LAG Hessen, 26.06.2015 – 10 Sa 8/14 teilabbrucharbeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 29 VTV können sich auch auf nichttragende Bauteile, z.B. abgehängte Decken, Treppen u.ä., beziehen. Auch in einem solchen Fall tritt eine teilweise Beseitigung eines Bauwerks ein.

April 28, 2019

LAG Hessen, 26.06.2015 – 10 Sa 8/14
teilabbrucharbeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 29 VTV können sich auch auf nichttragende Bauteile, z.B. abgehängte Decken, Treppen u.ä., beziehen. Auch in einem solchen Fall tritt eine teilweise Beseitigung eines Bauwerks ein.
2.

Die Demontage von Dämmungen und von HolzB und Aluminiumverkleidungen stellt jedenfalls auch eine bauliche Tätigkeit i.S.v. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV („Beseitigung von Bauwerken“) dar.
3.

Es besteht nicht generell eine Amtspflicht, Zweifel an der Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) aus anderen Rechtsstreitigkeiten von Amts wegen in alle anderen Verfahren die gleiche AVE betreffend einzuführen.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 23. Oktober 2013 – 6 Ca 191/13 – wird zurückgewiesen.

Der Antrag der Beklagten auf Aussetzung des Rechtsstreits nach § 98 Abs. 6 ArbGG wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zum Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Nach näherer tariflicher Maßgabe ist er die für den Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes zuständige Stelle.

Auf der Grundlage des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe begehrt der Kläger von der Beklagten Zahlung von 17.228 Euro. Dabei handelt es sich um Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer in dem Zeitraum Januar bis Februar 2011. Der Kläger hat die Forderung auf der Grundlage einer Mindestbeitragsklage berechnet und dabei pro Arbeitnehmer, nämlich für 11,5 Arbeitnehmer im Januar 2011 und für 18 Arbeitnehmer in Februar 2011, jeweils einen Sozialkassenbeitrag in Höhe von 584 Euro zugrunde gelegt.

Im Handelsregister ist der Betrieb der Beklagten mit dem Unternehmensgegenstand „Durchführung von Demontagearbeiten, Abbruch und Sanierung von Gebäuden“ eingetragen (Bl. 51 der Akte). Am 17. Februar 2010 hat die Beklagte in dem Formular „Anmeldung Neukunde“ angekreuzt, sie führte Abbruch- und Entkernungsarbeiten durch.

Die Bundesagentur für Arbeit – Agentur für Arbeit Darmstadt – hat mit Bescheid vom 19. August 2010 (Bl. 41 der Akte) festgestellt, dass die Beklagte überwiegend baufremde Arbeiten erbracht habe.

Am 14. September 2011 fand ein Betriebsbesuch durch den Kläger statt.

Im Betrieb der Beklagten wurden im streitgegenständlichen Zeitraum zu einem Anteil von mindestens 70 % der Arbeitszeit nichttragende Bauteile, z.B. abgehängte Decken aus Gipskarton oder Holz, Trennwände aus Gipskarton etc. entfernt. Zu einem Anteil von mindestens 5 % wurden tragende Bauteile abgebrochen. Zu einem weiteren Anteil von mindestens 5 % wurden Schadstoffe (Asbest, PCB, PAK) entfernt. Daneben erbrachte die Beklagte Entrümpelungsarbeiten und entfernte dabei bewegliche Sachen auf den Sperrmüll.

Der Kläger hat behauptet, in dem Betrieb der Beklagten hätten die Arbeitnehmer im Jahre 2011 zu mehr als 50 % ihrer persönlichen Arbeitszeit die folgenden Tätigkeiten erbracht:

– Abbrucharbeiten, d.h. Abbruch von Mauerwerksteilen und Gebäudeteilen;

– Entkernungsarbeiten, wie das Entfernen/die Demontage von Gipskartonwänden, Mineralfaserdecken, Entfernen von Styroporplatten, Dämmungen/Dämmstoffen, Holz-, Aluminium- und Stahlverkleidungen, Demontage von Betontreppen und Stahltreppen;

– Kernbohrungsarbeiten für Wand- und Deckenöffnungen;

– Schadstoffsanierungsarbeiten an Gebäuden, d.h. der Ausbau von schadstoffbelastenden Dämmstoffen (Asbest, PCB, PAK) Mineralfaserstoffen.

Zur Stützung seines Vortrags verweist der Kläger auf den Betriebsbesuch, den Internetauftritt der Beklagten sowie die vorgerichtlichen Angaben der Beklagten in dem Anmeldeformular.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 17.228 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, sie unterfalle nicht dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liege in der Entrümpelung bzw. Vorbereitung der Revitalisierung von Gebäuden. Zu ca. 70 % ihrer Tätigkeit entferne sie alle nicht tragenden Bauteile, z.B. abgehängte Decken aus Gipskarton oder Holz, PVC-Fußboden oder Teppichboden, Trennwände aus Gipskarton etc. Zu einem Anteil von 15 % nehme sie klassische Entrümpelungsarbeiten vor (Sperrmüllentsorgung). Zu ca. 5 % habe sie Abbrucharbeiten erbracht, indem tragende Teile abgebrochen wurden. Zu ca. 10 % habe sie Schadstoffe entfernt (Asbest, PCB, PAK). Abbrucharbeiten erforderten, dass ein Gebäude ganz oder teilweise unter Substanz- oder Funktionsverlust beseitigt werde. Sie habe lediglich den Internetauftritt der Fa. A übernommen, habe aber nicht die entsprechenden Tätigkeiten ausgeführt. Der Entscheidung der Arbeitsverwaltung, es liege keine baugewerbliche Tätigkeit vor, komme eine starke Indizwirkung zu. Der Schriftsatz vom 21. Oktober 2013, mit dem die Klage erweitert worden ist, sei nicht ordnungsgemäß unterzeichnet worden. Die Unterschrift genüge nicht den gesetzlichen Anforderungen. Außerdem sei der Schriftsatz nur mit dem Kürzel „i.A.“ unterzeichnet gewesen.

