LG Dortmund, Urteil vom 07.04.2021 – 3 O 476/20

Mai 21, 2021

LG Dortmund, Urteil vom 07.04.2021 – 3 O 476/20

1.

Die Klage wird abgewiesen.

2.

Die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert in Höhe von bis zu 30.000,00 € trägt der Kläger.

3.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche nach Widerruf eines zur Finanzierung eines Fahrzeugkaufes abgeschlossenen Darlehensvertrages.

Der Kläger kaufte bei der D1 GmbH in W1 einen gebrauchten Pkw VW Sharan 2.0 TDI Trendline 7-Sitzer Kindersitze 2.0 zu einem Kaufpreis von 26.000,00 €. Der Kläger erbrachte auf den Kaufpreis eine Anzahlung aus Eigenmitteln in Höhe von 16.000,00 €. Über den Restkaufpreis und einen Beitrag zum KSB für AU und Tod in Höhe von 491,53 € (zusammen 10.491,53 €) zuzüglich Zinsen nach einem für die gesamte Vertragslaufzeit gebundenen Sollzinssatz von 2,95 % p.a. (anfänglich effektiv: 2,99 % p.a.) in Höhe von 736,14 € (Gesamtbetrag: 11.227,67 €) schloss er am 18.08.2017 mit der Beklagten einen Darlehensvertrag mit einer Laufzeit von 48 Monaten ab. Die Rückzahlung des Darlehens sollte in 48 gleichen monatlichen Raten zu je 200,00 € und in einer Schlussrate über 1.627,67 € erfolgen (Einzelheiten: Anlagenkonvolut K1).

Der Darlehensantrag enthielt die nachfolgend wiedergegebenen Darlehensbedingungen der Beklagten (auf den Seiten 2/5 und 3/5 des Darlehensantrags = Anlagenkonvolut K1):

Bilddarstellung wurde entfernt.

Der Darlehensantrag erhielt außerdem auf der „Seite 5/5“ (ebenfalls Anlagenkonvolut K1) die nachfolgend wiedergegebene Widerrufsinformation:

Bilddarstellung wurde entfernt.

Der Kläger erhielt zudem die nachfolgend wiedergegebenen dreiseitigen „Europäische(n) Standardinformationen für Verbraucherkredite“ (im Folgenden: ESI; Teil des Anlagenkonvoluts B1 = Bl. 64-66 d.A.):

Bilddarstellungen wurden entfernt.

Das Darlehen wurde vollständig an das Autohaus ausgekehrt.

Die regulären monatlichen Raten zu je 200,00 € bediente der Kläger in der Folge vertragsgemäß. Er zahlte – neben der Anzahlung in Höhe von 16.000,00 € an das Autohaus – bis zum 13.11.2020 (Datum der Klageschrift) weitere 7.200,00 € (36 x 200,00 €) an die Beklagte.

Mit Schreiben vom 08.07.2020 (Anlage K2) widerrief der Kläger seine auf Abschuss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärungen gegenüber der Beklagten. Nachdem die Beklagte den Widerruf zurückgewiesen hatte, forderte der Kläger sie mit nunmehr anwaltlichem Schreiben vom 24.08.2020 (Anlage K3) unter Fristsetzung auf, den Vertrag rückabzuwickeln; gleichzeitig bot der Kläger die Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs an. Auch dieser Aufforderung kam die Beklagte in der Folge nicht nach.

Der Kläger meint, dass die von der Beklagten erteilte Widerrufsinformation nicht den gesetzlichen Anforderungen entspräche, weshalb der Lauf der Widerrufsfrist nicht in Gang gesetzt worden sei.

Der Kläger beantragt:

1.

Es wird festgestellt, dass die Klagepartei aus dem mit der Beklagten geschlossenen Darlehensvertrag vom 18.08.2017 über 11.227,67 € weder die Zahlung von Zinsen i.H.v. 2,95 % p.a. noch die Erbringung von Tilgungsleistungen aufgrund des Widerrufs vom 08.07.2020 schuldet.

2.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 23.200,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, nach Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs VW Sharan 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer (F01).

3.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer (F01) in Annahmeverzug befindet.

4.

Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.666,95 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beantragt außerdem im Wege der Hilfswiderklage – hilfsweise für den Fall der Wirksamkeit des Widerrufs – festzustellen, dass der Kläger verpflichtet ist,

1.

der Beklagten Wertersatz für den Wertverlust des Fahrzeugs VW Sharan 2.0 TDI, Fahrzeugidentifizierungsnummer (F01), zu leisten, der auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise nicht notwendig war;

2.

an die Beklagte den vereinbarten Sollzins in Höhe von 2,95 % p.a. für den Zeitraum zwischen Auszahlung des Darlehens und Rückgabe des Fahrzeugs VW Sharan 2.0 TDI, Fahrzeugidentifizierungsnummer (F01), zu zahlen.

Der Kläger hat, soweit die Beklagte hilfswiderklagend beantragt hat, die Wertersatzpflicht der Klagepartei festzustellen, die grundsätzliche Pflicht der Klagepartei, Wertersatz nach der Regelung des § 357 Abs. 7 BGB zu leisten, mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 15.03.2021 (dort S. 1 f. = Bl. 81 f. d.A.) ausdrücklich anerkannt. Im Übrigen beantragt er,

die Hilfswiderklage abzuweisen.

Die Beklagte meint, dass der Widerruf verfristet sei, da die Widerrufsinformation korrekt sei und alle Pflichtangaben vollständig erteilt worden seien. Ein etwaiges Widerrufsrecht des Klägers wäre zudem verwirkt bzw. seine Ausübung rechtsmissbräuchlich. Außerdem stünde der Beklagten ein Anspruch auf Wertersatz für den Gebrauch des Fahrzeugs zu. Zum 31.03.2021 sei bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein Wertverlust in Höhe von mindestens 11.163,50 € eingetreten (zur Berechnung: Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 01.04.2021 = Bl. 112 ff. d.A.). In dieser Höhe erklärt die Beklagte hilfsweise die Aufrechnung gegenüber dem mit dem Klageantrag zu Ziff. 2. geltend gemachten Zahlungsanspruch. Der weitergehende Wertersatzanspruch könne derzeit nicht abschließend beziffert werden, weswegen die Hilfswiderklageanträge zulässig seien.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Hilfswiderklage, soweit nicht anerkannt, teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet sei.

Die Kammer hat in der Sache am 07.04.2021 mündlich verhandelt, wobei die Parteivertreter nach entsprechender Gestattung durch Beschluss vom 24.02.2021 (Bl. 71 f. d.A.) gemäß § 128a Abs. 1 ZPO im Wege der Bild- und Tonübertragung teilgenommen haben. Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden. Es wird auf das Sitzungsprotokoll von 07.04.2021 und wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
Gründe

I.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der negative Feststellungsantrag zu Ziff. 1. ist unbegründet. Der Kläger hat den mit der Beklagten am 18.08.2017 geschlossenen Darlehensvertrag mit Schreiben vom 08.07.2020 nicht wirksam widerrufen, weshalb auch die weiteren Klageanträge zu Ziff. 2. (auf Rückzahlung der geleisteten Anzahlung und der erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen nebst Zinsen nach Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs), zu Ziff. 3. (auf Feststellung des Annahmeverzugs) sowie zu Ziff. 4. (auf Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten nebst Zinsen) keinen Erfolg hatten und es einer Entscheidung über die – unter der innerprozessualen Bedingung der Wirksamkeit des Widerrufs gestellten – Hilfswiderklageanträge nicht bedurfte.

Die Voraussetzungen eines Rückabwicklungsschuldverhältnisses, auf welches der Kläger sich beruft, sind nicht erfüllt, weil die Widerrufsfrist zum Zeitpunkt der Abgabe der Widerrufserklärung bereits abgelaufen war.

Zwar hat die Beklagte den Kläger nach den für den Vertragsschluss (18.08.2017) geltenden gesetzlichen Anforderungen (BGB und EGBGB i.d.F. seit dem 21.03.2016) nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt, so dass die zweiwöchige Widerrufsfrist nicht mit Abschluss des Vertrages zu laufen begonnen hat (dazu nachfolgend unter 1.). Jedoch kann sich die Beklagte auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB berufen (dazu nachfolgend unter 2.). Ungeachtet dessen handelt der Kläger rechtsmissbräuchlich, indem er sich auf das Fehlen des Musterschutzes beruft (dazu nachfolgend unter 3.).

