LAG Hamm, Urteil vom 24.04.2012 – 14 Sa 175/12

Juli 5, 2020

LAG Hamm, Urteil vom 24.04.2012 – 14 Sa 175/12

Überrascht der Alleingesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der nicht zugleich ihr Geschäftsführer ist, einen Arbeitnehmer bei einem Diebstahl und lässt sich sodann auf dessen Bitte ein, hieraus keine Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis zu ziehen, indem er die Geschäftsführerin der GmbH zunächst nicht unterrichtet, stellt es ein widersprüchliches Verhalten der GmbH als Arbeitgeberin dar, wenn sie rund fünf Monate später kündigt, nachdem der Alleingesellschafter die Geschäftsführerin erstmals über den Vorfall informiert hat.
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 14. Dezember 2011 (1 Ca 724/11) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung sowie die Weiterbeschäftigung des Klägers.

Der am 22. Dezember 1962 geborene Kläger ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er stand seit dem 26. April 2010 bei der Beklagten in einem Arbeitsverhältnis als Werkzeugmacher. Sein Verdienst betrug zuletzt 2.500,00 Euro brutto monatlich. Die Beklagte beschäftigt mehr als zehn Arbeitnehmer. Es handelt sich bei ihr um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Alleingesellschafter war der während des vorliegenden Verfahrens zwischenzeitlich verstorbene Herr I1.

Mit dem am 30. März 2011 zugegangenen Schreiben vom Vortag kündigte die Beklagte dem Kläger „fristgerecht zum 15.04.2011“, erteilte sechs Tage Urlaub und stellte ihn bis zum Ablauf der Kündigungsfrist von der Arbeit frei (wegen der Einzelheiten zum Kündigungsschreiben vgl. Anlage zur Klageschrift, Bl. 4 d.A.). Mit einem weiteren Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 12. April 2011, dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist und erklärte darüber hinaus, dass die bereits vorliegende Kündigung vom 29. März 2011 nur noch hilfsweise gelte (wegen der weiteren Einzelheiten vgl. Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 18. April 2011, Bl. 11 d.A.).

Mit seiner am 6. April 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 21. April 2011 erweiterten Klage hat sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der beiden Kündigungen gewandt. Er hat bestritten, am 26. Oktober 2010 einen Diebstahl begangen zu haben und diesen gegenüber der Geschäftsführerin der Beklagten am 29. März 2011 gestanden zu haben.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 29. März 2011, ihm zugegangen am 30. März 2011, aufgelöst worden ist;

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht aufgrund außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigung vom 12. April 2011 beendet worden ist;

