LG Göttingen, Urt. v. 10.03.2014 – 4 O 242/13 Ausübung eines Rückauflassungsanspruchs bei Insolvenz

Juni 4, 2018

LG Göttingen, Urt. v. 10.03.2014 – 4 O 242/13

Ausübung eines Rückauflassungsanspruchs bei Insolvenz

Tatbestand:

Die Klägerin übertrug mit notarieller Urkunde den streitgegenständlichen Grundbesitz an ihre Tochter […]. In § 3 Abs. 2 des Vertrages wurde geregelt, dass

„der Übergeber berechtigt ist, den übertragenen Grundbesitz vom Übernehmer zurückzufordern, wenn in den übertragenen Grundbesitz die Zwangsvollstreckung betrieben wird. […]”.

Gem. § 3 Abs. 3 des Vertrages kann dieses „Verlangen auf Rückübertragung nur schriftlich und nur innerhalb von 6 Monaten von dem Zeitpunkt an ausgeübt werden, in dem der Übergeber […] von den Tatsachen Kenntnis erhält, die ihn zur Geltendmachung des Anspruchs berechtigen.”

Zur Sicherung dieses Anspruchs wurde i.S.d. § 3 Abs. 4 des Vertrages eine Vormerkung bewilligt, beantragt und im Grundbuch unter der Abt. II lfd. Nr. 3 eingetragen. Am 14.04.2004 wurde zugunsten der Beklagten und ohne Mitwirkung der Kläger eine Grundschuld i.H.v. 100.000,00 € in Abt. III lfd. Nr. 4 eingetragen. Am 21.05.2012 wurde über das Vermögen der Tochter der Klägerin, […] (im Folgenden auch: Schuldnerin) das Insolvenzverfahren eröffnet und der Steuerberater B zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Insolvenzvermerk wurde in Abt. II lfd. Nr. 4 eingetragen. Am 06.08.2012 schlossen die Klägerin und ihre Tochter vor dem Notar […] zur UR-Nr. […] einen Rückübertragungsvertrag.

Gem. § 5 des Vertrages sollten weder der Insolvenzvermerk noch die eingetragene Grundschuld der Beklagten übernommen werden. Mit Schreiben v. 22.08.2012 teilte der Insolvenzverwalter mit, dass der Rückübertragungsvertrag ohne seine Zustimmung nichtig sei.

Eine Genehmigung könne er, da noch nicht alle Informationen vorlägen, nicht erteilen. Mit Schreiben v. 29.01.2013 erklärte der Insolvenzverwalter schließlich die Freigabe des Grundbesitzes aus dem Insolvenzbeschlag.

Am 06.05.2013 schlossen die Klägerin und ihre Tochter erneut einen notariellen Rückübertragungsvertrag vor dem Notar […] bezüglich des streitgegenständlichen Grundbesitzes und bestätigten damit den Vertrag v. 06.08.2012.

Die Parteien streiten primär darüber, ob die Erklärung des Rückauflassungsverlangens wirksam war.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass die eingetragene Grundschuld vormerkungswidrig sei und im Verhältnis zur Klägerin unwirksam sei. Die Klägerin habe rechtzeitig schriftlich das Rückforderungsverlangen gegenüber der Berechtigten, nämlich ihrer Tochter, ausgeübt.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die Löschung der Grundschuld von der Beklagten nur dann verlangt werden könne, wenn die Rückübertragung des Grundbesitzes von der Tochter der Klägerin auf die Klägerin in Ausübung des Rechts aus § 3 des Vertrages erfolge. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Beklagte bestreitet, dass dieses Rückauflassungsverlangen in schriftlicher Form und innerhalb der 6-Monatsfrist geltend gemacht worden ist. Ferner wäre ausschließlich der Insolvenzverwalter empfangszuständig gewesen. […]

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Löschungsbewilligung aus §§ 888 Abs. 1, 883 Abs. 2 BGB.

1.