Ferner hat sie gerügt, die Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) hätten nach § 5 TVG nicht vorgelegen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) habe sich nicht mit dem Umstand auseinander gesetzt, dass bei einer Differenz von ca. 100.000 Arbeitnehmern ausgerechnet die Zahlen der ZVK, die ein eigenes Interesse an der Erklärung der AVE habe, zutreffend sein sollten. Schließlich hat sie die Aussetzung des Verfahrens beantragt. In diesem Kontext hat sie auf ein Verfahren vor dem VG Berlin mit dem Aktenzeichen 4 A 83/07 hingewiesen.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 23. Oktober 2013 der Klage im vollen Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klageerweiterung vom 24. September 2013 habe den Anforderungen nach § 130 Nr. 6 ZPO entsprochen. Der Kläger habe schlüssig behauptet, dass im Betrieb der Beklagten überwiegend Abbrucharbeiten erbracht worden seien. Dieser Vortrag sei durch die Beklagte nicht erheblich bestritten worden. Auch die Entfernung von abgehängten Decken oder Trennwänden aus Gipskarton seien als Abbrucharbeiten zu qualifizieren. Jedenfalls handle es sich um bauliche Leistungen i.S.v. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV. Der Rechtsstreit sei auch nicht im Hinblick auf Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin, in denen es um die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung des VTV geht, auszusetzen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Urteils erster Instanz wird Bezug genommen auf Bl. 113 bis 125 der Akte.

Dieses Urteil ist der Beklagten am 5. Dezember 2013 zugestellt worden. Die Berufungsschrift ist am 3. Januar 2014 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 5. März 2014 ist die Berufungsbegründung am 5. März 2014 bei Gericht eingegangen.

In ihrer Berufungsbegründung ist die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens nach wie vor der Ansicht, der Schriftsatz des Klägers mit der Erweiterung der Klage vom 24. September 2013 wahre nicht die Anforderungen an eine eigenhändige Unterschrift. Sie vertritt ferner die Auffassung, dass sie keine Abbrucharbeiten im tariflichen Sinne erbracht habe. Sie entferne zu ca. 70 % alle nicht tragenden Bauteile, z.B. abgehängte Decken aus Gipskarton oder Holz, PVC-Fußboden oder Teppichboden, Trennwände aus Gipskarton etc. Durch die Beseitigung von Gipskartonwänden würden keine Decken, Wände, Bedachungen oder Balkone eines Bauwerks entfernt. Wenn das Bundesarbeitsgericht Abbrucharbeiten verneint, wenn in Decken und Wände Öffnungen für Versorgungsleitungen, Heizungen, Fenster etc. („sog. Durchbrucharbeiten“) hineingebohrt und -gesägt werden, so könne nichts anderes gelten, wenn wie hier lediglich nicht tragende Bauwerksteile entfernt wurden. Es liege in so einem Fall kein „Substanz- oder Funktionsverlust“ vor.

Ferner vertritt sie die Auffassung, dass Landesarbeitsgericht müsse diesen Rechtsstreit nach § 98 Abs. 6 ArbGG aussetzen. Das Gericht müsse alle für und gegen die Wirksamkeit der AVE sprechenden Umstände berücksichtigen und gewichten. Dabei komme es nicht nur auf den in dem Prozess gehaltenen Vortrag an. Soweit das Gericht Kenntnisse aus anderen Rechtsstreitigkeiten habe, die gegen die Wirksamkeit der AVE sprechen, müsse dies zwingend Berücksichtigung finden. Die Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg – 2 BVL 5001/14 und 2 BVL 5002/14 seien derzeit auch noch nicht rechtskräftig.

Die Beklagte stellt den Antrag,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 23. Oktober 2013 -6 Ca 191/13 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und meint, bei der Unterschrift in dem Schriftsatz vom 24. September 2013 handle es sich um einen ausreichend individualisierten Schriftzug, der einer bestimmten Person zugeordnet werden könne. Der Name der Unterzeichnenden sei in Druckschrift vermerkt.

Außerdem seien alle Unterschriften der zeichnungsberechtigten juristischen Mitarbeiter des Klägers beim Arbeitsgericht Wiesbaden hinterlegt.

Auch der betriebliche Geltungsbereich des VTV sei eröffnet. Innenausbau- und Entkernungsarbeiten seien auch als Trocken- und Montagebauarbeiten anzusehen. Jedenfalls seien die Arbeiten unter § 1 Abs. 2 Abschnitt II, III VTV zu subsumieren. Auch der Rückbau von abgehängten Decken sei darunter zu fassen. Auf DIN-Normen komme es nicht an. Der Vortrag der Beklagten sei unerheblich, da er bauliche Arbeiten, wie das Entfernen von Decken, und nichtbauliche Arbeiten, wie das Entfernen von PVC-Fußböden und Teppichböden, vermische. Auf die Frage, ob es sich um ein tragendes oder nicht tragendes Bauwerksteil handelt, komme es nicht an.

Die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 98 Abs. 6 ArbGG seien nicht gegeben. Es spreche die Vermutung des ersten Anscheins dafür, dass die AVE nur bei Beachtung ihrer Voraussetzungen ausgesprochen wurde. Ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit der AVE würden nicht vorliegen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend Bezug genommen auf sämtliche gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften.
Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Der Betrieb der Beklagten fiel im Jahre 2011 unter den betrieblichen Geltungsbereich des Sozialkassentarifvertrags. Der Rechtsstreit ist auch nicht nach § 98 Abs. 6 ArbGG auszusetzen.

