Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 17.05.2011 – 2 Ca 2832/10 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen
Tatbestand :
Die Klägerin wendet sich gegen Kürzungen ihrer Monatsentgelte für Juli und August 2010 um 72,82 € und 75,24 €. Die Beklagte hat die Abzüge vorgenommen, weil die Klägerin am 27.05.2010 und am 29.06.2010 ihren erkrankten Sohn zu Hause betreut hat und an diesen Tagen nicht gearbeitet hat.
Die Klägerin ist bei der Beklagten teilzeitbeschäftigt in einem Umfang von 30 Wochenstunden. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des TV-L Anwendung. Die Klägerin ist gesetzlich krankenversichert. Ihr Ehemann, der ebenfalls bei der Beklagten tätig ist, ist privat krankenversichert. Der gemeinsame Sohn ist am 29.03.2006 geboren. Der Sohn ist über den Vater privat krankenversichert.
Der Sohn war am 27.05.2010 und am 29.06.2010 krank. In der kinderärztlichen Bescheinigung vom 27.05.2010 ist ausgewiesen, dass die Art der Erkrankung die Betreuung und Beaufsichtigung des Sohnes notwendig machte (Bl. 11 GA). Gleiches hat der Kinderarzt am 28.06.2010 für den 29.06.2010 bescheinigt (Bl. 11 GA). Die Klägerin betreute an beiden Tagen den vierjährigen Sohn und arbeitete nicht bei der Beklagten.
Die Klägerin beantragte zeitnah zu diesen beiden Tagen bezahlte Freistellung nach dem TV-L. Die Beklagte lehnte eine bezahlte Freistellung mit mehreren Schreiben im Juni und Juli 2010 ab (Bl. 12, 13, 14, 15). Stattdessen bot sie der Klägerin Erholungsurlaub oder alternativ eine unbezahlte Freistellung an. Letztlich hielt die Beklagte von dem monatlichen Gehalt der Klägerin für Juli 2010 einen Betrag von 72,82 € brutto für den 27.05.2010 und vom Gehalt für August 2010 einen Betrag von 75,24 € brutto für den 29.06.2010 ein (Kopie der Bezug Mitteilungen des LBV: Bl. 16, 17 GA). Mit Anwaltsschreiben vom 08.09.2010 forderte die Klägerin Zahlung der einbehaltenen Beträge (Bl. 18, 19 GA). Die Beklagte lehnte dies ab (Schreiben vom 06.10.2010, Bl. 20 GA). Die daraufhin erhobene Klage ist am 02.11.2010 bei dem Arbeitsgericht eingegangen und der Beklagten am 10.11.2010 zugestellt worden.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe ein tarifvertraglicher Anspruch auf bezahlte Freistellung zu, da sie gegenüber der Krankenkasse kein Krankengeld fordern könne, weil ihr Sohn nicht gesetzlich sondern privat krankenversichert sei.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie als Vergütung für den 27.05.2010 einen Betrag i.H.v. 72,82 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5-Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.08.2010 sowie als Vergütung für den 29.06.2010 einen Betrag in Höhe von 75,24 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5-Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.09.2010 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, ein tariflicher Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung bestehe nur bei Beschäftigten, die privat versichert seien. Demzufolge hätte vorliegend die Möglichkeit einer Freistellung für den Ehemann der Klägerin bestanden, worauf die Klägerin auch wiederholt hingewiesen worden sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 17.05.2011 stattgegeben. Die Klägerin habe gegen die Beklagte gemäß § 29 TV-L in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag einen Anspruch auf Zahlung von 148,06 € brutto. § 29 TV-L solle das Entgeltrisiko im Falle einer notwendigen Betreuung eines erkrankten Kindes bei privater Krankenversicherung in einem begrenzten Umfang von bis zu vier Arbeitstagen im Kalenderjahr auf den Arbeitgeber übertragen. Ein bezahlter Freistellungsanspruch nach § 29 TV-L bestehe auch für gesetzlich krankenversicherte Beschäftigte im öffentlichen Dienst, wenn deren erkranktes und zu betreuendes Kind privat krankenversichert sei.
Das Urteil ist der Beklagten am 10.06.2011 zugestellt. Die Beklagte hat am 24.06.2011 Berufung eingelegt und die Berufung nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 12.09.2011 am 08.09.2011 begründet.
