Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 09.03.2018 – 13 Sa 1354/17

Juni 14, 2020

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 09.03.2018 – 13 Sa 1354/17

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 15.08.2017 – 4 Ca 226/17 – teilweise abgeändert und der Tenor zu den Ziffern 1.) – 4.) insgesamt wie folgt neu gefasst:

Das Versäumnisurteil vom 14.03.2017 wird aufgehoben.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen mit Ausnahme der durch die Säumnis der Beklagten veranlassten Kosten, die die Beklagte zu tragen hat.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Soweit hier noch von Interesse, begehrt die Klägerin die Gewährung von Nachtarbeitszuschlägen in Höhe von 30 % der Bruttostundenvergütung.

Die Klägerin ist seit dem 01.09.2015 als Pflegefachkraft in einer von der Beklagten betriebenen Seniorenresidenz zu einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.400,-€ bei durchschnittlich 36 Stunden pro Woche tätig. Ausweislich eines Zusatzes zum Anstellungsvertrag vom 10.08.2015 kommt sie ausschließlich im Nachtdienst in der Zeit von 20.30 Uhr bis 06.30 Uhr abzüglich einer Pause von 45 Minuten zum Einsatz. Nach § 3 Abs. 2 des Anstellungsvertrages vom 10.08.2015 (Bl. 8 ff. d. A.) erhält sie für den Nachtdienst von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr einen „Zeitzuschlag“ in Höhe von 1,28 € je Stunde. § 5 des genannten Anstellungsvertrages lautet:
„Zusatzurlaub für Nachtarbeit (1) Der AN erhält bei einer Arbeitsleistung zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr von mindestens 300 Stunden im Kalenderjahr 2 Arbeitstage mindestens 450 Stunden im Kalenderjahr 3 Arbeitstage Der Zusatzurlaub bemisst sich nach der im vergangenen Kalenderjahr zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr erbrachten Arbeitstage. Der Anspruch auf Zusatzurlaub entsteht mit Beginn des auf die Arbeitsleistung folgenden Urlaubsjahres.“

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe für die Nachtarbeitsstunden von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr pro Stunde ein Nachtarbeitszuschlag von 30 % der geschuldeten Bruttostundenvergütung in Höhe von 15,38 € zu. So begehrt sie für den Zeitraum ab 01.05.2016 bis zum 31.01.2017 unter Abzug bereits erhaltener Zeitzuschläge die Nachzahlung eines der Höhe nach unstreitigen Betrages von 5.459.12 €.

Daneben verlangt sie, festzustellen, dass die Beklagte auch für den Zeitraum ab 01.02.2017 zu entsprechenden Zahlungen verpflichtet ist.

In dem Zusammenhang hat sie herausgestrichen, dass sie während der Nachtarbeit erheblichem Zeitdruck und hohen Belastungen ausgesetzt sei, und hat insoweit verwiesen auf den mit Schriftsatz vom 01.06.2017 als Anlage K 6 eingereichten Auszug aus dem Qualitätsmanagement-Handbuch (Bl. 152 d. A.) sowie auf das als Anlage K 7 eingereichte Protokoll über die nächtliche Tätigkeit (Bl. 153 ff. d. A.).

Soweit hier noch von Interesse, erging erstinstanzlich auf Antrag der Klägerin ein Versäumnisurteil, dessen Ziffern 1. und 2. wie folgt lauten:
„1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die ab dem 01.02.2017 geleistete Nachtarbeit wahlweise einen Nachtarbeitszuschlag von 30 % des Bruttostundenlohns für je zwischen 23.00 Uhr und 06.00 Uhr geleistete Arbeitsstunde zu zahlen oder für jeweils 10 zwischen 23.00 Uhr und 06.00 Uhr geleistete Nachtarbeitsstunden je 3 Stunden Freizeitausgleich zu gewähren. 2. Die Beklagte wird verurteilt, aufgrund der von ihr zwischen dem 01.05.2016 und dem 31.01.2017 geleistete Nachtarbeit eine Gehaltsnachzahlung in Höhe von 5.459,12 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 24.02.2017 zu zahlen.“