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist vom Wert her unproblematisch statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 519, 66 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. ArbGG) sowie innerhalb der bis zum 5. März 2015 verlängerten Berufungsbegründungsfrist auch rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 2. Alt, Abs. 1 Satz 5 ArbGG, 520 ZPO).

II. Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger kann Zahlung von 17.228 Euro verlangen. Anspruchsgrundlage sind die §§ 18 Abs. 2, 21 des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 18. Dezember 2009 (VTV).

1. Die Beklagte rügt auch in der Berufungsinstanz ohne Erfolg, dass der Schriftsatz des Klägers vom 24. September 2013, mit dem die Klage erweitert worden ist, nicht dem Unterschriftserfordernis des § 130 Nr. 6 ZPO gerecht würde. Insoweit wird nach § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts. Die Unterzeichnung mit „i.A.“ ist im Verfahren vor dem Arbeitsgericht unschädlich (vgl. BAG 25.4.2007 – 10 AZR 246/06 – Rn. 25, NZA-RR 2007, 528 [BAG 25.04.2007 – 10 AZR 246/06]). Die Kammer teilt auch die Einschätzung, dass der Schriftzug der unterzeichnenden Frau B noch hinreichend individualisierbar ist. Letztlich kann dies aber sogar dahin gestellt bleiben, denn in dem Kammertermin am 23. Oktober 2013 hat sich der Vertreter der ULAK auf den Antrag aus diesem Schriftsatz bezogen. Nach § 137 Abs. 1 ZPO wird die mündliche Verhandlung dadurch eingeleitet, dass die Parteien ihre Anträge stellen. Gemäß § 297 Abs. 2 ZPO kann die Verlesung der Anträge dadurch ersetzt werden, dass die Parteien auf die Anträge aus den Schriftsätzen Bezug nehmen. So lag der Fall hier. Selbst wenn die schriftsätzlich eingereichte Klageerweiterung mangels ordnungsgemäßer Unterschrift unwirksam war, ist die Klage spätestens durch das Stellen der Anträge im Termin wirksam erweitert worden (vgl. § 261 Abs. 2 ZPO).

2. Die Beklagte wurde im Jahre 2011 von dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst.

a) Der betriebliche Geltungsbereich des VTV hängt davon ab, ob in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter die Abschnitte I bis V des § 1 Abs. 2 VTV fallen. Für die Beurteilung der Frage, ob in einem Betrieb überwiegend bauliche Leistungen erbracht werden, ist auf die überwiegende Arbeitszeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer in einem Kalenderjahr abzustellen (vgl. BAG 21. Oktober 2009 – 10 AZR 73/09 – Rn. 15, AP Nr. 313 zu § 1 TVG Tarifverträge Bau). Werden baugewerbliche Tätigkeiten in diesem Sinne erbracht, sind ihnen diejenigen Nebenarbeiten ebenfalls zuzuordnen, die zu einer sachgerechten Ausführung der baulichen Leistung notwendig sind und deshalb mit ihnen im Zusammenhang stehen. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst und auch handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dabei nicht an (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 15. Januar 2014 – 10 AZR 669/13 – Rn. 12, NZA 2014, 791 [BAG 15.01.2014 – 10 AZR 669/13]). Für den Anwendungsbereich des VTV reicht es aus, wenn in dem Betrieb überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV genannten Tätigkeiten ausgeübt werden. Der Betrieb wird dann stets von dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst, ohne dass die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III zusätzlich geprüft werden müssen. Nur wenn in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend nicht die in den Abschnitten IV und V genannten Beispielstätigkeiten ausgeführt werden, muss darüber hinaus geprüft werden, ob die ausgeführten Tätigkeiten die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III erfüllen (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 15. Januar 2014 -10 AZR 669/13 – Rn. 13, NZA 2014, 791 [BAG 15.01.2014 – 10 AZR 669/13]).

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in einem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten verrichtet werden, obliegt der Sozialkasse. Ihr Sachvortrag ist schlüssig, wenn sie Tatsachen vorträgt, die den Schluss rechtfertigen, der Betrieb des Arbeitgebers werde vom betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages des VTV erfasst. Nicht erforderlich ist, dass sie jede Einzelheit der behaupteten Tätigkeiten vorträgt (vgl. BAG 15. Januar 2014 – 10 AZR 415/13 – Rn. 20, EzA § 4 TVG Bauindustrie Nr. 145). Liegt ein entsprechender Tatsachenvortrag vor, hat sich der Arbeitgeber hierzu nach § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO vollständig und wahrheitsgemäß unter Angabe der maßgeblichen Tatsachen zu erklären. Ihm obliegt regelmäßig die Last des substantiierten Bestreitens, weil die Sozialkasse außerhalb des Geschehensablaufs steht und keine näheren Kenntnisse der maßgebenden Tatsachen hat, während der Arbeitgeber sie kennt und ihm die entsprechenden Angaben zuzumuten sind (vgl. BAG 10. September 2014 – 10 AZR 959/13 – Rn. 30, NZA 2014, 1282 [BAG 10.09.2014 – 10 AZR 959/13]). Das substantiierte Bestreiten kann sich auf die Art und/oder den Umfang der verrichten Tätigkeiten beziehen. Um feststellen zu können, welche Tätigkeiten in welchem Umfang ausgeübt wurden, muss der Arbeitgeber auch zu den zeitlichen Anteilen der verschiedenen Tätigkeiten Stellung nehmen (vgl. BAG 10. September 2014 – 10 AZR 959/13 – Rn. 30, NZA 2014, 1282 [BAG 10.09.2014 – 10 AZR 959/13]).

b) In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich im vorliegenden Fall, dass der Geltungsbereich des VTV eröffnet ist.

aa) Dies hat der Kläger zunächst schlüssig behauptet.

