LG Oldenburg, Urteil vom 23.12.2021 – 5 O 1371/21

Dezember 29, 2021

LG Oldenburg, Urteil vom 23.12.2021 – 5 O 1371/21

Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Tatbestand
Die Parteien streiten über Amtshaftungsansprüche aufgrund der vom Beklagten erlassenen Absonderungsverfügung im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie.

Die Klägerin ist als Lehrerin in xxx tätig. Am 22.03.2021 unterrichtete sie die Schülerin xxx im Unterrichtsraum. Am 23.03.2021 wurde bei dieser Schülerin aufgrund Kontakts zu einer infizierten Person ein Test auf das Coronavirus SARS-Cov-2 durchgeführt, welcher am 25.03.2021 ein positives Ergebnis ergab (vgl. Anlage B5, Bl., 93 f. d.A.). Die genaue räumliche Konstellation während des Unterrichts ist zwischen den Parteien streitig.

Nachdem dieser Sachverhalt am 27.03.2021 dem Gesundheitsamt xxx bekannt geworden war, wurde gegenüber der Klägerin zunächst fernmündlich eine häusliche Absonderung bis zum 05.04.2021 angeordnet. Mit Bescheid des Beklagten vom 29.03.2021, der Klägerin zugegangen am selben Tage, wurde die Verfügung schriftlich bestätigt. Zur Begründung führte der Beklagte an, dass die Klägerin möglicherweise Kontakt mit einer an „dem neuartigen Coronavirus (Covid-19) erkrankten“ Person gehabt habe (vgl. Anlage K1 Bl. 19f. d.A., Anlagenband Klägerin). Das RKI empfahl zu dieser Zeit für Kontaktpersonen eine Absonderung von 14 Tagen ab dem Datum des Kontakts (vgl. zu näheren Einzelheiten Anlage B1, Bl. 44 ff. d. A. sowie die Anlage B2, Bl. 50 d. A.). Die Klägerin begab sich daraufhin für zehn Tage mit ihren Kindern in häusliche Quarantäne. Während der Quarantäne war es der Klägerin untersagt, ihre Wohnung zu verlassen und Besuch von Personen zu empfangen, die nicht ihrem Hausstand angehören.

Am 30.03.2021 ließ sich die Klägerin mittels eines PCR-Tests auf das Coronavirus SARS-Cov2 testen, der Test fiel negativ aus (vgl. Anlage K4, Anlagenband Klägerin). Die Klägerin war die gesamte Zeit über symptomfrei. Das führte jedoch nicht zu einer Beendigung oder Verkürzung der Absonderung.

Die Klägerin behauptet, die Situation im Klassenraum sei während des Unterrichts wie folgt gewesen: Die betreffende Schülerin habe in der letzten Reihe gesessen, während sie sich hauptsächlich vorne am Pult oder der Tafel aufgehalten habe. Einmal während der Stunde sei die Klägerin durch die Reihen der Schüler gegangen, um Aufgaben durchzusehen. Die Unterrichtsräume seien gelüftet worden.

Die Klägerin meint, dass sich der Beklagte bei seiner Absonderungsanordnung auf eine rechtswidrige Rechtsgrundlage gestützt habe, da § 32 IfSG i.V.m. §§ 28 ff. IfSG die Wesentlichkeitstheorie und Art. 80 Abs. 1 GG verletze. Ohnehin hätten die Voraussetzungen des § 28 IfSG, nämlich die Feststellung von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern, nicht vorgelegen. Die Tatsachenfeststellungsbasis des Beklagten habe nicht ausgereicht, um einen Ansteckungsverdacht anzunehmen.

Der Beklagte habe durch seine Verfügung keine Freiheitsbeschränkung, sondern eine Freiheitsentziehung zum Nachteil der Klägerin herbeigeführt. In dem Zusammenhang sei auch gegen den Richtervorbehalt aus Art. 104 Abs. 2 S. 1, 2 GG verstoßen worden.

Zudem habe der Beklagte gewusst, dass Ermächtigungsgrundlage sowie Tatbestandsvoraussetzungen für ihre Anordnungen nicht vorlagen. Auch meint sie, dass ihr kein Rechtsmittel zur Verfügung gestanden habe, das vor Ablauf der Quarantänezeit zu deren Beendigung und damit zum Erfolg hätte führen können.

