Landgericht Köln, 15 O 201/21

Januar 7, 2022

Landgericht Köln, 15 O 201/21

Tenor:
1.) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.583.545,93 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 8% p.a. aus

− je 346.143,94 EUR seit dem 7. April, 8. Mai und 8. Juni 2020,

− 232.261,99 EUR seit dem 7. Juli 2020

− je 464.523,95 EUR seit dem 7. August, 7. September, 7. Oktober, 6. November und 7. Dezember 2020,
je 346.143,94 EUR seit dem 8. Januar und 5. Februar 2021,

− je 349.763,30 EUR seit dem 5. März, 9. April, 7. Mai und 8. Juni 2021,

− je 481.520,30 EUR seit dem 7. Juli, 6. August, 7. September 2021.

2.) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 320.307,37 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 8% p.a. aus

− 119.416,57 EUR seit dem 16. Juni 2020,

− 46.011,70 EUR seit dem 27. Oktober 2020,

− 9.207,89 EUR seit dem 15. Januar 2021,

− 54.602,90 EUR seit dem 1. April 2021,

− 45.534,20 EUR seit dem 16. April 2021,

− 45.534,20 EUR seit dem 14. Juli 2021.

3.) Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

1
Tatbestand

2
Die Klägerin ist eine Tochtergesellschaft eines französischen Versicherungskonzerns. Die Beklagte ist eine Tochtergesellschaft eines Hotelmanagement Unternehmens, das in Deutschland, Belgien und Österreich mehr als 120 Hotels betreibt. Die Beklagte selbst betreibt insgesamt neun Hotels.

3
Die Klägerin ist Eigentümerin vierer mit Hotels bebauter Liegenschaften, von denen sich zwei in Köln, eine in Bonn und eine in Frankfurt a.M. befinden. Diese verpachtete sie mit Pachtvertrag vom 03.04.2014 an die Beklagte. Das Pachtverhältnis begann am 31.12.2014. Der Vertrag sieht eine Festlaufzeit von 10 Jahren vor. Die Pacht betrug zunächst monatlich 273.000,00 EUR für den Zeitraum Januar bis Juni und für die zweite Jahreshälfte je 375.850,00 EUR. Nach dem Vertrag erfolgt jährlich zum ersten Januar eine Anpassung nach Maßgabe des Verbraucherpreisindexes. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K1, Bl. 39 GA, Bezug genommen.

4
Die Hotels richten sich vor allem an Geschäftsleute. Für eine nähere Beschreibung wird auf die Internetauftritte der jeweiligen Hotels (Anlagen K14 bis K17, Bl. 320ff. GA) Bezug genommen.

5
Für die Jahre 2020/2021 waren nach dem Vorstehenden – unter Berücksichtigung zwischenzeitlich geänderter Mehrwertsteuersätze – folgende monatliche Bruttokaltbeträge vereinbart:

6
Jan – Jun 2020

Jul – Dez 2020

Jan – Feb 2021

März – Juni 2021

Juli – Dezember 2021

Hotel Köln

131.534,70

176.519,10

131.534,70

132.910,05

182.977,71

Hotel Köln B

72.690,22

97.550,03

72.690,22

73.450,30

101.119,26

Hotel Bonn

79.613,11

106.840,51

79.613,11

80.445,56

110.749,67

Hotel Frankfurt

62.305,91

83.614,31

62.305,91

62.957,39

86.673,65

7
Außerdem fielen von der Beklagten zu tragende Nebenkosten in Höhe von 320.307,37 EUR an.

8
Im Zuge des ersten „Lockdowns“ waren in NRW nach der Coronaschutzverordnung vom 22.03.2020 bis zum 16.07.2020 Übernachtungsangebote zu touristischen Zwecken untersagt. Aufgrund einer Allgemeinverfügung der Stadt Köln vom 19.03.2020 waren darüber hinaus sämtliche Beherbergungen untersagt, sofern sie nicht systemrelevante Schlüsselpersonen betrafen. Im Zuge des zweiten „Lockdowns“ waren in NRW nach der Coronaschutzverordnung Übernachtungen zu touristischen Zwecken vom 02.11.2020 bis zum 14.05.2021 untersagt. Ab dann waren Übernachtungen zu privaten Zwecken wieder mit bis zu 60% der Kapazität zugelassen. In Hessen waren aufgrund der Coronaschutzverordnung vom 18.03.2020 bis zum 14.05.2020 Übernachtungen nur zu „notwendigen Zwecken“ erlaubt. Übernachtungen zu touristischen Zwecken waren ausdrücklich verboten. Vom 29.10.2020 bis zum 11.05.2021 waren Übernachtungen zu touristischen Zwecken erneut verboten. Ab dem 12.05.2021 waren sie wieder mit bis zu 60% der Kapazitäten erlaubt. Zusätzlich galten während und zwischen den beiden Lockdowns in beiden Ländern besondere Hygiene- und Abstandsgebote sowie Ansammlungsverbote in wechselndem Ausmaß. Des Weiteren war die Einreise in das Bundesgebiet aus wechselnden Risikogebieten nur eingeschränkt möglich.

