LG Darmstadt 28. Zivilkammer 28 O 168/20

Februar 3, 2021

LG Darmstadt 28. Zivilkammer
28 O 168/20

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 30.000,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 09.06.2020 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistung aus der zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherung in Anspruch.

Der Kläger ist Inhaber eines Restaurantbetriebs am versicherten [Ort] (Nordrhein-Westfalen). Das Restaurant des Klägers ist 6 Tage pro Woche geöffnet, bei einem Ruhetag pro Woche.

Die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem 19.10.2010 eine Betriebsschließungsversicherung unter der Vers.-Nr. […]. Vereinbarte Versicherungsleistung ist eine Tagesentschädigung von 1.000 € bis zur Dauer von 30 Schließungstagen sowie eine Versicherungssumme bis 10.000 € Warenwert bei Warenschäden. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) (AVB-BS), Stand 01.03.2006, sowie die Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für Versicherungen von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) (BBR-BS), Stand 01.03.2006, zu Grunde.

§ 1 Nr. 1 AVB-BS lautet auszugsweise:

㤠1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren

1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;

[…].“

§ 1 Nr. 2 AVB-BS regelt meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger:

„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

a) Krankheiten

– Botulismus

– Cholera

– Diphtherie

– akute Virushepatitis

– enteropathisches hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)

– virusbedingtes hämorrhagisches Fieber

– Masern

– Meningokokken-Meningitis oder -Sepsis

– Milzbrand

– Poliomyelitis (als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lähmung, außer wenn traumatisch bedingt)

– Pest

– Tollwut

– Tuberkulose

– Typhus abdominalis/Paratyphus

– mikrobiell bedingte Lebensmittelvergiftung

– akute infektiöse Gastroenteritis

– der Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung

– die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, – verdächtiges oder – ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers,

b) Krankheitserreger

– Adenoviren (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis im Konjunktivalabstrich);

– Bacillus anthracis

– Borrelia recurrentis

– Brucella sp.

– Campylobacter sp., darmpathogen

– Chlamydia psittaci

– Clostridium botulinum oder Toxinnachweis

– Corynebacterium diphtheriae, Toxin bildend

– Coxiella burnetii

– Cryptosporidium parvum

– Ebolavirus

– Escherichia coli (enterohämorrhagische Stämme – EHEC) und sonstige darmpathogene Stämme

– Francisella tularensis

– FSME-Virus

– Gelbfiebervirus

– Giardia lamblia

– Haemophilus influenzae (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Liquor oder Blut)

– Hantaviren

– Hepatitis-A-, -B-, -C-, -D-, -E-Virus (Meldepflicht für Hepatitis-C-Virus nur, soweit nicht bekannt ist, dass eine chronische Infektion vorliegt)

– Influenzaviren (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis)

– Lassavirus

– Legionella sp.

– Leptospira interrogans

– Listeria monocytogenes (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Blut, Liquor oder anderen normalerweise sterilen Substraten sowie aus Abstrichen von Neugeborenen)

– Marburgvirus

– Masernvirus

– Mycobacterium leprae

– Mycobacterium tuberculosis/africanum, Mycobacterium bovis (Meldepflicht für den direkten Erregernachweis sowie nachfolgend für das Ergebnis der Resistenzbestimmung; vorab auch für den Nachweis säurefester Stäbchen im Sputum)

– Neisseria meningitidis (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Liquor, Blut, hämorrhagischen Hautinfiltraten oder anderen normalerweise sterilen Substraten)

– Norwalk-ähnliches Virus (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Stuhl)

– Poliovirus

– Rabiesvirus

– Rickettsia prowazekii

– Rotavirus

– Salmonella Paratyphi (Meldepflicht für alle direkten Nachweise)

– Salmonella Typhi (Meldepflicht für alle direkten Nachweise)

– Salmonella, sonstige

– Shigella sp.

– Trichinella spiralis

– Vibrio cholerae O 1 und O 139

– Yersinia enterocolitica, darmpathogen

– Yersinia pestis

– andere Erreger hämorrhagischer Fieber

– Treponema pallidum

– HIV

– Echinococcus sp.

– Plasmodium sp.

– Rubellavirus (Meldepflicht nur bei konnatalen Infektionen)

– Toxoplasma gondii (Meldepflicht nur bei konnatalen Infektionen)“

§ 3 Nr. 4 AVB-BS statuiert folgenden Ausschluss in Bezug auf Krankheiten oder Krankheitserreger:

„Der Versicherer haftet nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf.“

Gemäß § 2 Nr. 3 AVB-BS berechnet sich die vertraglich vereinbarte Entschädigung wie folgt:

„Der Versicherer ersetzt im Falle

a) einer Schließung nach § 1 Nr. 1 a) den Schaden in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der Betriebsschließung bis zur vereinbarten Dauer. Tage, an denen der Betrieb auch ohne die behördliche Schließung geschlossen wäre, zählen nicht als Schließungstage.

[…].“

Unter dem 17.03.2020 erließ der Oberbürgermeister der Stadt … eine auf § 28 IfSG gestützte „Allgemeinverfügung zu weiteren kontaktreduzierenden Maßnahmen“.

Dort heißt es unter anderem:

„3. Folgende Einrichtungen, Begegnungsstätten und Angebote sind ab sofort zu schließen bzw. einzustellen:

[…]

– Restaurants und Speisegaststätten, soweit es sich nicht nur um Liefer-und Abholangebote handelt“

In der Folge hielt der Kläger im Zeitraum vom 17.03.2020 bis einschließlich 11.05.2020 – in diesem Zeitraum war dies durch die Allgemeinverfügung angeordnet – seinen Betrieb vollständig geschlossen.

Unter dem 18.03.2020 meldete der Kläger der Beklagten den Eintritt des Versicherungsfalls.

Mit Schreiben vom 09.04.2020 lehnte die Beklagte ihre Einstandspflicht ab und teilte dem Kläger mit, dass kein Versicherungsfall vorliege.

Mit Schreiben vom 18.05.2020 bekräftigte die Beklagte gegenüber dem Kläger ihre Auffassung.

Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 27.05.2020 forderte der Kläger die Beklagte bis 08.06.2020 – letztlich erfolglos – erneut zur Leistung von 30.000 € auf.