Durch die Quarantäne habe die Klägerin immaterielle Schäden erlitten, und zwar aufgrund eines reduzierten Einkommens, sozialer Einschränkungen, psychischer Belastungen, fehlendem Zugang zu öffentlichen Einrichtungen, Hinderung zur Teilnahme an Gottesdiensten, fehlendem Zugang zur Natur und unterbundener Möglichkeit, im Freien Sport zu betreiben. Die Klägerin meint, aufgrund der erlittenen negativen Folgen sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 250,00 € pro Tag Quarantäne angemessen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 2.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, der Rechtsverfolgung der Klägerin stehe der Einwand des unterlassenen Primärrechtsschutzes entgegen. Sie hätte ihre Einwendungen im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vor dem Verwaltungsgericht vorbringen müssen, was – das ist unstreitig – unterblieben sei.

Weiterhin sei die Klägerin den Richtlinien des RKI entsprechend eine sogenannte „Kontaktperson“ gewesen. Hinsichtlich der PCR-Tests trägt der Beklagte vor, diese stellten jeweils nur eine Momentaufnahme dar und insbesondere aufgrund der Inkubationszeit sei ein negativer Test keine Garantie dafür, dass keine Infektion vorliege.

Die einzelnen Gesundheitsämter hätten sich außerdem in dieser Pandemie an den Vorgaben des RKI und der Ministerien orientieren müssen. Die Amtstätigkeit des Beklagten habe diesen Vorgaben entsprochen. Der Beklagte habe daher selbst dann, wenn sich sein Verhalten rückwirkend als nicht rechtmäßig herausstellen sollte, zumindest nicht schuldhaft gehandelt.

Die geforderte Entschädigung sei überzogen.

Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten wegen Amtspflichtverletzung gem. § 839 BGB, Art. 34 GG bestehen ebenso wenig wie aus etwaigen anderen Anspruchsgrundlagen.

I. Zum einen hat der Beklagte vorliegend keine ihm obliegenden Amtspflichten verletzt, zum anderen ist ihm ohnehin kein Verschulden vorzuwerfen.

1. Insbesondere hat er die Amtspflicht zu rechtmäßigem Verhalten, die sich aus Art. 20 Abs. 3 GG herleitet (BeckOK GG/Grzeszick, 48. Ed. 15.8.2021, GG Art. 34 Rn. 8.1), erfüllt. Sein Handeln hinsichtlich der Absonderungsverfügung gegen die Klägerin sowie deren Aufrechterhaltung bis zum Ablauf von 10 Tagen erfolgten unter Anwendung verfassungsgemäßer Normen, deren Tatbestandsvoraussetzungen vorgelegen haben, bei gleichzeitiger Wahrung der Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften und ohne Verletzung des Richtervorbehalts des Art. 104 Abs. 2 S. 1, 2 GG.

Ein Verstoß gegen Art. 104 Abs. 2 S. 1, 2 GG scheidet mangels erfolgter Freiheitsentziehung (als qualifizierter bzw. schärfster Form der Freiheitsbeschränkung) durch die Absonderungsverfügung aus; vielmehr handelte es sich lediglich um „einfache“ Freiheitsbeschränkung (vgl. etwa VG Schleswig Beschl. v. 3.11.2020 – 1 B 131/20, BeckRS 2020, 29094 Rn. 11; OVG Münster Beschl. v. 13.7.2020 – 13 B 968/20.NE, BeckRS 2020, 17887; OVG Lüneburg Beschl. v. 5.6.2020 – 13 MN 195/20, BeckRS 2020, 11641; VG Berlin Beschl. v. 10.6.2020 – 14 L 150/20, BeckRS 2020, 12067).

Freiheitsentziehung ist als Unterfall der Freiheitsbeschränkung nur deren intensivste Form und bedeutet Festhalten auf eng umgrenztem Raum, so dass die körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben ist. Dies ist hier der Fall. Die für zehn Tage angeordnete Absonderung in Gestalt einer Quarantäne im eigenen Zuhause weist eine erheblich eingriffsärmere Wirkung im Vergleich zu den als Freiheitsentziehungen zu qualifizierenden Eingriffen durch Haft oder Sicherungsverwahrung auf. Diese sind insbesondere mit physischen Hemmnissen für die Betroffenen verbunden.