Nachdem die Beklagte gegen dieses ihr am 14.03.2017 zugestellte Urteil am 21.03.2017 Einspruch eingelegt hatte, hat die Klägerin, soweit hier noch relevant,
1. das Versäumnisurteil vom 14.03.2017 aufrechtzuerhalten, 2. ferner hilfsweise zu 1) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die ab dem 01.02.2017 geleistete Nachtarbeit einen Nachtarbeitszuschlag von 30 % des Bruttolohns für jede zwischen 23.00 Uhr und 06.00 Uhr geleistete Arbeitsstunde zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass mit den arbeitsvertraglichen Regelungen ein angemessener Ausgleich für die von der Klägerin in Dauernachtschicht geleistete Tätigkeit erfolge und in der Vergangenheit auch erfolgt sei. Die Zahlung eines 30 %igen Nachtzuschlages sei nicht gerechtfertigt. Nachtarbeit könne nämlich in der Einrichtung nicht verhindert werden. Während der Nachtschicht läge nur eine geringe Belastung der Klägerin vor, da die üblicherweise erforderlichen Pflegeleistungen der Grund- und Behandlungspflege grundsätzlich nicht anfielen. Für dessen Ablauf sei der neu aufgestellte Ablaufplan maßgeblich. Die tatsächliche Ausfüllung der Zeiträume im Nachtdienst erfolge in Abhängigkeit von pflegerischen Bedürfnissen sowie von Schnellvorgängen bzw. Notfalleinsätzen. In diesen Bereichen falle dann Arbeitsbereitschaft an.

Das Arbeitsgericht hat, soweit hier noch relevant, der Klage mit Urteil vom 15.08.2017 stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass in der konkreten Konstellation ein Anspruch von 30 % der Bruttostundenvergütung angemessen sei. Der Vortrag der Beklagten biete keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine ausnahmsweise Herabsetzung dieses regelmäßig geschuldeten Betrages.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

Sie weist darauf hin, dass die Klägerin im Nachtdienst weder erheblichem Zeitdruck noch hohen Belastungen ausgesetzt sei. Im Vergleich zur Tagschicht seien sogar weniger Aufgaben zu bewältigen.

Davon abgesehen müsse die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit zwingend in der Nacht verrichtet werden, so dass nach der einschlägigen Rechtsprechung als Maßstab ein Wert von 10 % der Bruttostundenvergütung heranzuziehen sei.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 15.08.2017 – 4 Ca 226/17 – abzuändern, das Versäumnisurteil vom 14.03.2017 insgesamt aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht sich zur Stützung ihres Standpunktes die Begründung des Arbeitsgerichts zu eigen. Ergänzend führt sie aus, dass die von der Beklagten vorgenommene Differenzierung zwischen Tag- und Nachtdienst keine Herabsetzung des Wertes von 30 % rechtfertige. Entscheidend seien die mit der Dauernachtarbeit verbundenen Belastungen – ohne Zeiten der Arbeitsbereitschaft und ohne nennenswerte Pausen, so dass ein Zuschlag von 30 % angemessen sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts war das Versäumnisurteil vom 14.03.2017 in vollem Umfang aufzuheben (§ 343 Satz 2 ZPO) und die Klage insgesamt abzuweisen. Denn die zweitinstanzlich noch zur Entscheidung angefallenen Anträge betreffend die Zahlung von 5.459,12 € nebst Zinsen und die (hilfsweise) begehrten Feststellungen, dass für den Zeitraum vom 01.05.2016 bis 31.01.2017 und dann weiter ab 01.02.2017 die Verpflichtung zur Zahlung eines Nachtarbeitszuschlags von 30 % für jede zwischen 23.00 Uhr und 06.00 Uhr geleistete Arbeitsstunde besteht, sind unbegründet. Die Voraussetzungen des als Anspruchsgrundlage für die Gewährung eines solchen Nachtzuschlages allein in Betracht kommenden § 6 Abs. 5 ArbZG sind in der Person der Klägerin nicht erfüllt.