Der Kläger ist der Auffassung, dass durch die behördlich angeordnete Schließung der Versicherungsfall eingetreten sei und die Beklagte zur Zahlung der vereinbarten Tagesentschädigung i.H.v. 30.000 € verpflichtet sei. COVID-19 und das Coronavirus seien von den Versicherungsbedingungen umfasst. Einen Liefer- und Abholservice habe der Kläger weder vor noch nach der Schließung angeboten.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 30.000 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 09.06.2020 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.358,86 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Versicherungsfall nicht eingetreten sei. Dies aus mehreren Gründen:

Bei dem COVID-19 auslösenden Coronavirus handele es sich bereits nicht um eine in § 1 Nr. 2 AVB-BS aufgeführte Krankheit bzw. Krankheitserreger. Die Klausel sei auch hinreichend transparent und somit nicht unwirksam.

Zudem handele es sich bei der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung nicht um eine wirksame behördliche Anordnung. Da eine solche Anordnung jedoch Anspruchsgrundlage sei, sei eine öffentlich-rechtlich Inzidenzprüfung vorzunehmen, da es ohne eine wirksame behördliche Anordnung im Sinne von § 1 Nr. 1 AVB-BS an einer Tatbestandsvoraussetzung für den Versicherungsfall fehle. Die Allgemeinverfügung sei bereits deswegen unwirksam bzw. sogar nichtig, da mit § 28 IfSG eine unzutreffende Ermächtigungsgrundlage gewählt worden und auch gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG verstoßen worden sei. Da die Allgemeinverfügung nichtig sei, existiere auch keine behördliche Anordnung im Sinne von § 1 Nr. 1 AVB-BS.

Auch seien bei einer Betriebsschließungsversicherung nur betriebsinterne Gefahren versichert. Dies ergebe sich insbesondere aus der Broschüre der Beklagten, welche dem Kläger im Antragsverfahren vorgelegt worden sei. Darin sei eine von Lebensmitteln ausgehende Infektionsgefahr thematisiert worden, die unter Umständen zur Betriebsschließung führen könne, und wogegen man die streitgegenständliche Betriebsschließungsversicherung abschließen könne. Auch in dem von der Beklagten erstellten Produktinformationsblatt heiße es, dass die Betriebsschließungsversicherung wegen Infektionsgefahr den Inhaber eines Betriebes vor den wirtschaftlichen Folgen einer „im Betrieb“ auftretenden Infektion absichere.

Es habe mit der hier streitgegenständlichen Allgemeinverfügung keine behördliche Anordnung einer vollständigen Betriebsschließung vorgelegen. Liefer- und Abholangebote seien erlaubt gewesen. Unter einer Betriebsschließung im Sinne von § 1 Nr. 1 a) AVB-BS sei jedoch nur eine vollständige Schließung zu verstehen.

Unter Zugrundelegung der klägerischen Argumentation sei sogar davon auszugehen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage vorlägen. Die Grundsätze über die Störung bzw. Anpassung der Geschäftsgrundlage würden auch für Versicherungsverträge gelten.

Zudem ist die Beklagte der Auffassung, dass die Anspruchshöhe nicht substantiiert dargelegt worden sei.

Bei der Betriebsschließungsversicherung handele es sich um eine Schadenversicherung, keine Summenversicherung.

Jedenfalls handele es sich bei der Tagesentschädigung um eine feste Taxe im Sinne von § 76 VVG. Diese sei jedoch nicht bindend, wenn sie erheblich von dem tatsächlichen Schaden abweiche (§ 76 Abs. 1 S. 2 VVG). Der tatsächliche Schaden des Klägers liege im März und April 2020 jedoch deutlich unterhalb dieser festen Taxe, und zwar mehr als 50 %. Bereits ab Ende Februar 2020 seien Gewinn und Umsatz des Klägers aufgrund der sich zuspitzenden epidemiologischen Lage eingebrochen. Der tatsächliche Schaden weiche von dem geltend gemachten Schaden mithin evident ab. Bei vollständiger Schließung des klägerischen Betriebs hätten zahlreiche variablen Kosten (Wareneinkauf, Personalkosten, verbrauchsabhängige Kosten) gar nicht mehr entstehen können. Hinzu kämen Zahlungen aufgrund staatlicher Soforthilfen.

Der Anspruch des Klägers sei zudem gemäß § 21 AVB-BS ausgeschlossen, da der Kläger Schadensersatz aufgrund des öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts beanspruchen könne. Es bestünden Ansprüche des Klägers aus § 56 bzw. § 65 IfSG, aus Amtshaftung, sowie den Grundsätzen des enteignenden Eingriffs. Der Kläger wäre verpflichtet gewesen, unverzüglich entsprechende Anträge bei Behörden zu stellen (§ 21 Nr. 1 a) AVB-BS).

Gemäß § 82 obliege dem Kläger zudem eine Schadensminderungspflicht. Es sei unklar, inwiefern der Kläger Kurzarbeitergeld, Soforthilfe oder ähnliche andere Leistungen erhalten habe.

Mangels Hauptanspruchs bestehe auch der Anspruch für die Übernahme von Rechtsanwaltskosten nicht.

Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2020 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat ganz überwiegend Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der klageweise geltend gemachten Versicherungsleistung i.H.v. 30.000,00 € gemäß § 1 Nr. 1 a) i.V.m. § 2 Nr. 3 a) AVB-BS.

Gemäß § 1 Nr. 1 a) AVB-BS leistet der Versicherer Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen schließt.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Mit dem Oberbürgermeister der Stadt … handelte die gemäß §§ 28 Abs. 1, 54 S. 1 IfSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Infektionsschutz- und Befugnisgesetz NRW (IfSBG-NRW) zuständige örtliche Ordnungsbehörde.

Ein Fehler im Rahmen der Zuständigkeit der handelnden Behörde würde vorliegend zudem nicht zu einer Nichtigkeit gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 3 NRW-VwVfG, sondern nur zu einer Rechtswidrigkeit der erlassenen Allgemeinverfügung gemäß § 44 Abs. 3 Nr. 1 NRW-VwVfG führen, da es sich nicht um eine Angelegenheit handelt, die sich im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 NRW-VwVfG auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis bezieht. Ein bloß rechtswidriger Verwaltungsakt ist wirksam (arg. e § 43 Abs. 3 NRW-VwVfG).

Bei der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung handelt es sich um eine behördliche Maßnahme im Sinne der Versicherungsbedingungen.