(1) Die behaupteten Abbrucharbeiten werden in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 29 VTV erwähnt.

(2) Auch die vom Kläger behaupteten „Entkernungsarbeiten“ werden vom Tarifvertrag erfasst. Mit Entkernungsarbeiten meint der Kläger Arbeiten wie das Entfernen/die Demontage von Gipskartonwänden, Mineralfaserdecken, Entfernen von Styroporplatten, Dämmungen/Dämmstoffen, Holz- Aluminium und Stahlverkleidungen, Demontage von Betontreppen und Stahltreppen.

Unter „Entkernungsarbeiten“ werden Arbeiten verstanden, die auf die Auskernung des Gebäudes gerichtet sind, wobei die äußere Fassade erhalten bleibt. Entkernungsarbeiten können sich auf konstruktiv tragende und nicht tragende Bauteile beziehen. Sie kommen vor, wenn die Außenfassade, z.B. bei Denkmal geschützten Gebäuden oder Fachwerkhäusern, erhalten bleiben soll. Sie fallen auch als Vorstufe von Abbrucharbeiten an, wenn das gesamte Bauwerk abgerissen werden soll.

Jedenfalls das Entfernen von Gipskartonwänden, Mineralfaserdecken und von Beton- und Stahltreppen ist als Teilabbruch zu qualifizieren und unterfällt § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 29 VTV. Der allgemeine Sprachgebrauch und die Fachterminologie der Bautechnik verstehen unter Abbruch das Entfernen von Gebäuden, Bauwerken und Bauteilen, also sowohl das Niederreißen eines ganzen Hauses als auch den Abtrag eines Gebäudeteiles. Danach gehört nach dem allgemeinen und dem baufachlichen Sprachgebrauch zu den Abbrucharbeiten sowohl der Totalabbau als auch der Teilabbau. Dafür, dass auch der Teilabbruch den Abbrucharbeiten im tariflichen Sinne zuzurechnen ist, spricht weiter der praktische Gesichtspunkt, dass bei bestimmten Fallgestaltungen zwischen einem Totalabbruch und einem Teilabbruch nach Einsatz der Arbeitsmittel und Arbeitsmethoden fast kein als rechtliches Unterscheidungskriterium verwertbarer Unterschied mehr besteht, so etwa dann, wenn ein Gebäude bis auf das Kellergeschoß abgerissen wird, dieses jedoch stehen bleibt, weil darauf neu aufgebaut werden soll (vgl. BAG 14. Oktober 1987 – 4 AZR 429/87 – Juris). Von einem Abbruch bzw. Teilabbruch kann jedoch nur dann gesprochen werden, wenn die entsprechenden Arbeiten zum Substanzverlust, d.h. zur vollständigen oder wenigstens teilweisen Beseitigung eines Gebäudes, Bauwerkes bzw. Gebäude- oder Bauwerksteils führen (vgl. BAG 18. März 2009 – 10 AZR 242/08 -Rn. 30, AP Nr. 309 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG 7. Juni 2000 – 10 AZR 419/99 – zu III 2 b der Gründe, Juris; BAG 14. Oktober 1987 – 4 AZR 429/87 -Juris). Dies kann z.B. der Fall sein, wenn ganze Decken, Wände, Bedachungen oder Balkons abgebrochen werden (vgl. BAG 14. Oktober 1987 – 4 AZR 429/87 – Juris). Zum Abbruch zählen auch solche Bohr- und Sägearbeiten, die die Funktion haben, das Beseitigen eines Gebäudes oder Bauwerksteils zu ermöglichen oder um den Abtransport des Bauwerksteils zu ermöglichen (vgl. Hess. LAG 28. November 2005 -16 Sa 611/04- Rn. 30, Juris).

Werden ganze Wände, Decken und Treppen demontiert, tritt im Hinblick auf diese Bauwerksteile ein Substanz- und Funktionsverlust ein. Es kommt dabei nicht auf das Material an, aus dem die Wände, Decken etc. gebaut worden sind. Wesentlich ist, dass nach dem Abriss das Bauwerksteil seine Funktion verloren hat. Die Wand dient dann z.B. nicht mehr als Raumteiler, es sind andere Dämm- und Akustikgegebenheiten vorhanden etc.

Die übrigen vom Kläger geschilderten Tätigkeiten wie die Demontage von Dämmungen und von Holz- und Aluminiumverkleidungen stehen in aller Regel in einem Zusammenhang mit sonstigen Arbeiten des Teilabbruchs oder der Schadstoffsanierung. Zum Abriss einer (schadstoffbelasteten) Wand ist auch die Entfernung der dort enthaltenen Dämmung bzw. der dort angebrachten Verkleidungen erforderlich. Dass im Betrieb der Beklagten ausschließlich Dämmungen oder Verkleidungen entfernt wurden, ohne dass es zu damit im Zusammenhang stehenden Abbruch- oder Schadstoffsanierungsarbeiten, ist auch dem Vortrag der Beklagten nicht zu entnehmen und nach der gesamten Aktenlage fernliegend.

