LG Frankfurt 2-24 S 107/21

März 3, 2022

LG Frankfurt 2-24 S 107/21

vorgehend AG Frankfurt am Main, Außenstelle Höchst , 27. Mai 2021, 387 C 396/20 (98), Urteil
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 27.5.2021 verkündete Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main, Außenstelle Höchst – Az. 387 C 396/20 (98) wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
I.

Von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird abgesehen (§§ 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO).

II.

Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte und fristgemäß begründete Berufung der Beklagten ist in der Sache auch begründet.

Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rückzahlung ihrer Anzahlung in Höhe von 266,00 € für die bei der Beklagten gebuchten Pauschalreise in der Zeit vom 17.8.2020 bis 28.8.2020 nach Polen zu.

Zwar hat die Klägerin vor Reiseantritt den Rücktritt von dem Pauschalreisevertrag erklärt. Eine solche Rücktrittserklärung hat gemäß § 651h Abs. 1 BGB grundsätzlich zur Folge, dass die Beklagte den Anspruch auf den Reisepreis verliert.

Allerdings steht der Beklagten gemäß § 651h Abs. 1 S. 3 i.V.m. Abs. 2 BGB eine Rücktrittsentschädigung in Höhe der geleisteten Anzahlung zu.

Gemäß § 651h Abs. 2 BGB kann sie diese auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen pauschalieren. Dass die in Ziffer 9.3 der AGB der Beklagten vereinbarte Pauschale nicht den Anforderungen des § 651h Abs. 2 BGB entspricht, ist nicht ersichtlich. Einwendungen erhebt die Klägerin insoweit nicht.

Da die Klägerin den Rücktritt zwei Monate vor Reisebeginn erklärt hat, beträgt die Rücktrittsentschädigung (ebenso wie die Anzahlung) 20 % des Reisepreises.

Die Rücktrittsentschädigung entfällt nicht wegen § 651h Abs. 3 BGB. Denn nach dieser Vorschrift schuldet der Reisende nur dann keine Rücktrittsentschädigung, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen dorthin erheblich beeinträchtigen.

Diese Voraussetzungen liegen auch nach dem Vortrag der Klägerin in Bezug auf die gebuchte Reise nicht vor.

Hierbei kann dahinstehen, ob § 651h Abs. 3 BGB aufgrund seines Wortlauts nur dann einschlägig ist, wenn die Reise tatsächlich aufgrund eines unvermeidbaren außergewöhnlichen Umstandes erheblich beeinträchtigt wurde, was nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten nicht der Fall war, weil die Busreise nach Polen stattgefunden hat, ober ob die Frage einer erheblichen Beeinträchtigung durch außergewöhnliche unvermeidbare Umstände i.S.d. § 651h Abs. 3 BGB aufgrund einer Prognoseentscheidung ex ante im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung zu bewerten ist (so Schmidt-Staudinger/Achilles-Pujol Rechtsfragen zur Corona-Krise 3. Aufl. 2021, § 7 R. 26; Binger RRa 21, 207, 210 jew. m.w.N.). Denn auch auf der Grundlage der letztgenannten Auffassung wären die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB nicht erfüllt.

Im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung im Schreiben vom 15.6.2020 bestand keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Busreise in der geplanten Zeit vom 17.8.2020 bis 28.8.2020 an die Ostseeküste von Polen wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden oder erheblich beeinträchtigt werden wird.

Eine Reisewarnung für Reisen nach Polen, die als Indiz für eine erhebliche Beeinträchtigung berücksichtigt werden könnte, hat nicht bestanden. Die zuvor ausgesprochene Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für Reisen nach Polen wurde vielmehr am 13.6.2020 aufgehoben. Polen hatte seine Grenzen für die Einreise von Touristen wieder geöffnet.

Auch darüber hinaus bestanden keine hinreichenden Anzeichen, dass sich die Pandemie-Lage während der geplanten Reisezeit wieder verschlechtern wird. Zwar bestanden nach wie vor für das Staatsgebiet von Polen Infektionen mit dem Covid-19-Virus. Diese stiegen nach dem Vortrag der Klägerin von 23.786 Fälle am 1.6.2020 auf 29.392 Fälle am 15.6.2020. Allerdings gibt die Klägerin nicht an, in welchen Regionen von Polen sich diese Infektionen ereignet haben. Die Erfahrung des Infektionsgeschehens in Deutschland im Laufe des Sommers 2020 hat gezeigt, dass die Verteilung der Infektionszahlen innerhalb eines Staatsgebiets deutliche Unterschiede aufweisen können. So können sich in einer Region deutlich höhere Infektionszahlen ereignen, während in anderen Regionen die Fallzahlen stark zurückgegangen sind. Insofern lassen Gesamtzahlen von Infektionen in einem Staatsgebiet keinen sicheren Rückschluss auf die Frage zu, ob die Pauschalreise an einem bestimmten Ort von unvermeidbaren außergewöhnlichen Umständen beeinträchtigt werden wird. Demgegenüber bewirkte der Umstand, dass die Reisewarnung kurz vor der Rücktrittserklärung aufgehoben wurde und Einreisehindernisse nicht mehr bestanden haben, die begründete Aussicht, dass sich die Pandemielage in Polen wieder normalisieren wird und die Reise im geplanten Zeitraum ohne erhebliche Beeinträchtigungen durchgeführt werden kann.

