Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 07.09.2016 – 2 Ta 21/16

Juni 16, 2020

Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 07.09.2016 – 2 Ta 21/16

1. Wird ein einzelner prozessualer Anspruch auf mehrere materielle-rechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt, hat das angerufene und jedenfalls für eine der Anspruchsgrundlagen zuständige Gericht nach § 17 Abs. 2 S. 1 GVG eine umfassende Prüfungskompetenz, sodass es den Anspruch unter allen rechtlichen Gesichtspunkten und damit auch rechtswegfremde Anspruchsgrundlagen zu prüfen hat. Ausgenommen davon bleiben allerdings Amtshaftungsansprüche, für die aufgrund der Sonderregelung in § 17 Abs. 2 S. 2 GVG i.V.m. Art. 34 S. 3 GG die alleinige Entscheidungszuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit gegeben ist.

2. Werden mit einer beim Arbeitsgericht anhängigen Klage mehrere selbständige prozessuale Ansprüche geltend gemacht, ist die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Arbeitsgerichten für jeden selbständigen prozessualen Streitgegenstand gesondert zu prüfen. Ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für einzelne prozessuale Streitgegenstände nicht eröffnet, so ist der Rechtstreit hinsichtlich dieses Streitgegenstandes teilweise an das Gericht des zulässigen Rechtsweges zu verweisen. Eine solche Teilverweisung des Rechtstreits kommt dagegen bei einem einheitlichen prozessualen Anspruch auch dann nicht in Betracht, wenn der einheitliche prozessuale Anspruch unter Berufung auf mehrere Anspruchsgrundlagen, u.a. auch auf Amtshaftung, geltend gemacht wird. Das angerufene Arbeitsgericht darf allerdings in diesem Fall die Amtshaftungsansprüche nicht prüfen, da für die Prüfung der Amtshaftungsansprüche aufgrund der Sonderregelung des § 17 S. 2 GVG i.V.m. Art. 34 S. 3 GG ausschließlich die Zivilgerichte zuständig sind.

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamm vom 02.12.10.2015 – 3 Ca 1189/15 insoweit aufgehoben, als es den Rechtsstreit hinsichtlich des vom Kläger auf Amtshaftung nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG gestützten Schadensersatzanspruch an das Landgericht Arnsberg verwiesen hat.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsgericht den auf Amtshaftung nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG gestützten Schadensersatzanspruch nicht prüfen darf.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 9403,24 € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten im Beschwerderechtszug um die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Arbeitsgerichten für den von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruch, soweit er auf die Amtshaftung der Beklagten nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG gestützt wird.

Der Kläger war in der Zeit vom 01.12.1971 bis zum 31.03.2009 bei den britischen Stationierungsstreitkräften beschäftigt. Nach seinem Arbeitsvertrag waren auf das Arbeitsverhältnis wie Tarifverträgen für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anwendbar.

Unter dem 24.08.2015 hat der Kläger gegen die Beklagte in Prozessstandschaft für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Klage auf Schadensersatz erhoben, die er auf schuldhafte Verletzung der Arbeitsvertragspflichten sowie eine Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 stützt.

Im Gütetermin hat das Arbeitsgericht die Parteien darauf hingewiesen, dass für den auf Amtshaftung der Beklagten gestützten Schadensersatzanspruch der Rechtsweg zu den Zivilgerichten nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG eröffnet sein dürfte. Nachdem die Parteien von der ihnen eingeräumten Gelegenheit zur Stellungnahme Gebrauch gemacht haben, hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 02.12.2015 festgestellt, dass der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten insoweit nicht geöffnet ist, als die Schadensersatzansprüchen auf eine Amtshaftung der Beklagten gestützt werden und hat insoweit den Rechtsstreit an das Landgericht Arnsberg verwiesen. Im übrigen hat es die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Arbeitsberichten angenommen.

Gegen den am 04.01.2016 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 14.01.2016 sofortige Beschwerde eingelegt und begründet, der das Arbeitsgericht mit Kammerbeschluss vom 26.02.2016 nicht abgeholfen hat.