9
Die Beklagte zahlte die Pacht bis März 2020 vollständig. Seitdem leistete sie eine Teilzahlung von 232.261,99 EUR für den Monat Juli 2020 unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Weitere Zahlungen erbrachte sie nicht. Gegenstand der Klage sind die – der Höhe nach unstrittigen – Pachtrückstände bis einschließlich Dezember 2021 sowie Nebenkosten in Höhe von 320.307,37 EUR.

10
Mit Schreiben vom 24.06.2020 bot die Klägerin – unter Bezugnahme auf vorangegangene Gespräche – eine Stundung der Pacht an, lehnte einen Verzicht auf Teilbeträge hingegen ab (Anlage K10, Bl. 119 GA). Die Beklagte begehrte eine Stundung und einen Teilverzicht (Schreiben vom 20.07.2020, Anlage K10, Bl. 133 GA). Es folgten anwaltliche Schreiben vom 17.11.2020 (Anlage K11, Bl. 135 GA), vom 30.11.2020 (Anlage K12, Bl. 138 GA), vom 22.01.2021 (Anlage B8, Bl. 232 GA) und vom 03.02.2021 (Anlage B9, Bl. 240 GA).

11
Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagten sei es trotz der Pandemie zuzumuten, am unveränderten Vertrag festzuhalten. Die meisten Einschränkungen hätten die Beklagte als Betreiberin von Hotels für Geschäftsleute nur eingeschränkt getroffen. Die Beklagte müsse sich erhebliche staatliche Leistungen anrechnen lassen. Sie hätte in der Vergangenheit Rücklagen bilden müssen. Die von der Beklagten dargelegten Zahlen – deren Richtigkeit sie mit Nichtwissen bestreitet – seien nicht aussagekräftig. Unverständlich seien die Positionen „One Time Expense“, „Management Fee“ und „Incentive Fee“. Die Klägerin behauptet, in Anbetracht der vorgelegten Zahlen sei davon auszugehen, dass die Beklagte Hotels eigenmächtig geschlossen habe.

12
Die Klägerin hat zunächst den Erlass eines Mahnbescheids wegen Pachtrückständen bis einschließlich August 2020 beantragt. Dieser ist am 21.12.2020 durch das Amtsgericht Wedding erlassen worden. Nach Abgabe an das Landgericht Berlin hat dieses das Verfahren durch Beschluss vom11.05.2021 auf Antrag der Klägerin an das Landgericht Köln verwiesen.

13
Nach weiteren Klageerhöhungen beantragt die Klägerin zuletzt,

14
1) die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 7.138.985,03 sowie

15
− jeweils weitere EUR 481.520,30 monatlich am 7. Oktober, 5. November und 7. Dezember 2021

16
zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 8% von

17
− je EUR 346.143,94 seit dem 7. April, 8. Mai und 8. Juni 2020,

18
− je EUR 464.523,95 seit dem 7. August, 7. September, 7. Oktober, 6. November und 7. Dezember 2020,

19
− EUR 232.261,99 seit dem 7. Juli und bis zum 28. September 2020,

20
− EUR 232.261,99 seit dem 29. September 2020

21
− je EUR 346.143,94 seit dem 8. Januar und 5. Februar 2021,

22
− je EUR 349.763,30 seit dem 5. März, 9. April, 7. Mai und 8. Juni 2021,

23
− je EUR 481.520,30 seit dem 7. Juli, 6. August, 7. September 2021;

24
2) die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 320.307,37 zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 8% von

25
− EUR 119.416,57 seit dem 16. Juni 2020,

26
− EUR 46.011,70 seit dem 27. Oktober 2020,

27
− EUR 9.207,89 seit dem 15. Januar 2021,

28
− EUR 54.602,90 seit dem 1. April 2021,

29
− EUR 45.534,20 seit dem 16. April 2021,

30
− EUR 45.534,20 seit dem 14. Juli 2021.

