LG Frankfurt am Main, vom 06.04.2017 – 2-03 O 415/15

Juni 9, 2021

LG Frankfurt am Main, vom 06.04.2017 – 2-03 O 415/15

1. Keine Wiedereinsetzung wegen öffentlicher Zustellung, wenn der Beklagte seiner gesetzlichen Verpflichtung entgegen gehandelt hat, eine inländische Geschäftsanschrift zu unterhalten, an der Zustellungen bewirkt werden können.

2. Besteht nach einer fehlgeschlagenen Zustellung einer Klageschrift unter Wahl der Verfahrensart nach § 275 ZPO das Bedürfnis nach Abänderung der Verfahrensart, so widerspräche es Praktikabilitätsgründen bzw. dem Beschleunigungsgrundsatz, an einer sich als unzweckmäßig erweisenden Verfahrensauswahl festzuhalten.
Tenor

1.

Der Einspruch der Beklagten gegen das im schriftlichen Vorverfahren durch öffentliche Zustellung zugestellte Versäumnisurteil der Kammer vom 10.06.2016 wird als unzulässig verworfen.

2.

Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Einspruchsfrist wird zurückgewiesen.

3.

Die Beklagte hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand

Am 19.10.2015 reichte die Klägerin gegen die Beklagte Klage beim erkennenden Gericht ein. Die Klägerin beantragte, die Beklagte wegen angeblicher Verletzung von Namens- und Firmenrechten zu verurteilen, es zu unterlassen, die Bezeichnung „A…GmbH“ im geschäftlichen Verkehr zu führen.

Am 23.10.2015 bestimmte das Gericht gemäß den §§ 278, 275 ZPO Termin zur Güteverhandlung und ggf. frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer auf den 12.05.2016.

Die Zustellung an die Beklagte verlief erfolglos. Unter der von der Klägerin in der Klageschrift angegebenen Adresse, die der im Handelsregister des Amtsgerichts Frankfurt am Main zu HRB … gemäß Anlage K 1 (Bl. 9 d.A. bzw. Anlage zum Schriftsatz der Klägervertreter vom 09.11.2015, Bl. 27 d.A.) oder Anlage zum Schriftsatz der Klägervertreter vom 10.03.2016 (Bl. 33 f. d.A., Handelsregisterabruf vom 09.03.2016) als Geschäftsanschrift angegebenen entspricht, nämlich: „c/o Zentralepostverarbeitungsstelle, …“, war der Adressat nach Mitteilung der Deutsche Post AG gemäß Vermerk auf der Zustellungsurkunde vom 29.10.2015 (Bl. 24 d.A.) nicht zu ermitteln.

Die Klägerin beantragte schriftsätzlich am 12.11.2015 die öffentliche Zustellung unter Bezugnahme auf die Regelung des § 185 Nr. 2 ZPO. Das Gericht bewilligte diese mit Beschluss vom 31.03.2016. In diesem hob es zudem den Termin zur Güteverhandlung und ggf. frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung auf und ordnete stattdessen mit Verfügung des Kammervorsitzenden vom 31.03.2016 das schriftliche Vorverfahren an. Wegen weiterer Einzelheiten des Beschlusses bzw. der genannten Verfügung wird auf Bl. 35 ff. d.A. Bezug genommen. Diese wurden zum Zwecke der öffentlichen Zustellung an der Gerichtstafel gemäß Bl. 42 d.A. am 04.04.2016 angeheftet und am 19.05.2016 abgenommen.

Die Beklagte zeigte ihre Verteidigungsbereitschaft nicht an. Das Gericht erließ am 10.06.2016 auf Antrag der Klägerin ein Versäumnisurteil gemäß § 331 Abs. 3 ZPO, das dem in der Klageschrift geltend gemachten Klagebegehren stattgab. Die Einspruchsfrist wurde in dem Versäumnisurteil auf vier Wochen festgesetzt. Gleichzeitig bewilligte die Kammer die öffentliche Zustellung des Urteils und des Streitwertbeschlusses vom 10.06.2016 gemäß § 185 Nr. 2 ZPO. Wegen weiterer diesbezüglicher Einzelheiten wird auf Bl. 47 – 57 d.A. Bezug genommen.