Der Beklagte hatte seine Verfügung auch nicht auf der Grundlage verfassungswidriger Normen getroffen. Auf die von der Klägerin für verfassungswidrig erachteten Bestimmungen des § 32 IfSG war die Absonderungsverfügung nicht gestützt. § 32 IfSG ermächtigt die Landesregierungen, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28, 28a und 29 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Absonderungsverfügung fußte nicht auf entsprechenden Rechtsverordnungen der Landesregierungen.

Die Voraussetzungen der §§ 28 Abs. 1 S. 1 i. V. m. 30 Abs. 1 S. 2 IfSG, die der Behörde einen Ermessensspielraum einräumen und auf die die streitgegenständliche Verfügung gestützt ist, lagen vor.

Zum Zeitpunkt der Absonderungsverfügungen war die Klägerin als Ansteckungsverdächtige im Sinne des § 30 IfSG zu qualifizieren und eine Absonderung konnte entsprechend angeordnet werden. Hierbei kam es auf eine ex-ante-Betrachtung an, da effektive Gefahrenabwehr anders kaum möglich wäre (vgl. VGH München, Beschluss vom 11.11.2020 – 20 NE 2024-85). Maßgeblich ist, dass der Beklagte aufgrund der ihm damals vorliegenden Kenntnisse von einer Ansteckungsgefahr ausgehen durfte.

§ 30 Abs. 1 S. 2 IfSG besagt, dass bei sonstigen (nicht unter § 30 Abs. 1 S. 1 IfSG fallenden) Kranken sowie Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern die Absonderung in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise angeordnet werden kann. Ansteckungsverdächtiger ist eine Person nach der Legaldefinition in § 2 Nr. 7 IfSG bereits dann, wenn von ihr anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Die Aufnahme von Krankheitserregern ist bereits dann anzunehmen, wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person hatte. Bei der Bewertung, ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Ansteckungsgefahr vorliegt, ist dabei kein einheitlicher Maßstab anzuwenden. Vielmehr gilt der allgemeine polizei- und ordnungsrechtliche Grundsatz, wonach an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BeckOK InfSchR/Gabriel, 7. Ed. 1.10.2021, IfSG § 2 Rn. 36 f.; OVG Lüneburg (13. Senat), Beschluss vom 05.06.2020 – 13 MN 195/20 m.w.N.). Ob gemessen daran ein Ansteckungsverdacht im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG zu bejahen ist, beurteilt sich unter Berücksichtigung der Eigenheiten der jeweiligen Krankheit und der verfügbaren epidemiologischen Erkenntnisse und Wertungen sowie anhand der Erkenntnisse über Zeitpunkt, Art und Umfang der möglichen Exposition der betreffenden Person und über deren Empfänglichkeit für die Krankheit. Es ist erforderlich, dass das zugrundeliegende Erkenntnismaterial belastbar und auf den konkreten Fall bezogen ist.

Das Gesundheitsamt hat im Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren hinreichende Tatsachenermittlung betrieben und ist dabei richtigerweise den Einschätzungen des RKI zur Einordnung von PCR-Tests und deren Ergebnissen gefolgt. Nicht nur durfte es dabei, vielmehr war es sogar dazu angehalten, sich in seinem Handeln auf diese Einschätzungen – in Form etwa von Richtlinien und Merkblättern – zu verlassen. Träger öffentlicher Gewalt sind mit ihren Organen und Organwaltern nur im Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren zur hinreichenden Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts verpflichtet (Sachs/Detterbeck, 9. Aufl. 2021, GG Art. 34 Rn. 29 m.w.N.). Konkret setzt die Feststellung eines Ansteckungsverdachts voraus, dass die jeweilige Behörde zuvor Ermittlungen zu infektionsrelevanten Kontakten des Betroffenen angestellt hat (OVG Lüneburg (13. Senat), Beschluss vom 05.06.2020 – 13 MN 195/20).