die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Werkzeugmacher weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe am 26. Oktober 2010 um 03:00 Uhr auf dem Betriebsgelände der Beklagten Schrottteile, welche sie noch habe verwerten wollen, in den Kofferraum seines Fahrzeugs geladen. Dabei sei er von dem Alleingesellschafter der Beklagten beobachtet worden, der zufällig auf dem Rückweg vom Krankenhaus am Betrieb zu diesem Zeitpunkt vorbeigekommen sei. Dieser habe den Kläger zur Rede gestellt und gefragt, was er denn da treibe und was das solle. Darauf habe der Kläger eingeräumt, dass er die Gegenstände gestohlen habe bzw. habe stehlen wollen. Er habe den Alleingesellschafter jedoch um Verständnis gebeten und ihm sinngemäß mitgeteilt, es täte ihm leid, aber er bräuchte dringend Geld, weil er dringende Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen habe. Des Weiteren habe er den Alleingesellschafter gebeten, aus diesem Geschehen keine rechtlichen Nachteile für das Arbeitsverhältnis zu ziehen und insbesondere Stillschweigen zu bewahren. Darauf habe sich der Alleingesellschafter eingelassen. Im Zusammenhang mit einem Einbruchdiebstahl in dem Betrieb der Beklagten am 26./27. März 2011 habe der Alleingesellschafter der Geschäftsführerin der Beklagten am 28. März 2011 mitgeteilt, dass er einen Verdacht gegen den Kläger hege. Er habe die Geschäftsführerin sodann von dem Vorfall am 26. Oktober 2010 unterrichtet. Am 29. März 2011 habe diese den Kläger auf die Beobachtungen des Alleingesellschafters im Oktober 2010 angesprochen. Der Kläger habe die Tat im Beisein des Betriebsleiters K1-D1 S1 unumwunden eingeräumt. Auch gegenüber seinem weiteren Vorgesetzten (und zugleich Bruder des Betriebsleiters) H1-J1 S1, der den Kläger auf diesen Sachverhalt noch angesprochen habe, habe er die Tat vom 26. Oktober 2010 zugegeben. Daraufhin habe sich die Geschäftsführerin zur Kündigung entschlossen, den Kläger an seinem Arbeitsplatz aufgesucht und ihm mitgeteilt, dass sie ihm kündigen werde, sowie unmittelbar von der Arbeit freigestellt.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 14. Dezember 2011 der Klage in vollem Umfang stattgegeben und eine von der Beklagten erhobene Widerklage auf Rückzahlung eines Darlehens von 5.000,00 Euro abgewiesen. Zur Begründung seiner der Klage stattgebenden Entscheidung hat es ausgeführt, die Beklagte könne sich auf den von ihr behaupteten Diebstahl bereits nach eigenem Vorbringen nicht stützen, weil der Alleingesellschafter dem Kläger eindeutig zu verstehen gegeben habe, er werde aus dem Verhalten des Klägers keine rechtlichen Nachteile für das Arbeitsverhältnis ziehen. Dies müsse sich die Beklagte zurechnen lassen. Mit der Kündigung setze sich die Beklagte dazu im Widerspruch und handele treuwidrig nach § 242 BGB. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (Seite 5 bis 8 des Urteils, Bl. 129 ff. d.A.) verwiesen.

Das Urteil wurde der Beklagten am 28. Dezember 2011 zugestellt. Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte nur noch gegen die Stattgabe der Kündigungsschutzklage und ihre Verurteilung zur Weiterbeschäftigung. Die Berufung ist am Montag, dem 30. Januar 2012 eingelegt und mit dem am 20. Februar 2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet worden.

Die Beklagte ist der Ansicht, der frühere Alleingesellschafter habe keine die Beklagte rechtlich bindende Erklärung abgeben können, aus dem Vorfall vom 26. Oktober 2010 keine Kündigung mehr herleiten zu wollen. Auch die Voraussetzungen für eine Zurechnung seiner Kenntnis, wie sie nach der Rechtsprechung zur Ausschlussfrist des § 626 Abs.2 BGB bestünden, seien in der Person des verstorbenen Alleingesellschafters nicht erfüllt. Er habe weder eine der Stellung eines gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Stellvertreters des Arbeitgebers gleichkommende selbständige Stellung inne gehabt, noch sei er in die betriebliche Organisation in irgendeiner Form eingegliedert gewesen, so dass die mangelnde Kenntnis der Geschäftsführerin auch nicht durch eine unsachgemäße Organisation des Betriebes verursacht sei. Könne aber die Kenntnis des Alleingesellschafters der Beklagten nicht zugerechnet werden, könne dieser zu ihren Lasten auch nicht einen an sich bestehenden Kündigungsgrund verzeihen. Im Übrigen liege kein Sachverhalt vor, der die Annahme rechtfertige, dass der Alleingesellschafter dem Kläger ausdrücklich oder konkludent verziehen habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn, 1 Ca 724/11, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens die angefochtene Entscheidung als zutreffend. Es komme entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf die Kenntnis der formal kündigungsberechtigten Geschäftsführerin der Beklagten an. Die Geschicke der Beklagten wie auch weiterer Firmen, die zum Firmenverbund des verstorbenen Alleingesellschafters gehört hätten, seien ausschließlich von diesem geleitet worden. Nur am Rande sei darauf hinzuweisen, dass die Geschäftsführerin der Beklagten mit dem Alleingesellschafter liiert gewesen sei. Im Übrigen bleibe sowohl der Vorfall vom 26. Oktober 2010 als auch das angebliche Geständnis des Klägers vom 29. März 2012 bestritten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den von ihnen in Bezug genommenen Inhalt der in beiden Instanzen zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der Sitzungen des Arbeitsgerichts am 9. Mai 2011, 31. August 2011 sowie 14. Dezember 2011 und des Landesarbeitsgerichts am 24. April 2012 verwiesen.
Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 12. April 2011 ist unwirksam, weil sie auf den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung verzichtet hat. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29. März 2011 sowie die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 12. April 2011 sind wegen unzulässiger Rechtsausübung im Sinne des § 242 BGB unwirksam, weil ein widersprüchliches Verhalten der Beklagten vorliegt. Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung ist der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers begründet.