Die Zustellung des Versäumnisurteils und der richterlichen Verfügung erfolgten an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 15.06.2016. Diese meldeten sich am darauffolgenden Tag mit dem Hinweis, eine Auskunft der Wirtschaftsauskunft „Creditreform“ vom 16.06.2016 eingeholt zu haben, die eine Geschäftsanschrift der Beklagten in Luxemburg auswies (…), zudem einen „juristischen Sitz“ in Frankfurt a.M. (…) und die Anschrift des Geschäftsführers F… (…), gleichzeitig Anschrift der B… UG (haftungsbeschränkt), an der Herr B… beteiligt sei.

Von der erkennenden Kammer eingeleitete weitere Zustellungsversuche schlugen fehl; bezüglich der Adresse in Frankfurt am Main ausweislich des Vermerks auf der Zustellungsurkunde vom 23.06.2016 (Bl. 69 d.A.), hinsichtlich derjenigen in Marienheide gemäß Vermerk der Zustellungsurkunde vom 30.06.2016 (Bl. 70 d.A.), jeweils weil der Adressat unter der angegebenen Adresse nicht zu ermitteln war. Das Versäumnisurteil wurde am 07.07.2016 zum Zwecke der öffentlichen Zustellung an die Gerichtstafel gemäß Bl. 73 f. d.A. angeheftet und am 16.08.2016 abgenommen.

Wie erst durch den Vortrag der Beklagten im Einspruchsverfahren bekannt wurde, traf die Beklagte am 22.10.2015 einen Umwandlungsbeschluss, wonach die Gesellschaft durch Formwechsel die Rechtsform einer Soci?t? ? responsabilit? limit?e („S.?.r.l“) nach luxemburgischem Recht erhielt. Gleichzeitig wurde die Sitzverlegung nach S…, Luxemburg, beschlossen.

Am …07.2016 erfolgte die Eintragung der Gesellschaft – nach Umwandlung und Sitzverlegung – in das luxemburgische Handelsregister. Insoweit wird auf die Anlage K 2 zum Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 22.11.2016 (Bl. 124-126 d.A.) Bezug genommen.

Am …11.2016 erfolgte die Eintragung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung unter gleichzeitiger Änderung der Rechtsform in das beim Amtsgericht Frankfurt am Main geführte Handelsregister gemäß Anlage K 5 zum Schriftsatz der Klägerin vom 19.12.2016 (Bl. 228 d.A.).

Am 11.11.2016 erging in vorliegender Sache ein Kostenfestsetzungsbeschluss, dessen Zustellung erneut unter der Adresse in Wuppertal versucht wurde. Auch diesmal scheiterte die Zustellung, diesmal erteilte die Post am 15.11.2016 jedoch gemäß Bl. 92 d.A. den Hinweis, dass der Adressat verzogen sei nach: „…, Luxemburg“.

Am 22.11.2016 meldete sich der jetzige Prozessbevollmächtigte der Beklagten schriftsätzlich per Fax (Bl. 93 d.A.) zur Akte. Mit weiterem Schriftsatz vom 22.11.2016 (Bl. 97 ff. d.A.) legte er Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein und beantragte vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen einer etwaigen Versäumung der Einspruchsfrist.

Die Klägerin trägt vor, dass nach der Regelung des § 185 Nr. 2 ZPO keine weiteren Nachforschungen über die Anschrift der beklagten GmbH erforderlich gewesen seien. Eine andere inländische Anschrift der Gesellschaft bzw. deren Vertretungsberechtigten sei der Klägerin bzw. deren Prozessbevollmächtigten nicht bekannt gewesen. Änderungen zum deutschen Handelsregister seien erst nach Bestandskraft des Versäumnisurteils vorgenommen worden. Die Anordnung der öffentlichen Zustellung sei zulässig gewesen.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht, da die Beklagte schuldhaft ihrer gesetzlichen Verpflichtung zuwidergehandelt habe, eine inländische Geschäftsanschrift zu unterhalten, unter der Zustellungen erfolgen könnten. Auf die vorgerichtliche Korrespondenz zwischen den anwaltlichen Vertretern der Klägerin und dem jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten könne sich die Beklagte nicht berufen, da diese aus dem Jahr 2014 stamme, ohne eine Zustellungsbevollmächtigung für Klagen erklärt zu haben, und der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nach dem klägerischen Abmahnschreiben vom 20.07.2015 nicht in Erscheinung getreten sei.