Die angeordnete häusliche Absonderung für zehn Tage fußte auf den den im März 2021 geltenden Einschätzungen des RKI. Das RKI ist die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und –prävention. Die Kernaufgaben des RKI sind die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten, insbesondere der Infektionskrankheiten sowie die Erhebung von Daten und Erarbeitung von Studien für die Entwicklung von Präventionsempfehlungen im Gesundheitswesen (vgl. Kießling/Hollo, 2. Aufl. 2021, IfSG § 4 Rn. 8). Innerhalb des IfSG listet § 4 die Aufgaben des RKI katalogmäßig auf. Aus den hier gelisteten Kompetenzen, insbesondere § 4 Abs. 2 Nr. 1 IfSG, der bestimmt, dass das RKI im Benehmen mit den jeweils zuständigen Bundesbehörden für Fachkreise als Maßnahme des vorbeugenden Gesundheitsschutzes Richtlinien, Empfehlungen, Merkblätter und sonstige Informationen zur Vorbeugung, Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten erstellt, ergibt sich, dass den (Risiko- )Einschätzungen des RKI bei der Erfüllung der staatlichen Aufgaben des Infektionsschutzes eine, wenn nicht sogar die maßgebliche Rolle zukommt, auch schon vor Zeiten der COVID- 19-Pandemie (Kießling/Hollo, 2. Aufl. 2021, IfSG § 4 Rn. 5). Dies muss sich wiederum auch notwendigerweise darauf auswirken, in welcher Tiefe andere staatliche Stellen, namentlich die Gesundheitsämter, Sachverhaltsermittlungen und Prognosen tätigen.

Dem Gesundheitsamt lagen hinreichende Tatsachengrundlagen für die getroffene Absonderungsverfügung vor. Es lag ein positiver PCR-Tests der betreffenden Schülerin vom 25.03.2021 vor. Mit dieser Person hielt sich die Klägerin auch über einen hinreichend langen Zeitraum gemeinsam in einem Raum auf. Nach den Richtlinien des RKI („3.1. Definition einer engen Kontaktperson“) ist von einer engen Kontaktperson u.a. auszugehen, wenn sich beide für längere Zeit als zehn Minuten im selben Raum mit wahrscheinlich hoher Konzentration von Aerosol befunden haben. Vor dem Hintergrund, dass aufgrund der Gefährlichkeit des Virus eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit drohte, waren keine strengeren Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer Infektion zu stellen. Vielmehr konnte nur so dem Grundsatz der Effektivität der infektionsspezifischen Gefahrenabwehr (§ 1 Abs. 1 IfSG) Rechnung getragen werden. Dies galt und gilt unverändert insbesondere im Rahmen der jetzigen Pandemiesituation (vgl. Rixen, NJW 2020, S. 1100).

Der Beklagte durfte aus der insoweit maßgeblichen ex-ante Sicht davon ausgehen, dass der Verdacht einer Infektion bestand, nachdem sich die Klägerin nachweislich über einen längeren Zeitraum mit einer positiv getesteten Person in einem Raum befunden hatte. Wie sich die genaue Situation während des Unterrichts dargestellt hat, kann dahinstehen. Für die Annahme eines Infektionsverdachtes ist ausreichend, dass sich beide Personen für einen gewissen Zeitraum in einem Raum aufhielten (hier zumindest über eine Schulstunde mit einer Dauer von 45 Minuten). Selbst wenn sich die Klägerin (fast) durchgehend im vorderen Bereich des Klassenraums aufhielt, während die Kontaktperson in der letzten Reihe saß, ist die Klägerin dennoch als Ansteckungsverdächtige zu qualifizieren gewesen. Das Coronavirus verbreitet sich über Aerosole in der Luft, weshalb insbesondere beim Aufenthalt in geschlossenen Räumen ein erhöhtes Risiko der Infektion besteht. In Klassenräumen ist regelmäßig von einer hohen Aerosolkonzentration auszugehen. Eine hohe Aerosolkonzentration kann auch bei gelegentlichem Lüften der Räumlichkeiten nicht vollständig ausgeschlossen werden.

Vom Beklagten war auch nicht zu verlangen, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Die von der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt potentiell ausgehende Gefahr der Weiterverbreitung des Virus erforderte ein unverzügliches Einschreiten des Beklagten. Weitere Sachverhaltsaufklärungen hätten zu infektionsschutzkritischen Verzögerungen geführt. Das hätte die Gefahr weiterer Ansteckungen durch die potentiell infektiöse Klägerin begründet. Deshalb war der Beklagte angehalten, auf Grundlage des ihm vorliegenden Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Richtlinien des RKI eine Entscheidung zur Gefahrenabwehr zu treffen. Auch hier gilt, dass aufgrund der erheblichen Gefahren, die von einer infizierten Person ausgehen, keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen.