1.

Die von der Beklagten auf Seite 5/5 des Darlehensantrages erteilte Widerrufsinformation ist nicht gesetzeskonform. Diese Prüfung hat das Gericht von Amts wegen vorzunehmen. Bei vorformulierten Widerrufsbelehrungen wie der von der Beklagten verwandten handelt es sich nämlich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die wie revisible Rechtsnormen zu behandeln sind. Ihre Übereinstimmung mit höherrangigem Recht – hier: mit § 355 Abs. 2 BGB und mit dem Belehrungsmuster des Gesetzgebers – ist eine Rechtsfrage und ohne Bindung an das Parteivorbringen zu untersuchen; der Beibringungsgrundsatz gilt insoweit nicht (vgl. BGH, Urt. v. 20.06.2017 – XI ZR 72/16 – NJW-RR 2017, 1197, 1199, Rn. 27-29 m.w.N.; Urt. dieser Kammer v. 21.02.2020, a.a.O., Rn. 29; Urt. dieser Kammer v. 24.01.2020 – 3 O 556/18 – zit. nach juris, Rn. 41; Urt. dieser Kammer v. 22.02.2019 – 3 O 170/18 – BeckRS 2019, 2568, Rn. 19).

a) Angaben zur Art des Darlehens

Die Beklagte hat gemäß Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB hinreichend über die „Art des Darlehens“ informiert. Die in dem ESI-Formular nach Art. 247 § 2 Abs. 2 EGBGB zu dem Punkt „Kreditart“ gemachten Angaben genügen den gesetzlichen Anforderungen. Aus ihnen geht hervor, dass es sich um ein „Annuitätendarlehen mit verbrieftem Rückgaberecht (gleich bleibende Monatsraten und erhöhte Schlussrate)“ handelt. Die zur Wahrung der Schriftform des § 492 Abs. 1 BGB erforderliche Urkundeneinheit zwischen der Standardinformation und den übrigen Vertragsunterlagen ist gleichfalls gewahrt. Hierdurch hat die Beklagte zugleich zum Ausdruck gebracht, mittels der Standardinformationen nicht nur vorvertragliche, sondern auch vertragliche Informationspflichten erfüllen zu wollen (vgl. BGH, Urt. v. 05.11.2019 – XI ZR 650/18 – NJW 2020, 461, 465, Rn. 51 m.w.N.).

b) vermeintlich fehlende Angaben über das Kündigungsrecht

Es ist nicht zutreffend, dass die Beklagte den Kläger in den Vertragsunterlagen nicht über das außerordentliche Kündigungsrecht des Darlehensnehmers informiert hätte. Dem ist Ziff. 7., dort der vorletzte Absatz („Das Recht des Darlehensnehmers zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt unberührt.“), entgegenzuhalten.

Abgesehen davon hat der Bundesgerichtshof in den beiden „Autobanken“-Grundsatzurteilen jeweils vom 05.11.2019 (Az.: XI ZR 11/19, BeckRS 2020, 33010, Rn. 27 ff.; Az.: XI ZR 650/18, S. 463 f., Rn. 29 ff.) klargestellt, dass über die Kündigungsmöglichkeit nach § 314 BGB bei befristeten Verträgen nicht unterrichtet werden muss.

c) Angaben über den Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung

Die Beklagte hat auch die erforderliche Pflichtangabe gemäß § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 7 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB zu den Voraussetzungen und der Berechnungsmethode für den Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung ordnungsgemäß erteilt. Insoweit wird, da es sich hier – auf den Seiten 2 und 3 der ESI unter Ziff. 4. („Andere wichtige rechtliche Aspekte“) zum Stichpunkt „Vorzeitige Rückzahlung“ – wie dort um im Kern wortgleiche Angaben der jeweiligen Bank handelt, vollumfänglich auf die vom hiesigen Gericht geteilten Ausführungen des Bundesgerichtshofes in dem Urteil vom 05.11.2019 im Verfahren XI ZR 650/18 (a.a.O., S. 464 f., Rn. 40-50) Bezug genommen.