31
Die Beklagte beantragt,

32
die Klage abzuweisen.

33
Die Beklagte behauptet, die Auswirkungen der Coronapandemie hätten sie mit existenzgefährdender Wucht getroffen. Selbst in Zeiten, in denen Beherbergungen sowie Messen und Konferenzen nicht untersagt waren, hätten kaum Messen und Tagungen stattgefunden, da Gäste wegen Einreisebeschränkungen nicht anreisen konnten oder Unternehmen wegen strenger Hygienevorgaben Veranstaltungen lieber in eigenen Räumen abgehalten hätten.

34
Sie habe die Hotels Ende Mai 2020 alle wieder geöffnet. Lediglich ein Hotel in Köln sei aus wirtschaftlichen Erwägungen wieder geschlossen und dann am 20.09.2021 wieder geöffnet worden, da es sich bei der geringen Auslastung nicht gelohnt habe, an einem Standort zwei Hotels zu betreiben.

35
Die Umsätze und Gewinne der vier Hotels hätten sich im Zeitraum 2019 bis 2021 wie folgt entwickelt: 2019 sei mit den vier Hotels ein Umsatz von 16.181.798,00 EUR bei einem Gewinn von 869.560,00 EUR erwirtschaftet worden. 2020 habe der Umsatz 4.884.785,00 EUR bei einem Verlust von 4.134.751,00 EUR betragen, wobei für diese Betrachtung die vollständigen Pachtzahlungen als Kosten angesetzt worden seien. Im Zeitraum Januar bis Juni 2021 habe der Umsatz 429.079,00 EUR bei einem Verlust von 2.725.816,00 EUR – bei Ansatz der vollständigen Pachtzahlungen – betragen. Der geschätzte Verlust für die zweite Jahreshälfte 2021 liege bei 1.662.966,00 EUR. Es wird auf die Übersichten und die betriebswirtschaftlichen Auswertungen Anlagen B1 (Bl. 181 GA), B2 (Bl. 182 GA), B3 (Bl. 206 GA), B4 (Bl. 207 GA), B12 (Bl. 383 GA), B13 (Bl. 384 GA) Bezug genommen. Außerdem wird für die behauptete Auslastung der Hotels auf die tabellarische Darstellung auf S. 10 des Schriftsatzes vom 03.12.2021 (Bl. 367 GA) Bezug genommen. Zur Management Fee behauptet die Beklagte, einzelne Dienstleistungen seien konzernintern ausgelagert worden. Hierdurch würden Kosten gesenkt.

36
Den Umsätzen stünden Staatshilfen für die vier Hotels für das Jahr 2020 in Höhe von 2.418,406,00 EUR gegenüber. Dabei handele es sich im Wesentlichen um die November- und Dezemberhilfen. Für 2021 habe es für die vier Hotels bislang staatliche Leistungen in Höhe von 593.698,00 EUR in Form der Überbrückungshilfe III gegeben. Dabei seien Coronahilfen nicht durch die Beklagte selbst, sondern durch ein anderes Unternehmen des Unternehmensverbundes beantragt worden. Der Unternehmensverbund habe Novemberhilfen in Höhe von 12.016.355,76 EUR und Dezemberhilfen in Höhe von 8.550.401,28 EUR erhalten, zudem Überbrückungshilfe III in Höhe von. 10.000.000,00 EUR (vgl. Anlage B14, Bl. 396 GA).

37
Die Gesamtsituation der Beklagten stelle sich wie folgt dar: In den Jahren 2017 und 2018 habe es Verluste von 425.794,00 EUR bzw. – vorläufig – 1.542.602,00 EUR gegeben. Der Umsatz habe 2019 bei 38.701.239,00 EUR bei einem Verlust von vorläufig 794.069,00 EUR gelegen. 2020 habe sie bei einem Umsatz von 11.986.001,00 EUR einen Verlust von 12.274.678,00 EUR hinnehmen müssen. Der Gesamtumsatz für die erste Jahreshälfte 2021 habe bei 3.180.690,00 EUR gelegen.