Die Beklagte wendet ein, entgegen der Wertung des Arbeitsgerichts habe die Klägerin keinen Anspruch auf Nachzahlung der Vergütung für den 27.05.2010 in Höhe von 72,82 € brutto sowie für den 29.06.2010 in Höhe von 75,24 € brutto gemäß § 29 TV-L. Ein Anspruch nach § 29 TV-L auf bezahlte Arbeitsbefreiung bestehe nur bei den Beschäftigten, die privat versichert seien. An diesem Ergebnis ändere auch der Umstand nichts, dass § 45 SGB V nicht nur auf ein Versicherungsverhältnis des betreuenden Elternteils sondern ebenfalls auf ein Versicherungsverhältnis des erkrankten Kindes abstelle. Den Tarifvertragsparteien bleibe es unbenommen, auf den Status des Arbeitnehmers abzustellen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts vom 17.05.2011 – 2 Ca 2843/10 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Zu Recht habe das Arbeitsgericht den strittigen Anspruch auf Vergütung für die Tage der Kinderbetreuung zuerkannt. Der Anspruch folge aus § 29 Abs. 1 e) bb) TV-L. Unstreitig habe eine Betreuungsnotwendigkeit für ihren Sohn an den fraglichen Tagen vorgelegen. Dass ihr Sohn privat krankenversichert sei, stehe dem Anspruch nicht entgegen. Die dagegen gerichtete Argumentation der Beklagten sei nicht zutreffend. Zudem verhalte die Beklagte sich widersprüchlich. In der Vergangenheit habe die ehemalige Personalsachbearbeiterin Frau D1 in einer Vielzahl von vergleichbaren Fällen bezahlte Freistellung nach § 29 TV-L gewährt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien und wegen weiterer Einzelheiten ihrer rechtlichen Argumentation wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und statthaft gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 a) ArbGG. Das Arbeitsgericht hat die Berufung für die Beklagte ausdrücklich zugelassen. Die Beklagte hat die Berufung form- und fristgerecht entsprechend den Anforderungen der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet.
Die Berufung ist jedoch in der Sache unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Entgegen der Auffassung der Beklagten hatte die Klägerin nach §§ 616 BGB, 29 Abs. 1 e) bb) TV-L Anspruch auf Entgeltzahlung auch für die beiden Tage der Betreuung ihres erkrankten Sohnes am 27.05.2010 und am 29.06.2010. Zu Recht hat die Beklagte für die Monate Mai und Juni 2010 ein ungekürztes Gehalt ausgezahlt. Da die Gehaltszahlungen für Mai und Juni in vollem Umfang mit Rechtsgrund erfolgt sind, war die Beklagte nicht berechtigt, die auf den 27.05.2010 und den 29.06.2010 entfallenden Gehaltsanteile bei den Gehaltszahlungen für Juli und August 2010 abzuziehen. Ein Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 BGB auf Herausgabe von 148,06 € war nicht begründet.
1. Nach § 616 BGB wird ein Arbeitnehmer des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert wird. Er muss sich jedoch nach § 616 Satz 2 BGB den Betrag anrechnen lassen, welcher ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung zukommt.
Auf die Regelung des § 616 BGB nimmt die Bestimmung des § 29 TV-L Bezug. Un-streitig findet der TV-L im Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. § 29 TV-L benennt in seinem Absatz 1 verschiedene Anlässe, die als Fälle nach § 616 BGB gelten, in denen Beschäftigte unter Fortzahlung des Entgelts in dem angegebenen Ausmaß von der Arbeit freigestellt werden. Zu diesen Fällen zählt nach § 29 Abs. 1 e) bb) TV-L die schwere Erkrankung eines Kindes, das das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wenn im laufenden Kalenderjahr kein Anspruch nach § 45 SG V besteht oder bestanden hat. Der Anspruch besteht für bis zu vier Arbeitstage im Kalenderjahr. Dabei erfolgt die Freistellung nach § 29 Abs. 1 Satz 2 TV-L nur, soweit eine andere Person zur Pflege oder Betreuung nicht sofort zur Verfügung steht und die Ärztin/der Arzt in den Fällen aa) und bb) die Notwendigkeit der Anwesenheit der/des Beschäftigten zur vorläufigen Pflege bescheinigt.