Die Demontage von Dämmungen und Verkleidungen ist jedenfalls auch als eine bauliche Tätigkeit i.S.v. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV anzusehen. Nach § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV fallen Betriebe unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen -der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen. Die Entkernungsarbeiten dienen, wenn die konstruktiven Bauteile erhalten bleiben sollen, der Sanierung und damit dem Instandsetzen eines Bauwerks. Sie werden gemeinhin als Teiltätigkeit des Abbruchgewerbes angesehen und nach dem Herkommen und der Üblichkeit dem Baugewerbe zugeordnet. Zum Einsatz kommen typische Arbeitsmethoden und Arbeitsmittel des Baugewerbes, nämlich Bohrer, Sägewerkzeuge etc. Auch in der bisherigen Rechtsprechung ist es anerkannt, dass Entkernungsarbeiten baulichen Charakter haben (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 21. September 2011 -20 Sa 2526/10 -Rn. 30, Juris; Hess. LAG 31. Januar 2012 – 15 Sa 312/11 – Rn. 34, Juris; Hess. LAG 28. Mai 2014 – 18 Sa 1466/12 – Rn. 63, Juris).

(3) Die behaupteten Kernbohrungen zur Erstellung von Wand- und Deckenöffnungen sind ebenfalls baulicher Natur. Dienen sie dem Abbruch, sind sie als Teiltätigkeiten den Abbrucharbeiten zuzuordnen. Dienen sie dem Durchbruch und der Vorbereitung sich anschließender Kabel- oder Rohrverlegungsarbeiten, sind sie ebenfalls als baulich anzusehen (vgl. Hess. LAG 19. Mai 2006 – 10 Sa 1695/03 – Rn. 34, Juris). In letzterem Fall dienen sie der Instandsetzung, § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV.

(4) Die behaupteten Schadstoffsanierungsarbeiten fallen unter § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV, jedenfalls aber unter § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV. Bei den Sanierungsarbeiten handelt es sich um bauliche Leistungen zur Instandsetzung eines Bauwerks. Sie dienen primär dazu, Gesundheitsgefahren, die von PCB, KMF und PAK ausgehen und eine Gebäudenutzung (erheblich) einschränken, zu beseitigen. Nach einer erfolgten Sanierung soll das Gebäude wieder bestimmungsgemäß genutzt werden können (vgl. BAG 15. Januar 2014 – 10 AZR 415/13- Rn. 16, EzA § 4 TVG Bauindustrie Nr. 145).

bb) Das Bestreiten der Beklagten ist hingegen nicht erheblich.

Die Beklagte meint, die von ihr selbst zu 70 % behaupteten Entkernungsarbeiten, wie das Entfernen von abgehängten Decken, Trennwänden etc., seien nicht als Abbrucharbeiten zu werten, da es an einem Substanz- und Funktionsverlust fehle. Sie übersieht dabei, dass es bei dem Abbruch von Decken und Wänden, wie bereits dargelegt, durchaus zu einem Substanz- und Funktionsverlust kommt, auch wenn das Gebäude ansonsten bestehen bleibt. Außerdem übersieht sie, dass diese Entkernungsarbeiten in der Regel im Zusammenhang stehen mit Abbruch- oder Teilabbrucharbeiten. Die Beklagte hat selbst eingeräumt, dass sie zu ca. 5 % der Gesamtarbeitszeit auch Abbrucharbeiten an statisch bedeutsamen Bauwerksteilen erbrachte. Auch ist nach ihrem gesamten Vorbringen nicht ausgeschlossen, dass sich die Entkernungsarbeiten auf die Schadstoffsanierungsarbeiten bezogen, die sie zu ca. 10 % der Gesamtarbeitszeit verrichtete. Es ist nach dem Tarifvertrag nicht zulässig, ein einheitliches Geschehen künstlich in verschiedene Arbeitsschritte aufzuspalten und zu „atomisieren“.

Ferner erscheint der Hinweis angebracht, dass die in der älteren Rechtsprechung maßgebliche Differenzierung zwischen „Durchbruch- und Abbrucharbeiten“ nicht mehr relevant ist (vgl. BAG 14. Oktober 1987 – 4 AZR 429/87 – Juris; Hess. LAG 19. Mai 2006 – 10 Sa 1695/03 – Rn. 34, Juris). Die Einschränkung zur Allgemeinverbindlicherklärung des VTV sah früher vor, dass Abbrucharbeiten ausführende Betriebe nur dann erfasst werden, wenn ihre Leistungen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit anderen in den Betrieben anfallenden baulichen Leistungen standen. Diese Einschränkung der AVE ist mit Wirkung zum 1. Januar 2006 in dem Ersten Teil der AVE-Einschränkung in Abs. 4 Nr. 3 geändert worden (vgl. BAG 12. Mai 2010 – 10 AZR 559/09 – Rn. 17, NZA 2010, 953 [BAG 12.05.2010 – 10 AZR 559/09]). Abbruchbetriebe fallen zur Vermeidung von Tarifkonkurrenz seither nur noch aus dem Anwendungsbereich der AVE heraus, wenn sie Mitglied in einem Abbruchverband, was hier aber nicht der Fall ist, sind. Letztlich werden nunmehr sämtliche von der Beklagten erbrachten Tätigkeiten, nämlich Abbruch-, Teilabbruch-, Entkernungs- und Schadstoffsanierungsarbeiten mit Ausnahme der sog. „Entrümplungsarbeiten“ sowohl von dem betrieblichen Geltungsbereich als auch der AVE des VTV erfasst.

Auf die Einschätzung der Arbeitsverwaltung kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht an, da diese nach einer anderen rechtlichen Grundlage prüft (vgl. BAG 13. November 2013 – 10 AZR 842/12 – Rn. 12, EzA § 4 TVG Bauindustrie Nr. 143).