1. Die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 12. April 2011 folgt aus dem durch den Ausspruch der ordentlichen Kündigung vom 29. März 2011 zugleich erklärten Verzicht der Beklagten, auf den dieser Kündigung zugrunde liegenden Kündigungssachverhalt, nämlich den Vorfall vom 26. Oktober 2010, eine außerordentliche Kündigung zu stützen.

Der Kündigungsberechtigte kann sowohl bei der ordentlichen wie auch bei der außerordentlichen Kündigung auf ein auf bestimmte Gründe gestütztes und konkret bestehendes Kündigungsrecht verzichten. Der Verzicht auf ein entstandenes Kündigungsrecht ist ausdrücklich oder konkludent durch empfangsbedürftige Willenserklärung des Kündigungsberechtigten möglich (vgl. BAG, 10. November 1988, 2 AZR 215/88, NZA 1989, 633 ; 26. November 2009, 2 AZR 751/08, NZA 2010, 823 m.w.N.). Im Falle einer außerordentlichen Kündigung ist ein Verzicht auf ein entstandenes Kündigungsrecht vor Ablauf der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nur dann anzunehmen, wenn der Kündigungsberechtigte eindeutig seine Bereitschaft zu erkennen gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Das ist hinsichtlich des Rechts zur außerordentlichen Kündigung zum Beispiel dann anzunehmen, wenn der Kündigungsberechtigte vor Ablauf der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB eine ordentliche Kündigung ausspricht (vgl. BAG, 10. November 1988, a. a. O.,).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte nach ihrem Vortrag am 28. März 2011 von dem angeblichen Diebstahl des Klägers am 26. Oktober 2010 Kenntnis erlangt und wusste am 29. März 2010 aufgrund des angeblichen Geständnisses des Klägers, dass er diesen tatsächlich begangen hatte. Damit bestand, wenn dieser Sachverhalt tatsächlich zutrifft, grundsätzlich ein Recht zur außerordentlichen Kündigung. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 29. März 2011 „fristgerecht zum 15.04.2011“ gekündigt. Auch wenn sie die gesetzliche Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB (4 Wochen zum 15. oder zum Letzten eines Kalendermonats) nicht eingehalten hat, hat sie aufgrund der Verwendung des Wortes „fristgemäß“ keine außerordentliche, sondern lediglich eine ordentliche Kündigung erklärt, denn dem Kündigungsschreiben ist der Wille der Beklagten zu entnehmen, eine Kündigungsfrist einhalten zu wollen. Dies ist Bestandteil einer ordentlichen Kündigung. Durch diese ordentliche Kündigung hat die Beklagte auf ihr außerordentliches Kündigungsrecht verzichtet.