Nach § 45 Abs. 1 SGB V haben gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer Anspruch auf Krankengeld, wenn es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, dass sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, eine andere in ihrem Haushalt lebende Person das Kind nicht beaufsichtigen, betreuen oder pflegen kann und das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Dieser Anspruch besteht nur, wenn auch das Kind gesetzlich krankenversichert ist (BSG 31.03.1998 – B 1 KR 9/96R – ;Küttner-Schlegel, Personalbuch 2011, 191 Freistellung von der Arbeit Rn. 52; Greiner, Familienfreundliches Arbeitsrecht? – Die Erkrankung des Kindes als Gegenstand widersprüchlicher Regelungen, NZA 2007, 490, 494; Brose, Das erkrankte Kind des Arbeitnehmers im Arbeits- und Sozialrecht, NZA 2011, 719, 722). Nach dem seit dem 01.08.2002 geltenden Absatz 5 des § 45 SGB V haben auch Arbeitnehmer, die nicht Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld sind, Anspruch auf unbezahlte Freistellung nach § 45 Abs. 3, Abs. 4 SGB V.
2. Die Voraussetzungen des Anspruchs auf bezahlte Freistellung nach § 29 Abs. 1 e) bb) TV-L sind hier erfüllt.
a) Der Sohn der Klägerin ist am 29.03.2006 geboren. Im Mai und Juni 2010 hatte er das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet. Der Sohn der Klägerin war am 27.05.2010 und am 29.06.2010 schwer erkrankt. Der Kinderarzt hatte für beide Tage durch „ärztliche Bescheinigung für den Bezug von Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes“ bescheinigt, dass die Art der Erkrankung die Betreuung und Beaufsichtigung des Kindes notwendig machte. Die Klägerin muss sich nicht darauf verweisen lassen, ihr Ehemann hätte das Kind betreuen können. Sind beide Elternteile berufstätig und kommen nur sie für die Pflege des erkrankten Kindes in Betracht, so können sie grundsätzlich darüber entscheiden, wer von ihnen die Pflege übernimmt. Die Entscheidung der Eltern ist im Hinblick auf ihre Verantwortung für das Wohlergehen des Kindes regelmäßig als maßgeblich hinzunehmen (BAG 20.06.1979 AP BGB § 616 Nr. 15; Clemens-Scheuring, § 29 TV-L Rn. 64 [Februar 2009]; Bredemeier u.a.-Cerff, TVöD/TV-L, 2007, § 29 Rn. 21). Die Höchstgrenze von bis zu vier Arbeitstagen Arbeitsbefreiung im Kalenderjahr ist eingehalten.
b) Entgegen der Argumentation der Beklagten besteht der Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung nach § 29 Abs. 1 e bb) TV-L nicht nur bei Beschäftigten, die privat versichert sind und deren Kind gesetzlich krankenversichert ist.
aa) Richtig ist, dass ein Anspruch nach § 45 SGB V gegenüber dem Freistellungsanspruch nach § 29 Abs. 1 e bb) TV-L vorrangig ist. Dies führt dazu, dass für Arbeitnehmer, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, und deren erkranktes Kind gemäß § 10 SGB V gesetzlich familienversichert ist, vorrangig der Freistellungsanspruch nach § 45 Abs. 3 bis 5 SGB V besteht. Da dieser Anspruch mehr Tage umfasst als der tarifliche Anspruch, kommt Letzterer in der Regel für Arbeitnehmer dieser Fallgestaltung nicht zur Anwendung (Breier-Dassau, TV-L, § 29 TV-L Rn 37 [1/2007]). Zu dieser Fallgruppe zählt die Klägerin indes nicht. Ihr Sohn ist nicht gemäß § 10 SGB X in der gesetzlichen Krankenversicherung familienversichert. Deshalb kann die Klägerin für die Tage der Kinderbetreuung kein Krankengeld nach § 45 Abs. 1 SGB V beanspruchen.