I. Allerdings sind nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (09.12.2015 – 10 AZR 423/16 – AP ArbZG § 6 Nr. 14) im Rahmen des § 6 Abs. 5 ArbZG regelmäßig 25 % bzw. bei Dauernachtarbeit 30 % Zuschlag regelmäßig als angemessen anzusehen.

Ein geringerer Ausgleich kommt aber namentlich dann in Betracht, wenn nach der Art der geschuldeten Arbeitsleistung der vom Gesetzgeber mit dem in der genannten Norm verankerten Vergütungszuschlag (auch) verfolgte Zweck, im Interesse der Gesundheit des Arbeitnehmers Nachtarbeit zu verteuern und auf diesem Wege einzuschränken, nicht zum Tragen kommen kann. Relevant wird diese Erwägung namentlich dann, wenn Nachtarbeit aus zwingend mit der Art der Tätigkeit verbundenen Gründen unvermeidbar ist. In einer solchen Konstellation ist dann ein Zuschlag von 10 % regelmäßig die Untergrenze dessen, was als angemessen angesehen werden kann (so schon BAG, 31.08.2005 – 5 AZR 545/04 – AP ArbZG § 6 Nr. 8; siehe auch BAG, 11.02.2009 – 5 AZR 148/08 – AP ArbZG § 6 Nr. 9).

II. Daraus folgt hier, dass die Klägerin nicht den begehrten Nachtzuschlag von 30 % verlangen kann.

Sie kommt zwar nach dem Zusatz zum Anstellungsvertrag vom 10.08.2015 ausschließlich im Nachtdienst zum Einsatz. Sie erbringt aber in ihrer Position als Pflegefachkraft in einer Seniorenresidenz Pflegearbeiten, die im Interesse der Bewohnerinnen und Bewohner zwingend (auch) im hier relevanten Nachtarbeitszeitraum von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr (§ 2 Abs. 3 ArbZG) erbracht werden müssen und nicht, jedenfalls nicht in einem maßgeblichen Umfang, auf den Tag verlagert werden können. Deshalb kann bei einer solchen Arbeitsplatzgestaltung der gesetzgeberische Zweck, durch Mehrkosten die Nachtarbeit im Interesse der Gesundheit zu verteuern, nicht zum Tragen kommen.

Es bleibt „nur“ die Notwendigkeit zum Ausgleich der mit einer regelmäßigen Nachtarbeit typischerweise verbundenen gesundheitlichen Belastungen, dem aber mit einem Zuschlag von rund 10 % als Untergrenze angemessen Rechnung getragen werden kann (BAG, a.a.O.).

Hier erhält die Klägerin nach § 3 Abs. 2 des Anstellungsvertrages 1,28 € je Stunde als Zuschlag für zu leistende Nachtdienste und daneben gemäß § 5 einen Zusatzurlaub von drei Kalendertagen, wobei der Bemessungsmaßstab die erbrachte Arbeitsleistung von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr im zurückliegenden Kalenderjahr ist. Damit wird die Untergrenze dessen, was unter den gegebenen Umständen als angemessen angesehen wird, noch gewahrt, zumal bei ständiger und sogar ausschließlicher Nachtarbeit die damit verbundene Mehrbelastung (teilweise schon) bei der Bemessung der Grundvergütung Berücksichtigung gefunden haben kann (vgl. BAG, 18.05.2011 – 10 AZR 369/10 – AP ArbZG § 6 Nr. 11; 26.08.1997 – 1 ABR 16/97 – AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 74).

Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO sowie auf § 344 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

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