Da in den Versicherungsbedingungen keine weiteren formellen Anforderungen an die behördliche Schließungsanordnung gestellt werden, ist das Erfordernis eines ausschließlich auf den Kläger bezogenen Verwaltungsaktes mit dem Wortlaut der streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen nicht vereinbar (so im Ergebnis u.a. auch LG München I, Endurteil vom 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20 = BeckRS 2020, 24634; LG Mannheim, Urteil vom 29.04.2020, Az. 11 O 66/20 = BeckRS 2020, 7522).

Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nichtig.

Soweit die Beklagte anführt, dass mit § 28 IfSG eine unzutreffende Ermächtigungsgrundlage gewählt worden und gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG verstoßen worden sei, sind diese Verstöße nach Auffassung der Kammer nicht geeignet, eine Nichtigkeit herbeizuführen. Offensichtliche Verstöße gegen höherrangiges Recht liegen jeweils nicht vor.

§ 28 IfSG ist seinem Wortlaut nach als Ermächtigungsgrundlage jedenfalls nicht offensichtlich zu unbestimmt (so OVG Münster, Beschluss v. 6.4.2020, Az. 13 B 398/20.NE = BeckRS 2020, 5158; VGH München, Beschluss vom 30.3.2020, Az. 20 NE 20.632 = NJW 2020, 1236).

Der gerügte Verstoß gegen das Zitiergebot gemäß Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG kommt vorliegend ebenfalls nicht zum Tragen. Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG ist im Hinblick auf die streitgegenständliche Allgemeinverfügung bereits nicht anwendbar. Allenfalls käme hier ein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 3 GG in Betracht. Einschränkungen von Art. 12 GG und Art. 14 GG sind ungeachtet ihrer fehlenden Nennung in § 28 Abs. 1 S. 4 IfSG jedoch immer zulässig, da das Zitiergebot von Art. 19 Abs. 1 S. 3 GG für grundrechtlich besonders vorgesehene Befugnisse des Normgebers zur Inhaltsbestimmung in Form so genannter Schranken- oder Ausgestaltungsvorbehalte nicht einschlägig ist (so BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az. 1 BvR 638, 673/64, 200, 238, 249/56 = NJW 1969, 309; OVG Saarlouis, Beschluss vom 22.04.2020, Az. 2 B 130/20 = BeckRS 2020, 6458). Allenfalls käme ein Verstoß gegen das Zitiergebot in Bezug auf Art. 11 GG in Betracht. Ein möglicher Verstoß führt jedenfalls bei der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung nicht dazu, dass diese in Gänze nichtig wäre. Bei einer Allgemeinverfügung handelt es sich gemäß § 35 S. 2 NRW-VwVfG um einen Verwaltungsakt. Die Nichtigkeit beträfe dann jedenfalls nur einen Teil des Verwaltungsakts und der nichtige Teil wäre nicht so wesentlich, dass nun davon auszugehen wäre, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte (vgl. § 44 Abs. 4 NRW-VwVfG).

Im Übrigen läge mit einem Verstoß gegen das Zitiergebot kein offensichtlicher Verstoß der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung gegen höherrangiges Recht vor, der für den Kläger erkennbar war. Die Beklagte hat den Kläger auch nach Eingang der Schadensmeldung am 18.03.2020 nie darauf hingewiesen, dass gegebenenfalls von einer Nichtigkeit der der Betriebsschließung zu Grunde liegenden Rechtsvorschriften auszugehen sei, und der Kläger daher gegebenenfalls verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz suchen solle. Nichtigkeit wurde erstmals mit der Klageerwiderung vom 21.09.2020 behauptet. Gemäß § 12 Nr. 1 AVB-BS hat der Versicherungsnehmer den Versicherer unverzüglich über Weisungen der Behörde zu informieren sowie das weitere Vorgehen gegenüber diesen Weisungen mit dem Versicherer abzustimmen. Die Beklagte wandte sich in der Folge jedoch nie an den Kläger, um mit diesem ein verwaltungsgerichtliches Vorgehen gegen die die Betriebsschließung anordnenden Rechtsvorschriften abzustimmen. Jedenfalls als Ausfluss der vertraglichen Sorgfaltspflicht für Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Versicherungsnehmers (§ 241 Abs. 2 BGB) kann der Versicherungsnehmer dies aber von dem Versicherer erwarten. Auf eine eventuelle Nichtigkeit der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung kann sich die Beklagte aufgrund widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) gegenüber dem Kläger somit ohnehin nicht berufen.

Bei dem die Erkrankung COVID-19 auslösenden Coronavirus handelt es sich nach Überzeugung der Kammer um eine meldepflichtige Krankheit bzw. einen Krankheitserreger gemäß § 1 Nr. 2 AVB-BS.

In den AVB-BS werden die erfassten Krankheiten und Krankheitserreger katalogmäßig durch die Formulierung „meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz [sic!] in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ konkretisiert. Es folgt eine katalogmäßige Aufzählung, die nach der damaligen und nach der heutigen Fassung nicht alle in §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger beinhaltet. Das Wort „folgenden“ ist durch Fettdruck hervorgehoben.

Bei den AVB-BS handelt es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von §§ 305 Abs. 1, 310 Abs. 1 BGB.

Maßstab für die Auslegung von Versicherungsbedingungen ist, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die jeweilige Klausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Zusammenhangs verstehen muss; ein individuelles Sonderwissen eines Versicherungsnehmers ist zu berücksichtigen, die Entstehungsgeschichte der Bedingung hingegen nicht (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2004, Az. IV ZR 130/03 = NJW 2004, 2589; BGH, Urteil vom 25.09.2002, Az. IV ZR 248/01 = NJW 2003, 139).

Die Formulierung „folgenden“ mit dem Verweis auf „im Infektionsgesetz [sic!] in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ ist nach Auffassung der Kammer mehrdeutig im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB mit der Folge, dass sie nach Maßgabe des § 305c Abs. 2 BGB und der darin positivierten sogenannten Unklarheitenregel zu Lasten des Versicherers als dynamische Klausel zu verstehen ist (s. MüKoBGB/Basedow, 8. Aufl. 2019, BGB § 305c Rn. 41 ff.). Das führt dazu, dass die mittlerweile in §§ 6, 7 IfSG genannte Erkrankung COVID-19 und das Coronavirus vom Versicherungsschutz umfasst sind.