Der Antrag der Klägerin war zunächst dahingehend auszulegen, dass sich die begehrte Löschungsbewilligung auf die Löschung der Grundschuld i.H.v. 100.000,00 € (statt 100.00,00 €) bezieht. Insofern lag hier lediglich ein Schreibfehler vor, was sich bereits aus der Klagebegründung und den zur Akte gereichten Anlagen ergibt.

2.

Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte ergibt sich aus dem Rückforderungsrecht gem. § 3 Ziff. 2 und 3 des notariellen Vertrages v. 21.12.1993, das durch eine Vormerkung gesichert ist.

a)

Die unstreitig nach der Eintragung der Eigentumsvormerkung eingetragene Grundschuld zugunsten der Beklagten ist gegenüber der Klägerin unwirksam. Dies ergibt sich aus § 883 Abs. 2 BGB.

Dieser durch Vormerkung gesicherte Rückauflassungsanspruch der Klägerin gem. § 3 Ziff. 2 des notariellen Vertrages beinhaltet nach verständiger Würdigung (§§ 133, 157 BGB) unter Zugrundelegung des Sinn und Zwecks eines solchen Rückauflassungsanspruchs die lastenfreie Rückübertragung des Grundstücks sobald die Zwangsvollstreckung in das Grundstück betrieben wird (oder bloß „droht”). Ersichtliches Ziel einer solchen Bedingung ist es, dem Rückübertragungsberechtigten ohne Behinderung durch Gläubiger des Eigentümers den lastenfreien Rückerwerb zu sichern (vgl. auch OLG München, Beschl. v. 12.03.2009 – 34 Wx 009/09, 34 Wx 9/09; Rn. 16).

 

b)

Die den Rückauflassungsanspruch auslösende Bedingung (Betreibung der Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz) ist eingetreten. Über das Vermögen der Tochter der Klägerin und ehemaligen Eigentümerin des Grundstücks ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird grds. das gesamte Vermögen als Zugriffsmasse allen Berechtigten zur Verfügung gestellt („Gesamtvollstreckung”).

c)

Diesen Rückauflassungsanspruch hat die Klägerin wirksam ausgeübt i.S.d. § 3 Ziff. 3 des notariellen Vertrages.

(1)

Sie konnte dieses Rückübertragungsbegehren als eine einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber der Schuldnerin (ihrer Tochter) wirksam erklären. Die Schuldnerin war für diese Erklärung trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens empfangszuständig.

Der Schuldner verliert zwar gem. §§ 80, 81 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die materielle und verfahrensrechtliche Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Vermögens, er bleibt aber weiterhin Eigentümer der massezugehörigen Sachen und Rechte (Braun, Kommentar zur InsO, 5. Aufl., § 80 Rn. 10). Der Schuldner verliert nicht seine Rechtsfähigkeit, Geschäftsfähigkeit, Parteifähigkeit oder Prozessfähigkeit, sondern leidglich seine Prozessführungsbefugnis (BGH, Urt. v. 16.05.2013 – IX ZR 332/12).

Der Schuldner kann trotz des Verfügungsverbots des § 80 InsO nach Verfahrenseröffnung Verpflichtungsgeschäfte schließen, insoweit ist er dann auch prozessführungsbefugt (Braun, Kommentar zur InsO, 5. Aufl., § 80 Rn. 11). § 81 InsO bewirkt einen Schutz der Insolvenzmasse nur für Verfügungen (d.h. Rechtsgeschäfte, die unmittelbar auf ein bestehendes Recht einwirken) des Schuldners nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Braun, Kommentar zur InsO, 5. Aufl., § 81 Rn. 6).

In dem vorliegenden Rechtsstreit geht es im „Kern” nicht um Verfügungen und Verwaltungsmaßnahmen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens i.S.d. §§ 80, 81 InsO. Hier geht es um die Verfügung der Schuldnerin (der Tochter der Klägerin), die sie bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens getätigt hat, nämlich um die Zustimmung zur Rückübertragung des Grundbesitzes für den Fall, dass die Zwangsvollstreckung darin betrieben wird sowie um die Bewilligung der Eintragung der Vormerkung zugunsten der Klägerin.

