LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Beschluss vom 01.06.2015 – L 9 KR 149/15 B PKH

Juli 14, 2020

LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Beschluss vom 01.06.2015 – L 9 KR 149/15 B PKH

Die Anfechtungsklage einer im Handelsregister gelöschten GmbH gegen einen Beitragsbescheid ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses so lange unzulässig, wie die GmbH über kein Vermögen verfügt, weil der Beitragsbescheid in dieser Zeit nicht durchsetzbar ist.
Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. März 2015 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren ist zulässig, jedoch unbegründet.

Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gelten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Danach ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder in Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO).

Das angerufene Gericht beurteilt die Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 ZPO regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffs; die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Für die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht reicht „die reale Chance zum Obsiegen“, nicht hingegen eine „nur entfernte Erfolgschance“. Prozesskostenhilfe darf also nur verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, aber fern liegend ist, denn das Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 19 Abs. 4) gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. Kammerbeschluss vom 22. Juni 2007, 1 BvR 681/07, zitiert nach juris, dort RdNr. 8; außerdem Beschluss vom 13. März 1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347).

Hieran gemessen hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt; die Klage hat nur entfernte Erfolgsaussichten, die reale Chance zum Obsiegen erscheint ausgeschlossen. Denn die auf die Anfechtung des Bescheides der Beklagten vom 25. September 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2013 gerichtete Klage, mit der sich die Klägerin gegen eine gegen sie gerichtete Beitragsforderung in Höhe von 1.825.635,46 € wendet, erweist sich nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen als unzulässig, weil die Klägerin mit Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 11. Dezember 2008 durch rechtskräftige Abweisung eines Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse aufgelöst und am 29. Juli 2013 im Handelsregister des Amtsgerichts Charlottenburg von Amts wegen gelöscht worden ist. Der danach, am 30. Dezember 2014 gestellte Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe musste deshalb erfolglos bleiben.

51.) Der Zulässigkeit der Klage dürfte allerdings nicht entgegenstehen, dass die Klägerin wegen Vermögenslosigkeit gemäß § 394 FamFG von Amts wegen aus dem Handelsregister gelöscht worden ist. Dies dürfte insbesondere weder zum Entfallen der Beteiligtenfähigkeit noch – da sie weiterhin wirksam durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten ist – zur Prozessunfähigkeit der Klägerin führen.

a) Es spricht viel dafür, dass die Löschung der Klägerin im Handelsregister keine Auswirkung auf ihre Beteiligtenfähigkeit hat. Denn die Löschung hat keine rechtsgestaltende, sondern nur deklaratorische Wirkung. Steuerrechtlich wird eine gelöschte GmbH in jedem Falle als fortbestehend angesehen, solange sie noch steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen hat und gegen sie ergangene Steuer- oder Haftungsbescheide angreift (st. Rspr. des BFH, vgl. Urteil vom 18. März 1986 – VII R 146/81, BFHE 146, 492; Urteil vom 27. April 2000 – I R 65/98, BFHE 191, 494; Urteil vom 16. April 2007 – I B 115/06 – juris). Es entspricht auch der Rechtsprechung des BGH, dass eine gelöschte GmbH als parteifähig anzusehen ist, wenn sie sich – wie vorliegend – gegen Ansprüche wehrt, die ihrer Ansicht nach nicht entstanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 – XI ZR 95/93, NJW-RR 1994, 542 m.w.N.). Das LSG Hamburg hat daraus hergeleitet, dass für Forderungen der Sozialleistungsträger nichts anderes gelten könne (Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 06. April 2011 – L 2 AL 51/07 –, juris). Selbst wenn man mit der Lehre vom so genannten Doppeltatbestand davon ausgehe, dass eine Vollbeendigung und damit die Beteiligtenunfähigkeit einer GmbH nur bei dem Vorliegen der Löschung im Handelsregister und dem Fehlen jeglicher Vermögenswerte eintrete (vgl. hierzu Müther, in: Bork/ Jacoby/ Schwab, FamFG, Kommentar, § 394 FamFG RdNr. 7 m.w.N.), sei weiterhin von der Beteiligtenfähigkeit einer gelöschten GmbH auszugehen. Denn der Annahme einer vollständigen Vermögenslosigkeit der gelöschten GmbH stehe schon entgegen, dass sie bei erfolgreichem Ausgang einen Kostenerstattungsanspruch erhalten würde (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21. Oktober 1985 – II ZR 82/85, NJW-RR 1986, 394; LSG Hamburg a.a.O.).

b) Die Löschung der Klägerin aus dem Handelsregister hat aber zur Folge, dass der bisherige gesetzliche Vertreter (Geschäftsführer) seine Vertretungsbefugnis verliert und die GmbH mangels eines vertretungsberechtigten Organs prozessunfähig wird. Das gerichtliche Verfahren wird deshalb in der Regel bis zur Bestellung eines Liquidators bzw. Nachtragsliquidators gemäß § 202 SGG i.V.m. § 241 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen. Allerdings tritt gemäß § 246 ZPO die Rechtsfolge der Unterbrechung des Verfahrens dann nicht ein, wenn die Gesellschaft durch Prozessbevollmächtigte ordnungsgemäß im Prozessrechtsverhältnis vertreten wird, die sie vor ihrer Löschung im Handelsregister beauftragt hat (LSG Hamburg a.a.O.; FG Hamburg, Urteil vom 19. Juni 20012 – 4 K 88/09 -, juris). Im vorliegenden Fall wird die Klägerin seit Klageerhebung am 24. Juni 2013, die vor ihrer Löschung im Handelsregister am 29. Juli 2013 erhoben worden war, durch ihre Prozessbevollmächtigten vertreten. Die diesen von der Klägerin erteilte Prozessvollmacht vom 18. Juni 2013 dauert über den Zeitpunkt der Löschung der Klägerin und des Verlusts der gesetzlichen Vertretungsmacht ihres Geschäftsführers fort (§ 73 Abs. 6 Satz 7 SGG i.V.m. § 86 ZPO).

82.) Da die Klägerin vollbeendet ist, fehlt ihr aber mit Blick auf die von ihr verfolgte Anfechtungsklage das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis. Eine obsiegende Entscheidung brächte ihr keinen rechtlichen Vorteil. Gegen die nicht mehr existente Klägerin kann die Beklagte ihren Beitragsbescheid nicht mehr durchsetzen; eine Vollstreckung ist ausgeschlossen, solange die Klägerin über kein Vermögen verfügt. Für diese Feststellung ist wie bei der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen durch ein Beschwerdegericht allgemein auf den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung abzustellen, zu dem der Klägerin auch noch kein Kostenerstattungsanspruch aus dem vorliegenden Verfahren zustehen kann. Die bloße Existenz einer gegen die Klägerin derzeit nicht durchsetzbaren Beitragsforderung begründet dementsprechend kein schutzwürdiges Interesse an der Fortführung der ursprünglich zulässigen Anfechtungsklage; der begehrte Rechtsschutz ist für die Klägerin derzeit ohne jede rechtliche Bedeutung und soll deshalb „quasi nur auf Vorrat“ für den Fall in Anspruch genommen werden, dass die Klägerin später ggf. einmal Vermögen erwirbt. Für diesen Fall ist es der Klägerin aber zuzumuten, die Beitragsforderung der Beklagten über § 44 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) erneut anzufechten.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (vgl. § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).

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