Der Beklagte musste die Absonderung der Klägerin nicht nach deren negativen PCR-Test vorzeitig beenden. Denn er durfte trotz negativen PCR-Tests der Klägerin davon ausgehen, dass eine Infektion bei ihr bis zum Ende der Zeitspanne der Absonderung nicht sicher ausgeschlossen war und daher auch weiterhin potentiell ein Infektionsrisiko von ihr ausging. Auch die Ende März/ Anfang April 2021 geltenden Empfehlungen des RKI sahen – aus diesem Grund – wohlweislich keine Verkürzungsmöglichkeit durch ein negatives Testergebnis vor. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es, dass eine Absonderungsanordnung nur so lange fortdauert, wie sie erforderlich ist. Die Anordnung ist dann nicht mehr erforderlich, wenn von der betroffenen Person keine Infektionsgefahr mehr ausgeht. Auch hierbei ist allerdings auf die ex-ante Sicht abzustellen, da nur so eine effektive Gefahrenabwehr gewährleistet werden kann. PCR-Tests stellen – trotz ihrer Genauigkeit – nur eine Momentaufnahme dar. Ein negatives Testergebnis schließt eine Infektion mit dem Coronavirus nicht eindeutig aus. Insbesondere aufgrund der Inkubationszeiten bietet ein negativer PCR-Test keine absolute Sicherheit. Die Inkubationszeit für eine Erkrankung mit Covid 19 lag nach dem allgemeinen Kenntnisstand Ende März/ Anfang April 2021 bei 10 bis 14 Tagen. Zudem war zu berücksichtigen, dass im März 2021 in Deutschland die Virusvariante B.1.1.7 (umgangssprachlich „Alpha“) vorherrschend war, über die zum damaligen Zeitpunkt noch relativ wenig gesicherte Erkenntnisse vorlagen. Aus diesem Grund war im Hinblick auf die neue Virusvariante besondere Vorsicht geboten.

2. Überdies fehlt es auch an einem Verschulden des Beklagten. Der Amtshaftungsanspruch erfordert, dass hinsichtlich einer Amtspflichtverletzung i.S.d. § 276 BGB vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten vorliegt. Eine vorsätzliche Amtspflichtverletzung ist anzunehmen, wenn der Beamte die Amtshandlung willentlich und in Kenntnis der die Amtspflichtwidrigkeit objektiv begründenden Tatsachen vornimmt bzw. unterlässt. Eine Amtspflichtverletzung ist fahrlässig begangen, wenn der Amtsträger die im (betreffenden amtlichen) Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Daran fehlt es hier. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass der Beklagte im streitgegenständlichen Fall die Gesetzes- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel nicht sorgfältig und gewissenhaft geprüft hätte. Dies gilt umso mehr, als der Geschädigte die Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen der Amtspflichtverletzung trägt; auch der Verschuldensnachweis muss vom Geschädigten erbracht werden. Unabhängig von der fehlenden Amtspflichtverletzung wäre hierbei hinsichtlich möglicher Pflichtwidrigkeit entlastend die im Rahmen der Covid-19-Pandemie und damit zur Gefahrenabwehr gebotene schnelle Entscheidungsfindung seitens der Gesundheitsbehörden zur Eindämmung des Infektionsgeschehens zu berücksichtigen. Das Gesundheitsamt musste aufgrund der ihm vorliegenden Informationsgrundlage eine rasche Prognoseentscheidung treffen, um das Risiko einer weiteren Ausbreitung der Covid-19-Pandemie zu begrenzen. Dabei durfte es sich auf die ihm vorliegenden Informationen verlassen bzw. war sogar, wie unter Ziff. 1. festgestellt, sogar dazu angehalten, sich in seinem Handeln auf die Vorgaben des RKI zu stützen. Insbesondere musste es trotz des negativen PCR-Tests der Klägerin davon ausgehen, dass eine Infektion bei ihr bis zum Ende der Zeitspanne der Absonderung – 14 Tage nach Kontakt mit einer Infizierten – nicht ausgeschlossen war

3. Über die Rechtsfolgenseite, also möglicherweise bei der Klägerin eingetretene immaterielle Schäden, deren Höhe sowie einen etwaigen Anspruchsausschluss nach § 839 Abs. 3 BGB war mangels schuldhafter Amtspflichtverletzung des Beklagten nicht zu entscheiden.

II. Die Zinsforderung ist unbegründet, da die Klage bereits hinsichtlich der Hauptforderung unbegründet ist.

III. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.

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