2. Die ordentlichen Kündigungen vom 29. März 2011 und 12. April 2011 sind nach dem Vortrag der Beklagten bereits wegen widersprüchlichen Verhaltens unwirksam. Der Beklagten ist zuzurechnen, dass ihr verstorbener Alleingesellschafter seine Kenntnis von dem angeblichen Diebstahl des Klägers am 26. Oktober 2010 nicht weiter gegeben hat. Der Kläger konnte aufgrund des Verhaltens des Alleingesellschafters davon ausgehen, dass die Beklagte hierauf allein keine Kündigung stützen würde.

a) Die Kündigung kann wegen widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) des Arbeitgebers unwirksam sein. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das Verhalten, auf das er die ausgesprochene Kündigung stützt, zuvor verziehen hat oder sonst wie auf dessen Geltendmachung zur Begründung einer Kündigung verzichtet. Kündigungen erscheinen danach als unzulässige Rechtsausübung, wenn der Kündigende durch entsprechende Zusagen einen Vertrauenstatbestand beim Gekündigten geschaffen hat, in nächster Zeit oder wegen bestimmter Umstände nicht gekündigt zu werden (vgl. BAG, 8. Juni 1972, 2 AZR 336/71, NJW 1972 1878 ; 13. Juli 1978, 2 AZR 798/77, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 18; 2. November 1978, 2 AZR 74/77, AP BGB § 620 Nr. 3; APS/Preis, Kündigungsrecht, 4. Auflage 2012, Grundlagen D Rn. 101).

In diesen Zusammenhang gehört auch die Fallgruppe „Verzeihen des Kündigungsgrundes“: Erklärt der Arbeitgeber ausdrücklich oder konkludent, von einer Kündigung wegen eines bestimmten Sachverhaltes abzusehen, so ist eine gleichwohl ausgesprochene Kündigung widersprüchlich und unwirksam (APS/Preis, a. a. O., Rn. 103).

b) Der Vortrag der Beklagten zum Verhalten ihres Alleingesellschafters gegenüber dem Kläger am 26. Oktober 2010 rechtfertigt die Annahme, dass die nunmehr am 29. März 2011 bzw. später am 12. April 2011 ausgesprochene ordentliche Kündigung wegen widersprüchlichen Verhaltens unwirksam ist. Der Alleingesellschafter hat nach Vortrag der Beklagten sich auf die Bitte des Klägers eingelassen, aus dem Geschehen am 26. Oktober 2010 keine rechtlichen Nachteile für das Arbeitsverhältnis zu ziehen und insbesondere Stillschweigen zu bewahren. Hieran hat er sich auch fünf Monate gehalten. Daraus konnte der Kläger ableiten, dass die Beklagte ihm nicht wegen des – angeblichen – Diebstahls am 26. Oktober 2010 kündigen wird. Insoweit konnte er darauf vertrauen, dass dieser Vorfall allein nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen wird.

Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass der Kläger nicht davon ausgehen konnte, dass dieser Vorfall ewig geheim blieb. Es dürfte insoweit keinen Bedenken begegnen, dass zwecks Aufklärung des angeblichen Einbruchs am 26./27. März 2011 der Alleingesellschafter den Diebstahl der Geschäftsführerin mitteilte. Im Zusammenhang mit weiteren Indizien hätte sich darauf ggfs. eine Kündigung wegen des Verdachts, diesen zuletzt genannten Einbruch durchgeführt zu haben, stützen lassen. Das ist vorliegend nicht geschehen. Die Beklagte hat sich ausschließlich auf den Vorgang aus Oktober 2010 zur Begründung ihrer Kündigung gestützt. Dies steht im Widerspruch zur Reaktion ihres Alleingesellschafters auf den angeblichen Diebstahl des Klägers.

c) Das Verhalten des verstorbenen Alleingesellschafters ist der Beklagten auch zuzurechnen.

aa) Grundsätzlich ist anerkannt, dass das Verhalten eines Dritten die Treuwidrigkeit der Rechtsausübung des Berechtigten begründen kann (vgl. Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, Neubearbeitung 2009, § 242 BGB Rn. 225; MüKoBGB/Roth/Schubert, 6. Auflage, 2012, Bd. 2, § 242 Rn. 209 f.; Bamberger/Roth/Sutschet, BeckOK BGB, § 242 Rn. 56, 109). Handelt der Dritte im Pflichtenkreis des Berechtigten, kann eine Zurechnung analog § 278 BGB erfolgen (vgl. BGH, 14. Dezember 1972, II ZR 82/70, NJW 1973, 1604 ). Teilweise wird bei rechtsgeschäftlichem Handeln auf die Regeln über Geschäftsfähigkeit und Stellvertretung zurückgegriffen, in anderen Fällen auf die §§ 827 ff. BGB, Einzelheiten sind insoweit umstritten (vgl. näher MüKoBGB/Roth/Schubert, a. a. O., Rn. 209 m.w.N.).