bb) Allerdings hat die Klägerin auf der Grundlage des 2002 in den § 45 SGB V eingefügten Absatzes 5 einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung zum Zwecke der Kinderbetreuung. Der Anspruch auf unbezahlte Kinderbetreuung nach § 45 Abs. 5 SGB V steht jedoch nach ganz überwiegender Auffassung einem Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung nach den Regularien des § 29 Abs. 1 e) bb) TV-L nicht entgegen. Nach dieser Auffassung haben auch Arbeitnehmer, die zwar gesetzlich versichert sind, deren erkrankte Kinder jedoch nicht gemäß § 10 SGB V familienversichert sind, die keinen Anspruch auf Bezug von Krankengeld haben, neben dem unbezahlten Freistellungsanspruch nach § 45 SGB V einen tariflichen Anspruch auf bezahlte Freistellung nach § 29 Abs. 1 e bb) TV-L für die Dauer von bis zu vier Arbeitstagen im Kalenderjahr. Erst wenn dieser tarifliche Anspruch auf bezahlte Freistellung im Umfang von vier Arbeitstagen verbraucht ist, besteht nur noch der Anspruch auf unbezahlte Freistellung nach § 45 SGB V (Breier-Dassau, TV-L, § 29 TV-L Rn 37 [1/2007]; Clemens-Scheuring, TV-L, § 29 TV-L Rn. 67 [Dezember 2007]; Sponer-Steinherr, TV-L, § 29 TV-L Rn. 37 [September 2008]; Bepler u.a. – Müller, TVöD, § 29 TVöD-AT Rn. 16 [Februar 2011] ). Begründet wird dieses Ergebnis mit der historischen Abfolge der tarifvertraglichen und der gesetzlichen Normierung. Der tarifvertraglich geregelte Anspruch auf bezahlte Freistellung bestand bereits, als 2002 mit dem neuen § 45 Abs. 5 SGB V ein Anspruch auf unbezahlte Freistellung für Arbeitnehmer ohne Anspruch auf Krankengeld normiert worden ist. § 52 BAT, die Vorgängervorschrift zu § 29 TV-L, sah bereits vor 2002 eine bezahlte Freistellung an bis zu vier Arbeitstagen im Kalenderjahr vor, wenn ein schwer erkranktes Kind unter 12 Jahren betreut wurde und im laufenden Kalenderjahr kein Anspruch nach § 45 SGB V bestand oder bestanden hatte, § 52 Abs. 1 e bb) BAT. Im vorstehenden Sinn hat auch die Tarifgemeinschaft Deutscher Länder (TdL) in ihrem Schreiben vom 01.10.2002 Position bezogen, nachdem diese Frage nach Inkrafttreten des neuen § 45 Abs. 5 SGB V an sie herangetragen worden war – 3-01-52/1474/02-D/2- (auszugsweise zit. nach Sponer -Steinherr, TV-L, § 29 TV-L Rn. 37 [September 2008]):
„Der neue Absatz 4 des § 45 SGB V verschafft den in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versicherten Arbeitnehmern einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Krankengeld und damit verbunden einen ebenfalls zeitlich unbegrenzten Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, wenn sie zur Beaufsichtigung, Betreuung und Pflege eines schwerstkranken Kindes der Arbeit fernbleiben müssen. Diese gesetzliche Arbeitsbefreiungsmöglichkeit ist auch im Tarifbereich des öffentlichen Dienstes zu beachten.
Der neue Absatz 5 des § 45 SGB V sichert darüber hinaus auch den nicht in der GKV versicherten Arbeitnehmern erstmals einen gesetzlichen Anspruch auf unbezahlte Arbeitsbefreiung in dem Umfang, wie er auch für die Mitglieder der GKV besteht.
An die Geschäftsstelle ist die Frage herangetragen worden, ob die Anfügung des Absatzes 5 zur Folge hat, dass den nicht in der GKV versicherten Arbeitnehmern der bisherige tarifliche Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung (z. B. nach § 52 Abs. 1 Buchst. c Doppelbuchst. bb BAT/BAT-O) im Umfang von höchstens vier Arbeitstagen im Kalenderjahr nicht mehr zusteht. Entsprechende Zweifel sind deshalb aufgetreten, weil die Tarifvorschrift für die Gewährung bezahlter Arbeitsbefreiung verlangt, dass „im laufenden Kalenderjahr kein Anspruch nach § 45 SGB V besteht oder bestanden hat“.
