LG Hamburg, Urteil vom 12.02.2021 – 332 O 175/20

April 30, 2022

LG Hamburg, Urteil vom 12.02.2021 – 332 O 175/20

Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten Zahlung aus einer Betriebsschließungsversicherung aufgrund von behördlichen Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie.

Der Kläger betreibt in H. das italienische Restaurant „R. P.“. Zwischen den Parteien besteht seit dem Jahr 2007 eine Betriebsschließungsversicherung unter der Versicherungsnummer… . Vereinbart waren unter anderem die „AVB-BS – Stand 01 03 2006“ der Beklagten (im Folgenden: „AVB-BS“). In den AVB-BS heißt es auszugsweise wie folgt:

㤠1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren

1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;

(…)

2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

(…)“

Unter Nr. 2. a) und 2. b) folgte sodann eine Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages in den §§ 6 und 7 IfSG genannt waren; SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 sind daher nicht in den Bedingungen genannt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den als Anlage K 1 zur Akte gereichten Versicherungsschein nebst den als Anlage K 2 zur Akte gereichten Versicherungsbedingungen verwiesen.

Mit Wirkung zum 01.02.2020 wurde durch die Verordnung „2019-nCoV“ eine Meldepflicht nach §§ 6 und 7 IfSG für das neuartige Coronavirus bzw. COVID-19 angeordnet. Mit Wirkung zum 23.05.2020 wurde COVID-19 in § 6 Abs. 1 Nr. 1 t) IfSG und SARS-CoV-2 in § 7 Abs. 1 Nr. 44a IfSG aufgenommen.

Aufgrund der Ausbreitung der Corona-Pandemie erließ die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz Hamburg am 16.03.2020 die Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus in Hamburg, welche am 17.03.2020 in Kraft trat. Demnach mussten Gaststätten im Sinne des Gaststättengesetzes für den Publikumsverkehr geschlossen werden. Speiselokale durften davon abweichend unter bestimmten Sicherheitsbestimmungen von 6 Uhr bis 18 Uhr Speisen zum Verzehr vor Ort anbieten (Ziffer 8 der Allgemeinverfügung). Nach 18 Uhr mussten auch Speiselokale wie jenes des Klägers schließen und durften Speisen und Getränke nur noch zum Mitnehmen verkaufen. Mit Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus in Hamburg vom 20.03.2020 wurde mit sofortiger Wirkung der Betrieb von Gaststätten wie der des Klägers zu allen Zeiten untersagt (Ziffer 9 der Allgemeinverfügung). Lediglich die Auslieferung von Speisen und Getränken sowie der Abverkauf zum Mitnehmen blieb erlaubt. Der Kläger schloss aufgrund dieser Allgemeinverfügung vom 24.03.2020 bis zum 03.05.2020 sein Restaurant komplett. Durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der Hamburgischen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung, welche am 13.05.2020 in Kraft trat, wurde der Betrieb von Gaststätten gemäß § 13 wieder unter bestimmten Sicherheitsvorkehrungen erlaubt.

Im Versicherungsschein vom 20.09.2007 wurde die Versicherungssumme bezüglich des Ausfallschadens aufgrund von Betriebsschließung wegen Infektionsgefahr auf € 500,00 pro Tag bis zu einer Dauer von 30 Schließungstagen festgesetzt. Der Kläger meldete der Beklagten die Schließung seines Betriebs und gab eine Schadensmeldung ab. Mit Schreiben vom 08.04.2020 wies die Beklagte ihre Einstandspflicht zurück und bot die freiwillige und abschließende Zahlung von € 2.250,00 an (15 % der vereinbarten Tagesentschädigung für 30 Tage).