3. Die Forderung ist auch der Höhe nach begründet. Der Kläger ist grundsätzlich berechtigt, sich im Wege einer Mindestbeitragsklage auf die von dem Statistischen Bundesamt im Baugewerbe ermittelten Durchschnittslöhne zu stützen (vgl. BAG 13. November 2013 – 10 AZR 842/12 – Rn. 27, EzA § 4 TVG Bauindustrie Nr. 143). Will dem der Bauarbeitgeber substantiiert begegnen, so muss er seinerseits einen konkreten Vortrag zu den im Betrieb angefallenen Bruttolöhnen halten.

4. Der Rechtsstreit ist nicht nach § 98 Abs. 6 ArbGG in der seit dem 16. August 2014 geltenden Fassung (Art. 2 Nr. 5 des Tarifautonomiestärkungsgesetzes vom 11. August 2014, BGBl. I S. 1348) auszusetzen. Die Beklagte hat keine ernsthaften Zweifel an der Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) vorgebracht.

a) Über die Ablehnung einer Aussetzung kann auch durch Urteil entschieden werden (vgl. BAG 16. Februar 1968 – 3 AZR 20/67 – NJW 1968, 1493; Müko-ZPO/Gehrlein 4. Aufl. § 252 Rn. 7; Musielak/Voigt/Ball 12. Aufl. ZPO § 557 Rn. 9; Baumbach/Lauterbach ZPO 73. Aufl. § 148 Rn. 36). Die Entscheidung kann dann mit den üblichen Rechtsmitteln angefochten werden (vgl. Müko-ZPO/Gehrlein 4. Aufl. § 252 Rn. 7).

b) Die Voraussetzungen für eine Aussetzung liegen nicht vor.

aa) Nach § 98 Abs. 6 ArbGG ist ein Rechtsstreit auszusetzen, wenn seine Entscheidung davon abhängt, ob eine AVE nach § 5 TVG wirksam ist. Bereits nach bisheriger ständiger Rechtsprechung ist die Wirksamkeit der AVE eines Tarifvertrags durch die Gerichte für Arbeitssachen grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, soweit es entscheidungserheblich auf diese ankommt (vgl. BAG 10. September 2014 – 10 AZR 959/13 – Rn. 20, NZA 2014, 1282 [BAG 10.09.2014 – 10 AZR 959/13]). Hieran hat sich durch das Tarifautonomiestärkungsgesetz nichts geändert. Durch dieses ist lediglich erstmals mit § 98 ArbGG ein Verfahren geschaffen worden, in dem in Anwendung des Amtsermittlungsgrundsatzes im Beschlussverfahren mit Inter-omnes-Wirkung die Wirksamkeit einer AVE oder entsprechenden Rechtsverordnung einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen wird. Eine Überprüfung von Amts wegen bedeutet aber nicht, dass die Gerichte verpflichtet sind, von sich aus die Erfüllung aller Erfordernisse der AVE festzustellen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Bundesminister für Arbeit und Soziales und die obersten Arbeitsbehörden der Länder die AVE eines Tarifvertrags nur unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen aussprechen. Der erste Anschein spricht deshalb für die Rechtmäßigkeit einer AVE (vgl. BAG 10. September 2014 – 10 AZR 959/13 – Rn. 21, NZA 2014, 1282 [BAG 10.09.2014 – 10 AZR 959/13]; BAG 7. Januar 2015 – 10 AZB 109/14 – Rn. 19, NZA 2015, 237 [BAG 07.01.2015 – 10 AZB 109/14]). Es genügt daher nicht, wenn die Prozessparteien die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der AVE pauschal bestreiten. Erforderlich ist vielmehr ein substantiierter Parteivortrag, der geeignet ist, erhebliche Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 TVG aufkommen zu lassen, damit das Gericht die mögliche Unwirksamkeit einer AVE überprüft. Es müssen „ernsthafte“ Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 TVG gegeben sein (vgl. BAG 7. Januar 2015 – 10 AZB 109/14 – Rn. 19, NZA 2015, 237 [BAG 07.01.2015 – 10 AZB 109/14]; hiergegen zuletzt mit beachtlichen Gründen Bader NZA 2015, 644, 645).

Das Landesarbeitsgericht hat alle ihm bekannten Umstände, die für oder gegen die Wirksamkeit einer AVE sprechen, in seine Würdigung einzubeziehen und unter Berücksichtigung des Zwecks des Verfahrens nach § 98 ArbGG einerseits und des Beschleunigungsinteresses der Parteien andererseits zu gewichten (vgl. BAG 7. Januar 2015 – 10 AZB 109/14 – Rn. 22, NZA 2015, 237 [BAG 07.01.2015 – 10 AZB 109/14]). Bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs „ernsthafte Zweifel“ steht dem Instanzgericht ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (vgl. BAG 7. Januar 2015 -10 AZB 109/14 – Rn. 22, NZA 2015, 237 [BAG 07.01.2015 – 10 AZB 109/14]).

bb) Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für eine Aussetzung nicht vor.

(1) Die Beklagte hat hier keine Umstände vorgetragen, die geeignet sind, „ernsthafte Zweifel“ an der Wirksamkeit der AVE zu begründen. Sie rügt lediglich pauschal, dass die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 TVG nicht gegeben seien. Der bloße Hinweis auf ein anderes Verfahren, sei es das Verfahren des VG Berlin oder des LAG Berlin-Brandenburg, ist nicht ausreichend und ersetzt nicht einen eigenen Vortrag.

(2) Das Beschleunigungsinteresse des Klägers muss hier nicht aufgrund besonderer Umstände zurücktreten.