d) angeblich fehlende Vertragsunterlagen/Verstoß gegen § 356b BGB

Dem Kläger wurde im Sinne des § 356b Abs. 1 BGB eine Abschrift der Vertragsurkunde zur Verfügung gestellt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt der Lauf der Widerrufsfrist nur voraus, dass der Verbraucher ein Exemplar des Vertragsformulars erhält, das nach Unterschriftsleistung des Verbrauchers die Vertragserklärung dokumentiert. Dass gerade das dem Verbraucher überlassene Exemplar seine Unterschrift trägt, ist dazu nicht erforderlich (vgl. BGH, Urt. v. 27.02.2018 – XI ZR 160/17 – zit. nach juris, Rn. 30). Soweit die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu § 355 Abs. 2 S. 3 BGB in der bis zum 12.07.2014 geltenden Fassung ergangen ist, entspricht der Wortlaut von § 356b Abs. 1 BGB in der hier einschlägigen Fassung dem Wortlaut des § 355 Abs. 2 S. 3 BGB in seiner der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrundeliegenden Fassung, so dass kein Anlass besteht, die Frage vorliegend anders zu behandeln (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 08.03.2019 – I-19 U 106/18 – BeckRS 2019, 30848, Rn. 13 f.; OLG Stuttgart, Urt. v. 12.11.2019 – 6 U 133/18 – BeckRS 2019, 28180, Rn. 14-16; Urt. dieser Kammer v. 30.08.2019 – 3 O 433/18 – BeckRS 2019, 22965, Rn. 33).

e) Verpflichtung des Darlehensnehmers zur Zahlung eines Zinsbetrages in Höhe von 0,86 € pro Tag für den Zeitraum zwischen Aus- und Rückzahlung bei vollständiger Inanspruchnahme des Darlehens

Die Widerrufsinformation wird auch nicht dadurch fehlerhaft, dass im Rahmen der Information zu den Widerrufsfolgen auf eine Verpflichtung des Klägers zur Zahlung von Sollzins und einen bestimmten Tageszins hingewiesen wird.

Der Hinweis auf eine nach Widerruf des Darlehensvertrags grundsätzlich bestehende Verpflichtung des Darlehensnehmers zur Zahlung von Sollzins für den Zeitraum zwischen Auszahlung und Rückzahlung des Darlehens ist zutreffend. Eine solche Verpflichtung besteht. Im Verbund mit dem finanzierten Geschäft steht dem Darlehensgeber für diesen Zeitraum ein Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Sollzinses zu. Dieser Anspruch ergibt sich außerhalb des Verbundes ausdrücklich aus § 357a Abs. 3 S. 1 BGB und besteht auch im Verbund, indem § 358 Abs. 4 BGB für die Rechtsfolgen des Widerrufs im Verbund (unter anderem) auf § 357a BGB und damit auf den Zinsanspruch des § 357a Abs. 3 S. 1 BGB verweist. Soweit § 358 Abs. 4 S. 4 BGB Ansprüche des Darlehensgebers auf Zinsen und Kosten „im Falle des Abs. 1“ ausschließt, geht es vorliegend gerade nicht um einen Fall des § 358 Abs. 1 BGB, der den Widerruf des verbundenen Geschäfts betrifft, sondern um den Widerruf des Darlehensvertrags und damit um den Fall des § 358 Abs. 2 BGB. Insoweit wird zwar vereinzelt – so vom Landgericht Ravensburg mit Urteil vom 30.07.2019 (Az.: 2 O 90/19; BeckRS 2019, 18076, Rn. 25-28) – vertreten, der Ausschluss der Zinszahlungspflicht nach § 358 Abs. 4 S. 4 BGB gelte entgegen dem Wortlaut der Vorschrift auch in den Fällen des Abs. 2, also des hier streitgegenständlichen Widerrufs des Darlehensvertrags. Dem steht jedoch neben dem klaren Wortlaut des Gesetzes die vollharmonisierende Wirkung der – für den vorliegenden Verbraucherdarlehensvertrag einschlägigen – Verbraucherkreditrichtlinie entgegen: Denn der Verbund und die Rechtsfolgen im Fall des Widerrufs im Verbund sind dort zwar nur rudimentär geregelt, und es bleibt dem nationalen Gesetzgeber ein erheblicher Spielraum. Jedoch gehört die Verpflichtung des Verbrauchers zur Zinszahlung nach Widerruf des Darlehensvertrags zu den ausdrücklich geregelten und damit der Vollharmonisierung unterfallenden Gegenständen der Richtlinie (vgl. Art. 14 Abs. 3 lit. b)); da diese Verpflichtung auch für den Fall des Verbunds an keiner Stelle der Richtlinie zurückgenommen oder modifiziert wird, würde es einen Verstoß gegen die Richtlinie darstellen, wollte ein nationaler Gesetzgeber die Zinszahlungspflicht nach Widerruf des Darlehensvertrags ausschließen (Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie). Dementsprechend ergibt sich auch aus den Gestaltungshinweisen der Musterwiderrufsinformation die Vorstellung des deutschen Gesetzgebers dahin, dass auch im Verbund der Anspruch des Darlehensgebers beim Widerruf des Darlehensvertrags bestehen bleibt: Danach ist nämlich (nur) für den anderen Fall – Widerruf des finanzierten Geschäfts im Verbund – dahin zu informieren, dass dann – was konsequent § 358 Abs. 4 S. 4 BGB mit der Verweisung nur auf dessen Abs. 1 entspricht – keine Sollzinsen zu zahlen seien (vgl. zum Ganzen: OLG Stuttgart, Urt. v. 28.05.2019 – 6 U 78/18 – NJW-RR 2019, 1197, 1199 f., Rn. 43 ff.). Dieser Sichtweise hat sich zwischenzeitlich der Bundesgerichtshof ausdrücklich angeschlossen (vgl. BGH, Urt. v. 05.11.2019 – XI ZR 650/18 – a.a.O., Rn. 21).