Über den Kreis der Stellvertretung und Gehilfen hinaus können sich in Fällen der mittelbaren Stellvertretung, der Einschaltung eines Treuhänders oder Strohmannes oder in sonstigen Fällen der „Repräsentanz“ Umstände aus der Person des materiell Betroffenen im Rechtsverhältnis der formal Beteiligten niederschlagen und umgekehrt Umstände in der Person des Repräsentanten oder Strohmannes unmittelbar Rechtswirkungen für oder gegen den Hintermann, Treugeber etc. entfalten. Ansonsten ist die Zurechnung eines Verhaltens unbeteiligter Dritter von der Kenntnis desjenigen abhängig, der von der Zurechnung betroffen ist, sowie von weiteren Umständen, die das Ausnutzen dieses Drittverhaltens zum eigenen Vorteil unzulässig erscheinen lassen (vgl. BGH, 4. Juli 1973, VIII ZR 59/72, MDR 1973, 926; 1. Dezember 1999, I ZR 130/96, NJW 2000, 2504 ; MüKoBGB-Roth/Schubert, a. a. O., Rn. 210). Das Verhalten des Dritten muss in der Regel für den Betroffenen zumindest erkennbar und vermeidbar, wenn nicht sogar bekannt und geduldet sein, damit es ihm zurechenbar ist (vgl. MüKoBGB-Roth/Schubert, a. a. O., Rn. 289; Bamberger/Roth/Sutschet, a. a. O., Rn. 109). Ausreichend kann es sein, dass der Handelnde die vertrauensbegründenden Umstände beherrscht und sie hätte vermeiden können, worüber objektive Kriterien entscheiden, was auch dann gilt, wenn sich das Vertrauen auf das Verhalten Dritter stützt (vgl. Staudinger/Looschelders/Olzen, a. a. O., Rn. 293).

Die Frage nach der Zurechnung des Verhaltens Dritter lässt sich aber letztlich nicht allgemein beantworten. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalles an (vgl. Bamberger/Roth/Sutschet, a. a. O., Rn. 56).

bb) Demnach kommt es im vorliegenden Fall auch darauf an, welche Stellung der Alleingesellschafter der Beklagten im Verhältnis zur Geschäftsführerin einerseits, zur Beklagten andererseits rechtlich hat, um zu beurteilen, ob trotz der nach dem Vortrag der Beklagten fehlenden Einbindung in den laufenden Betrieb sein Verhalten gegenüber dem Kläger ihr zugerechnet werden kann, so dass der spätere Ausspruch einer Kündigung widersprüchlich ist.