38
Die Beklagte ist der Ansicht, ihr stehe ein Zurückbehaltungsrecht zu, da sich die Klägerin Verhandlungen verweigert habe.

39
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

40
Entscheidungsgründe

41
Die Klage ist zulässig und begründet.

42
1.) Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Köln ergibt sich aus dem bindenden Verweisungsbeschluss des Landgerichts Berlin. An sich hätte nach in der Rechtsprechung vertretener Ansicht ein Zuständigkeitsbestimmungsverfahren analog § 36 Abs. 1 Nr. 4 ZPO betrieben werden müssen (vgl. Zöller-Schultzky, 34. Aufl., 2022, § 36 ZPO Rn. 30, der selbst die Gegenansicht vertritt) oder aber die Verfahren betreffend die nicht in Köln gelegenen Hotels hätten abgetrennt und an die örtlich nach § 29a ZPO ausschließlich zuständigen Gerichte verwiesen werden müssen. Ein „Zweckmäßigkeitsgerichtsstand“ bei objektiven Klagehäufungen ist abzulehnen (Zöller a.a.O. Rn. 5, 30). Allerdings lässt es die Verpachtung aller vier Objekte in einem einheitlichen Vertrag als vertretbar und zumindest nicht willkürlich erscheinen, die Sache nicht aufzuspalten, sondern einheitlich an das Gericht zu verweisen, in dessen Bezirk zwei der vier Objekte belegen sind.

43
2.) Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 8.903.853,30 EUR aus § 581 BGB.

44
a) Die Beklagte schuldet der Klägerin die Pachtrückstände seit April 2020, außerdem Nebenkosten. Die Höhe der Forderung steht außer Streit. Die – zunächst im Wege der Klage auf zukünftige Leistung geltend gemachten – Forderungen für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2021 sind vor Schluss der mündlichen Verhandlung fällig geworden.

45
b) Der Anspruch ist nicht aufgrund der grassierenden Coronapandemie zu kürzen.

46
(1) Nach zutreffender vorherrschender Meinung begründen behördliche Anordnungen zur Bekämpfung der Pandemie keinen Mangel der Mietsache und führen auch nicht nach §§ 326, 275 BGB zu einem Wegfall des Anspruchs. Die Schließungsanordnungen sowie weitere Beschränkungen knüpfen nicht an die konkrete körperliche Beschaffenheit, den Zustand oder die Lage der Mietsache selbst, sondern an den Gewerbebetrieb des jeweiligen Mieters an. Die §§ 326, 275 BGB sind als Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts nach Überlassung des Pachtobjekts nicht mehr anwendbar, sondern werden durch das Gewährleistungsrecht der §§ 581 Abs. 2, 536ff. BGB verdrängt.

47
(2) Der Anspruch auf Zahlung der Pacht ist nicht nach § 313 BGB wegen der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage anzupassen. Es ist der Beklagten zuzumuten, an dem unveränderten Vertrag festzuhalten.

48
(a) Nach § 313 Abs. 1 BGB kann bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage Vertragsanpassung verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. In Anbetracht des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes, das eine Einzelfallbetrachtung fordert, verbietet sich eine pauschale Reduzierung der Miete alleine aufgrund der pandemiebedingten Beschränkungen (in diese Richtung aber OLG Dresden, Urteil vom 24.02.2021, 5 U 1782/20). Bei der Abwägung sind auch die Maßnahmen zu berücksichtigen, die der Staat zur Abmilderungen der Folgen der pandemiebedingten Beschränkungen ergriffen hat. Weiter kann die wirtschaftliche Situation des Vermieters und des Mieters von Bedeutung sein, wobei es bei einem Konzern auch auf die Konzernmutter ankommen kann (OLG München, Beschluss vom 17.02.2021, 32 U 6358/20; OLG Frankfurt, Urteil vom 19.03.2021, 2 U 143/20).

49
(b) Für die Zeit des ersten „Lockdowns“, soweit sie streitgegenständlich ist, legen die – bestrittenen – Umsatzzahlen der Beklagten eine erhebliche Beeinträchtigung nahe. Dies erklärt sich zwangslos damit, dass das Betreiben der Hotels aufgrund der staatlichen Beschränkungen jedenfalls weitgehend untersagt war. Bei einer Gesamtschau aller Umstände hält die Kammer das Festhalten am unveränderten Vertrag gleichwohl für zumutbar.