Maßgeblich für das Vorliegen einer Mehrdeutigkeit ist, dass mindestens zwei Auslegungen der Klausel rechtlich vertretbar sind (BGH, Urteil vom 26.09.2007, Az. IV ZR 252/06 =NJW-RR 2008, 189). Der Versicherungsnehmer muss darauf vertrauen können, dass sich die Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Rahmen dessen halten, was bei Würdigung aller Umstände bei Verträgen dieser Art zu erwarten ist (Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 77 Aufl. 2018, § 305c BGB Rn. 2). Das Bestehen eines für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht behebbaren Zweifels ist Voraussetzung (vgl. Weber, VersR 2020, 661, 663). Vorliegend stellt sich für den durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer die Frage, ob der Verweis auf §§ 6, 7 IfSG statisch zu verstehen ist oder ob es sich um eine dynamische Verweisung handelt.

Einer Ansicht nach kann ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer angesichts des hervorgehobenen Wortes „folgenden“ nur davon ausgehen, dass allein die nachfolgend im Einzelnen aufgezählten Infektionen und Erreger erfasst sein sollen und das Vorliegen einer solchen statischen Verweisung auf das IfSG die einzig mögliche Auslegung ist (Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250, 252; Rixecker, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 58 f.; so auch OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.2020, Az. I-20 W 21/20 = r+s 2020, 506, jedoch ohne Details bezüglich der weiteren Ausgestaltung der AVB-BS).

Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Sie ist vielmehr davon überzeugt, dass für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer bei der streitgegenständlichen Formulierung aufgrund der Ausgestaltung des Verweises auf §§ 6, 7 IfSG auch die Annahme einer dynamischen Verweisung auf das IfSG in Betracht kommt (dazu Fortmann, r+s 2020, 338, 342), dass auf das IfSG also in seiner jeweils aktuellsten Fassung verwiesen wird. Im Wortlaut des streitgegenständlichen § 1 Nr. 2 AVB-BS ist insbesondere nicht ausdrücklich klargestellt, dass etwa „nur die folgenden“ Krankheiten und Krankheitserreger versichert sein sollen.

Hinzu kommt, dass die Beklagte auf ihrer Homepage noch bis Mitte März 2020 aktiv damit warb, dass sie unter den bestehenden Versicherungsbedingungen ihrer Betriebsschließungsversicherung – die identisch mit den streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen sind – Versicherungsschutz auch für COVID-19 und das Coronavirus gewährt. Diese Tatsache ist aus Parallelverfahren gegen die Beklagte aufgrund der identischen Thematik gerichtsbekannt. Die Beklagte selbst setzte also die Ursache dafür, dass der Kläger davon ausgehen durfte, dass sich der Versicherungsumfang von § 1 Nr. 1 und 2 AVB-BS gerade auch auf COVID-19 und das Coronavirus erstreckt.

Auch unter Zugrundelegung einer statischen Verweisung ist § 1 Nr. 2 AVB-BS jedoch aufgrund mehrerer Verstöße gegen § 307 Abs. 1 BGB nicht wirksam Vertragsbestandteil geworden.

Nach Überzeugung der Kammer spricht bereits vieles dagegen, dass die in § 1 Nr. 2 AVB-BS vorgenommene Verweisung auf das „Infektionsgesetz“, und darin die §§ 6 und 7, eine gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ausreichend transparente und somit wirksame Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz darstellt. Ein Infektionsgesetz gibt es schließlich nicht, so dass auch das in den Versicherungsbedingungen gemachte Angebot der Beklagten, auf Wunsch die Auszüge zu den genannten Gesetzestexten zur Verfügung zu stellen, ins Leere gelaufen wäre. Im Rahmen einer Auslegung des Begriffs „Infektionsgesetz“ ist sodann insbesondere zu berücksichtigen, dass das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) als solches namentlich bereits in § 1 Nr. 1 AVB-BS genannt ist, so dass bei Zugrundelegung des oben dargelegten Auslegungsmaßstabes bei der Auslegung von § 1 Nr. 2 AVB-BS nach Auffassung der Kammer nicht eindeutig ist, dass mit dem dort verwendeten Begriff Infektionsgesetz das in Nr. 1 genannte Infektionsschutzgesetz gemeint ist, da sich die verwendeten Begrifflichkeiten unterscheiden.

Die streitgegenständliche Klausel ist auch deshalb intransparent, da die Aufzählung in § 1 Nr. 2 a) und b) AVB-BS eine Vollständigkeit suggeriert, die auch bei statischer Auslegung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht gegeben war. Es bestanden Versicherungslücken, die ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer nur dadurch entdeckt hätte, dass er die Versicherungsbedingungen Wort für Wort mit dem Gesetzestext abgleicht. Dies stellt jedoch eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB dar (so auch BGH, Urteil vom 27.01.2010, Az. IV ZR 50/09 = BeckRS 2010, 5925; LG München I, Endurteil vom 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20 = BeckRS 2020, 24634).

Die AVB-BS enthalten unter § 3 AVB-BS zudem verschiedene Ausschlüsse von dem Versicherungsumfang; § 3 Nr. 4 AVB-BS schließt Prionenerkrankungen oder den Verdacht hierauf von dem Versicherungsumfang aus. Prionenerkrankungen gehören jedoch ausweislich § 1 Nr. 2 AVB-BS (sowohl gemäß einer statischen als auch einer dynamischen Auslegung der Klausel) gar nicht zum Versicherungsumfang. Auch dadurch fehlt es der Klausel nach Auffassung der Kammer an der erforderlichen Transparenz im Hinblick auf dem Versicherungsumfang. Es ist widersprüchlich, etwas ausdrücklich vom Versicherungsumfang auszuschließen, das gar nicht versichert ist, so dass von einer Unwirksamkeit wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB auszugehen ist (so auch LG München I, Endurteil vom 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20 = BeckRS 2020, 24634; LG Hamburg, Urteil vom 04.11.2020, Az. 412 HKO 91/20 = BeckRS 2020, 30449).

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Versicherungsumfang nicht auf Gefahren begrenzt, die innerhalb des versicherten Betriebes selbst entstehen. Der Wortlaut von § 1 Nr. 1 a) AVB-BS enthält in dieser Hinsicht keine Anhaltspunkte. Es ist ausreichend, dass die Maßnahme aufgrund des IfSG getroffen wurde. Dass § 1 Nr. 1 b) bis e) AVB-BS betriebsinterne Gefahren nennt, hat nach Überzeugung der Kammer keine Aussagekraft dahingehend, dass von lit. a) ebenfalls nur betriebsinterne Gefahren umfasst sein sollen, da in lit. a) ja gerade ein eigener Versicherungsgegenstand genannt ist (so auch LG München I, Endurteil vom 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20 = BeckRS 2020, 24634; LG Mannheim, Urteil vom 29.04.2020, Az. 11 O 66/20 = BeckRS 2020, 7522; Rixecker, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 66).