(1) Rechtlich gesehen vertritt der Alleingesellschafter die Beklagte als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (im Folgenden GmbH) nicht im Rechtsverkehr. Dies ist vielmehr gemäß § 35 GmbHG Aufgabe der Geschäftsführerin. Allerdings ist seine rechtliche Stellung innerhalb der GmbH für die Beurteilung der Zurechenbarkeit nicht ohne Bedeutung. Die grundsätzlich vom Gesetz vorausgesetzte Befugnis zur Führung der laufenden Geschäfte durch einen Geschäftsführer kann auch im Einzelfall jedenfalls im Verhältnis zum Geschäftsführer von der Gesellschafterversammlung hier also von einem Alleingesellschafter – an sich gezogen werden. Gesellschafterbeschlüsse können einzelne Geschäftsführungsentscheidungen in konkreten Angelegenheiten enthalten, sowohl negativverbietend als auch positivgebietend (vgl. Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 19. Auflage, 2010, § 37 Rn. 20). Die Gesellschafterversammlung ist insofern allzuständig, als sie, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt, nahezu jede Angelegenheit an sich ziehen und für andere Organe im Innenverhältnis bindend entscheiden kann (vgl. Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, a. a. O., § 46 Rn. 89). Damit besteht zumindest die rechtlich abgesicherte Möglichkeit eines Alleingesellschafters, Entscheidungen des Geschäftsführers bezogen auf ein einzelnes Arbeitsverhältnis konkreten Weisungen zu unterwerfen. Damit wird zwar im Außenverhältnis zum Arbeitnehmer keine unmittelbare rechtliche Wirkung solcher Weisungen begründet. Im Gegenteil: Die unternehmerische Entscheidung zur Stilllegung des Betriebes einer GmbH durch ihren Geschäftsführer kann auch dann die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmers sozial rechtfertigen, wenn ihr kein wirksamer Beschluss der Gesellschafter zugrunde liegt (vgl. BAG, 11. März 1998, 2 AZR 14/97, NZA 1998, 879; 5. April 2001, 2 AZR 696/99, NZA 2001, 949).

Im Übrigen soll eine Zurechnung des Wissens eines Gesellschafters in der Regel nicht erfolgen (vgl. Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, a. a. O., § 35 GmbHG Rn. 151). Ob und inwieweit die Kenntnis oder das Kennenmüssen bestimmter Umstände auf der Seite der Gesellschafter der Gesellschaft zuzurechnen ist, bestimmt sich vielmehr nach den entsprechend anwendbaren § 31, § 166 BGB. So wird bei einem Handeln auf Weisung der Gesellschafter davon ausgegangen, dass nach der Wertung des § 166 Abs. 2 BGB die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Gesellschafters der GmbH zuzurechnen ist (vgl. Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, a. a. O.; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13 Rn. 72; Rohwedder/Pentz, § 13 GmbHG, Rn. 149). Im Übrigen wird ein die Gesellschaft beherrschender Gesellschafter, wenn er den Vertragspartner der Gesellschaft täuscht, aufgrund seiner engen Beziehungen zur Gesellschaft nicht als Dritter im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB angesehen (vgl. BGH, 22. Januar 1990, II ZR 25/89, NJW 1990, 1915; Rohwedder/Pentz, a. a. O., Rn. 148).

(2) Für die hier zu beurteilende Frage, ob das von der Beklagten dargelegte Verhalten ihres Alleingesellschafters gegenüber dem Kläger zurechenbar ist, folgt hieraus, dass angesichts der rechtlichen Stellung des Alleingesellschafters gegenüber der Geschäftsführerin er sowohl die Möglichkeit als auch die Befugnis hatte, ihr ggfs. konkrete Weisungen zu erteilen, wie sie auf den Vorfall vom 26. Oktober 2010 zu reagieren hatte. Also konnte er auch durchsetzen, dass ein Fehlverhalten des Klägers ohne Konsequenzen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses blieb, und sei es im Extremfall durch eine Abberufung der Geschäftsführerin, eine Selbsteinsetzung als Geschäftsführer und die Vereinbarung einer Fortführung eines ggfs. zwischenzeitlich gekündigten Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger.

Diese rechtliche Möglichkeit ist ausreichend, das Verhalten des Alleingesellschafters im Zusammenhang mit einer möglichen Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer der Gesellschaft zuzurechnen und aus einem Verhalten, dem der Arbeitnehmer entnehmen kann, der Alleingesellschafter werde ihn vor einer Kündigung schützen, die Widersprüchlichkeit eines entgegengesetzten Verhaltens der Arbeitgeber-GmbH aufgrund der Entscheidung des vertretungsberechtigten Geschäftsführers abzuleiten. Insoweit ist darauf abzustellen, dass der Alleingesellschafter in diesen Fällen der wirtschaftlich Betroffene der Entscheidung ist. Aus dem Verhalten des verstorbenen Alleingesellschafters im konkreten Fall ist letztlich abzuleiten, dass er die Entscheidung als Gesellschafter getroffen hatte, dass eine negative Konsequenz für den Kläger aus dessen Verhalten unmittelbar nicht folgt. Es bedurfte dann keiner ausdrücklichen Weisung gegenüber der Geschäftsführerin mehr, sondern lediglich der Umsetzung dieser Weisung durch Nichtweitergabe der Information an die Geschäftsführerin.