Bei der Frage, ob eine Aussetzung vorzunehmen ist, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (so zuletzt Hess. LAG 27. März 2015 – 10 Sa 463/13 – n.v.). Das Bundesarbeitsgericht hat darauf hingewiesen, dass es mit dem Beschleunigungsgrundsatz nach § 9 Abs. 1 ArbGG nicht vereinbar wäre, wenn allein die Existenz eines Verfahrens nach § 98 Abs. 1 ArbGG bei dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg dazu führen könnte, dass alle Verfahren des Klägers ausgesetzt würden (vgl. BAG 7. Januar 2015 – 10 AZB 109/14 – Rn. 21, NZA 2005, 237 [BAG 26.10.2004 – 1 AZR 493/03]). Ferner wird ausgeführt, dass das Instanzgericht alle ihm bekannten Umstände, die für oder gegen die Wirksamkeit einer AVE sprechen, unter Berücksichtigung des Zwecks des Verfahrens nach § 98 ArbGG einerseits und des Beschleunigungsinteresses der Parteien andererseits zu gewichten habe (vgl. BAG 7. Januar 2015 – 10 AZB 109/14 – Rn. 22, NZA 2005, 237 [BAG 26.10.2004 – 1 AZR 493/03]). Dies bedeutet der Sache aber auch, dass eine Abwägung stattzufinden hat zwischen dem Aussetzungsinteresse der tarifunterworfenen Arbeitgebern und dem Interesse der ULAK, Beitragsrückstände weiter einklagen zu können und möglichst zeitnah zu Titeln zu gelangen (so ausdrücklich auch ErfK/Koch 15. Aufl. § 98 ArbGG Rn. 7, der im Übrigen zu Recht darauf hinweist, die gesetzliche Regelung sei wenig geglückt; zu dem Grundsatz auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 2 Abs. 1 i. V.m. Art. 20 Abs. 3 GG vgl. auch BVerfG 1. Dezember 2010 – 1 BvR 1682/07 – NJW 2011, 2713). Dem steht nicht entgegen, dass dem Gericht anerkanntermaßen bei der Frage, ob es einen Rechtsstreit nach § 98 ArbGG aussetzt, kein Ermessen zusteht, wie dies bereits zu § 97 Abs. 5 ArbGG ständiger Rechtsprechung entspricht. Denn die Abwägung zwischen dem Aussetzungs- und Prozessbeschleunigungsinteresse ist normativ vorzunehmen und damit letztlich ein Fall der Rechtsanwendung, bei dem dem Ausgangsgericht allerdings wegen der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ein gewisser Spielraum verbleibt.

Damit bleibt Raum dafür zu berücksichtigen, ob etwa eine Partei im Ausgangsrechtsstreit betroffen ist, die zugleich Beteiligter in einem Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, 98 Abs. 1 ArbGG ist. In einem solchen Fall müsste das Beschleunigungsinteresse der ULAK zurücktreten, da es einer Partei, die mit einem eigenen Prozessrisiko ihre Rechte in Bezug auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit der AVE wahrnimmt, nicht zuzumuten ist, ggf. ein Restitutionsverfahren anzustrengen. Nach der Konzeption des Bundesarbeitsgerichts wird es in Kauf genommen, dass ein Arbeitgeber, wenn die Aussetzung nach § 98 Abs. 6 ArbGG unterbleibt, den ausgeurteilten Betrag zunächst zahlen muss. Sollte sich später herausstellen, dass die AVE für den betreffenden Zeitraum unwirksam sein sollte, muss er ein Restitutionsverfahren anstreben (so jedenfalls die Vorschläge in der Literatur, vgl. GK-ArbGG/Ahrendt Stand November 2014 § 98 Rn. 56; ErfK/Koch 15. Aufl. § 98 ArbGG Rn. 7). Die Beklagte ist im vorliegenden Fall aber nicht selbst an einem Beschlussverfahren bei dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg beteiligt.

(3) Die Kammer ist auch nicht gehalten, von sich aus Zweifel in Bezug auf die Wirksamkeit der AVE in den Prozess einzuführen und danach den Rechtsstreit auszusetzen (iE. ebenso LAG Berlin-Brandenburg 8. April 2015 – 4 Sa 2182/14 -Rn. 33, ZIP 2015, 1455 [LAG Berlin-Brandenburg 08.04.2015 – 4 Sa 2182/14]).

Richtig ist allerdings, dass es anerkannt ist, dass, wie es bereits zu der Regelung in § 97 Abs. 5 ArbGG der Rechtsprechung entsprach, die Gerichte auch von Amts wegen Zweifel an der Wirksamkeit einer AVE geltend machen können. In diesem Fall haben sie die gerichtsbekannten Tatsachen, die ernsthafte Zweifel begründen, offenzulegen und in den Rechtsstreit einzuführen (vgl. BAG 7. Januar 2015 – 10 AZB 109/14 – Rn. 22, 25, NZA 2015, 237 [BAG 07.01.2015 – 10 AZB 109/14]). Nach Auffassung der Kammer sind sie dazu zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet. Richtig ist, dass die Kammer in anderen Verfahren die AVE 2010 betreffend aufgrund des dort gehaltenen Parteivortrags Aussetzungsbeschlüsse erlassen hat. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass das Gericht auch verpflichtet wäre, diese Bedenken in alle anderen Rechtsstreitigkeiten einzuführen.

Dagegen spricht, dass es mit dem Beschleunigungsgrundsatz (vgl. § 9 Abs. 1 ArbGG) kollidieren würde, wenn das Gericht aufgrund eines erheblichen Parteivortrags in einem Verfahren sämtliche anderen Rechtsstreitigkeiten aussetzen müsste. Dies würde zu einem partiellen Stillstand im Sozialkassenverfahren führen. Damit würde es sich auch nicht vertragen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Aussetzung angesichts der Vermutung der Rechtmäßigkeit des Handelns des Bundesministers bei dem Erlass der AVE die Ausnahme und nicht die Regel sein soll.