50
Unabhängig von der Richtigkeit der behaupteten Zahlen im Übrigen müssten Abstriche vorgenommen werden, soweit die Beklagte eine Management Fee gezahlt hat. Nach dem Vortrag der Beklagten floss diese Zahlung an ein anderes Unternehmen der Gruppe. Selbst wenn die Zentralisierung einzelner Verwaltungsbereiche mit Kosteneinsparungen verbunden sein sollte, kann die Beklagte nicht erwarten, dass unternehmensinterne Forderungen in voller Höhe bedient werden, während externe Gläubiger wie die Verpächterin Abschläge hinnehmen sollen.

51
Im streitgegenständlichen Pachtvertrag finden sich Anhaltspunkte dafür, dass von den Parteien nicht zu beeinflussende Risiken dem Pächter zugewiesen werden sollen. Unter Ziffer 12.2 des Vertrags wird eine Minderung ausgeschlossen, falls es zu einem Zusammenbruch der Energie- und Wasserversorgung oder der Aufzugsanlage kommt. Weiter heißt es, dass der Verpächter für Risiken wie eine Verlegung von Verkehrsrouten nicht haften soll. Den genannten Einzelfällen lässt sich ein allgemeiner Rechtsgedanke die vertragliche Risikoverteilung betreffend entnehmen. Diese Risikoverteilung ist auch zumutbar. Der Beklagten hätte es freigestanden, das Risiko einer Betriebsunterbrechung versichern zu lassen.

52
Staatliche Hilfen sind der Beklagten in dieser Zeit nicht zugeflossen. Die Klägerin mag entsprechendes Vorbringen bestreiten, es kann aber allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden, dass die anfangs gewährten Corona-Soforthilfen nur kleinen Unternehmen zugutekamen. Hierunter fällt der Unternehmensverbund, dem die Beklagte angehört, offensichtlich nicht. Auf der anderen Seite ist es einem großen Unternehmen eher zuzumuten, vorübergehende Beschränkungen hinzunehmen als einem kleineren Unternehmen. Diese Wertung hat der Gesetzgeber geteilt, als er anfangs nur Hilfen für kleine Unternehmen (Corona-Soforthilfen), später dann für kleinere und mittlere Unternehmen (Überbrückungshilfen I und II) geschaffen hat.

53
Wollte man hingegen die ab November und 2020 geflossenen Beihilfen mit in die Betrachtung einbeziehen, spräche dies erst Recht gegen eine Vertragsanpassung: Die Beklagte hat erhebliche staatliche Hilfen erhalten, welche die Verluste in nicht unerheblichem Maße kompensiert haben. Das genaue Ausmaß der staatlichen Hilfeleistungen wird nicht klar, da die Coronahilfen an den Unternehmensverbund geflossen sind, und die Beklagte sich hiervon nur einen in nicht nachvollziehbarer Weise ermittelten Teil anrechnen lassen will. Dabei fällt auf, dass sich die Beklagte für 2020 für die vier Hotels etwa 11,76% der insgesamt an den Unternehmensverbund geflossenen Staatshilfen anrechnen lassen will. Für 2021 hingegen setzt sie nur etwa 5,94% der insgesamt an das Gesamtunternehmen geflossenen Staatshilfen an. Auffällig ist weiter, dass die Beklagte für 2021 deutlich weniger staatliche Hilfeleistungen erhalten haben will als für 2020. Dabei war das Gesamtvolumen für die Überbrückungshilfe III deutlich höher als das Gesamtvolumen der November- und Dezemberhilfen (vgl. die Übersicht www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/2021/11: 6,66 Mrd. EUR Novemberhilfen, 7,17 Mrd. EUR Dezemberhilfen, 23,20 Mrd. EUR Überbrückungshilfe III). Die Beklagte behauptet ein Gesamtvolumen der erhaltenen Überbrückungshilfe III von 10 Mio. EUR. Das ist exakt der Höchstbetrag, den ein Unternehmen pro Monat erhalten konnte (vgl. www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de/UBH/Redaktion/DE/Artikel/ueberbrueckungshilfe-iii.html). Die Förderung war abhängig vom Ausmaß des Umsatzeinbruchs des Unternehmens. Die Förderung mit exakt 10 Mio. EUR legt nahe, dass der Unternehmensverbund nur für einen Monat mit erheblichen Umsatzeinbrüchen gegenüber dem Vergleichszeitraum 2019 zu kämpfen hatte. Dies spricht wiederum gegen die Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag. Das Abstellen auf das Gesamtunternehmen ist sachgerecht, gerade wenn die Coronahilfen für das Gesamtunternehmen bewilligt wurden. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass je nach Verbuchung der Staatshilfen Unternehmensteile besser oder schlechter dargestellt werden könnten.