Der Kläger ist der Ansicht, dass das neuartige Coronavirus vom Versicherungsschutz umfasst sei. Relevant sei nur, dass es zu einer Schließung des Betriebs aufgrund des IfSG gekommen sei. Davon, dass auch SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 grundsätzlich von den Bedingungen erfasst sei, sei auch die Beklagte selbst vorgerichtlich ausgegangen. Der Wortlaut der Versicherungsbedingungen „namentlich“ sei als „besonders“, „vor allem“ oder „hauptsächlich“ zu verstehen, so dass die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger nicht abschließend gemeint sein könne. Jedenfalls sei die Nr. 2 der Versicherungsbedingungen intransparent und folglich unwirksam.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 15.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 06.07.2020 zu zahlen,

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, das neuartige Coronavirus sei keine versicherte Gefahr. „Namentlich“ sei als „namentlich genannt“ zu verstehen und ließe auf eine abschließende Aufzählung schließen. Die Versicherungsbedingungen seien auch wirksam. Zudem sei durch die Versicherung lediglich eine betriebsinterne Gefahr versichert und nicht abstrakt-generelle präventive Gesundheitsmaßnahmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätzen und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 15.000,00 EUR aus der zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherung. Insbesondere ergibt sich ein dahingehender Entschädigungsanspruch nicht aus §§ 1, 2 der AVB-BS aufgrund der im Versicherungsschein vereinbarten Tagesentschädigung von täglich 500,00 EUR für die Dauer von 30 Tagen.

Durch die streitgegenständliche Untersagung des Betriebs von Gaststätten durch die Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus in Hamburg vom 20.03.2020, aufgrund derer der Kläger seinen Restaurantbetrieb bis Anfang Mai 2020 geschlossen hat, ist kein Versicherungsfall im Sinne der Betriebsschließungsversicherung eingetreten. Denn nach § 1 Nr. 1 a) der AVB-BS sind nur solche Betriebsschließungen aufgrund des Infektionsschutzgesetzes versichert, die aufgrund der in § 1 Nr. 2 der AVB-BS genannten Krankheiten und Krankheitserreger erfolgt sind. Die genannte Allgemeinverfügung erging jedoch nicht aufgrund einer der in § 1 Nr. 2. a) der AVB-BS aufgezählten Krankheiten oder der in § 1 Nr. 2. b) der AVB-BS genannten Krankheitserreger, sondern aufgrund des dort nicht genannten, erst später in das Infektionsschutzgesetz aufgenommenen SARS-CoV-2-Virus bzw. der COVID-19-Erkrankung.

Die Auslegung dieser Versicherungsbedingungen ergibt, dass es sich bei der dortigen Aufzählung um eine abschließende Aufzählung von Krankheiten bzw. Krankheitserreger handelt, für die Versicherungsschutz besteht (hierzu unter 1.). Die so verstandene Klausel ist auch wirksam, insbesondere ist sie weder überraschend, noch unklar. Auch hält sie einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand (hierzu unter 2.).

1.

Die Auslegung der Versicherungsbedingungen ergibt, dass COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 nicht Teil des versicherten Risikos gemäß § 1 der AVB-BS sind. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (BGH, Urteil vom 06. Juli 2016 – IV ZR 44/15 -, Rn. 17, juris). In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen (BGH, Urteil vom 06. Juli 2016 – IV ZR 44/15 -, Rn. 17, juris).

Die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger musste ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer – insoweit ist vorliegend auf einen nicht geschäftsunerfahrenen Kaufmann abzustellen, da sich die Versicherung an Firmeninhaber richtet (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2011 – IV ZR 117/09 -, Rn. 22, juris) – als abschließend verstehen. In § 1 der AVB-BS wird der Gegenstand der Versicherung, mithin der Versicherungsfall für die Betriebsschließungsversicherung definiert. In § 1 Nr. 1 der AVB-BS wird der Versicherungsumfang definiert, wonach insbesondere bei Betriebsschließungen nach dem IfSG Entschädigung geleistet wird „beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)“. Bereits dort wird also auf die weitere Risikobegrenzung des § 1 Nr. 2 der AVB-BS verwiesen, wonach „meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen […] die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ sind, die sodann in den Nrn. 2. a) und 2. b) der AVB-BS aufgezählt werden.

