LG Siegen, Urteil vom 01.06.2021 – 1 O 374/20

Juli 31, 2022

LG Siegen, Urteil vom 01.06.2021 – 1 O 374/20

Tenor
Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine „Profi-Schutz Sach-Versicherung“ zur Versicherungs-Nr.: …# (Versicherungsschein vom 29.8.2011). Er macht Leistungen aus dieser Versicherung wegen Umsatzeinbußen im Rahmen der Covid19-Pandemie für den Zeitraum vom 17.03.2020 bis 11.05.2020, jedoch entsprechend der Vertragsbedingungen nur 30 Kalendertage aus diesem Zeitraum, gegenüber der Beklagten geltend.

In dem Versicherungsschein heißt es:

„Versicherungsumfang:

[…]

Schäden durch Betriebsschließung (ZBSV 08) beim Auftreten meldepflichtiger Infektionskrankheiten oder Krankheitserreger nach dem Infektionsschutzgesetz (Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen):

– der Ertragsausfallschaden bei Schließung des Betriebes durch die zuständige Behörde bis zu einer Haftzeit von 30 Kalendertagen“

In den ZBSV 08 heißt es:

㤠2 Versicherte Gefahren

1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;

[…]

2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:“

Es folgt eine Aufzählung aller Krankheiten und Krankheitserreger aus §§, 6, 7 IfSG (Stand 29.3.2013 – 24.7.2017). Covid19 ist nicht mit aufgezählt.

Mit Schreiben vom 24.03.2020 meldete der Kläger über ein Versicherungsbüro den geltend gemachten Schaden der Beklagten. Mit Schreiben vom 20.04.2020 lehnte die Beklagte eine vertragliche Leistung ab. Auch nach weiterer Zahlungsaufforderung vom 12.05.2020 unter Fristsetzung zum 29.05.2020 erfolgte eine Ablehnung durch die Beklagte am 05.06.2020.

Der Kläger trägt vor:

Sein Restaurantbetrieb sei vom 17.03.2020 bis 11.05.2020 geschlossen gewesen. Zwar sei diese Schließung im Rahmen der allgemeinen Coronaschutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen und nicht durch spezifische Anordnung durch das Gesundheitsamt erfolgt, es handele sich aber effektiv um eine behördlich angeordnete Betriebsschließung. Es sei nach den Versicherungsbedingungen nicht erforderlich, dass die Gefahr hinsichtlich des Infektionsgeschehens von dem Betrieb selbst ausgehe.

Bei den oben zitierten Regelungen handele es sich um eine dynamische Verweisung auf die in den §§ 6, 7 IfSG jeweils namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger.

Im Übrigen sei Sars-CoV2 eine Unterform des Influenza-Virus.

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 34.980,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.05.2020 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.239,40 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit hinsichtlich vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten zu zahlen.

Die Beklagte beantragt:

Klageabweisung.

Die Beklagte trägt vor:

Die oben zitierten Versicherungsbedingungen seien als statische Verweisung in dem Sinne zu verstehen, dass nur die in den Versicherungsbedingungen selbst abgedruckten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sind.

Die Versicherung decke weiterhin nur Fälle ab, in denen die Gesundheitsbehörden in dem konkreten Betrieb die Krankheit bekämpfen und eine Schließung direkt gegenüber dem Betrieb anordnen. Dies sei hier nicht passiert, sondern für den Kläger haben nur die von der Corona Schutzverordnung normierten Einschränkungen gegolten. Ein Weiterbetrieb in Form von Take-Away sei etwa möglich gewesen.

Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.

1.