f) Angaben zu den Kosten bei Zahlungsverzug

Die Beklagte hat auch gemäß Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB hinreichend über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung unterrichtet. Das ist hier ausdrücklich auf S. 2 unter dem Punkt „Kosten bei Zahlungsverzug“ in dem ESI-Formular geschehen. Die Beklagte hat insoweit das Gesetz (§ 288 Abs. 1 BGB) und damit die „zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags geltende Regelung“ (so Art. 10 Abs. 2 lit. l) der Verbraucherkreditrichtlinie) zutreffend wiedergegeben. Einer Angabe des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Prozentsatzes bedarf es wegen der halbjährlichen Veränderbarkeit des Basiszinssatzes und der damit verbundenen Bedeutungslosigkeit des Verzugszinssatzes bei Vertragsschluss nicht (vgl. BGH, Urt. v. 05.11.2019 – XI ZR 650/18 – a.a.O., Rn. 52; OLG Stuttgart, Urt. v. 10.09.2019 – 6 U 191/18 – zit. nach juris, Rn. 54-56; LG Düsseldorf, Urt. v. 22.02.2019 – 10 O 75/18 – BeckRS 2019, 2043, Rn. 38; Ring, NJW 2020, 435, 437 f.). Der gegenteiligen Auffassung des (wiederum) Landgerichts Ravensburg (Vorlagebeschl. v. 07.01.2020 – 2 O 315/19 – BeckRS 2020, 41, Rn. 14-33) folgt das erkennende Gericht nicht.

g) fehlende Angabe der Vermittlungsprovision

Dass die Vermittlungsprovision der kreditvermittelnden D1 GmbH in dem Darlehensvertrag nicht in einem absoluten Geldbetrag angegeben ist, ist unschädlich. Nach den §§ 492 Abs. 2, 495 Abs. 2 BGB und nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 10 EGBGB gehört zu den im Darlehensvertrag anzugebenden Kosten nicht ein vom Darlehensgeber übernommenes Entgelt für einen zwischengeschalteten Darlehensvermittler (vgl. BGH, Beschl. v. 09.07.2019 – XI ZR 53/18 – BeckRS 2019, 28485, Rn. 3 ff.).

h) Kaskadenverweis

Die dem Kläger erteilte Widerrufsinformation ist – nach neuester (geänderter) BGH-Rechtsprechung (vgl. Urt. v. 27.10.2020 – XI ZR 498/19 – a.a.O., S. 307 f., Rn. 13-16; Urt. v. 27.10.2020 – XI ZR 525/19 – BeckRS 2020, 32488, Rn. 13-16; Urt. v. 10.11.2020 – XI ZR 426/19 – BeckRS 2020, 35579, Rn. 14-17; jeweils m.w.N.) – fehlerhaft, weil die in ihr enthaltene Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB“ nicht klar und verständlich im Sinne des Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB ist.