Der verständige Versicherungsnehmer kann diese Aufzählung nur so verstehen, dass es sich bei dieser Aufzählung um eine abschließende Aufzählung der Krankheiten bzw. Krankheitserreger handelt, durch die ein Versicherungsfall eintreten soll. Dies bedarf im Grunde keiner weiteren Erläuterung. Der einzige Sinn der umfangreichen Aufzählung kann nur darin liegen, die Einstandspflicht der Beklagten gerade auf die dort aufgezählten Fälle zu begrenzen. Hierzu braucht es gerade auch nicht einer weiteren zusätzlichen Verdeutlichung, in dem etwa nochmals betont wird, dass „nur“ die folgenden Krankheiten bzw. Krankheitserreger einen Versicherungsfall darstellen. Zumal vorliegend sogar eine solche weitere Verdeutlichung in § 1 Nr. 2 der AVB-BS enthalten ist, da das Wort „folgenden“ in Fettdruck gehalten ist. Zudem wird die vorliegende abschließende Aufzählung noch einmal dadurch besonders deutlich, dass in § 1 Nr. 2 der AVB-BS gerade hervorgehoben wird, dass die „im Sinne dieser Bedingungen“ erfassten Krankheiten und Krankheitserreger in der folgenden Aufzählung enthalten sind. Hierdurch wird nochmals deutlich, dass die nun folgende Aufzählung nicht zwingend alle Krankheiten und Krankheitserreger erfasst, die im Infektionsschutzgesetz – gleich welcher Fassung – genannt sind.

Einen anderen Sinn könnte der verständige Versicherungsnehmer der vorliegenden Aufzählung in § 1 Nr. 2 der AVB-BS lediglich dann beimessen, wenn etwa durch das Wort „insbesondere“ vor der Aufzählung deutlich gemacht wird, dass es sich um eine lediglich beispielhafte Aufzählung eines nicht abgeschlossenen Katalogs von insbesondere nach dem IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern handeln soll. Dies ist hier aber gerade nicht der Fall. Zu dem Ergebnis einer lediglich beispielhaften Aufzählung der erfassten Krankheiten und Krankheitserregern kann der verständige Versicherungsnehmer auch nicht durch den in § 1 Nr. 2 der AVB-BS enthaltenen Einschub gelangen, wonach es sich bei den „folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ um meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen handelt. Richtig ist es zwar, dass das Wort „namentlich“ unter anderem die Bedeutung „hauptsächlich“ oder „besonders“ haben kann, was auf eine nur beispielhafte Aufzählung schließen ließe. Hier ist jedoch für einen verständigen Versicherungsnehmer erkennbar, dass „namentlich“ als „mit Namen genannt“ zu verstehen ist. Dies wird durch die Satzstellung des Wortes „namentlich“ deutlich. Wäre „namentlich“ als „hauptsächlich“ zu lesen, so müsste es am Ende des Satzes unmittelbar vor der Aufzählung stehen. Zudem dürfte § 1 Nr. 2 der AVB-BS nicht das fettgedruckte Wort „folgende“ enthalten, durch das die sich anschließende abschließende Aufzählung deutlich wird. Also lediglich dann, wenn § 1 Nr. 2 der AVB-BS die Formulierung enthalten würde, wonach „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen die in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger sind, namentlich:“ könnte die Klausel als eine nicht abschließende Aufzählung der im IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger verstanden werden. So ist die Klausel jedoch gerade nicht formuliert.

Bei der hier vorliegenden Satzstellung kommt dem Wort „namentlich“ daher vielmehr die Funktion zu, die Generalklauseln der §§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, 7 Abs. 2 IfSG vom Versicherungsschutz auszunehmen und den Schutz auf die dort namentlich genannten Erreger und Krankheiten zu beschränken. Vor diesem Hintergrund schlägt im Übrigen auch der Einwand nicht durch, der Hinweis auf die §§ 6 und 7 IfSG sei ohne dynamische Verweisung auf das IfSG überflüssig. Denn der Hinweis auf das IfSG verdeutlicht, dass die nachfolgende Aufzählung nicht aus der Luft gegriffen wurde, sondern Grundlage behördlichen Handelns zum Infektionsschutz sein kann.