54
(c) Für die Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown gilt neben den vorstehenden Erwägungen Folgendes:

55
Staatliche Hilfen (Überbrückungshilfe I und II) wurden in dieser Zeit nur kleineren und mittleren Unternehmen gewährt. Die dahinter stehende Wertung des Gesetzgebers ist, große Unternehmen nicht für entsprechend schutzbedürftig zu halten.

56
Die Beklagte trägt vor, das Tourismusgeschäft habe im Sommer wieder an Fahrt aufgenommen, das von ihr bediente Messe- und Konferenzgeschäft hingegen habe darniedergelegen. Die Unternehmensgruppe, der die Beklagte angehört, ist aber nicht ausschließlich auf das Messe- und Konferenzgeschäft ausgerichtet. Dem Unternehmensverbund kann es zugemutet werden, Verluste aus einzelnen Geschäftszweigen durch Gewinne aus anderen zu kompensieren.

57
Die Beklagte hat ausweislich der von ihr behaupteten Geschäftszahlen bereits im Zeitraum Juni bis Oktober 2019 in mehreren Monaten Verluste gemacht. Negative Ergebnisse im Jahr 2020 können vor diesem Hintergrund nicht ausschließlich der Pandemie zugeordnet werden.

58
Die Beeinträchtigungen nach dem ersten Lockdown waren ganz überwiegend mittelbarer Natur (gegen die Berücksichtigung bloß mittelbarer Auswirkungen KG, Urt. v. 04.11.2021, 8 U 1106/20). Von den vier verpachteten Hotels war lediglich das in Bonn gelegene mit einer erheblichen Zahl an zum Teil großen Veranstaltungsräumen ausgestattet, vgl. Anlage K 14, Bl. 320 GA. Entsprechend große Zusammenkünfte waren auch außerhalb der Zeit der Betriebsschließungen weitgehend verboten. Im Übrigen hätten die Hotels aus rechtlicher Sicht betrieben werden dürfen. Nach Art. 240 § 7 EGBGB wird vermutet, dass sich die Geschäftsgrundlage verändert hat, wenn vermietete Räume aufgrund staatlicher Bekämpfungsmaßnahmen nicht mehr oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind. Auch wenn die Norm auf ein anderes Tatbestandsmerkmal des § 313 BGB abzielt, lässt sich ihr die gesetzgeberische Wertung entnehmen, dass Maßnahmen, die die Verwendbarkeit des Grundstücks nicht betreffen, nicht ohne Weiteres zu einer Vertragsanpassung nach § 313 BGB führen sollen. Wollte man eine bloß mittelbare Betriebsbeeinträchtigung ausreichen lassen, käme es zu einer uferlosen Billigkeitskorrektur von Verträgen und unüberschaubaren Abgrenzungsschwierigkeiten. Die Pandemie hat jenseits staatlicher Beschränkungen zu einem Gesinnungswandel geführt. Dinge, die früher im persönlichen Kontakt erörtert wurden, werden heute im Wege der Videokonferenz abgewickelt. Dies wird das Geschäftsmodell der Beklagten nachhaltig belasten. Dabei handelt es sich um ein typisches unternehmerisches Risiko, wie es auch andere Unternehmer zu tragen haben, deren Produkt aufgrund einer technischen Errungenschaft einen plötzlichen Bedeutungsverlust erleidet.

59
(d) Für die Zeit des zweiten Lockdowns gelten die Ausführungen zum ersten Lockdown entsprechend.

60
(e) Für die Zeit nach dem zweiten Lockdown gelten zudem die ergänzenden Erwägungen für die Zeit zwischen den Lockdowns entsprechend.

61
c) Der Zinsanspruch folgt aus Ziffer 4 des Vertrags. Danach kann die Klägerin Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten p.a. ab dem 5. Arbeitstag des Monats beanspruchen.

62
3.) Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.

63
4.) Der nicht nachgelassene Schriftsatz vom 19.12.2021 gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

64
Streitwert: 8.903.853,30 EUR

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