Nach Abstimmung mit dem Bund und mit der VKA vertrete ich die Auffassung, dass das o.g. Gesetz nicht den Untergang tariflicher Ansprüche auf bezahlte Arbeitsbefreiung zum Ziel hatte. Die Vorschrift des § 52 Abs. 1 Buchst. c Doppelbuchst. bb BAT/BAT-O sowie die entsprechenden Tarifregelungen für Arbeiter verfolgen als nachrangige Regelungen den Zweck, einen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung in den Fällen zu gewähren, in denen der Arbeitnehmer nicht finanziell durch die Vorschriften des SGB V abgesichert ist. Da § 45 Abs. 5 SGB V selbst keine finanzielle Absicherung für die nicht in der GKV versicherten Arbeitnehmer verschafft, bleibt der Anspruch gegen den Arbeitgeber auf bezahlte Arbeitsbefreiung in dem tariflich vorgesehenen Umfang erhalten. Soweit der Arbeitgeber bezahlte Arbeitsbefreiung nach den tariflichen Vorschriften gewährt, erfolgt – bei weiterem Freistellungsbedarf – allerdings eine Anrechnung auf die im § 45 SGB V geregelte Höchstdauer der Freistellung.
Die vorstehenden Ausführungen zum tariflichen Anspruch der nicht in der GKV versicherten Arbeitnehmer gelten gleichermaßen in den Fällen, in denen zwar der Arbeitnehmer, nicht aber das Kind in der GKV versichert ist und deshalb ein Krankengeldanspruch nach § 45 Abs. 1 bis 4 SGB V nicht besteht.“
Nachdem die tarifvertragliche Regelung zur bezahlten Freistellung bei schwerer Erkrankung im Jahr 2006 bei Abschluss des TV-L zwischen der TdL und ver.di auch angesichts dieser Stellungnahme der TdL aus dem Jahr 2002 unverändert geblieben ist, ist der oben dargestellten Auffassung aus den genannten Gründen zu folgen.
Zweifelhaft ist, ob die von der Beklagten für die Gegenauffassung zitierte Darstellung von Grimm tatsächlich im Sinne der Rechtsauffassung der Beklagten zu verstehen ist (Groeger-Grimm, Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, 2010, Teil III M Rz 35=S.396). Die dortigen Ausführungen unter der Überschrift „§ 45 SGB V“ umfassen 17 Zeilen und beziehen sich ausweislich der dortigen Fußnoten 6 – 9 durchweg auf die Kommentierung im TVöD-Kommentar von Breier-Dassau. Der Text im TVöD-Kommentar von Breier-Dassau entspricht der oben für die Auffassung der Klägerin zitierten Kommentierung im TV-L-Kommentar von Breier-Dassau (Breier-Dassau, TVöD, § 29 TVöD Rn 37). Aber auch unabhängig davon, wie die Ausführungen von Grimm letztlich zu verstehen sind, verbleibt die Kammer aus den ausgeführten Gründen bei ihrer oben dargestellten Auffassung.
c) Ergebnis ist, dass für den 27.05.2010 und für den 29.06.2010 sämtliche Voraussetzungen für eine bezahlte Arbeitsbefreiung der Klägerin vorgelegen haben. Die Klägerin hatte in den Monaten Mai und Juni 2010 Anspruch auf ungekürztes Gehalt. Das volle Gehalt ist in diesen Monaten mit Rechtsgrund an die Klägerin gezahlt worden. Ein Rückforderungsanspruch der Beklagten bestand nicht. Die Beklagte war nicht berechtigt, im Juli und August 2010 insgesamt 148,06 € brutto einzubehalten. Die Klägerin hat die unberechtigt einbehaltenen Entgeltbestandteile rechtzeitig innerhalb der tarifvertraglichen Verfallfrist schriftlich geltend gemacht (§ 37 TV-L). Die Verzinsung des Betrages schuldet die Beklagte nach §§ 288, 247 BGB. Zu verzinsen ist der Bruttobetrag (BAG GS 07.03.2001 AP BGB § 288 Nr. 4).
3. Da die Berufung der Beklagten erfolglos geblieben ist, hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache hat Kammer gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen
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