Systematisch spricht weiter der große Umfang des Katalogs für eine abschließende Liste und gegen eine nur beispielhafte Aufzählung. Auch ist einem verständigen Versicherungsnehmer bewusst, dass der Versicherer bestrebt ist, seine Haftung auf bekannte und daher vorhersehbare Fälle zu begrenzen, um sein Risiko kalkulieren zu können. Das Interesse des Versicherungsnehmers an einem möglichst umfangreichen Versicherungsschutz ist dadurch gewahrt, dass er schon bei Vertragsschluss anhand der enumerativen Aufzählung leicht feststellen kann, in welchen Fällen die Betriebsschließungsversicherung greift. An diesem Ergebnis ändert auch der Ausschluss für Prionenerkrankungen in § 3 Nr. 4 der AVB-BS nichts. Zwar ist diese Art der Erkrankung in der Auflistung in § 1 Nr. 2 der AVB-BS nicht enthalten, durch den Ausschluss wird aber für den verständigen Versicherungsnehmer nicht zum Ausdruck gebracht, dass die abschließend zu verstehende Liste wieder geöffnet wird. Vielmehr wird hierdurch klargestellt, dass der Versicherer für Erkrankungen dieser Art keinen Versicherungsschutz übernehmen will.

Aus Sicht des verständigen Versicherungsnehmers lässt sich daher die streitgegenständliche Versicherungsklausel in § 1 Nrn. 1 und 2 der AVB-BS allein dahingehend auslegen, dass COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 nicht Teil des versicherten Risikos sind (so im Ergebnis auch LG Oldenburg, Urt. v. 21.10.2020, Az. 13 O 1637/20 – zitiert nach juris; Lüttringhaus/Eggen in RuS 2020, 250, 253; Schreier in VersR 2020, 513; Günther/Piontek in RuS 2020, 242; a.A. LG Hamburg, Urt. v. 04.11.2020, Az. 412 HKO 91/20, Rn. 64 – zitiert nach juris; Werber in VersR 2020, 661, 664; Rolfes in VersR 2020, 1021; Armbrüster in RuS 2020, 506, 508).

Eine abweichende Auslegung kann auch nicht aus der als Anlage K4 vorgelegten Email abgeleitet werden. Dies folgt bereits daraus, dass diese nicht an den Kläger im hiesigen Fall versendet wurde. Und auch aus der Begründung des als Anlage K 8 vorgelegten Ablehnungsschreibens der Beklagten vom 08.04.2020 und dem Wortlaut des durch die Beklagte angebotenen Vergleichs kann kein abweichendes Ergebnis der Auslegung abgeleitet werden. Zum einen vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass sich die Beklagte mit dem Schreiben auf den Standpunkt stellt, dass COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 von den Bedingungen grundsätzlich erfasst seien. Vielmehr begründet sie ihre Ablehnung der Regulierung lediglich mit einem aus ihrer Sicht (auch) greifenden anderen Grund. Zum anderen hätte eine rechtsirrige Auslegung der Beklagten ihrer eigenen Bedingungen lange nach Vertragsschluss und nach Eintritt des Schadensfalles keine Bedeutung für die hier vorzunehmende Auslegung der Bedingungen.

2.

§ 1 der AVB-BS ist auch wirksam.

a)

Es handelt sich insbesondere um keine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift wird eine Bestimmung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die nach den jeweiligen Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, überraschend ist, nicht Vertragsbestandteil. Entscheidend für die Einordnung einer Klausel als überraschend ist es, ob zwischen den Erwartungen des Versicherungsnehmers und dem Klauselinhalt eine deutliche Diskrepanz besteht, mit der der Versicherungsnehmer vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 06. Juli 2011 – IV ZR 217/09 -, Rn. 19 m.w.N., juris).

Danach ist die streitgegenständliche Regelung nicht überraschend. Ein durchschnittlicher verständiger Versicherungsnehmer kann und muss damit rechnen, dass der Versicherer den Versicherungsschutz auf im Vertrag ausdrücklich genannte Fälle beschränkt und gerade keinen Versicherungsschutz für künftig auftretende, jedoch bei Vertragsschluss unbekannte meldepflichtige Krankheiten bzw. Krankheitserreger bieten will, deren Gefahrenpotential er bei Vertragsschluss nicht kalkulieren und deshalb auch nicht bei der Bemessung von Versicherungsumfang und -prämien berücksichtigen konnte.

b)