2.

Anders als die Banken in den vorzitierten, vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen kann sich die hiesige Beklagte mit Erfolg auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB berufen. Dies setzt voraus, dass die Widerrufsinformation der Beklagten dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 u. § 12 Abs. 1 EGBGB entspricht. Dies ist vorliegend der Fall. Der Kläger hat sich hier unstreitig tatsächlich zur Gruppenversicherung in Form des „KSB für AU und Tod“ angemeldet und hierfür einen – mitkreditierten – Einmalbeitrag in Höhe von 491,53 € geleistet. Sofern darüber hinaus in der Widerrufsinformation auch – mittels Schrägstrichs verbunden – der „KSB Plus“ erwähnt wird, liegt hierin keine unzulässige Ergänzung der Widerrufsinformation vor. Optionale Bestandteile in der Widerrufsinformation sind zulässig, wenn hinreichend konkret angegeben ist, ob sie einschlägig sind (vgl. BGH, Urt. v. 27.10.2020 – XI ZR 498/19 – a.a.O., S. 308, Rn. 18; Urt. v. 27.10.2020 – XI ZR 525/19 – a.a.O., Rn. 18; Urt. v. 23.02.2016 – XI ZR 101/15 – NJW 2016, 1881, 1884, Rn. 42 f.). Für den verständigen Verbraucher wird durch die im vorliegenden Fall gewählte Formulierung deutlich, dass hiermit lediglich die Anmeldung zu der Gruppenversicherung mit dem jeweils von dem Verbraucher gewählten Versicherungsumfang umschrieben wird, der aus Seite 1/5 des Darlehensantrages hervorgeht und dort auch näher erläutert wird. Die Bezeichnung des verbundenen Vertrages ist insofern als hinreichend konkret anzusehen (vgl. ebenso: OLG Hamm, Beschl. v. 04.01.2021 – I-31 U 143/20 – unter Ziff. I.1.b.) der Gründe = S. 3 f. der BA; OLG Braunschweig, Urt. v. 21.12.2020 – 11 U 201/19 – BeckRS 2020, 40343, Rn. 57-62; Urt. v. 08.07.2020 – 11 U 101/19 – BeckRS 2020, 17558, Rn. 104-106).

3.

Selbst wenn man – wofür der (bislang nicht veröffentlichte) Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 02.03.2021 über die Zulassung der Revision gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 03.08.2020 (Az.: 27 U 2648/20, n.v.; erstinstanzlich: LG Kempten (Allgäu), Urt. v. 23.03.2020, Az.: 23 O 1905/19 Fin, n.v.) auf die Nichtzulassungsbeschwerde des dortigen Klägers in einem gegen die hiesige Beklagte geführten Verfahren (Az.: XI ZR 442/20) sprechen könnte – es der Beklagten verwehren wollte, sich mit Erfolg auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB zu berufen, wäre die Klage abzuweisen, weil der Kläger rechtsmissbräuchlich handelt, indem er sich auf das Fehlen des Musterschutzes beruft.