Die Kammer ist weiter der Überzeugung, dass es vorliegend zu einer Schließung des versicherten Betriebs zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen kam.

Die Frage, ob die streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen eine vollständige Schließung des versicherten Betriebs fordern (so im Ergebnis, aber in Bezug auf andere Versicherungsbedingungen LG München I, Endurteil vom 17.09.2020, Az. 12 O 7208/20 = COVuR 2020, 649; Rixecker, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 67), oder ob nach deren Wortlaut auch davon ausgegangen werden kann, dass grundsätzlich auch eine teilweise Schließung des Betriebs ausreicht (so im Ergebnis, aber in Bezug auf andere Versicherungsbedingungen LG Mannheim, Urteil vom 29.4.2020, Az. 11 O 66/20 = NJW-RR 2020, 1045; Fortmann, r+s 2020, 338, 343), bedarf hier keiner Beantwortung, da der versicherte Betrieb jedenfalls vollständig geschlossen wurde.

Die normierten Ausnahmetatbestände der behördlichen Schließungsanordnungen stehen nach Auffassung der Kammer dem Vorliegen einer vollständigen Betriebsschließung nicht entgegenstehen. Dass die streitgegenständliche Allgemeinverfügung den Außer-Haus-Verkauf von Speisen erlaubte, führt nicht dazu, dass nicht von einer vollständigen Betriebsschließung auszugehen wäre. Der Kläger bot nach Überzeugung der Kammer keinen Außer-Haus-Verkauf an, weder vor noch nach der Schließungsanordnung, und hielt sein Restaurant nach der Schließungsanordnung unstreitig jedenfalls für 30 Schließungstage im Sinne von § 2 Nr. 3 a) AVB-BS vollständig geschlossen. Soweit die Beklagte dies bestritten hat, ist der Vortrag hierzu unsubstantiiert. Dass die Beklagtenvertreterin in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung am 26.10.2020 auf der Homepage des Restaurants des Klägers angeblich ein Angebot von Speisen zum Mitnehmen oder für Catering entdeckt haben will, vermag die Kammer nicht zu der Annahme zu verleiten, dass dieses – behauptete – Angebot auch bereits im hier streitgegenständlichen Zeitraum März bis Mai 2020 bestand. In der mündlichen Verhandlung konnte durch die Beklagtenvertreterin zur Überzeugung der Kammer bereits nicht dargelegt werden, dass es sich bei der in der eingesehenen Homepage präsentierten Gaststätte um das Restaurant des Klägers handelte. Zudem wurde nicht vorgetragen, wann genau eine Einsichtnahme in die Homepage des Klägers erfolgt sein soll. Die Kammer vermag in den Ausführungen der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung keine Relevanz hinsichtlich des streitgegenständlichen Restaurants und des streitgegenständlichen Zeitraums März-Mai 2020 erkennen. Zudem ist allgemein bekannt, dass Restaurants mit fortschreitender Dauer der COVID-19-Pandemie vermehrt auf Außer-Haus-Verkauf umstellen, um ihre wirtschaftliche Existenz aufrecht zu erhalten. Ausreichend wahrscheinliche Anhaltspunkte dafür, dass dies durch den Kläger auch schon im Zeitraum März bis Mai 2020 durchgeführt worden sein soll, sieht die Kammer nach dem Vortrag der Beklagten nicht. Da somit davon auszugehen ist, dass Liefer- und Abholangebote zum Zeitpunkt des Erlasses der Schließungsanordnungen nicht zum Betrieb des Klägers gehörten, ist die Ausnahmeklausel, gemäß der von einer nicht vollständigen Schließung des versicherten Betriebs auszugehen wäre, für den Betrieb des Klägers bereits nicht einschlägig, da dort eben keine Liefer-und Abholangebote bestanden.

Versichert ist ausweislich des als Anlage K 1 vorgelegten Versicherungsscheins schließlich auch der Betrieb eines Restaurants, und kein Take Away. Zum Betrieb eines Restaurants gehört nicht nur der bloße Speisenverkauf, sondern auch die Bewirtung der Gäste (etwa Bedienung am Platz, Getränkeverkauf, Ambiente). Damit wird von Gaststätten auch ein nicht unerheblicher Teil des Umsatzes erzielt. Der bloße Verkauf von Speisen stellt im Vergleich zu dem Betrieb eines Restaurants ein aliud dar, auf das sich der Kläger nicht verweisen lassen muss, nur weil ihm dies nach der geltenden Rechtslage erlaubt gewesen wäre. Dafür, dass der bloße Verkauf von Speisen ein aliud darstellt, spricht, dass der Kläger dafür erst die nötige Infrastruktur sowie die nötigen Organisationsabläufe hätte schaffen müssen (etwa den Einkauf von Mitnahmeverpackungen und die Organisation eines Bestell- und Abholsystems).

Dem Kläger steht in der Folge die vertraglich vereinbarte Entschädigungsleistung zu.

Gemäß § 2 Nr. 3 a) AVB-BS ersetzt der Versicherer im Falle einer Schließung nach § 1 Nr. 1 a) den Schaden in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der Betriebsschließung bis zur vereinbarten Dauer. Tage, an denen der Betrieb auch ohne die behördliche Schließung geschlossen wäre, zählen nicht als Schließungstage.

Das Restaurant des Klägers war vom 17.03.2020 bis einschließlich 11.05.2020 geschlossen. Der Kläger hat einen Ruhetag pro Woche. In dem genannten Zeitraum war der Betrieb des Klägers somit jedenfalls 56 Tage behördlich geschlossen (dies bei Ausklammerung der Osterfeiertage), mithin sogar deutlich länger als die versicherten 30 Tage. Der Kläger kann somit die vereinbarte Tagesentschädigungssumme von 1.000,00 € pro Schließungstag bis zur Dauer von 30 Schließungstagen, mithin die klageweise geltend gemachte Summe i.H.v. 30.000,00 € von der Beklagten verlangen.

Eine Herabsetzung der vereinbarten Entschädigungssumme gemäß § 76 S. 2 VVG kommt vorliegend entgegen der Auffassung der Beklagten nicht in Betracht. Ob es sich bei der Betriebsschließungsversicherung um eine Schadens- oder um eine Summenversicherung handelt, kann dabei im Ergebnis dahinstehen, da auch bei Annahme einer Schadensversicherung eine Herabsetzung der vereinbarten Taxe gemäß § 76 S. 2 VVG vorliegend nicht in Betracht kommt.