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 34.980 € gemäß § 1 S. 1 VVG i.V.m. § 1 Ziff. 1 der Zusatzbedingungen.

a)

Es besteht zwar zwischen den Parteien ein Vertrag über eine Betriebsschließungsversicherung, welcher die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Entschädigung in der vereinbarten Höhe zu zahlen, wenn es zu einer Schließung des versicherten Betriebs durch die zuständige Behörde aufgrund des IfSG zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern kommt. Die Versicherung deckt Betriebsschließungen aufgrund der Krankheit Covid19 und des Krankheitserregers SarsCoV jedoch nicht ab. Dies ergibt die Auslegung der hier zugrundeliegenden Bedingungen.

aa)

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht (siehe dazu und zum folgenden BGH, Urteil vom 18.11.2020 = NJW 2021, 231 Rn. 11). Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der Bedingungen auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind. Für die Betriebsunterbrechungsversicherung hat der Bundesgerichtshof zusätzlich ausgeführt, dass sich die Auslegung nach dem in Unternehmerkreisen zu erwartenden Verständnis richtet (BGH, NJW-RR 2010, 1540 Rn. 12). Die typischen Adressaten sind also nicht in Verbraucherkreisen zu suchen, vielmehr ist sogar davon auszugehen, dass sie geschäftserfahren und mit AGB vertraut sind, nachdem die Versicherung ihrem Zweck und Inhalt nach auf Gewerbebetriebe abzielt (OLG Stuttgart, Urteil vom 15.02.2021 = recht und schaden 2021, 139 Rn. 19).

bb)

Ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer wird nicht annehmen können, dass eine Betriebsschließung infolge von Covid 19 bzw. SarsCoV2 dem von der Beklagten versprochenen Versicherungsschutz unterfällt (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 6.5.2021 – 1 U 10/21, juris; OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 35).

Der entscheidende Passus für die Reichweite der Versicherung ist die Formulierung „Meldepflichtige Krankheiten sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:“, auf den die entsprechende Aufzählung folgt.

Dabei ergibt sich aus dem Adjektiv „folgenden“ ein eindeutiger Verweis auf die folgende Aufzählung. Wieso außer den „folgenden“, dann im einzelnen aufgezählten Krankheiten und Krankheitserregern auch noch andere (im Folgenden eben nicht genannte) Krankheiten und Krankheitserreger den Versicherungsfall begründen können sollten, erschließt sich aus dem Wortlaut der Klausel nicht (OLG Oldenburg, a.a.O., Rn.26; OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 28/29).

Nichts anderes ergibt sich aus der Verwendung des Wortes „namentlich“. Es mag zwar sein, dass das Wort „namentlich“ für sich genommen verschiedene Bedeutungen haben kann. Eine Wortlautauslegung hat sich aber nicht auf eine isolierte Betrachtung von mehreren aneinandergereihten Wörtern zu beschränken. Vielmehr ist die gesamte Formulierung mit ihrem erkennbaren Sinn in den Blick zu nehmen. Im vorliegenden Fall ist aus der Stellung des genannten Wortes im Satz zu entnehmen, dass das Wort nicht im Sinne von „insbesondere/hauptsächlich/beispielhaft“ verstanden werden kann; der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird darunter vielmehr „mit Namen benannte“ Begriffe – hier also Krankheiten – verstehen (OLG Oldenburg, a.a.O., Rn.27-28; OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 28/29; s. dann eingehend auch LG Hof, Urteil vom 23.4.2021 – 25 O 24/20, Rn.31ff [BeckRS 2021, 10230]).

cc)

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die gesetzliche Regelung des Infektionsschutzgesetzes, wie es der Kläger geltend macht, einem ständigen Wandel unterliegt. Entscheidend ist nämlich die Auslegung der Versicherungsbedingungen und nicht die des Gesetzes (Günther in Anm. zu OLG Hamm, Beschluss vom 15.7.2020 – 20 W 21/20, FD – VersR 2020, 431078).

Im Übrigen wäre vorliegend ein Anspruch des Klägers selbst dann nicht gegeben, wenn stets die aktuell in den §§ 6, 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger von der streitigen Versicherung umfasst wären. Die Änderung des IfSG, durch die Covid19 und SarsCoV2 in die Liste der meldepflichtigen Krankheiten aufgenommen wurde, ist erst zum 23. Mai 2021 erfolgt. Der Kläger macht jedoch Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung für den Zeitraum vom 17.03.2020 bis 11.05.2020 geltend. In diesem Zeitraum war Covid19 noch keine meldepflichtige Erkrankung im Sinne des IfSG. Die zuvor ergangene Verordnung zur Meldepflicht ist von der Verweisung auf die Regelungen der §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes nicht erfasst, da in diesen Vorschriften keine namentliche Nennung stattfindet.