Der Wechsel des Gerichts von der Bestimmung eines frühen ersten Termins zur mündlichen Verhandlung zur späteren Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens sei vorliegend sachgerecht gewesen.

Hinsichtlich weiteren Vortrags der Klägerin wird insbesondere auf ihre Ausführungen in ihrem Schriftsatz vom 19.12.2016 (Bl. 221 ff. d.A.) und vom 18.01.2017 (Bl. 241 ff. d.A.) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil zurückzuweisen und deren Wiedereinsetzungsgesuch nicht stattzugeben.

Die Beklagte beantragt,

das Versäumnisurteil vom 10.06.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen, vorsorglich,

der Beklagten wegen einer etwaigen Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Die Beklagte trägt vor, erstmals durch ein an die Adresse in Luxemburg gerichtetes anwaltliches Schreiben der Klägerin vom 04.11.2016 gemäß Bl. 127 ff. d.A. am 18.11.2016 Kenntnis von dem Rechtsstreit erlangt zu haben. Die öffentlichen Zustellungen der Klageschrift und des Versäumnisurteils seien mangels Vorliegens der entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen unzulässig gewesen. Ausweislich des Handelsregisterauszugs des Amtsgerichts Frankfurt am Main sei bekannt gewesen, dass der gesetzliche Vertreter der Beklagten, Herr B…, einen Wohnsitz in den Niederlanden gehabt habe. Außerdem sei der Klägerin aufgrund von Korrespondenz bereits aus dem Jahr 2014 der jetzige Prozessbevollmächtigte der Beklagten nebst Anschrift bekannt gewesen. Spätestens nach Umwandlung und Sitzverlegung der Beklagten gemäß Eintragung in das Handelsregister in Luxemburg seien die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils vom 10.06.2016 im August 2016 nicht mehr gegeben gewesen.

Das Gericht sei selbst bei Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen des § 185 Nr. 2 ZPO verpflichtet gewesen, die Beklagte unter der Anschrift in Luxemburg über die Anordnung der öffentlichen Zustellung und deren Folgen zu unterrichten.

Schließlich wird gerügt, dass die Anordnung eines frühen ersten Termins – nach Fehlschlagung der Zustellung – aufgehoben und stattdessen ein schriftliches Vorverfahren angeordnet worden sei.

Hinsichtlich weiteren Vortrags der Beklagten wird insbesondere auf ihre Ausführungen in ihrem Schriftsatz vom 22.11.2016 (Bl. 97 ff. d.A.) und vom 05.01.2017 (Bl. 233 ff. d.A.) Bezug genommen.
Gründe

Über die Zulässigkeit des Einspruchs war gemäß § 341 ZPO durch Urteil zu entscheiden. Der Einspruch des Beklagten vom 22.11.2016 ging bei Gericht an diesem Tag per Fax ein. Die Frist zur Einlegung eines Einspruchs innerhalb der im Versäumnisurteil gemäß § 339 Abs. 2 ZPO bestimmten Einspruchsfrist von vier Wochen ist nicht gewahrt worden.

Die Anordnung der öffentlichen Zustellung gemäß § 185 Nr. 2 ZPO ist zulässigerweise erfolgt.