Im vorliegenden Fall spricht nach Überzeugung der Kammer mehr dafür, dass es sich bei der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung um eine Summenversicherung handelt als um eine Schadensversicherung, und § 76 S. 2 VVG somit von vornherein keine Anwendung findet (Langheid/Wandt/Halbach, 2. Aufl. 2016, VVG § 76 Rn. 3). Die Summenversicherung zeichnet sich durch eine abstrakte Bedarfsdeckung aus. Der Versicherer setzt bei Eintritt des Versicherungsfalles eine im Vorhinein vertraglich festgelegte pauschale Summe, unabhängig von der Entstehung eines konkreten Schadens. Im Gegensatz dazu sieht eine Schadensversicherung den konkreten Ausgleich eines eingetretenen Schadens vor, soweit dieser vertraglich gedeckt ist. Verglichen wird zur Feststellung der Schadenshöhe die wirtschaftliche Vermögenslage vor und nach dem Eintritt des Schadens (vgl. dazu die Ausführungen bei Langheid/Wandt/Kalis, 2. Aufl. 2017, VVG § 194 Rn. 9). § 2 Nr. 3 a) AVB-BS spricht seinem Wortlaut nach zwar von einem „Schaden in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung“, was grundsätzlich für das Vorliegen einer Schadensversicherung spräche. In dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag ist die Höhe der Entschädigungssumme jedoch nicht erkennbar an den betrieblichen Umsatz des Klägers gekoppelt. Die Tagespauschale i.H.v. 1.000,00 € steht somit in keinem Bezug zur Höhe des bei dem Kläger durch die Schließung tatsächlich eingetretenen konkreten Schadens. Vereinbart ist eine bedarfsunabhängige abstrakte Schadensdeckung, nicht eine konkrete Schadensdeckung, was eher auf das Vorliegen einer Summenversicherung schließen lässt (s. Langheid/Wandt/Kalis, 2. Aufl. 2017, VVG § 194 Rn. 10).

Legt man jedoch zu Grunde, dass es sich bei der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung um eine Schadensversicherung handelt, führt die Anwendung von § 76 S. 2 VVG trotzdem nicht zu der von der Beklagten behaupteten Aufhebung der Bindung an die vereinbarte Entschädigungssumme.

Geht man davon aus, dass es sich bei der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung um eine Schadensversicherung handelt, handelt es sich bei der vereinbarten Entschädigungssumme um eine Taxe im Sinne von § 76 S. 2 VVG. Eine Taxe muss als solche nicht wörtlich bezeichnet sein, es ist vielmehr ausreichend, wenn ein bestimmter Betrag nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen bestimmbar ist. Es muss auch feststellbar sein, dass die Parteien den Versicherungswert übereinstimmend auf einen bestimmten oder bestimmbaren Betrag verbindlich festlegen wollen (Langheid/Wandt/Halbach, 2. Aufl. 2016, VVG § 76 Rn. 4). Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Zweck der Vereinbarung einer Taxe ist es, eine Erleichterung für die Feststellung der Höhe der Leistungspflicht des Versicherers zu schaffen und Streit der Parteien hierüber zu vermeiden (HK-VVG/Marko Brambach, 4. Aufl. 2020, VVG § 76 Rn. 10).

Üblicherweise wird eine Differenz von 10 % zwischen tatsächlicher Schadenshöhe und Höhe der vereinbarten taxmäßigen Entschädigungssumme als Anhaltspunkt für Erheblichkeit angenommen (vgl. Langheid/Rixecker/Langheid, 6. Aufl. 2019, VVG § 76 Rn. 2). Wann von einer erheblichen Abweichung des tatsächlich eingetretenen Schadens von der vereinbarten Taxe auszugehen ist und entsprechend eine Anpassung der Taxe verlangt werden kann, kann jedoch nicht nach einer festen Grenze beurteilt werden. Vielmehr ist eine Einzelfallbeurteilung erforderlich (BGH, Urteil vom 04.04.2001, Az. IV ZR 138/00 = NJW 2001, 3539).

Vorliegend kann nach Überzeugung der Kammer nicht davon ausgegangen werden, dass eine erhebliche Abweichung vorliegt.

Einer Betriebsschließungsversicherung, deren Zweck es gerade ist, die durch die Betriebsschließung eintretenden Gewinneinbußen zu versichern, ist es von ihrer Konzeption her immanent, dass der tatsächlich eingetretene Schaden unter der vertraglich vereinbarten Taxe für die Bestimmung der Entschädigungssumme liegen kann. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist die Schließung eines Betriebs durch eine Behörde das letzte Mittel. Gerade in den Wochen vor der behördlichen Schließung eines Betriebes ist es daher sehr wahrscheinlich – und dies war für beide Parteien angesichts des Versicherungsumfangs und -gegenstands auch bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorauszusehen –, dass sich eine versicherte Krankheit bzw. versicherter Krankheitserreger zunehmend ausbreitet und dies bei dem Versicherungsnehmer bereits nicht unerhebliche Gewinneinbußen hervorruft, da die zunehmende Ausbreitung einer Krankheit bzw. eines Erregers zu vorsichtigerem Gästeverhalten und somit einem Umsatzrückgang führt. Wäre dieser Zeitraum für die im Rahmen des § 76 S. 2 VVG vorzunehmende Beurteilung zu berücksichtigen, so wäre der Abschluss einer Betriebsschließungsversicherung de facto wertlos (so auch LG München I, Endurteil vom 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20 = BeckRS 2020, 24634). Auch dass infolge einer behördlichen Schließung variable Kosten wie Wareneinkauf, Personalkosten und verbrauchsabhängige Kosten für Heizung, Wasser und Strom nicht mehr in dem Umfang entstehen, wie sie bei einer Fortführung des Betriebes entstehen, ist bei einer Betriebsschließung evident bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses für beide Parteien vorhersehbar. Könnte die Beklagte hieraus ableiten, dass die vereinbarte Entschädigungssumme deswegen herabgesetzt werden könnte, würde dies die Betriebsschließungsversicherung in ihrem gesamten Konzept ad absurdum führen (so auch LG München I, Endurteil vom 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20 = BeckRS 2020, 24634).