Das Verlangen der Rückübertragung, welches allein in den Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällt, ist lediglich dem Bedingungseintritt – Betreiben der Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz – geschuldet.

Die Rechtsfolgen von Verfügungen des Schuldners (oder Dritter) vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, deren rechtlicher Erfolg erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintritt, ergeben sich aus § 91 InsO. Für die Anwendbarkeit des § 91 InsO ist entscheidend, ob ein Vermögensgegenstand bereits im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ganz oder teilweise aus dem Vermögen des Schuldners ausgeschieden ist, ohne dass für ihn die Möglichkeit besteht, diesen auf Grund alleiniger Entscheidung wieder zurückzuerlangen. Vorliegend war das streitgegenständliche Grundstück von Anfang an der Masse entzogen.

Eine vor Verfahrenseröffnung eingetragene Vormerkung zur Sicherung eines Auflassungsanspruchs ist insolvenzfest (BGH, Urt. v. 09.03.2006 – IX ZR 11/05, BGHZ 166, 319-327; BGH, Urt. v. 14.09.2001 – V ZR 231/00). Dieser Rechtsprechung liegt die Wertung zugrunde, dass der vom Gesetz zugelassene Vormerkungsschutz für künftige Ansprüche (§ 883 Abs. 1 Satz 2 BGB) sinnentleert wäre, wollte man ihn erst von dem Zeitpunkt an eintreten lassen, in dem die gesicherten Ansprüche entstehen (BGHZ a.a.O.).

Die Vormerkung zur Sicherung eines künftigen Anspruchs schaffe keine nur künftige Sicherung; es handele sich vielmehr um die gegenwärtige Sicherung eines künftigen Anspruchs, auch wenn dieser erst nach seiner Entstehung geltend gemacht werden kann (BGH, Urt. v. 09.03.2006 – IX ZR 11/05, BGHZ 166, 319-327). Da die Wirkungen der Auflassungsvormerkung trotz des Insolvenzverfahrens erhalten bleiben und mit rückwirkender Kraft auf den Zeitpunkt der Entstehung der Eintragung geltend gemacht werden können, zählte die vom gesicherten Anspruch betroffene Vermögensposition von Anfang an nicht zu den Bestandteilen der Masse (vgl. BGH, Urt. v. 14.09.2001 – V ZR 231/00).

Dies bedeutet im Ergebnis, dass die Geltendmachung des Rückübertragungsanspruchs als einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber der Schuldnerin nicht die Befugnisse (Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse) des Insolvenzverwalters tangierte. Dieser war lediglich dazu verpflichtet, diesen Anspruch zu erfüllen bzw. an der Erfüllung mitzuwirken.

(2)

Die Klägerin hat ihr Rückübertragungsverlangen auch form- und fristgerecht ausgeübt. Sie hat ihren Anspruch gegenüber der Schuldnerin innerhalb der 6-Monats-Frist gem. § 3 Ziff. 3 des notariellen Vertrages geltend gemacht.

Am 21.05.2012 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 06.08.2012 wollte die Schuldnerin dem Rückübertragungsverlangen der Klägerin durch die notarielle Beurkundung bereits nachkommen, auch wenn dies mangels Mitwirkung des Insolvenzverwalters zunächst nicht wirksam war.

Diese notarielle Urkunde v. 06.08.2012 dokumentiert in schriftlicher Form das Rückübertragungsverlangen der Klägerin (siehe § 1 Ziff. 4 des Vertrages), so dass auch das Formerfordernis der Schriftform i.S.d. § 3 Ziff. 3 des notariellen Vertrages v. 21.12.1993 i.V.m. §§ 126, 127 Abs. 1 BGB erfüllt worden ist.

Darüber hinaus hätte die Schuldnerin konkludent auch auf das Schriftformerfordernis verzichten können. Die Erklärung, dass die Rückübertragung verlangt wird, ist keine formbedürftige Erklärung. Auch einer Zustimmung des Insolvenzverwalters hätte es aus den oben dargestellten Gründen nicht bedurft.

 

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