Auch ist die streitgegenständliche Regelung nicht mehrdeutig im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB. Die Klausel ist klar formuliert und erweckt keine Fehlvorstellung über den Umfang des Versicherungsschutzes. Bereits durch die Verwendung der Worte „die folgenden“ wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer davon ausgehen können, dass allein die danach genannten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen (vgl. Lüttringhaus/Eggen in RuS 2020, 250, 254). Hierzu bedarf es auch nicht eines ausdrücklichen Hinweises, dass es sich „nur“ bei den folgenden meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger um solche im Sinne der Bedingungen handelt. Ebenso wenig können in den vorliegenden Wortlaut gedanklich die Worte „beispielsweise“ oder „im Wesentlichen“ eingefügt werden, ohne dass der eigentliche Wortlaut: „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden […] Krankheiten und Krankheitserreger:“ verändert wird. Im Übrigen wird insoweit auf die Ausführungen zur Auslegung der Versicherungsbedingung unter Ziffer I. 1. der Entscheidungsgründe verwiesen.

c)

Schließlich hält die Klausel auch einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand.

aa)

Zunächst verstößt die Klausel nicht gegen das in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB niedergelegte Transparenzgebot. Danach ist der Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Es kommt insoweit nicht nur darauf an, dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH, Beschluss vom 11.02.2009 – IV ZR 28/08, Rn. 14, juris).

Die streitgegenständliche Klausel genügt diesen Anforderungen. Durch den eindeutigen Wortlaut wird bei einem durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmer nicht die Erwartung geweckt, dass noch andere als die § 1 Nr. 2 der AVB-BS genannten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sind. Allein der Umstand, dass man die Klausel – etwa durch eine ausdrückliche Klarstellung, dass der nachfolgende Katalog abschließend ist – noch klarer hätte fassen könne, reicht für die Annahme einer Verletzung des Transparenzgebots nicht aus (vgl. Lüttringhaus/Eggen in RuS 2020, 250, 254).

Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des BGH zu den den Versicherungsschutz einschränkenden Ausschlussklauseln (so aber LG München I, Urt. v. 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20, Rn. 106; LG Hamburg, Urt. v. 04.11.2020, Az. 412 HKO 91/20, Rn. 42; jeweils zitiert nach juris). Hinsichtlich solcher Ausschlussklauseln wird durch die Rechtsprechung gefordert, dass dem Versicherungsnehmer die damit verbundenen Nachteile und Belastungen, soweit nach den Umständen möglich, so verdeutlicht werden, dass er den danach noch bestehenden Umfang des Versicherungsschutzes erkennen kann (BGH, Urt. v. 23.06.2004, Az. IV ZR 130/03, Rn. 29 – zitiert nach juris). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht (BGH, Versäumnisurteil v. 10.04.2019, Az. IV ZR 59/18, Rn. 21 – zitiert nach juris). Bei der vorliegenden Klausel handelt es sich jedoch nicht um eine (den zunächst gewährten Versicherungsschutz einschränkende) Ausschlussklausel, vielmehr wird in § 1 Nrn. 1 und 2 der AVB-BS überhaupt erst der Versicherungsfall als solcher, also der überhaupt gewährte Versicherungsschutz, definiert, so dass bereits vor diesem Hintergrund die genannte BGH-Rechtsprechung nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden kann. Dem Versicherungsnehmer wird durch die Klausel auch ausreichend vor Augen geführt, welchen Versicherungsschutz er erhält. Es geht vorliegend auch nicht darum, dass der Versicherungsnehmer erst durch den Abgleich der Auflistung in den AVB-BS mit dem Gesetzestext den Versicherungsschutz erkennen kann (so aber wohl LG München I, Urt. v. 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20, Rn. 121 – zitiert nach juris), denn der gewährte Versicherungsschutz ergibt sich hier aus den Bedingungen selbst. Insofern würde ein Abgleich auch gar nichts nützen, da zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages zukünftige Erreger noch gar nicht im Gesetz enthalten sein können.