Die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung beurteilen sich vorliegend auf der Grundlage des seit dem 01.11.2008 geltenden, reformierten Rechts (MoMiG). Demnach kann gemäß § 185 Nr. 2 ZPO eine öffentliche Zustellung erfolgen, wenn bei juristischen Personen, die zur Anmeldung einer inländischen Anschrift zum Handelsregister verpflichtet sind, eine Zustellung weder unter der eingetragenen Anschrift noch unter der im Handelsregister eingetragenen Anschrift einer für die Zustellungen empfangsberechtigten Person oder einer ohne Ermittlungen bekannten anderen inländischen Anschrift möglich ist. Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Mit der Änderung des § 185 Nr. 2 ZPO sollte u.a. erreicht werden, dass der Zustellungsveranlasser von über die Einsichtnahme in das Handelsregister hinausgehenden Recherchen bezüglich einer zustellungsfähigen Anschrift befreit werden sollte (vgl. Häublein, in: MüKo-ZPO, 5. Aufl., § 185 Rn. 9). Den betroffenen juristischen Personen obliegt es, zur Vermeidung der öffentlichen Zustellung ihre Erreichbarkeit sicherzustellen (KG MDR 2011, 125 [KG Berlin 12.07.2010 – 12 W 20/10] = BeckRS 2010, 18920; LG Zwickau, BeckRS 2010, 27033; Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 185 Rn. 3). Selbst dann, wenn dem Zustellungsveranlasser oder dem Gericht eine ausländische Anschrift eines Vertretungsberechtigten der juristischen Person bekannt sein sollte, kann der Weg über § 185 Nr. 2 ZPO beschritten werden (vgl. Häublein, a.a.O.; Zöller/Stöber, a.a.O., § 185 Rn. 4). Die öffentliche Zustellung behält (lediglich) insofern ultima-ratio-Charakter, als vorrangig an eine inländische Anschrift eines gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten zugestellt werden muss, wenn diese dem Gericht oder der die Zustellung veranlassenden Partei ohne Recherche bekannt ist. Die strenge Regelung sollte Streit über die Wirksamkeit der Zustellung vermeiden und Auslandszustellungen ausschließen (vgl. Häublein, a.a.O.; Wittschier in: Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl., § 185 Rn. 4c). Entgegen der Einschätzung der Beklagten besteht auch keine Verpflichtung des Gerichts, Informationen über die öffentliche Zustellung an eine im Ausland bekannte Anschrift zu versenden (Häublein, a.a.O., § 185 Rn. 9; Roth in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 185 Rn. 8; Rohe in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 185 Rn. 24a). Die dagegen mit beachtlichen Gründen artikulierten europarechtlichen Bedenken werden – zumindest bislang – nicht vom Gesetzgeber geteilt (vgl. Häublein, a.a.O., m.w.N.).

Es war nicht möglich, eine Zustellung unter der im Handelsregister eingetragenen Anschrift der GmbH zu bewirken. Der Anwendung des § 185 Nr. 2 ZPO steht nicht entgegen, dass ausweislich des vorgelegten Handelsregisterauszugs des Amtsgerichts Frankfurt am Main, wie u.a. demjenigen vom 09.03.2016, hinsichtlich der Geschäftsanschrift angegeben war: „c/o Zentralepostverarbeitungsstelle, …“. Der Gesetzgeber verfolgte mit der Schaffung des in § 185 Nr. 2 ZPO normierten Tatbestands das Ziel, eine öffentliche Zustellung an Gesellschaften in Missbrauchsfällen zu erleichtern. Auf der Grundlage des reformierten Rechts obliegt es den betroffenen juristischen Personen, zur Vermeidung einer öffentlichen Zustellung ihre Erreichbarkeit sicherzustellen. Dieser Obliegenheit hat die Beklagte zuwider gehandelt, indem sie unter Verstoß gegen § 8 Abs. 4 Nr. 1, 10 Abs. 1 GmbHG in der Handelsregisteranmeldung keine aktuelle inländische Anschrift angegeben hat, unter der Zustellungen erfolgen konnten. Die Beklagte war nach den § 10 GmbHG verpflichtet, jede Änderung der inländischen Geschäftsanschrift zum Handelsregister anzumelden. Mithin muss sie den Nachteil tragen, dass eine Zustellung am im Handelsregister eingetragenen Ort nicht möglich war (vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 2013, 679 [OLG Saarbrücken 18.12.2012 – 4 U 310/11 – 98]; KG, MDR 2011, 125 [KG Berlin 12.07.2010 – 12 W 20/10] = BeckRS 2010, 18920).

Das erkennende Gericht hat den Anforderungen des § 185 Nr. 2 ZPO genüge geleistet, indem es Versuche unternommen hat, an die Beklagte unter der Adresse in Wuppertal wie auch an nach dem Erlass des Versäumnisurteil klägerseits genannten potentiellen inländischen Zustellmöglichkeiten der Beklagten selbst bzw. ihres Geschäftsführers in Frankfurt am Main bzw. M… zuzustellen. Unter diesen drei genannten inländischen Anschriften war eine Zustellung nicht möglich.