Zur Begründung der sofortigen Beschwerde trägt die Beklagte insbesondere vor, dass das Arbeitsgericht zu Unrecht den Rechtsstreit „teilweise“ an die ordentliche Gerichtsbarkeit verwiesen habe, weil der Kläger den auf zwei materiell-rechtliche Anspruchsgrundlagen gestützten Schadensersatzanspruch aus demselben Lebensvorgang ableite, so dass lediglich ein prozessualer Streitgegenstand vorliege. In einem solchen Fall sei eine Teilverweisung selbst dann nicht zulässig, wenn der Kläger den auf Amtshaftung gestützten Schadensersatzanspruch schlüssig dargelegt hätte, was allerdings vorliegend schon deswegen nicht der Fall sei, weil sie, die lediglich als in ihrer Eigenschaft als Prozessstandschafterin verklagt worden sei, selbst gar keine Pflichtverletzung begangen habe. Dementsprechend könnten die vom Kläger gerügten Pflichtverletzungen lediglich ihre Grundlage im Arbeitsverhältnis haben, nicht aber eine Amtshaftung begründen. Da eine Teilverweisung unzulässig sei, müsse der Rechtsstreit in Gänze beim Arbeitsgericht verbleiben.

Die Beschwerdekammer hat den mit Verfügung vom 20.07.2016 Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Aufhebung des Beschlusses des Arbeitsgerichts eingeräumt.

II.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist begründet.

Die Beklagte macht mit der sofortigen Beschwerde zu Recht geltend, dass Arbeitsgericht zu Unrecht den Rechtsstreit wegen der auf Amtshaftung gestützten Schadensersatzansprüche teilweise an das Landgericht Arnsberg verwiesen hat.

Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass für die auf Amtshaftung der Beklagten gestützten Schadensersatzansprüche ausschließlich die Rechtswegzuständigkeit der Zivilgerichte nach Art. 34 S. 3 GG in Verbindung mit § 839 Abs. 1 BGB gegeben ist.

In den Fällen, in denen ein einzelner prozessualer Anspruch auf mehrere Anspruchsgrundlagen gestützt wird und der Rechtsweg für eine Anspruchsgrundlage zulässig ist, hat das angerufene und insoweit zuständige Gericht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG grundsätzlich diesen Anspruch unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und zu entscheiden, sodass es auch rechtswegfremde Anspruchsgrundlagen zu prüfen. Das angerufene und für eine Anspruchsgrundlage zuständige Gericht hat somit grundsätzlich eine umfassende Prüfungszuständigkeit.

Das Arbeitsgericht ist zwar Recht auch davon ausgegangen, dass von diesem umfassenden Prüfungsauftrag des § 17 Abs. 2 GVG in § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG für Amtshaftungsansprüche eine Ausnahme angeordnet wird. Gleichwohl hätte es den Rechtstreit bei vorliegender Fallkonstellation nicht insoweit teilweise an das Landgericht verweisen dürfen, als der Kläger den Schadensersatzanspruch auf eine Amtshaftung der Beklagten stützt.

Nach Art. 34 Satz 3 GG darf für den Anspruch auf Schadenersatz aus Amtspflichtverletzung und für den Rückgriff beim Staat der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden. Nach diesem ausdrücklichen Zuständigkeitsvorbehalt sind für die Prüfung der Amtshaftungsansprüche ausschließlich die Zivilgerichte zuständig. Werden beim Arbeitsgerichte neben arbeitsrechtlichen Ansprüchen auch Amtshaftungsansprüche in der Weise anhängig gemacht, dass mehrere prozessuale Streitgegenständen vorliegen, so ist die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Arbeitsgerichten nach allgemeiner Ansicht für jeden einzelnen prozessualen Streitgegenstand gesondert zu prüfen. Ist für einen der prozessualen Streitgegenstände der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht eröffnet, ist insoweit der Rechtsstreit teilweise an das Gericht des zulässigen Rechtsweges zu verweisen (vgl. BAG, Beschl. v. 24.04.1996 – 5 AZB 25/95, NZA 1996, 1005; LAG Hamm, Beschl. v. 07.06.2016 – 2 Ta 492/15, […]; OLG München, Beschl. v. 14.02.2011 – 31 AR 15/11, […]). Die in § 17 Abs. 2 S. 1. GVG angeordnete umfassende Prüfungskompetenz des angerufenen Gerichts steht dem nicht entgegen, weil diese Vorschrift nur dann einschlägig ist, wenn Gegenstand des Verfahrens ein einheitlicher Streitgegenstand im Sinne eines einheitlichen prozessualen Anspruchs ist, der auf mehrere Anspruchsgrundlagen gestützt werden kann. Ziel des § 17 Abs. 2 S. 1 GVG ist es, nur in den Fällen das angerufene Gericht zur Entscheidung über sämtliche Klagegründe zu verpflichten, sofern der Rechtsweg wenigstens für einen von ihnen gegeben ist, in denen der derselbe prozessuale Klageanspruch auf mehrere, verschiedenen Rechtswegen zugeordnete Anspruchsgrundlagen gestützt ist. Würde diese Erweiterung der Entscheidungskompetenz hingegen auch bei einer Mehrheit prozessualer Ansprüche die Zulässigkeit des Rechtswegs für sämtliche prozessuale Ansprüche begründen, so wäre der Rechtswegmanipulation durch beliebige Klagehäufungen Tür und Tor geöffnet, was mit dem gesetzlichen Richter des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht zu vereinbaren wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 27.11.2013 – III ZB 59/13, ZIP 2014, 97, Beschl. v. 24.04.1996 – 5 AZB 25/95, NZA 1996, 1005).

