Veranstaltung kam.

Randnummer43
Auch nach der Stellungnahme der Beklagten vom 2. August 2021 hält der Senat an dieser Einschätzung fest. Sicherlich war die Beklagte ab der zweiten Märzhälfte 2020 mit zahlreichen coronabedingten Absagen konfrontiert bzw. hatte die Verschiebung geplanter Veranstaltungen zu koordinieren. Gerade dann war es aber interessengerecht, das von der Klägerin gebuchte Essen zunächst auf ein unbestimmtes Datum zu verschieben und den neuen Termin bei wieder erhöhter Planungssicherheit mit einem gewissen Vorlauf festzulegen. Dieses von der Klägerin angebotene Vorgehen lehnte die Beklagte aber ab.

Randnummer44
d) Die Beklagte ist zum Behalten der Abschlagszahlung der Klägerin auch nicht deshalb berechtigt, weil ihr gemäß § 6.1 ihrer AVB ein pauschalierter Vergütungsanspruch gegen die Klägerin zustünde. Diese Regelung ist gemäß §§ 306 Abs. 1, 307 BGB unwirksam. Denn andernfalls hätte sie die Folge, dass eine Vertragspartei an einer ihr gemäß § 648a Abs. 1 und § 313 BGB unzumutbaren Rechtsfolge festgehalten wird. Derartiges ist durch eine Bestimmung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Gegenseite nicht möglich (BGH, Urteil vom 20. Juli 2017, VII ZR 259/16; Beschluss vom 4. November 2015, VII ZR 282/14).

Randnummer45
e) Schließlich ergibt sich ein Zahlungsanspruch der Beklagten, der sie zum Behalten der Abschlagszahlung berechtigen könnte, auch nicht aus der Mail des Ehemanns der Klägerin vom 13. März 2020 (Anlage K 3). Zwar erklärt dieser dort, dass er den Veranstaltungsvertrag kündigen und der Klägerin den entstandenen Schaden gemäß § 6 der AVB ersetzen werde, hierin liegt aber ersichtlich keine Zusage mit Rechtsbindungswillen.

Randnummer46
Der Senat hält an dieser Einschätzung auch nach der Stellungnahme der Beklagten vom 2. August 2021 fest. In der Regel will niemand ohne konkreten Anlass verbindlich auf ein Recht verzichten oder zugunsten eines anderen einen bis dato nicht bestehenden Anspruch begründen. Dies gilt insbesondere, wenn bereits ein Vertrag zwischen zwei Personen besteht, der die wechselseitigen Rechte und Pflichten bereits festlegt. Denn dann hat grundsätzlich keine Partei Anlass zu ihrem eigenen Nachteil von ihrer bereits durch den Vertrag definierten Rechtsposition abzurücken. Deshalb ist es anerkannt, dass der Besteller eines Werkvertrags sogar durch eine zusätzliche Vereinbarung im Zweifel keinen zusätzlichen Vergütungsanspruch zugunsten des Werkunternehmers begründet, wenn ein solcher auf Grundlage des unmodifizierten Vertrags nicht bestünde (BGH, Urteil vom 8. März 2012, VII ZR 177/11; Urteil vom 26. April 2005, X ZR 166/04; Retzlaff in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage, 2021, § 631 BGB, Rn. 8). Nach diesen Grundsätzen ergibt sich aus der Mail des Ehemanns der Klägerin kein Zahlungsanspruch zugunsten der Beklagten. Denn es ist nicht ersichtlich, warum er sich zum damaligen Zeitpunkt hierzu verbindlich gegenüber der Beklagten hätte verpflichten sollen.

Randnummer47
2. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 25. Juni 2021 die Beklagte auf sämtliche erheblichen Gesichtspunkte hingewiesen. Ihre Stellungnahme hierzu gibt wie dargelegt keinen Anlass, hiervon abzurücken.

Randnummer48
3. Einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO steht nicht entgegen, dass die Frage, ob die von der Beklagten zu erbringenden gastronomischen Leistungen vielleicht entgegen der Ansicht des Senats doch eine Freizeitveranstaltung im Sinne der Gutscheinlösung des Art. 240 § 5 EGBGB sind, grundsätzliche Bedeutung gemäß § 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hätte, wie die Beklagte meint. Selbst wenn diese Bedeutung gegenwärtig bestehen sollte, würde sie mit dem Ablauf des Jahres entfallen, weil sich die Beklagte dann in keinem Fall mehr auf die Stundungswirkung der Gutscheinlösung berufen könnte (Art. 240 § 5 Abs. 5 Nr. 2 EGBGB). Selbst wenn der Senat die Revision gegen ein Urteil zuließe, wäre eine Entscheidung des BGH in diesem Jahr aber nicht mehr möglich. Damit wäre eine eventuelle grundsätzliche Bedeutung jedenfalls im Zeitpunkt des Abschlusses der Revisionsinstanz entfallen.

Randnummer49
4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

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