dd)

Covid19 ist auch entgegen der Ansicht des Klägers nicht unter Influenza-Viren zu fassen; es ist allgemein bekannt, dass es sich um unterschiedliche Viren handelt (vergleiche Landgericht Stuttgart, Urteil vom 02.11.2020 – 18 O 264/20 Rn. 8 = COVuR 2020, 871; Landgericht Frankfurt, Urteil vom 12.02.2021 – 8 O 186/20 Rn. 43 [Beck RS 2021, 3243, dort auch zum Marburg Virus, Ebola Virus und anderen; Nugel, ZfS 2020, 672, 673]).

b)

Auch eine Betrachtung des relevanten Passus unter dem Gesichtspunkt der AGB-Kontrolle führt zu keinem anderen Ergebnis.

aa)

Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf § 305c Abs. 2 BGB berufen. Nach dieser Vorschrift gehen Zweifel bei der Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen zulasten des Verwenders. Unklar in diesem Sinne sind Klauseln, bei denen nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel verbleibt und mindestens zwei unterschiedliche Auslegungen vertretbar sind (OLG Oldenburg, a.a.O., Rn.38 unter Bezug auf Rechtsprechung des BGH). Dies ist hier nicht der Fall.

Mit dem genannten Verständnis der hier anzuwendenden Vertragsbestimmungen können eine objektive Mehrdeutigkeit und das Bestehen für den Versicherungsnehmer nicht behebbarer Zweifel nicht angenommen werden, zumal Verständnismöglichkeiten unberücksichtigt bleiben müssen, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend sind und für die an solchen Geschäften typischerweise Beteiligten nicht ernstlich in Betracht kommen (Landgericht Leipzig, Urteil vom 14.01.2021 – 3 O 917/20 Rn. 34 [Beck RS 2021, 701] unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen [NJW 2021, 1392 Rn.33).

Eine Inhaltskontrolle hat gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB nicht zu erfolgen, denn die Regelung weicht nicht von Rechtsvorschriften ab. Das VVG enthält keine speziellen Vorschriften zur Betriebsschließungsversicherung. Die allgemein, unabhängig von dem jeweiligen Versicherungszweig geltenden Normen des VVG werden von der Klausel nicht berührt (OLG Oldenburg, a.a.O., Rn.40). Dementsprechend könnte die Vertragsbestimmung auch nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung führen.

Weiterhin liegt der Schutzzweck des Infektionsschutzgesetzes nicht darin, einen Unternehmer vor Schäden durch eine Unterbrechung des Betriebs aufgrund von Maßnahmen des Infektionsschutzgesetzes zu bewahren; die Zielrichtung ist eine gänzlich andere. Daher läuft ein Verständnis dahin, dass nur die aufgeführten Krankheiten beziehungsweise Krankheitserreger vom Versicherungsschutz erfasst sein sollten, von vornherein nicht dem Schutzzweck des Infektionsschutzgesetzes zuwider (OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 36/37).

Auch eine Gefährdung des Vertragszwecks der Versicherung ist offenkundig nicht anzunehmen. Das hier zugrunde gelegte Verständnis der Versicherungsbedingungen begrenzt lediglich den Leistungsumfang des Versicherers auf diejenigen Fälle, die dort benannt sind. Der versprochene Versicherungsschutz wird damit nicht ausgehöhlt (OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 39 ff.). Zwar gebieten Treu und Glauben auch, dass Versicherungsbedingungen die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Die hier maßgebliche Bewertung kann aber von einem geschäftlich tätigen Betriebsinhaber unschwer erkannt werden (OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 41ff.).

2.

Nach alledem kann auch dahinstehen, ob nach den Versicherungsbedingungen eine einzelfallbezogene Maßnahme zur Bekämpfung einer aus dem konkreten Betrieb erwachsenden Infektionsgefahr (intrinsische Gefahr) notwendig ist (so Schleswig-Holsteinisches OLG – 16 U 25/21, juris, Rn.21-26).

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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