Eine Pflicht zur Einführung und Offenlegung von Zweifeln aus anderen Verfahren erscheint auch in Bezug auf den im Zivilprozessrecht herrschenden Beibringungsgrundsatz problematisch. Dieser gebietet es, dass jede Partei die für sie günstigen Umstände vorbringen muss. Dies war auch vor Einführung des neuen § 98 ArbGG nicht anders. Zwar wurde stets formuliert, dass die Gerichte die Wirksamkeit der AVE nach § 293 ZPO von Amts wegen zu prüfen hätten, doch galt dies erst dann, wenn überhaupt ernsthafte Zweifel durch einen Parteivortrag in den Prozess eingeführt worden sind (vgl. BAG 25. Juni 2002 – 9 AZR 405/00 – Rn. 23, NZA 2003, 275 [BAG 25.06.2002 – 9 AZR 405/00]; Hess. LAG 07. Juni 2011 – 12 Sa 1340/10 -Rn. 38, Juris; BAG 11. Juni 1975 – 4 AZR 395/74 – zu II 1 der Gründe, AP Nr. 29 zu § 2 TVG; Hess. LAG 4. Juni 2007 – 16 Sa 1444/05 – Juris; Düwell NZA Beilage 2/2011, 80, 83; Däubler/Lakies TVG 3. Aufl. § 5 Rn. 220).

Eine (Amts-)Pflicht, ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit der AVE aus anderen Verfahren von Amts wegen einzuführen, könnte man allenfalls dann annehmen, wenn aus Sicht der Kammer eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben wäre, dass die AVE einer Überprüfung in dem Beschlussverfahren nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 5, 98 ArbGG nicht standhalten wird und deshalb zur Vermeidung materiell unrichtiger Ergebnisse eine Aussetzung geboten erscheint. Diese Gewissheit hat die Kammer indes nicht. Im Gegenteil ist mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass festgestellt wird, die AVE sei zu Recht erlassen worden.

Wesentliche Frage bei der Überprüfung des Quorums nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 TVG ist regelmäßig die Frage, auf welche Zahlen sich das BMAS stützen darf. Insoweit wird vom Hess. LAG bislang vertreten, dass sich die Tarifvertragsparteien und letztlich auch der zuständige Bundesminister auf die von der ULAK selbst erhobenen Zahlen stützen dürfen (vgl. Hess. LAG 2. Juli 2014 – 18 Sa 619/13 – Rn. 82, Juris; Hess. LAG 4. Juni 2007 – 16 Sa 1444/05 – Juris: Gebot praktischer Vernunft). Diese Zahlen sind deshalb besonders valide, weil die Sozialkasse – anders als das Statistische Bundesamt oder die Bundesagentur für Arbeit – die Prüfung anhand des Geltungsbereichs des Sozialkassentarifvertrags vornimmt und nicht anhand sonstiger Kriterien, die für das Quorum keine Rolle spielen. Die Zahlen werden daher besonders genau sein.

Allerdings werden in der Wissenschaft hiergegen Bedenken erhoben und es wird geltend gemacht, die gemeinsame Einrichtung könne nicht selbst die Zahlen liefern, die über ihre Existenz entscheiden sollen (vgl. Löwisch/Rieble TVG 3. Aufl. § 5 Rn. 132). Dieser Standpunkt, der durchaus vertretbar erscheint, würde dazu führen, dass der Bundesminister u.U. eine sehr viel weitgehendere Prüfungspflicht hätte und es würde die Wahrscheinlichkeit steigen, dass am Ende das Quorum nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 TVG nicht erreicht würde. Da dieser Standpunkt „ernsthaft“ vertretbar ist, können in einem anderen Verfahren, in dem die der Allgemeinverbindlicherklärung zugrunde liegenden Zahlen problematisiert worden sind und es dort folglich auf die „Qualität“ der Zahlen ankommt, durchaus „ernsthafte“ Zweifel bestehen, ob sämtliche Voraussetzungen für die AVE vorlagen. Da die Kammer allerdings im Anschluss an die bisherige Rechtsprechung des Hess. LAG der Meinung folgt, dass die Zahlen der ULAK maßgeblich verwertet werden dürfen, besteht aus Sicht des Gerichts gleichwohl keine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die AVE für unwirksam erklärt werden wird. Es liegt daher auch kein Widerspruch darin, dass das Gericht einerseits in einem Verfahren objektiv und „ernsthaft“ vertretbaren Argumenten durch eine Aussetzung nach § 98 Abs. 6 ArbGG Rechnung trägt, andererseits diese vertretbaren Bedenken nicht in andere Verfahren miteinbringt, wenn es deren Durchschlagskraft nicht teilt.

Im vorliegenden Fall spricht gegen die Annahme von ernsthaften Zweifeln im Übrigen auch der Umstand, dass die hier streitgegenständliche AVE vom 25. Juni 2010 bereits durch zwei Landesarbeitsgerichte überprüft worden ist und diese jeweils zum Ergebnis kamen, dass die AVE nicht unwirksam ist (vgl. hierzu Hess. LAG 2. Juli 2014 – 18 Sa 619/13 – Juris; Revision eingelegt unter 10 10 AZR 600/14; ebenso LAG Berlin-Brandenburg 17. April 2015 – 2 BVL 5001/14 und 2 BVL 5002/14 lt. Pressemitteilung Nr. 10/15 vom 20. April 2015, die Beschlussgründe liegen noch nicht vor).

III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten ihres ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Die Frage, inwieweit Gerichte verpflichtet sind, von Amts wegen Bedenken an einer AVE aus anderen Verfahren einzuführen, ist noch nicht abschließend geklärt.

Haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.
© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.