Im vorliegenden Verfahren macht der Kläger aber nicht zwei verschiedene prozessuale Ansprüche geltend, sodass eine Teilverweisung hinsichtlich des Amtshaftungsanspruchs als eines selbständigen prozessualen Anspruchs insoweit nicht in Betracht kommt. Vielmehr ist Gegenstand des Verfahrens ein einheitlicher Streitgegenstand im Sinne eines einheitlichen prozessualen Anspruchs ist, auch wenn der Anspruch auf verschiedene materiell-rechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt wird. Denn Streitgegenstand eines Rechtsstreits ist nicht ein bestimmter materiell-rechtlicher Anspruch, sondern der als Rechtsschutzbegehren oder Rechtsfolgenbehauptung verstandene eigenständige prozessuale Anspruch. Dieser wird bestimmt nach dem sogenannten zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff durch den Klageantrag (Rechtsfolge) und den Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (vgl. BAG, Urt. v. 20.02.2014 – 2 AZR 864/12, NZA 2015, 124; BAG, Urt. v. 25.09.2013 – 10 AZR 454/12, NJW 2014, 717; BGH, Beschl. v. 27.11.2013 – III ZB 59/13, ZIP 2014, 97). Der Schadensersatzanspruch, den der Kläger geltend, wird beim gleichen tatsächlichen Geschehensablauf sowohl auf die Verletzung einer arbeitsvertraglichen Pflicht als auch einer Amtspflicht der Beklagten gestützt, sodass wegen eines einheitlichen prozessualen Anspruchs an sich eine umfassende Prüfungszuständigkeit des Arbeitsgerichts nach § 17 Abs. 12 S. 1 GVG gegeben wäre: Denn es ist als das erstangegangene Gericht für den Schadensersatzanspruch nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 a zuständig ist, der auf die Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht gestützt wird. Es greift jedoch die Sonderreglung des § 17 Abs. 2 S. 2 GVG, nach für die Prüfung der Amtshaftungsansprüche abweichend von der Grundregelt des § 17 Abs. 1 S. 1 GVG die Zivilgerichte auch dann zuständig sind, wenn derselbe prozessuale Anspruch zugleich auf eine arbeitsrechtliche Grundlage gestützt wird, für die das erstangerufene Arbeitsgericht zuständig ist. Darauf folgt, dass eine Teilverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Arnsberg hinsichtlich der Amtshaftungsansprüche mangels verschiedener selbständiger prozessualer Ansprüche nicht möglich ist. Aufgrund der Sonderregelung des § 17 Abs. 2 S. 2 GVG darf aber das angerufene Arbeitsgericht die Amtshaftungsansprüche auch nicht prüfen, da die Prüfung dieser Ansprüche den Zivilgerichten vorbehalten bleibt (vgl. dazu BSG, Beschluss vom 30.07.2014 – B 14 AS 8/14 B; Beschluss vom 21.10.2012 – B 13 437/11 B; LSG Sachsen, Urteil vom 24.09.2015 – L 3 AG 175/15; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.01.2016- LR 1412/15 und BAG, Beschluss vom 14.12.1988 – 5 AS 8/98, […]; LAG Sachsen, Beschl. v. 25.07.2012 – 4 Ta 352/11, […]). Aus alldem folgt, dass der Beschluss des Arbeitsgerichts, mit dem der Rechtstreit an das Landgericht Münster hinsichtlich der Amtshaftungsansprüche verwiesen wurde, aufzuheben und gleichzeitig klarstellend festzustellen war, dass das Arbeitsgericht die Amtshaftungsansprüche wegen der Sonderregelung des § 17 Abs. 2 S. 2 GVG nicht prüfen darf.

III.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.

Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde gemäß § 17 a Abs.4 GVG liegen nicht vor, da die Beschwerdekammer der Entscheidung dir höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hat.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens richtet sich nach dem Wert der Hauptsache. Wegen der eingeschränkten Rechtskraft im Rechtswegbestimmungsverfahren sind davon 3/10 in Ansatz gebracht worden.

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