Soweit die Auffassung vertreten wird, eine öffentliche Zustellung hätte nicht erfolgen dürfen, ohne zuvor den Versuch unternommen zu haben, auch unter der im Ausland angegebenen Adresse der Beklagten bzw. deren Geschäftsführers zuzustellen, steht diese Rechtsauffassung mit dem geltenden Recht nicht im Einklang (vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 2013, 680, 681). Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift besteht keine Verpflichtung, eine Zustellung im Ausland zu bewirken. Dies gilt im Dienste der mit der Novellierung des Gesetzes verfolgten Intention, die öffentliche Zustellung in Missbrauchsfällen zu erleichtern, selbst dann, wenn die ausländische Anschrift eines Vertreters bekannt ist (BT-Dr 16/6140, S. 53; eingehend Häublein, a.a.O., § 185 Rn. 9; Zöller/Stöber, a.a.O., § 185 Rn. 4; Tombrink in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 8. Aufl., § 185 Rn. 4; Saenger/Eichele, in: Saenger, HK-ZPO, 6. Aufl., § 185 Rn. 6). Die entgegenstehende Kasuistik betrifft im Wesentlichen das vorreformierte Recht. Auch das zuletzt von der Beklagten herangezogene Urteil des OLG Düsseldorf, I-2 U 59/16, vom 19.01.2017 erscheint der Kammer nicht geeignet, die obigen Ausführungen in Zweifel zu ziehen, zumal es sich bei der dortigen beklagten juristischen Person um eine AG nach Schweizer Recht handelte, die offenbar keinen Sitz in Deutschland unterhielt und die dort erörterte Möglichkeit einer Messezustellung sich vorliegend nicht stellt.

Die Klägerin konnte sich auf die Angabe des (alten) Sitzes der Beklagten gemäß dem maßgeblich erscheinenden Eintrag im Handelsregister des Amtsgerichts Frankfurt am Main bis zum Zeitpunkt der Austragung am … berufen. Es ergibt sich nicht aus dem Vortrag der Parteien, dass die Sitzverlagerung und die Umwandlung der Rechtsform der Beklagten der Klägerin bis zum Zeitpunkt der Anordnung der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils Mitte des vergangenen Jahres bekannt war. Allein durch das Erfahren einer Geschäftsanschrift in Luxemburg kann auch keine Kenntnis der Klägerin von der Sitzverlegung/Umwandlung angenommen werden, zumal diese von der Klägerin wie auch ihren Prozessbevollmächtigten in Abrede gestellt wird. Dies zeigt sich auch dadurch, dass die Klägerin ihr Schreiben vom 04.11.2016 gemäß Anlage K 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 22.11.2016 (Bl. 127 d.A.) zwar nach Luxemburg, aber an die A… „GmbH“, nicht an die entsprechende „S.?.r.l“ adressierte. Zudem existierte eine Geschäftsanschrift in Luxemburg schon, als noch die Rechtsform der GmbH bestand.

Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob auch bei grundsätzlich möglicher Sitzverlegung einer europäischen Gesellschaft, die mit Eintragung des neuen Sitzes nach Art. 8 SE-VO (Nr. 2157/2001) wirksam wird, dies auch vorliegend Auswirkungen haben könnte, wenn nicht nur der Sitz, sondern – wie hier – auch die Rechtsform von einer deutschen GmbH in eine Luxemburger „S.?.r.l“ verändert wird. Einzelheiten sind jedoch noch nicht geklärt; eine europäische Sitzverlegungsrichtlinie liegt noch nicht vor (vgl. Schulte, Innereuropäische formwechselnde Sitzverlegungen nach der VALE-Entscheidung des EuGH, IWRZ 2016, 3, 8). Im Übrigen erfolgte die Eintragung in Luxemburg erst am …07.2016, somit erst nach der Bewilligung der öffentlichen Zustellung durch das Gericht. Gerade im Hinblick auf die Erhaltung der Rechtssicherheit und im Hinblick auf den Nachweis einer etwaigen Kenntniserlangung des Zustellungsveranlassers ist auf die Löschung der Eintragung im Register des alten Sitzes, hier in Frankfurt am Main, abzustellen. Dritte können sich, solange die Löschung im Register des Wegzugstaats nicht vorgenommen worden ist, weiterhin gemäß § 15 HGB auf den alten Sitz berufen, es sei denn, dem Dritten wäre der neue Sitz bekannt.