Der Umstand, dass sich die Klägerin zu einer Risikogruppen zugehörig einschätzt, führt nicht per se zu einem Rücktrittsrecht unter Anwendung des § 651h Abs. 3 BGB. Allein die latente Gefahr einer Infektion begründet ohne weitere Anhaltspunkte nicht die Annahme, dass die Durchführung der Reise unzumutbar ist. Insofern zeigte die bisherige Erfahrung im Umgang mit der Pandemie, dass jeder Reisende durch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen wie das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen, das Abstandhalten und das Einhalten von Hygienemaßnahmen erfolgreich der Gefahr einer Ansteckung vorbeugen kann. Das Einhalten solcher bereits im Alltag eingeübter Regeln ist auch auf einer Urlaubsreise nicht unzumutbar. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte solche Regeln im Rahmen eines Hygienekonzepts angeordnet hat, wozu die Beklagte in der ersten Instanz nichts vortragen konnte. Denn das Einhalten solcher Regeln oblag der Klägerin schon im eigenen Interesse selbst.

Subjektive Unwohl- und Angstgefühle vor einer Krankheit rechtfertigen allein einen außergewöhnlichen Umstand i.S.d. § 651h Abs. 3 BGB nicht (Schmidt-Staudinger/Achilles-Pujol Rechtsfragen zur Corona-Krise 3. Aufl. 2021, § 7 R. 27).

Auch der Umstand, dass auf den Busfahrten eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden sollte, führt nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung i.S.d. § 651h Abs. 3 BGB. Busfahrten waren auf der geplanten Reise nur für die Hin- und Rückfahrt sowie auf zwei Ausflügen innerhalb des insgesamt 12-tägigen Reiseverlaufs vorgesehen. Im Übrigen stand der Aufenthaltsort zur freien Verfügung und hätte individuell genutzt werden können, auch ohne größere Menschenansammlungen.

Die Notwendigkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung während der Hin- und Rückfahrt sieht das Gericht nicht als erhebliche Beeinträchtigung an, weil während der Fahrt Pausen eingelegt werden, in denen der Bus verlassen werden und während derer die Mund-Nasen-Bedeckung abgelegt werden kann. Die Fahrt vom Wohnort der Klägerin zum Urlaubsort an der Ostseeküste von Polen hat auch keine derartige Länge, dass von einer Unzumutbarkeit auszugehen ist. Auch die geplanten Ausflugsfahrten bedingten keinen ständigen Aufenthalt im Bus, sondern dienten ausweislich der Beschreibung insbesondere der Besichtigung von Sehenswürdigkeiten außerhalb des Busses.

Der Vortrag der Klägerin, dass die weitere Entwicklung der Pandemielage nicht absehbar gewesen sei, bewirkt ebenfalls nicht die Notwendigkeit eines Rücktritts mehr als zwei Monate vor Reisebeginn. Die Tatsache, dass am 13.6.2020 die Reisewarnung aufgehoben wurde und die Einreise nach Polen wieder möglich war, hätte die Klägerin veranlassen müssen, die weitere Entwicklung der Pandemie in Polen abzuwarten, um in zeitlicher Nähe zum Reisezeitpunkt die Entscheidung zu treffen, ob die Teilnahme an der Reise wegen unvermeidlicher außergewöhnlicher Umstände abzusagen ist. Der Zeitraum von zwei Monaten hätte der Klägerin weitere Erkenntnisse über den Verlauf der Pandemie vermitteln können, um dann auf sicherer Grundlage eine Prognoseentscheidung treffen zu können. Letztlich hat der weitere Verlauf der Pandemie in Polen gezeigt, dass die Reise durchgeführt werden konnte.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin als unterlegene Partei zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung besteht nicht, nachdem die Beschwer für eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO in der Fassung vom 12.12.2019 nicht erreicht wird.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Grundsätzliche Rechtsfragen stellen sich bei der Entscheidung des Rechtsstreits nicht. Vielmehr ist der konkrete Einzelfall unter Anwendung der gesetzlichen Regelungen zu entscheiden.

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