Die Anpassung einer vereinbarten Taxe kann darüber hinaus nicht verlangt werden, wenn sich die Parteien bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wegen der Vielzahl der den Schaden bestimmenden Faktoren und der Unsicherheit ihres Eintritts im Einzelnen bewusst waren, dass sich der tatsächliche Schaden innerhalb einer beträchtlichen Schwankungsbreite bewegen wird. Hält sich der tatsächliche Schaden dann in diesem vorhersehbaren Rahmen, ist es nicht gerechtfertigt, den Anspruch des Versicherungsnehmers gemäß § 76 S. 2 VVG zu beschränken (so BGH, Urteil vom 04.04.2001, Az. IV ZR 138/00 = NJW 2001, 3539; LG München I, Endurteil vom 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20 = BeckRS 2020, 24634). Dies war vorliegend, wie oben ausgeführt, der Fall.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Anspruch des Klägers auch nicht wegen eines gemäß § 21 AVB-BS ggf. vorrangig zu beachtenden Schadensersatzanspruchs aufgrund öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts ausgeschlossen.

Der Vortrag der Beklagten zu angeblichen öffentlich-rechtlichen Schadensersatzansprüchen des Klägers ist bereits zu unsubstantiiert. Gemäß dem allgemeinen Günstigkeitsprinzip ist die Beklagte für das Bestehen eines Anspruchsausschlusses gemäß § 21 AVB-BS darlegungs- und beweisbelastet. Die öffentlich-rechtlichen Vorschriften sowie die Regelungen der Schließungsanordnungen sind allgemein bekannt, so dass die Beklagte ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, hierzu konkret vorzutragen (so auch LG München I, Endurteil vom 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20 = BeckRS 2020, 24634).

Unabhängig davon scheiden öffentlich-rechtliche Schadensersatzansprüche des Klägers – etwa Entschädigungsansprüche aus §§ 56 Abs. 1, 65 Abs. 1 IfSG, ein Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG oder ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff – vorliegend aus (ablehnend auch LG Hannover, Urteil vom 09.07.2020, Az. 8 O 2/20 = BeckRS 2020, 14033). Schadensersatzansprüche gemäß IfSG bestehen im vorliegenden Fall nicht, da die Tatbestandsvoraussetzungen sowohl von § 56 als auch von § 65 IfSG jeweils nicht vorliegen. § 56 Abs. 1 IfSG regelt, dass, wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 S. 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, eine Entschädigung in Geld erhält. Gemäß § 65 Abs. 1 IfSG ist eine Entschädigung in Geld zu leisten, soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 IfSG Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Ansprüche aufgrund Analogiebildung oder allgemeinem Gefahrenabwehrrecht kommen ebenfalls nicht in Betracht, da die Entschädigungsansprüche des Infektionsschutzgesetzes als spezielleres Gefahrenabwehrrecht vorgehen (so auch LG Hannover, Urteil vom 09.07.2020, Az. 8 O 2/20 = BeckRS 2020, 14033). Ansprüche aus enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff greifen nicht, da es – jedenfalls in dem hier maßgeblichen 30-Tages-Zeitraum nach dem 17.03.2020 – an dem erforderlichen Sonderopfer des Klägers fehlt. Die Schließungsanordnungen in der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung trafen grundsätzlich alle Gastronomen bzw. Beherbergungsbetriebe, so dass keine Ungleichbehandlung, sondern eine Gleichbehandlung vorliegt. Soweit gegen die Annahme eines Sonderopfers angeführt wird, dass die Regelungen zur Betriebsschließung im Verlauf der COVID-19-Pandemie nach und nach überwiegend aufgehoben worden seien und insbesondere einzelne Branchen wie etwa Restaurants oder Kulturbetriebe im Vergleich zu anderen Branchen durch die Fortgeltung von Sonderregelungen ungleich belastet werden (so Rixecker, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 18 Rn. 76), kann dies vorliegend nicht beachtlich sein, da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung Geschäfte verschiedenster Branchen jedenfalls für den hier relevanten Zeitraum von 30 Schließungstagen ohne Unterschied schloss, und die anschließende Entwicklung keinen Einfluss mehr auf die bereits erfolgten branchenübergreifenden Schließungen haben kann. Gegen einen Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG spricht, dass sich die streitgegenständliche Allgemeinverfügung bislang als wirksam erwiesen hat und ein Anspruch dann nicht in Betracht kommt.

Weitere Zahlungen von öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern, etwa Liquiditätshilfen des Bundes oder des Freistaates Bayern oder Kurzarbeitergeld, sind über § 21 AVB-BS nicht anrechenbar, da es sich nicht um Ansprüche des Klägers handelt. Die kurzfristigen Liquiditätshilfen des Bundes oder des Freistaates Bayern wurden ausdrücklich ohne Rechtsanspruch im Rahmen der jeweils verfügbaren Haushaltsmittel gewährt.

Bei einem Zahlungsverlangen des Versicherungsnehmers kann der Versicherer unter Berufung auf § 21 Nr. 1 a) AVB-BS eine Zahlung der Entschädigungssumme nicht völlig verweigern. Gemäß § 21 Nr. 1 a) AVB-BS kann der Versicherungsnehmer verlangen, dass ihm der Versicherer für den Fall, dass öffentlich-rechtlich Entschädigungsansprüche bestehen, insoweit ein zinsloses Darlehen bis zur Höhe der nach §§ 2 und 7 AVB-BS berechneten Versicherungsleistung zur Verfügung stellt. Die Vorschrift begründet also jedenfalls einen Anspruch des Versicherungsnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme als Darlehen.

Nach Auffassung der Kammer kommt auch ein Anspruchsausschluss wegen Verstoßes des Klägers gegen seine Schadensminderungspflicht gemäß § 82 VVG vorliegend nicht in Betracht.

Da es sich nach Auffassung der Kammer bei der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung um eine Summenversicherung handeln dürfte, findet die Schadensminderungsobliegenheit aus § 82 VVG bereits keine Anwendung (Piontek, COVuR 2020, 649, 653).

Aber auch, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung um eine Schadensversicherung handelt, ist die Kammer davon überzeugt, dass von dem Versicherungsnehmer unter Schadensminderungsgesichtspunkten keinesfalls erwartet werden kann, geschäftliche Tätigkeiten im Rahmen der geltenden Ausnahmeregelungen zu entfalten oder zu erweitern.