Bei dem Rechtsmissbrauchseinwand des Darlehensgebers geht es um die – nach rein nationalem Recht zu beantwortende – Frage, ob der Darlehensnehmer gegen § 242 BGB verstößt, indem er sich auf das Fehlen des Musterschutzes beruft. Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Eine solche Beschränkung eines Rechts kann sich unter anderem im Fall einer missbräuchlichen Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung ergeben. Welche Anforderungen sich daraus im Einzelfall ergeben, ob insbesondere die Berufung auf eine Rechtsposition rechtsmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mithilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden, wobei die Interessen aller an einem bestimmten Rechtsverhältnis Beteiligten zu berücksichtigen sind. Diese Bewertung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Insoweit kann unter anderem zu berücksichtigen sein, dass dem Darlehensnehmer im Rahmen der Vertragsgespräche neben dem Kaufvertrag auch z.B. ein „Vertrag über die Restschuldversicherung“ angetragen worden war, den er aber nicht abgeschlossen hat, so dass für ihn klar erkennbar war, dass die Erstreckung der Gestaltungshinweise [2], [2a], [5], [5a], [5b], [5c], [5f] und [5g] auf einen solchen Vertrag in seinem Fall überflüssig war und diese lediglich in Bezug auf den abgeschlossenen Kaufvertrag galten. Ferner kann erwogen werden, dass der Darlehensnehmer das Widerrufsrecht ausgeübt hat, um das Fahrzeug nach längerer bestimmungsgemäßer Nutzung zurückgeben zu können, ohne auch – was er zu Unrecht meint – zum Wertersatz verpflichtet zu sein (vgl. zum Ganzen: BGH, Urt. v. 27.10.2020 – XI ZR 498/19 – a.a.O., S. 309, Rn. 27 f.; Urt. v. 27.10.2020 – XI ZR 525/19 – a.a.O., Rn. 27 f.).

Nach diesen Maßstäben ist die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Kläger hier im konkreten Einzelfall als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 242 BGB zu bewerten.

Der Kläger übte das Widerrufsrecht hier am 08.07.2020 – und damit nach knapp drei Jahren Vertragslaufzeit und nach vorbehaltloser Zahlung der regulären monatlichen Annuitäten – aus, um das Fahrzeug nach knapp dreijähriger Dauer bestimmungsgemäßer Nutzung zurückgeben zu können, ohne – allerdings zu Unrecht – Wertersatz leisten zu wollen. Damit ist der Kläger – ungeachtet seines Teilanerkenntnisses hinsichtlich seiner grundsätzlichen Verpflichtung, Wertersatz nach der Regelung des § 357 Abs. 7 BGB zu leisten – ersichtlich darauf bedacht, sich durch Ausnutzen einer formalen Rechtsposition einen im Rahmen der Vertragsabwicklung durch keinerlei Gegenleistung gerechtfertigten, erheblichen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen, was als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 04.01.2021 – I-31 U 143/20 – n.v.; OLG Braunschweig, Urt. v. 21.12.2020 – 11 U 201/19 – BeckRS 2020, 40343, Rn. 79 ff.; Hinweisbeschl. v. 06.01.2021 – 11 U 85/20 – n.v.; OLG Stuttgart, Urt. v. 22.12.2020 – 6 U 276/19 – BeckRS 2020, 36375, Rn. 23 ff.; OLG München, Hinweis v. 23.11.2020 – 19 U 5060/20 – n.v.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.11.2021 – I-16 U 229/20 – n.v.; OLG Oldenburg, Beschl. v. 26.11.2020 – 8 U 160/20 – n.v.). Außerdem war für den Kläger bei Abschluss des Darlehensvertragsschluss ohne Weiteres erkennbar, dass er sich zum KSB (Absicherung gegen die Risiken Tod und Arbeitsunfähigkeit), nicht aber zum KSB Plus (Absicherung zusätzlich zum KSB gegen das Risiko Arbeitslosigkeit) angemeldet hat. Dies ergibt sich bereits eindeutig und unmissverständlich aus der „Seite 1/5“ des Darlehensantrages.

II.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

III.

Den Streitwert hat das Gericht gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. den §§ 3, 5 ZPO auf bis zu 30.000,00 € festgesetzt. Maßgeblich für die Bemessung war dabei die Summe aus Nettodarlehensbetrag (hier: 10.491,53 €) und erbrachter Eigenleistung (hier: 16.000,00 €) (vgl. BGH, Beschl. v. 19.01.2021 – XI ZR 106/20 – BeckRS 2021, 674; Beschl. v. 19.01.2021 – XI ZR 411/20 – BeckRS 2021, 1445; Beschl. v. 25.08.2020 – XI ZR 108/20 – BeckRS 2020, 22067). Die Hilfswiderklage erhöhte, da über sie eine Entscheidung nicht ergangen ist, den Streitwert nicht, § 45 Abs. 1 S. 2 GKG.

IV.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 u. S. 2 ZPO.

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