In diesen Fällen ist zudem es angemessen, unabhängig von § 31, § 166 BGB oder anderen Zurechnungsvorschriften die Kenntnis des Alleingesellschafters der von ihm wirtschaftlich getragenen GmbH zuzurechnen. Einer Kenntnis des vertretungsberechtigten Organs bedarf es insoweit nicht, um die Annahme eines widersprüchlichen Verhaltens zu begründen. Es kommt demnach auch nicht darauf an, ob die Voraussetzungen für eine Zurechnung der Kenntnisse des Alleingesellschafters im Rahmen des § 626 Abs. 2 BGB möglich ist oder nicht. Denn der grundlegende Unterschied besteht darin, dass abweichend von den der unmittelbaren oder entsprechenden Anwendbarkeit dieser Vorschriften üblicherweise zugrunde liegenden Fallgestaltungen der Alleingesellschafter einer GmbH durch die unterbliebene Weiterleitung bestimmter Informationen an den Geschäftsführer der GmbH gerade eine aufgrund seiner rechtlichen Stellung in der GmbH und gegenüber dem Geschäftsführer durchsetzbare Einzelfallentscheidung unmittelbar umsetzt. Das rechtfertigt es, von Kenntnis, Vermeidbarkeit, Erkennbarkeit oder Duldung des Geschäftsführers als Erfordernis abzusehen. Vielmehr ist ein Alleingesellschafter in Bezug auf die GmbH wie bei einer Anfechtung nach § 123 Abs. 2 BGB aufgrund seiner engen, beherrschenden rechtlichen Beziehung zur Gesellschaft nicht als ein Dritter anzusehen, dessen Verhalten nur unter diesen Voraussetzungen der Gesellschaft zugerechnet werden kann.

cc) Der Kläger konnte, da sich der Alleingesellschafter auf seine Bitte, aus dem Vorfall keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu ziehen, nach dem Vortrag der Beklagten eingelassen hatte, darauf vertrauen, dass ihm wegen dieser Umstände allein jedenfalls nicht gekündigt wird. Insbesondere im Hinblick auf den Zeitablauf von fast fünf Monaten musste der Kläger nicht mehr damit rechnen, dass dieser Vorfall für eine Kündigung herangezogen wird.

Im Ergebnis kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, dass ihre Geschäftsführerin erst Ende März 2011 von dem angeblichen Diebstahl am 26. Oktober 2010 durch den Alleingesellschafter informiert wurde. Vielmehr konnte der Kläger aufgrund des Verhaltens des Alleingesellschafters darauf vertrauen, dass eine Kündigung wegen dieses angeblichen Vorfalls nicht mehr erfolgen wird. Die nunmehr ausgesprochene Kündigung der Beklagten steht dazu im Widerspruch und ist gemäß § 242 BGB unwirksam.

3. Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung besitzt der Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Verfahrens einen vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch nach den Grundsätzen der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Februar 1985 (GS 1/84, AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14). Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte ihre Kündigungen auf eine Straftat des Klägers gestützt hat. Auch hier wirkt sich zu ihren Lasten aus, dass die Kenntnis ihres verstorbenen Alleingesellschafters von dem angeblichen Diebstahl über einen längeren Zeitraum vorlag, ohne dass er dies zum Anlass genommen hat, die Geschäftsführerin darüber zu informieren. Insoweit bleibt unter diesen besonderen Umständen der Beklagten die Weiterbeschäftigung des Klägers zumutbar.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung des Falles zuzulassen.

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