Die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils vom 10.06.2016 war gemäß § 188 ZPO – unter Beachtung der Monatsfrist seit dem Aushang der Benachrichtigung am 07.07.2016 – mit Ablauf des 08.08.2016 bewirkt. Auch wenn auf dem Versäumnisurteil der Zustellungsvermerk mit dem Datum: „16.08.2016“ zugrunde gelegt ist, wäre die Einspruchsfrist von 4 Wochen gemäß § 339 Abs. 2 ZPO bei Eingang des Einspruchs am 22.11.2016 bei beiden Daten (08.08. bzw. 16.08.2016) abgelaufen und das Versäumnisurteil bestandskräftig geworden.

Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß den §§ 233 ff. ZPO wegen der Versäumung der Einspruchsfrist ist zurückzuweisen.

Zwar ist von der Statthaftigkeit des Wiedereinsetzungsantrags unter Beachtung der Form- und Fristvorschriften der §§ 236, 234 ZPO und einer Kenntniserlangung der Beklagten von der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils am 18.11.2016 gemäß eidesstattlicher Versicherung des Geschäftsführers der Beklagten auszugehen. Der Antrag ist jedoch gemäß der Regelung des § 233 ZPO unbegründet, da die Partei nicht ohne ihr Verschulden verhindert war, von der Klage bzw. dem Erlass des Versäumnisurteils nebst Bestimmung der Einspruchsfrist Kenntnis zu erhalten.

Ein Verschulden liegt schon deshalb vor, weil die Beklagte – entsprechend den obigen Ausführungen – ihrer ausdrücklichen gesetzlichen Verpflichtung entgegen gehandelt hat, eine inländische Geschäftsanschrift zu unterhalten, an der Zustellungen bewirkt werden können.

Auch aus der aus dem Jahr 2014 vorgelegten Korrespondenz der Parteien bzw. ihrer Bevollmächtigten ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass der Klägerin bekannt sein musste, dass der jetzige Prozessbevollmächtigte die Beklagte in vorliegender Sache vertreten würde.

Es sind auch – entgegen der Einschätzung der Beklagten – keine Anhaltspunkte ersichtlich, die – auch unter Beachtung der obigen Ausführungen zur öffentlichen Zustellung gemäß § 185 Nr. 2 ZPO – das Verhalten der Klägerin vorliegend als rechtsmissbräuchlich erscheinen ließen.

Schließlich ist auch der rechtlichen Beurteilung der Beklagten insoweit entgegen zu treten, als diese die Auffassung vertritt, dass der von der Kammer vorgenommene Wechsel der Bestimmung eines frühen ersten Termins zur mündlichen Verhandlung gemäß § 275 ZPO hin zur Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens gemäß § 276 ZPO zur Unzulässigkeit des erlassenen Versäumnisurteils führt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob derartige Überlegungen angesichts der fehlenden Einhaltung der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil und der nicht gewährten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung dieser Frist überhaupt noch Auswirkungen haben können. Gleichwohl führt der angegriffene Wechsel der Verfahrensarten nicht zur Unzulässigkeit des Erlasses des Versäumnisurteils, auch wenn er gesetzlich nicht vorgesehen ist. Besteht wie vorliegend nach einer fehlgeschlagenen Zustellung einer Klageschrift das Bedürfnis nach Abänderung, so widerspräche es Praktikabilitätsgründen bzw. dem Beschleunigungsgrundsatz, an einer sich als unzweckmäßig erweisenden Verfahrensauswahl festzuhalten (vgl. in diesem Sinne: Prütting in MüKo zur ZPO, 5. Aufl., § 272 Rn. 13; Foerste in: Musielak/Voit, a.a.O., § 272 Rn. 7; Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 75. Aufl., § 272 Rn. 9; KG MDR 1985, 416), insbesondere wenn, wie hier, der frühe Termin noch nicht abgehalten war.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 708 Nr. 3 ZPO

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