Richtig ist allein, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer die risikobegrenzende Definition der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nr. 2 der AVB-BS erkennen können muss. Dies ist jedoch – wie ausgeführt – der Fall, da dieser aufgrund des Wortlauts der Bedingung gerade nicht berechtigt davon ausgehen kann, dass dieser Versicherungsschutz dem Grunde nach umfassend ist und sich mit dem IfSG deckt. Vielmehr muss er – wie ausgeführt – mit einer Risikobegrenzung aufgrund der gewählten Formulierungen gerade rechnen.

bb)

Die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die in § 1 Nr. 2 der AVB-BS aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger führt auch nicht zu einer Vertragszweckgefährdung im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet eine Begrenzung des Leistungsumfangs für sich genommen noch keine Vertragszweckgefährdung in diesem Sinne, sondern bleibt grundsätzlich der freien unternehmerischen Entscheidung des Versicherers überlassen, soweit er nicht mit der Beschreibung der Hauptleistung beim Versicherungsnehmer falsche Vorstellungen erweckt. Eine Gefährdung des Vertragszwecks im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt erst dann vor, wenn die Einschränkung den Vertrag seinem Gegenstand nach aushöhlt und damit in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos macht (BGH, Beschluss vom 11.02.2009, Az. IV ZR 28/08; Beschluss vom 06.07.2011, Az. IV ZR 217/09 – jeweils zitiert nach juris).

Nach dieser Maßgabe ist hier keine Vertragszweckgefährdung gegeben. Die Einschränkung des Versicherungsschutzes auf die in § 1 Nr. 2 der AVB-BS ausdrücklich genannten Krankheiten und Krankheitserreger begrenzt lediglich den Leistungsumfang, ohne dabei den Versicherungsschutz auszuhöhlen (a.A. Werber, VersR 2020, 661, 666). Es bleibt im Hinblick auf den umfangreichen Katalog versicherter Krankheiten und Krankheitserreger vielmehr ein weiter Anwendungsbereich der Betriebsschließungsversicherung bestehen. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht zu befürchten, dass bei entsprechender Weiterentwicklung des Infektionsschutzgesetzes eine Situation entstehen könnte, in der keine der im aktuellen Infektionsschutzgesetz genannten Krankheiten und Krankheitserreger mehr in den Versicherungsbedingungen genannt ist. In diesem Fall würde der Versicherungsschutz tatsächlich leerlaufen. Jedoch ist dieser Einwand rein theoretischer Natur und aufgrund der Vielzahl an genannten Krankheiten und Krankheitserreger höchst unwahrscheinlich. Die Gesetzgebungsgeschichte des IfSG zeigt, dass die Liste der Krankheiten und Krankheitserreger ganz überwiegend erweitert und nicht etwa beschränkt wurde.

cc)

Im Übrigen liegt in der abschließenden Aufzählung der vom Versicherungsschutz umfassten Krankheiten und Krankheitserreger auch keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers. Die Versicherer sind grundsätzlich in ihrer Entscheidung frei, in welchem Umfang sie im Hinblick auf Gefahren aus dem Infektionsschutzgesetz Versicherungsschutz bieten. Insbesondere ist eine Einschränkung nach einem „Alles-oder-nichts-Prinzip“ – also entweder Versicherungsschutz für alle im Infektionsschutzgesetz genannten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger oder überhaupt keine Deckung – rechtlich nicht erforderlich (vgl. Fortmann in VersR 2020, 1073, 1076 f.). Die abschließende Aufzählung der vom Versicherungsschutz umfassten Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nr. 2 der AVB-BS erscheint vielmehr interessengerecht. Die darin enthaltene, unmissverständlich formulierte enumerative Aufzählung der vom Versicherungsschutz umfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger ermöglicht es dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer gleichermaßen, den Umfang des Versicherungsschutzes nachzuvollziehen. Die Regelung trägt auch dem berechtigten Interesse des Versicherers Rechnung, das versicherte Risiko nicht zuletzt in Bezug auf die Prämienhöhe seriös einschätzen zu können. Dies dient auch dem Schutz der Versichertengemeinschaft und ist für einen durchschnittlichen verständigen Versicherungsnehmer auch erkennbar (vgl. LG Bochum, Urt. v. 15.07.2020, Az. 4 O 215/20; LG Stuttgart, Urt. v. 30.09.2020, Az. 16 O 305/20 – jeweils zitiert nach juris).

II.

Mangels Erfolgs in der Hauptsache sind auch die geltend gemachten Nebenforderungen (Zinsen) unbegründet.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1 ZPO.

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