Dabei wäre die Beklagte für das Bestehen einer Schadensminderungsobliegenheit, insbesondere für deren Zumutbarkeit, gemäß § 82 VVG darlegungs- und beweispflichtig (Langheid/Wandt/Looschelders, 2. Aufl. 2016, VVG § 82 Rn. 81). Substantiierter Vortrag der Beklagten hierzu fehlt jedoch. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind zudem Soforthilfen und ähnliche Leistungen bei der Beurteilung einer Schadensminderungsobliegenheit des Klägers gemäß § 82 VVG nicht zu berücksichtigen, da es sich hierbei, wie oben dargelegt, nicht um Ansprüche des Klägers handelt.

Zweifelhaft ist zudem, ob vorliegend noch von einer Schadensminderung oder nicht vielmehr von einer – von dem Versicherungsnehmer ohnehin nicht geschuldeten (s. Langheid/Wandt/Looschelders, 2. Aufl. 2016, VVG § 82 Rn. 27) – Minderung der Leistungspflicht des Versicherers auszugehen wäre. Denn der Schadensfall ist durch die behördliche Anordnung der Betriebsschließung bereits eingetreten (so auch Piontek, COVuR 2020, 649, 653).

Zudem steht die Pflicht zur Schadensminderung unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bestimmt sich durch eine Interessenabwägung im Einzelfall. Eine Maßnahme ist hiernach umso eher vorzunehmen, je geringer der erforderliche Aufwand für den Versicherungsnehmer ist. Hochwertige eigene Rechtsgüter (insbesondere Leib und Leben) braucht der Versicherungsnehmer keinesfalls in Gefahr zu bringen, um eine versicherte Sache zu retten (Langheid/Wandt/Looschelders, 2. Aufl. 2016, VVG § 82 Rn. 37). Da der Kläger beim Betrieb eines Liefer- und Abholdienstes unweigerlich sich selbst und auch seine Angestellten einer Gefährdung durch das COVID-19 auslösende Coronavirus aussetzen würde, geht die Kammer nicht davon aus, dass dem Kläger dies zur bloßen wirtschaftlichen Schadensminderung zumutbar gewesen wäre. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, in welchem Maße und mit welcher Wahrscheinlichkeit die Schäden durch eine bestimmte Maßnahme abgewendet oder gemindert werden konnten. Der Versicherungsnehmer muss keine gravierenden Einbußen auf sich nehmen, wenn die Erfolgsaussichten ohnehin höchst unsicher sind oder der Schaden allenfalls geringfügig gemindert werden kann (Langheid/Wandt/Looschelders, 2. Aufl. 2016, VVG § 82 Rn. 37). Gehen die Rettungskosten deutlich über den möglichen Nutzen hinaus, so widerspricht die Vornahme der Maßnahme außerdem den Interessen des Versicherers, weil dieser dem Versicherungsnehmer die Aufwendungen im Rahmen der Schadensminderungsbemühungen nach § 83 VVG zu erstatten hat. Da bei dem Kläger keine Strukturen zum Betrieb eines Liefer- und Abholdienstes bestanden und solche erst von Grund auf hätten eingerichtet werden müssen, hält es die Kammer für extrem unwahrscheinlich, dass all dies eine signifikante Schadensminderung bewirkt hätte.

Ein Anspruchsausschluss wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB, wie es die Beklagte vorträgt, liegt nach Überzeugung der Kammer vorliegend fern (ablehnend auch Notthoff, r+s 2020, 551 ff.).

§ 313 Abs. 1 BGB statuiert, dass Anpassung des Vertrags verlangt werden kann, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Gemäß Abs. 2 steht einer Veränderung der Umstände gleich, wenn willentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.

Nach Überzeugung der Kammer ist vorliegend nicht von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage, sondern vielmehr von einer Verwirklichung des versicherten Risikos auszugehen.

Geschäftsgrundlage bilden die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, beim Vertragsschluss aber zutage getretenen, dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen des einen Vertragsteils oder durch die gemeinsamen Vorstellungen beider Teile vom Vorhandensein oder künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille auf diesen Vorstellungen aufbaut (st.Rspr. BGH, Urteil vom 14.07.1953, Az. V ZR 72/52 = NJW 1953, 1585). Bei der Betriebsschließungsversicherung gehört es jedoch nicht zur Geschäftsgrundlage, sondern zum Vertragsinhalt, dass sich das Risiko einer pandemiebedingten Schließung verwirklicht – denn genau das ist Versicherungsgegenstand. Dass sich gerade die Beklagte durchaus Vorstellungen gemacht hat, dass auch die gegenwärtige COVID-19-Pandemie von ihren Versicherungsbedingungen umfasst ist, lässt sich ohne weiteres daraus ableiten, dass die Beklagte ebendas auf ihrer Homepage aktiv beworben hat. Auch unabhängig davon mutet die Behauptung der Beklagten höchst unplausibel an, das Auftreten meldepflichtiger, also für die öffentliche Gesundheit besonders bedrohlicher, Krankheiten und Krankheitserreger (etwa Cholera, Pest und Ebola) zu versichern, aber nicht mit dem Auftreten der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger im Rahmen einer Pandemie gerechnet zu haben. Zahlreichen der versicherten Krankheiten und Krankheitserregern ist eine Pandemiegefahr immanent. Dass die Beklagte nicht damit gerechnet haben will, war jedenfalls für den Versicherungsnehmer nicht erkennbar.

Rechtsfolge eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage wäre gemäß § 313 Abs. 3 BGB zudem kein Anspruchsausschluss, sondern, dass der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten bzw. ihn kündigen kann. Eine Rücktrittsmöglichkeit besteht zudem nur, wenn eine Vertragsanpassung nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Dazu hat die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte aber nichts vorgetragen.

Der geltend gemachte Zinsanspruch ist gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 S. 2 BGB seit 09.06.2020 begründet. Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.05.2020 wurde der Beklagten eine Frist zur Zahlung der geforderten Versicherungsleistung bis einschließlich 08.06.2020 gesetzt. Durch die Nichtleistung geriet die Beklagte ab dem 09.06.2020 in Verzug.

Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung der klageweise geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 1.358,86 € gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1 BGB besteht dagegen nicht.

Erst mit anwaltlichem Schreiben vom 27.05.2020 wurde der Beklagten eine Frist zur Zahlung der geforderten Versicherungsleistung bis einschließlich 08.06.2020 gesetzt. Durch die Nichtleistung geriet die Beklagte ab dem 09.06.2020 in Verzug. Da die außergerichtliche Beauftragung des Rechtsanwalts jedoch bereits vor Begründung des Verzuges vorgenommen wurde, können diese Kosten nicht als Verzugsschaden ersetzt werden. Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 2 ZPO.

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